Unsere Große Anfrage zeigt aber vor allen Dingen auch eines: Wir brauchen mehr Prävention im Bereich der psychischen Gesundheit, und wir brauchen eine bessere Steuerung in der Versorgung.
Kommen wir zuerst zu den Zahlen. Die Zahl der Patienten mit den sogenannten F-Diagnosen betrug im Jahr 2018
1,3 Millionen in Rheinland-Pfalz. Das sind 32,6 % aller Rheinland-Pfälzer. In den F-Diagnosen ist aber ein sehr breites Spektrum an Erkrankungen enthalten, unter anderem zum Beispiel auch die Nikotinsucht. Daher ist diese Zahl von 1,3 Millionen nur eine Zahl, die sich dem Phänomen annähert. Es ist keine exakte Feststellung. Man muss mit dieser Zahl vorsichtig umgehen. Das wollen wir auch.
Wir wissen aber weiterhin aus Studien, dass für Europäer das Risiko, mindestens einmal im Jahr psychisch zu erkranken, bei 27 % liegt, gesehen auf die Lebenszeit dieses Risiko sogar bei 50 % liegt. Jeder und jede Zweite also.
Auch wenn wir keine exakten Zahlen haben, sehen wir trotzdem sehr deutlich, dass psychische Erkrankungen keine randständigen Erscheinungen in unserer Gesellschaft sind. Sie sind ein Thema in der Mitte der Gesellschaft. Statistisch gesehen hat jede Familie, jeder Bekannten- und jeder Freundeskreis irgendwann einmal damit zu tun.
Was wir aufgrund unserer Großen Anfrage feststellen können, ist, wer eigentlich die Diagnosen trifft. Das sind nur in einer Minderheit Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen sowie Psychiater und Psychaterinnen. Die allermeisten Diagnosen werden von Allgemeinmedizinern gestellt. Das ist natürlich einerseits ein gutes Zeichen; denn es spricht dafür, dass der Hausarzt oder die Hausärztin ein hohes Vertrauen der Patientinnen und Patienten genießt und deswegen auch bei psychischen Erkrankungen der erste Ansprechpartner ist.
Wir müssen uns aber die Frage stellen, was danach geschieht. Kommen die Patientinnen und Patienten denn nach einer Diagnose durch den Hausarzt auch an eine therapeutische oder fachärztliche Behandlung? Daran besteht aufgrund der Zahlen, die uns vorliegen, leider Anlass zum Zweifel.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, noch einmal auf die sehr wichtige Arbeit der Terminservicestellen hinzuweisen. Hier gibt es aktuelle Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung, die besagen, dass die Terminservicestellen in Rheinland-Pfalz zwischen Januar und August dieses Jahres 3.027 Fälle bearbeitet haben. Von diesen 3.027 Fällen wurden 40 % an Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen vermittelt und 10 % an Psychiater. Das ist die Hälfte aller Fälle, die bei den Terminservicestellen auflaufen. Das zeigt, wie hoch der Bedarf an dieser Stelle ist.
Für den Bereich der Psychotherapie – das wissen wir – haben wir heute die Situation, dass viel zu wenig Therapieplätze zur Verfügung stehen. Die Wartezeit auf eine Richtlinienpsychotherapie beträgt durchschnittlich 19 Wochen. In ländlichen Regionen kann sie bis zu 35 Wochen betragen. Es besteht aber an dieser Stelle Hoffnung auf etwas Besserung; denn durch die Bearbeitung der Bedarfsplanung sollen in Rheinland-Pfalz 29 neue nervenärztliche und 52,5 neue psychotherapeutische Sitze entstehen. Das ist gut; denn, wie gesagt, die Zahlen zeigen uns, der Bedarf ist vorhanden und sehr groß.
Wir wissen leider auch, dass es insbesondere Betroffene aus privilegierten gesellschaftlichen Schichten sind, die den Weg in die Psychotherapie finden. Unterprivilegier
te Betroffene gehen im System oft auf dem Weg dorthin verloren und erhalten nicht die Hilfe, die sie bräuchten. Daher ist es wichtig, dass wir uns genau an dieser Stelle neue Konzepte überlegen, wie wir die Versorgung besser steuern; denn auf dem Weg von der Diagnose beim Hausarzt hin zu den Fachärzten und Therapeuten haben wir momentan noch ein Problem mit der Steuerung.
Auch hier liegt uns die Zahl der F-Diagnosen vor. Betroffen sind in Rheinland-Pfalz im Jahr 2018 27,9 % der Kinder und Jugendlichen. Auch mit dieser Zahl muss man vorsichtig umgehen. Aber an dieser Stelle ist es ganz wichtig, noch einmal auf die Risikofaktoren einzugehen. Das sind insbesondere ein geringes Haushaltseinkommen und Arbeitslosigkeit der Eltern.
Ich komme zum Schluss. Aus diesem Grund ist es wichtig, über die Gesundheitspolitik hinauszugehen und sich zu überlegen, wie Präventionsprogramme aussehen können, um das Lebensumfeld zu verbessern, damit psychische Erkrankungen gar nicht erst entstehen.
Ich habe das in Berlin vor Kurzem das erste Mal machen dürfen. Das ist zweifelsohne eine ganz gute Alternative, um sich in dem großen Berlin schnell zu bewegen.
Dann habe ich mich allerdings gefragt: Wer lädt denn eigentlich den Akku auf? – Ich habe einmal ein bisschen recherchiert. Das machen sogenannte Juicer. Das ist ein schicker Begriff. Was verbirgt sich dahinter? Das konnte man vor Kurzem sehen. Es hat eine Wohnung gebrannt. Warum hat diese Wohnung in Berlin gebrannt? Die Juicer sammeln nachts, während wir schlafen, die E-Scooter ein, stecken sie zu Hause bei sich in die Steckdose, laden sie auf und fahren sie wieder zurück. Dass dann irgendwann ein Brand entsteht, ist noch nicht einmal überraschend, weil das Netz natürlich extrem überlastet ist.
müssen sie aber das Benzin und den Transporter selbst bezahlen, sind selbstständig, müssen Steuern bezahlen usw. Schaut man sich Monitor an, so gibt es Verbandsvertreter von anderen Branchen, die sagen: Das ist doch ein wunderbares Zugeschäft für diejenigen unter uns, die Pakete zustellen und in dem Bereich ohnehin nicht genügend verdienen.
Damit komme ich schnell zu dem Thema, das wir dank der Grünen heute zum Glück im Plenum wieder haben. Ernsthaft können wir nicht wirklich wollen, dass Menschen, die sich tagsüber schon für uns abplagen und dafür nicht ausreichend entlohnt werden, dann auch noch nachts arbeiten müssen. Wir reden davon, dass wir in anderen Bereichen Spitzenreiter in Europa sind. 71 %! 71 % unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen selbstverständlich unbezahlte Überstunden. Spitzenreiter in Europa! Das konnte man vor Kurzem in der Süddeutschen Zeitung lesen.
Wir können dank einer Studie der AOK wissen, Homeoffice ja, das ist gut. Das ist schön; denn die Digitalisierung erleichtert Abläufe und manchmal auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist aber auch eindeutig feststellbar, dass dort – das muss ich ablesen – von einer interessierten Selbstgefährdung – ein Phänomen – zu sprechen ist. Das heißt, die Nähe und die Begeisterung für den Beruf führen dazu, dass ich mich selbst ausbeute. Die Gefahr, dass dies dann in eine psychische Erkrankung mündet, ist beim Homeoffice viel größer, als wenn ich geregelt zur Arbeit gehe.
Gleichzeitig haben wir eine Entgrenzung dieser Arbeitsrechte und Arbeitsrichtlinien, die mit dem digitalen Fortschritt einhergeht, und wir haben eine Entgrenzung von Familie. Es ist gut, wir haben eine global vernetzte Familie, aber wir haben nicht mehr diesen selbstverständlichen Rückzugsraum der Unterstützung und der Hilfe.
Alle diese Punkte sind Faktoren, die zeigen, dass sich unsere Gesellschaft in einem Wohlstand befindet. Sie zeigen, dass wir uns fortentwickeln und den Fortschritt leben. Das ist auch gut so. Sie macht aber deutlich, dass der Mensch in vielen Bereichen diesem Fortschritt nicht immer hinterher kommt und Politik auch in vielen Bereichen Richtlinien erst nachher anpassen kann, wenn man sieht, wie sich die Gesellschaft entwickelt.
Jeder Dritte – darauf hat meine Vorrednerin schon hingewiesen – ist nach F-Diagnosen in Behandlung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter uns würde jeder Dritte mindestens unter einer F-Diagnose in Behandlung stehen oder hat dies schon getan. Es gibt vielleicht manche politische Richtung, in der der Anteil höher ist.
Zurück zum Thema. Der Anstieg ist umstritten. Ist es ein Anstieg, weil die Diagnosen besser gefällt werden, oder ist der Anstieg noch stärker, um Richard Barkin zu zitieren, einen führenden Ökonomen, der sagt, dass wir diesen Anstieg schleichend durchaus auch auf eine digitale Entgrenzung unserer Gesellschaft und Arbeitsrechte zurückzuführen haben? Das ist aber umstritten.
Deutlich ist aber, dass die Dunkelziffern immer noch höher sind als die tatsächlichen Behandlungszahlen. Deswegen sind wir sehr dankbar und stolz darauf, dass es eine breite Gruppe in der Selbsthilfe gibt, die hilfestellend zur Seite steht. Wir sehen die Notwendigkeit, dass sich das Land weiterhin so nachhaltig in die Unterstützung dieser Strukturen einbringt und sie finanziell unterstützt.
Die Landeszentrale für Gesundheitsförderung (LZG), die Selbsthilfegruppen, wir haben viele Bereiche, etwa die Schulpsychologen und Schulpsychologinnen und auch Beratungsstellen. Vielen Dank von unserer Seite für ihre Arbeit, die sehr wichtig ist.
Ich komme zum Schluss. Ich danke auch der Landespsychotherapeutenkammer, die immer wieder mit dazu beiträgt, dass dieses wichtige Thema nicht in der Tabuisierung und Stigmatisierung verhaftet bleibt. Wir müssen vielmehr daran arbeiten, dass Armut bekämpft wird, dass Arbeit weiter im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reguliert wird und wir den Zugang zur Psychotherapie und Prävention weiterhin ausbauen und wohnortnah gestalten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage der Ampelkoalition zur Bestandsaufnahme und Versorgung psychisch kranker Menschen in unserem Land stimmt nachdenklich. Ich bin sehr dankbar, dass wir dieses problematische und gesellschaftspolitisch bedeutsame Thema über zunehmende psychische Erkrankungen der Menschen hier sachlich erörtern können.
Wir haben uns bereits Anfang des Jahres über die Notwendigkeiten der neuen Ausbildung von Psychotherapeuten ausgetauscht. Die sehr umfangreiche Drucksache mit 88 Fragen und Antworten bietet keinen Platz für Dramatisierungen und Skandalisierungen. Dafür ist das Thema zu ernst. Wie schon bei unserer großen ADHS-Debatte vor einigen Jahren bleiben wohl viele allzu menschliche und individuelle Punkte offen und sind so einfach nicht lösbar.
Es gibt erstens zu lange Wartezeiten – Frau Binz hat es schon gesagt –, zum Beispiel 19 Wochen in der Stadt und bis zu 35 Wochen auf dem Land für eine Richtlinienpsychotherapie. Es gibt zu wenig Behandlungsangebote. Es muss mehr in der Prävention getan werden. Es muss mehr
Kassensitze geben. 267 Therapeuten sind derzeit ohne Kassensitz aktiv. Das sind etwa 24 % der Therapeuten insgesamt.
Einige der Antworten haben mich allerdings im Detail stutzig gemacht. Frage 5 lautet: „Sind der Landesregierung Studien bekannt, die darauf schließen lassen, wie viele Menschen in Rheinland-Pfalz unter psychischen Krankheiten leiden, ohne Behandlung zu suchen?“ Antwort: „Die Anzahl tatsächlich psychisch erkrankter Menschen ist der rheinland-pfälzischen Landesregierung nicht bekannt.“ Meine Damen und Herren, das sollte so nicht sein. Wir müssen nachbessern. Es wird jedoch auf Bundeszahlen verwiesen. Demnach sind in Deutschland jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht 17,8 Millionen Menschen.
Frage 8: „Wie lange dauert es durchschnittlich, bis Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Störungen Hilfe in Anspruch nehmen?“ Antwort: „Hierzu liegen der Landesregierung keine validen Daten vor.“ Dies sollte meines Erachtens aber künftig untersucht werden.
Für mich ist eines der wichtigsten Themen die Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen. Dazu die Frage 9: „Wie kann einer Stigmatisierung entgegengewirkt werden?“ Ich zitiere aus der Antwort: „Obwohl das Wissen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen und Verbreitung in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, bestehen nach wie vor Vorurteile, Vorbehalte und Berührungsängste gegenüber Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen (...). Diese Vorbehalte werden durch tendenziöse Berichterstattung in den Medien verstärkt.“
Hier sollten sich die Medien einmal verantwortungsvoll überlegen, was sie anders und besser machen können; denn offenbar lassen sich Vor- und Fehlurteile am ehesten durch persönliches Erleben korrigieren. Dabei spielt ein früher Beginn der Kontaktvermittlung mit Betroffenen bereits in der Vorschule und in der Grundschule eine wesentliche Rolle.
Zu diesem sehr bedeutsamen Bereich unserer Kinder und Jugendlichen kommt es bei der Frage 16: „Wie kann allgemein die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefördert werden?“ Ich zitiere aus der Antwort: „Um psychisch und physisch gesund aufwachsen zu können, brauchen Kinder und Jugendliche neben einer ausreichenden materiellen Versorgung in erster Linie Zuwendung, Verlässlichkeit, Stabilität, Sicherheit und Kontinuität, um eine sichere Bindung zu entwickeln.