Protokoll der Sitzung vom 18.09.2019

(Abg. Joachim Paul, AfD: Erzählen Sie das einmal den postkommunistischen Staaten in Osteuropa!)

Herr Paul, das gilt auch für Sie.

(Abg. Michael Hüttner, SPD: Wie tief wollen Sie noch sinken! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Lassen Sie den Herrn Hahn seine Zwischenrufe machen!)

Herr Schweitzer, Sie können sich im Foyer mit Ihrem Lieblingskollegen unterhalten.

(Vereinzelt Heiterkeit im Hause)

Frau Lerch, bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Normalerweise wird der Begriff „Heimat“ im Singular und mit bestimmtem Artikel gebraucht. Die Heimat als Begriff suggeriert dann auch, dass jeder Mensch eine bestimmte Heimat habe. So findet sich denn auch im Duden unter dem Schlagwort „Heimat“ die Bemerkung – ich zitiere –: Plural nicht üblich.

Wenn sich nun der Kultursommer 2019 auf die Begrifflichkeit im Plural „Heimat(en)“ festlegt, soll damit etwas

impliziert werden, was sich deutlich von d e r Heimat absetzt. Der Kultursommer öffnet sich den Menschen mit vielen kulturellen Angeboten: Musik, junge Kulturen, Theater, offene Ateliers, Kino, Literatur – um nur einige Beispiele zu nennen.

Viele von uns verstehen unter Heimat einen Ort tiefen Vertrauens, der Sicherheit und Verlässlichkeit gibt und sinnvolles Handeln möglich macht. Angesichts internationaler Krisen und Globalisierung bietet Heimat eine scheinbar stabile Verortung des Einzelnen.

Der Gegensatz zu Heimat ist Heimatlosigkeit, ein Begriff, der an Auswanderung, Vertreibung und Flucht erinnert. Auch der Ausdruck „Heimweh“ suggeriert die schmerzliche Ferne von einem Ort des Vertrauens.

Politisch interessant ist, dass es in der Landesverfassung des Landes Rheinland-Pfalz in Artikel 33 heißt: „Die Schule hat die Jugend (...) zur Liebe zu Volk und Heimat (...) zu erziehen.“

(Beifall bei der AfD)

Seit dem 14. März 2018 gibt es ein Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben wir einen Heimatminister. In den 1970er-Jahren allerdings wurde das Fach Heimatkunde an den sogenannten Volksschulen abgeschafft und durch Sachkunde ersetzt. Etwa zur gleichen Zeit begann der museale Heimatboom, und der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ manifestierte die regionale Zugehörigkeit.

Die Leitidee des Kultursommers 2019 impliziert durch den Begriff „Heimat(en)“ die Vielfältigkeit des Begriffs und greift damit auch die aktuelle Diskussion der gesellschaftlichen Vielfalt auf. Wer Heimat sucht, findet sie in einem sozialen Raum als interaktive Daseinsform, im Rahmen von Familie, Freunden und Nachbarschaften.

Darüber hinaus schaffen sich Menschen kleine Heimaten, um Geborgenheit und Wohlbefinden zu finden, und Kultur greift diesen Wunsch und dieses Streben der Menschen auf. Der Kultursommer 2019 ist an Vielfalt und Kreativität kaum zu überbieten, vor allem im ländlichen Raum vor der eigenen Haustür.

Die Suche nach Heimat und damit auch nach Zugehörigkeit war und ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Deshalb richtet das Motto des diesjährigen Kultursommers auch unseren Blick auf jene, die ihre Heimat verloren haben und auf der Suche nach neuen Identitäten sind. Hier liegt die große Chance von Kultur; denn Musik, Theater und Kunst sind internationale Sprachen und verbinden über Grenzen hinweg. Dieses Verbundensein ist dem Kultursommer 2019 mit seinem Motto gelungen.

Ich möchte am Schluss meinen Dank aussprechen an alle Kulturschaffenden, die diesen Kultursommer möglich gemacht und unterstützt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Katharina Binz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit 1992 gibt es den Kultursommer. Jedes Jahr, den ganzen Sommer über, finden landesweit Veranstaltungen statt, die das kulturelle Leben in RheinlandPfalz bereichern, darstellen und zu den Menschen bringen. Kulturelle Angebote in alle Regionen des Landes bringen, ob in die Stadt oder auf das Land – das ist seit Beginn die Idee hinter dem Kultursommer, und das funktioniert Jahr für Jahr sehr gut.

Getragen wird der Kultursommer durch die Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur mit einem Stiftungskapital von 94 Millionen Euro, deren Arbeit aber durch den Landeshaushalt mit 500.000 Euro im Jahr abgesichert wird.

Besonders interessant ist, dass der Kultursommer in jedem Jahr unter einem Motto steht. In diesem Jahr ist es – wir haben es bereits gehört – das Motto „Heimat(en)“, was ich sehr spannend finde; denn „Heimat“ ist ein Begriff, der gerade in der politischen Diskussion sehr en vogue ist. Immerhin haben wir derzeit in Berlin ein Heimatministerium und auch einen Heimatminister.

Aber nicht alle verstehen unter Heimat oder unter dem Begriff der Heimatpolitik offenbar das Gleiche. Auch das haben wir heute wieder gehört. Den einen geht es dabei um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Ihnen geht es darum, dass das Leben auf dem Land auch bei sinkenden Bevölkerungszahlen gut und lebenswert bleibt.

Den anderen wiederum geht es vor allem um Definitionen: Für wen darf überhaupt wo Heimat sein? Wer darf überhaupt und unter welchen Bedingungen dazu gehören? Wer gehört sowieso auf jeden Fall nicht dazu?

Ein spannendes Feld also, und gerade deshalb ist es aufschlussreich, sich anzuschauen, wie das Thema „Heimat“ kulturell von den Kulturschaffenden in ganz RheinlandPfalz bearbeitet wird.

Noch bis zum 31. Oktober läuft der Kultursommer. Von daher kann man sich davon noch auf vielen Veranstaltungen ein Bild machen. Da gibt es das Stück „komm heim! – Geschichten aus der Welt“ vom Theader Freinsheim oder „Kleine Heimaten“ in den Höfen und Gärten von Wachenheim. Das CinéMayence in Mainz zeigt alte und neue Heimatfilme, die Westerwälder Literaturtage beschäftigen sich mit den Themen „Herkunft, Lebenswelten und Wurzeln“, im Hunsrück werden unter dem Motto „Kirchen sind Heimat“ Kirchen kulturell bespielt, und das Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen nähert sich unter dem Titel „Heimat für alle“ dem Jubiläumsjahr 100 Jahre Bauhaus.

Heimat ist in Rheinland-Pfalz also vor allem eines: vielfältig. So vielfältig wie die Menschen, die hier leben. Besonders schön und gelungen finde ich in diesem Jahr den Begleitband zum Kultursommer mit sehr spannenden und hochkarätigen Beiträgen zum Thema „Heimat Europa?“. Darin

findet sich ein sehr kurzer, aber sehr schöner Beitrag von Jean-Claude Hollerich, dem Erzbischof von Luxemburg, der heute, nach dem, was wir vorhin wieder einmal gehört haben, sehr schön passt. Ich habe dazu extra etwas vorbereitet; denn es war sehr vorhersehbar, was wir heute zu dem Thema hören.

Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich daher eine kleine Stelle daraus zitieren: Armut kennt keine Heimat. Ein soziales Europa, das den Blick auf die Ärmsten ausgerichtet hat, kann den Armen eine neue Heimat geben. Leute, die unter Diskriminierung leiden, können durch die Werte der Europäischen Union eine neue Heimat bekommen. Antisemitismus ist somit der Feind der europäischen Heimat. Flüchtlinge, heimatlos per Definition, können in den europäischen Ländern eine neue Heimat finden, wenn wir sie als Mitmenschen aufnehmen und ihnen die Unterstützung geben, die unser christlicher Glaube gebietet. Mit anderen Worten, wir können nur Heimat bewahren, wenn wir Heimat schaffen. –

(Vereinzelt Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Das finde ich eine sehr schöne Heimatdefinition; denn sie zeigt, dass Heimat erst dann für alle lebenswert wird, wenn wir inklusiv, nicht exklusiv handeln.

Ich wünsche daher dem Kultursommer Rheinland-Pfalz noch viele schöne und erfolgreiche kulturelle Veranstaltungen bis zum 31. Oktober und freue mich schon jetzt auf die guten Denkanstöße im nächsten Jahr, wenn das Motto „Kompass Europa: Nordlichter“ sein wird.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und bei der FDP – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gut!)

Für die Landesregierung spricht Staatsminister Professor Dr. Konrad Wolf.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In Rheinland-Pfalz denken wir seit fast drei Jahrzehnten die Begriffe „Kultur“ und „Ländlicher Raum“ zusammen. Die Grundlage dafür ist der Kultursommer Rheinland-Pfalz als großartige Erfolgsgeschichte seit fast drei Jahrzehnten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP)

Für uns als Landesregierung ist Kulturpolitik immer auch Gesellschaftspolitik, weil sie die Rahmenbedingungen dafür setzt, dass Künstlerinnen und Künstler in der Lage sind, ihre Sicht auf die Welt, die Art und Weise, wie wir leben und zusammen leben, in Literatur, Theater, Malerei und allen anderen Ausdrucksformen zu zeigen.

Dazu gehört auch, dass gute Kulturpolitik die Autonomie

und auch die Widerständigkeit von öffentlich geförderter Kunst aushält und sogar anregt.

Wenn Kulturpolitik als Teil der Gesellschaftspolitik verstanden wird, dann ist es auch legitim, von Kulturausgaben als Investitionen zu sprechen und nicht als Subventionen, weil es Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft sind.

(Unruhe im Haus – Glocke des Präsidenten)

Darum haben wir im Doppelhaushalt 2019/2020 im Vergleich zu 2018 den Ansatz um rund 10 % erhöht, also um 11,5 Millionen Euro. Bei dieser Summe kann man nicht sagen, dass das eine dürftige Unterstützung oder eine dürftige Erhöhung dieses Ansatzes ist.

(Vereinzelt Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin froh, dass wir in Rheinland-Pfalz unter sozialdemokratischer Ägide Kulturpolitik so sehen und bewerten, als elementaren Teil der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft, und dass wir dafür die nötigen Grundlagen schaffen.

Der Kultursommer ist das zentrale Instrument, mit dem wir diesen Anspruch an Kultur umsetzen. Er wurde 1991 ins Leben gerufen, damit die Menschen im ganzen Land an Kultur teilhaben können, um sich künstlerisch und kulturell mit einem wichtigen Thema auseinanderzusetzen. Das ist der Anspruch bis heute geblieben. Gerade mit dem diesjährigen Motto „Heimat(en)“ gelingt das ganz hervorragend.

Der Kultursommer läuft noch bis Ende Oktober. Es wäre also zu früh für eine Bilanz. Es kommt noch eine ganze Reihe von Veranstaltungen. Aber dass das ein Thema ist, das zu vielen und auch ganz außergewöhnlich gelungen Projekten angeregt hat, kann man heute schon sagen.

Die Kulturszene des Landes hat für dieses Jahr rund 100 Anträge mehr zur Förderung eingereicht als im Vorjahr. Das zeigt das große Interesse an diesem Motto „Heimat(en)“.

Natürlich hat die Kulturszene dieses Motto völlig unterschiedlich aufgenommen, gestaltet und interpretiert, weil Heimat heute etwas sehr Vielschichtiges ist, weil Heimat heute nicht statisch und ortsgebunden ist. Das spiegelt sich bei unseren Menschen wider.