Mittelstandsbericht 2019 Besprechung des Berichts der Landesregierung (Drucksache 17/9801) auf Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/9803 –
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 11. März 2011 hat dieser Landtag mit sozialdemokratischen Mehrheit ein neues Mittelstandsförderungsgesetz beschlossen, das vorsieht, dass dem Landtag jährlich ein Mittelstandsbericht vorzulegen ist. Hintergrund ist, dass der Mittelstand in Rheinland-Pfalz eine sehr große Rolle für die Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt spielt und man sich deshalb politisch intensiv damit beschäftigen sollte. In Rheinland-Pfalz gehören 99,5 % aller Unternehmen zum Mittelstand. Davon wiederum sind 88,6 % Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten.
Der Mittelstand ist ein Jobgarant: 57 % aller Arbeitsplätze finden sich im Mittelstand. Das ist ein Wert, der sowohl im Bundesvergleich als auch im Vergleich der westdeutschen Flächenländer überdurchschnittlich ist. Wenn man also wissen will, wie es der Wirtschaft in Rheinland-Pfalz geht, dann empfiehlt es sich, nicht nur den Blick auf die industriellen Großbetriebe, sondern auch auf den Mittelstand zu richten.
Wie geht es der Wirtschaft in Rheinland-Pfalz? – Der Mittelstandsbericht 2019 zeichnet uns ein sehr gutes Bild von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Jahres 2018. Das Bruttoinlandsprodukt ist erneut gestiegen – um 1,7 % –, und es liegt damit beim Anstieg über dem Bundesdurchschnitt.
Wir haben einen Beschäftigungsrekord. Wir haben über 2 Millionen Menschen in Arbeit. Nie zuvor waren in Rheinland-Pfalz so viele Menschen in einer Erwerbstätigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen ist erstmals seit dem Jahr 1992 wieder unter die Marke von 100.000 gesunken. Die Quote betrug im Jahresdurchschnitt 4,4 %. Wir sind seit Jahren bei der Arbeitslosigkeit an drittbester Stelle; vor uns sind nur noch Bayern und Baden-Württemberg.
Ein paar zentrale Botschaften aus dem Mittelstandsbericht: Eine Botschaft ist, dass die Zahl der mittelständischen Betriebe in Rheinland-Pfalz insgesamt sinkt. Seit dem Jahr 2017 waren es über 1.000 Unternehmen weniger: eine Abnahme um 0,7 %. Eine Erklärung dafür ist, dass es sich dabei vor allem um Kleinstunternehmen handelt. Ich habe eingangs gesagt, das ist ein ganz starker Schwer
punkt in Rheinland-Pfalz, während die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen in demselben Zeitraum, genauso wie die Zahl der Arbeitsplätze, zugenommen hat. Das ist vor allem interessant.
Im Zeitraum von 2010 bis 2017 haben wir 12 % mehr Arbeitsplätze bekommen. Trotz des Rückgangs bei der Zahl der Unternehmen steigt die Zahl der Arbeitsplätze im Mittelstand seit dem Jahr 2010 kontinuierlich. Das zeigt uns: Wir haben eine sehr günstige wirtschaftliche Entwicklung im Mittelstand. Der Mittelstand ist beim Kampf um gute Arbeitskräfte konkurrenzfähig.
Wie sieht es aber in Zukunft mit der Fachkräftesicherung aus? – Auch hier lohnt ein Blick in den Mittelstandsbericht; denn Mittelstand bedeutet Ausbildung. Fast 75 % aller Ausbildungsverhältnisse bestehen in Betrieben mit weniger als 250 Arbeitnehmern. Allerdings sinkt die Zahl der Ausbildungsverhältnisse sehr stark. Im Jahr 2018 blieben leider knapp 2.600 angebotene Lehrstellen ohne Bewerberinnen oder Bewerber. Seit dem Jahr 2010 hat sich die Zahl der unbesetzten Plätze mehr als verdreifacht; dabei sinkt die Nachfrage stärker als das Angebot.
Eine Erklärung ist der demografische Wandel, ein Thema, das uns natürlich bundesweit beschäftigt, plus einer gestiegenen Studierneigung. Seit dem Jahr 2010 haben wir 11 % mehr Studienanfänger bei einer um 4,5 % gesunkenen Anzahl von Menschen im Alter zwischen 19 Jahren und 25 Jahren. Diese beiden Effekte potenzieren sich gegenseitig. Aber es sind verstärkte Anstrengungen der Kammern und der Politik notwendig, um die Bedeutung der dualen Ausbildung und die damit verbundenen Chancen noch stärker ins Blickfeld zu rücken.
Zusammengefasst kann man sagen: 2018 war erneut ein Superjahr für den Mittelstand. Wir leben aber nun schon eine ganze Weile mit einer Erwartung von konjunkturellen Eintrübungen aufgrund der menschengemachten Fehler Brexit und der Handelskonflikte zwischen den USA und China. Aber angesichts des Mittelstandsberichts muss man deswegen nicht in Panik verfallen, sondern die Wirtschaft in unserem Land ist strukturell stark aufgestellt und hat das Potenzial für weitere gute Jahre. Das bestätigen auch die Berichte von IHK und HWK, die heute veröffentlicht wurden. Heute ist in der Presse noch einmal nachzulesen, dass sich die Einschätzungen dort mit unseren decken.
Der Staat kann das durch eine Investitionstätigkeit noch einmal unterstützen, wie das seit Langem geschieht, vor allem in den Bereichen Wohnungsbau, digitale Infrastruktur und Mobilitätswende. Angesichts niedriger Zinsen oder sogar Negativzinsen sind Investitionen im Moment sehr günstig.
Also insgesamt können wir sehr zufrieden sein. Der Bericht zeichnet ein positives Bild, aber er erfüllt auch seine Aufgabe und zeigt uns, wo man als Politik noch einmal genau hinsehen sollte.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben im vergangenen Jahr zum ersten Mal den Mittelstandsbericht auf einer neuen Datengrundlage erhalten. Damals war er etwas verspätet. Wir haben versprochen bekommen, dass er in diesem Jahr unmittelbar nach den Sommerferien vorliegt. Er liegt vor. Auch das ist einmal ein Dankeschön wert. Es steckt viel Arbeit hinter diesem Bericht.
Der Bericht zeigt wiederum eindrücklich – wir haben es gerade schon gehört –, welche Bedeutung der Mittelstand für Rheinland-Pfalz hat. Rheinland-Pfalz ist Mittelstandsland. Das beweisen die Zahlen. Wir wissen alle, welche Bedeutung die Unternehmer, die hinter dem Mittelstand stehen, haben. Sie sind natürlich in der Zahl gesunken – auch das haben wir gerade schon gehört –, aber wenn es sich fast ausschließlich um Kleinstunternehmen handelt, können wir das sicherlich auch verkraften.
Wichtig ist, dass der Mittelstand insgesamt eine verlässliche Zukunft hat. Das sollte Ziel des Mittelstandsberichts sein. Der Mittelstandsbericht ist für uns auch ein Anlass, einmal all denjenigen, die dafür sorgen, dass im Mittelstand Unternehmen langfristig entwickelt werden, Arbeitsplätze geschaffen werden und die Regionen prosperieren können – das sind die Unternehmer, die auch Risiken auf sich nehmen und es kritisch begleiten –, heute Danke zu sagen.
Ein Dank auch dem Mittelstandslotsen, der in seinem Bericht prägnant die Bedeutung einer systematischen Personalentwicklung in der Digitalisierung darstellt und damit wichtige Impulse setzt. Aber der Kern des Mittelstandsberichts ist die sachliche Analyse, auf der wir unser politisches Handeln aufbauen sollen. Aus unserer Sicht ist sie berechtigt – es sind viele gute Daten dargestellt –, aber wieder einmal ist die Chance vertan worden, eine wirklich ehrliche sachliche Analyse der Fakten zu betreiben.
Das zeigt sich schon gleich am Anfang im Vorwort des Ministers. Das Vorwort datiert vom Juli 2019. Ich zitiere aus diesem Vorwort: „Die konjunkturellen Daten sind positiv. Schaut man auf die aktuelle wirtschaftliche Lage, dann jagt im Moment ein Rekord den nächsten, gerade auch hier in Rheinland-Pfalz. Die Wirtschaft wächst – von einem kleinen Dämpfer 2013 abgesehen – seit 2010 ununterbrochen.“
Wir alle erleben, wenn wir die Presse und die Medien verfolgen, aber vor allem, wenn wir mit Unternehmen aus dem Mittelstand sprechen, dass inzwischen eine Zeit angebrochen ist, in der auch in Rheinland-Pfalz die Anzeichen der Rezession in den Unternehmen deutlich zu spüren sind.
Wir müssen die Analyse so betreiben, dass wir diese Anzeichen ehrlich aufnehmen und dann entsprechend gegensteuern. Wir wissen um die Ängste der Automobilzulieferer. Das ist inzwischen in den Betrieben angekommen. Wir hören immer öfter, dass die Betriebe, die noch vor Kurzem keine Aufträge mehr annehmen konnten, inzwischen nachfragen, wer denn Aufträge für sie hat – Stichwort Brexit und Stichwort ungewisse Zukunft auf internationaler Ebene im Exportland. Jüngst haben wir vom Statistischen Landesamt einen Rückgang der Produktion des verarbeitenden Gewerbes von Januar bis Mai gegenüber dem Vorjahr um 24,8 % bestätigt bekommen. Das ist ein Bericht des Statistischen Landesamts.
Sie werden nachher sagen, ihr redet die Wirtschaft in Rheinland-Pfalz ja nur schlecht. Nein, wir sind auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft stolz. Gerade weil wir auf diesen Mittelstand stolz sind und weil wir ihn ernst nehmen, sagen wir, wir müssen die rosarote Brille ablegen, wir müssen die Sorgen auch der Wirtschaft ernst nehmen und nicht in Panik verfallen, aber mit Realismus analysieren.
Was meine ich damit konkret? Betrachten wir die Kernaussagen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die auch in der Zusammenfassung dargestellt sind: Dort ist genannt, das Bruttoinlandsprodukt steigt im Jahr 2018 um 1,7 % und stärker als im Bundesdurchschnitt. Ja, das stimmt, aber zur Wahrheit gehört auch – Stichwort rosarote Brille und Realismus –, die Wachstumsraten in Rheinland-Pfalz lagen in den Jahren 2016 und 2017 deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Somit haben wir also höchstens einen kleinen Aufholeffekt. Im mehrjährigen Durchschnitt sieht das wieder ganz anders aus.
Es gilt auf jeden Fall zu beachten, dass im Jahr 2018 bei dieser deutlichen Steigerung des Bruttoinlandprodukts Sondereffekte aus der Pharmaindustrie zu verzeichnen sind, die im Vergleich natürlich jetzt wieder zu einem entsprechenden Rückgang führen. Das müssen wir darstellen und aufarbeiten. Nur dann können wir entsprechend darauf reagieren.
Es ist in den Kernaussagen der Datenanalyse weiterhin vermerkt, dass sich das Bruttoinlandsprodukt auf 149 Milliarden Euro, 4,4 % des Bundesanteils, beläuft. Im Jahr 2018 betrug das nominale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in Rheinland-Pfalz 73.100 Euro. Das ist einfach eine Zahl. Von Bedeutung wird sie erst dann, wenn wir sie vergleichen. Dann müssen wir feststellen, dass diese Zahl pro Erwerbstätigem um 4.100 Euro unter den jeweiligen Werten der westlichen Flächenländer liegt.
Wir haben es gerade schon gehört, es sind sensationelle Arbeitslosenzahlen. Das stimmt. Das ist auch wunderbar, aber sie liegen daran, dass wir ein Pendlerland sind und bei uns die Menschen gern wohnen, aber sie würden gern auch hier arbeiten. Auch wenn im Bericht steht, wir haben wieder einen Rekord bei den Erwerbstätigen, so gehört zu einem seriösen Bericht, dass darin auch steht, dass die entsprechenden Steigerungsraten im Bund in all den vergangenen Jahren und auch im Vorjahr deutlich höher waren. Das heißt, die übrigen Länder schaffen es sehr viel besser, Arbeitsplätze zu schaffen, als dies in RheinlandPfalz möglich ist. Bei uns wohnen die Menschen gern. Wunderbar, aber es ergibt keinen Sinn, sie im Brückenchaos stehenzulassen, wenn sie in die anliegenden Ballungszentren pendeln müssen.
nehmen wir die Unternehmen ernst, nehmen wir ihre Sorgen und Nöte ernst, analysieren wir auch die Seiten, bei denen es Entwicklungspotenzial gibt und entwickeln wir dagegen entsprechende Strategien.
Verehrte Präsidentin, liebe Kollegen! 99,5 % aller Unternehmen in Rheinland-Pfalz gehören dem Mittelstand an. 47 % der Arbeitsplätze und 42 % des Gesamtumsatzes entfallen auf den Mittelstand. Den durchaus erfreulichen Daten im Mittelstandsbericht stehen sehr bedenkliche Entwicklungen gegenüber. Zwischen den Jahren 2010 und 2017 ist die Zahl der mittelständischen Unternehmen in Rheinland-Pfalz kontinuierlich gesunken. Wir diskutieren im Landtag regelmäßig über die mangelhafte Gründungsdynamik und die mangelnde Professionalisierung der Startup-Förderung.
Das Statistische Landesamt stützt und untermauert diese Kritik; so war die Zahl der Gründungen auch im ersten Quartal weiter rückläufig. Unsere Große Anfrage „Unternehmensgründungen in Rheinland-Pfalz“ hat gezeigt, dass es hier im Land viel ungenutztes Potenzial zum Bürokratieabbau gibt. Ich möchte aber auf unsere Forderung aus den Haushaltsberatungen, endlich die Gründerstipendien einzuführen, um das Potenzial unseres Bundeslands auszuschöpfen, verweisen.
Nun stehen wir also am Vorabend einer Rezession, und nun ist absehbar, dass insbesondere der Export hierunter leiden wird. Dies ist genau der Bereich, in dem der rheinland-pfälzische Mittelstand besonders stark ist. Wenn wir nicht handeln, verlieren wir also kostbare Zeit, was die vorstehende Rezession sicherlich nicht einfacher machen
Natürlich freuen wir uns, dass die Zahl der Arbeitsplätze im Mittelstand trotz der vorgenannten negativen Entwicklung gestiegen ist. Kritisch hingegen ist zu sehen, dass der Mittelstand in Rheinland-Pfalz deutlich kleinteiliger als im Rest Deutschlands strukturiert ist, und auch die Umsatzproduktivität, also der Umsatz pro Beschäftigtem, lässt nicht wirklich eine positive Beurteilung zu.