Wie wollen wir umgehen mit Äußerungen im öffentlichen Raum, die den Nährboden schaffen für Fremdenhass, Judenhass, Hass auf Muslime und Verschwörungstheorien, die die schrecklichen Verbrechen der Nazidiktatur systematisch relativieren? Wie viel davon lässt sich unsere freiheitliche Demokratie gefallen? Wie viel Hass verträgt unsere Demokratie?
Wer jetzt nicht verstanden hat, dass wir handeln müssen, dass jetzt endlich Taten folgen müssen, dass wir nichts davon hinnehmen dürfen, der will es nicht verstehen.
Die Botschaft muss klar sein: Wer unsere über die letzten Jahrzehnte errungenen Werte von Toleranz, persönlicher Freiheit und Gleichberechtigung in einer offenen Gesellschaft – unsere Demokratie – angreift, der muss die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen.
Eine Demokratie muss wehrhaft und in der Lage sein, ihre Werte gegen ihre Feinde zu verteidigen. Dazu gehören
auch alle diejenigen, die opportun dieses vergiftete gesellschaftliche Klima in Kauf nehmen oder weiter anheizen, auch in der Politik.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, am 9. Oktober sind in Halle zwei Menschen von einem rechtsextremen Terroristen ermordet worden. Zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt, als sie an diesem Tag durch Zufall dem Täter begegneten. Dieser hatte sich dazu entschlossen, viele Menschenleben für immer brutal auszulöschen. Die Welt sollte dabei live und online zuschauen.
Fest verschlossene Türen der Synagoge von Halle verhinderten, dass mehr als 50 Menschen jüdischen Glaubens an diesem Tag Opfer eines brutalen Anschlags wurden. Sie hatten sich in der Synagoge zusammengefunden, um an ihrem höchsten Feiertag friedlich zu beten.
Dieser rechtsextreme Anschlag in Halle ist, wie unser Bundespräsident zutreffend gesagt hat, eine Schande. Er ist beschämend.
Wir trauern heute um die Toten. Wir sind mit unseren Gedanken bei den Verletzten, bei den Hinterbliebenen und bei allen, die seit diesem Tag darunter leiden, Zielscheibe oder Augenzeuge des Anschlags geworden zu sein.
Wir wollen hiermit unsere Solidarität mit allen Menschen jüdischen Glaubens zum Ausdruck bringen. Wir wollen unsere Überzeugung bekunden, dass jeder Mensch in unserem Land – ganz gleich welchen Geschlechts, welcher Herkunft oder welcher religiösen Überzeugung – frei und selbstbestimmt und sicher leben können muss.
Erklärung der Ministerpräsidentin Malu Dreyer „Schutz vor Rechtsextremismus: Vielfalt und Sicherheit für das jüdische Leben in Rheinland-Pfalz“
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, meine sehr verehrten Herren und Damen! Der furchtbare Anschlag auf die Synagoge in Halle vor zwei Wochen markiert eine neue Dimension antisemitischer Gewalt in unserem Land.
Nach dieser Tat kann niemand einfach zur Tagesordnung übergehen, und die rheinland-pfälzische Landesregierung wird nicht zur Tagesordnung übergehen. Wir werden unser konsequentes Eintreten gegen Hass und Hetze weiter ausbauen.
Der Täter, nach eigenem Bekunden ein Antisemit und Rassist, tötete eiskalt eine Passantin und einen Gast in einem Dönerimbiss. Zwei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Weitere Beteiligte wurden durch die Tat schwer traumatisiert.
Ich möchte an dieser Stelle zuallererst den Familien und Freunden der Ermordeten mein Mitgefühl und das Beileid der gesamten Landesregierung aussprechen. Den Verletzten und Traumatisierten wünschen wir eine vollständige Genesung.
Natürlich sind unsere Gedanken auch bei den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Halle, die nur knapp einer Katastrophe entgingen. Wir stehen im Entsetzen über diese unfassbare Tat an ihrer Seite.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, es ist gut, dass direkt am Abend und in den Tagen nach dem Attentat Tausende Menschen vor die Synagogen gezogen sind, um ihre Verbundenheit mit den jüdischen Gemeinden und ihre Trauer um die Ermordeten zu zeigen. Das war ein starkes Zeichen.
Wir lassen nicht zu, dass Juden und Jüdinnen in unserem Land bedroht werden. Wir lassen nicht zu, dass mörderischer Hass unsere Gesellschaft spaltet. Wir lassen nicht zu, dass Hetze unseren Alltag prägt.
Mich bedrückt es als Ministerpräsidentin und ganz persönlich sehr, dass nach Halle auch in Rheinland-Pfalz viele Menschen jüdischen Glaubens Angst haben, zum Gebet in ihre Synagogen zu gehen.
Heute ist das Fest der Freude an der Tora. Ich sende allen jüdischen Bürgern und Bürgerinnen herzliche Festtagsgrüße und sage ihnen von dieser Stelle: Wir tun als Landesregierung alles uns Mögliche, damit Sie jeden Tag gut und sicher in Rheinland-Pfalz leben und Ihre Feste ohne Angst feiern können.
Rheinland-Pfalz ist stolz auf seine reiche jüdische Geschichte, darunter das einzigartige Erbe der SchUMStädte. Als Land können wir sehr dankbar und glücklich sein, dass wir 74 Jahre nach dem Zivilisationsbruch von Auschwitz auch in Rheinland-Pfalz wieder ein vielfältiges jüdisches Leben haben.
Ich kann Ihnen versichern, der Schutz von Synagogen durch regelmäßige Polizeistreifen ist bei uns selbstverständlich. Die Ansprechpartner der Polizei tauschen sich mit den Verantwortlichen in den jüdischen Gemeinden regelmäßig aus, und vor größeren Veranstaltungen wird gemeinsam ein Sicherheitskonzept besprochen.
Innenminister Roger Lewentz hat sich vergangene Woche mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz und weiteren Gemeindevorständen getroffen. Es wurde vereinbart, dass
das Landeskriminalamt in Kürze noch einmal prüft, ob die Sicherungsanlagen der zu schützenden Gebäude technisch auf dem besten Stand sind. Die Polizeipräsidenten werden, wo nötig, mit den jüdischen Gemeinden zusätzliche Sicherungsmaßnahmen vereinbaren.
Die Landesmittel für den Schutz jüdischer Einrichtungen hat Rheinland-Pfalz schon vor längerer Zeit erhöht. In den letzten Jahren wurde selbstverständlich jeder Antrag auf Unterstützung von Sicherungsmaßnahmen bewilligt. Das wird auch in Zukunft so bleiben.
Unsere jüdischen Gemeinden können sich darauf verlassen: Jüdisches Leben in all seiner Vielfalt zu schützen und zu fördern, ist für die Landesregierung Staatsräson.
Antisemitismus bedroht zuerst Juden und Jüdinnen, doch natürlich geht Antisemitismus uns alle an; denn er vergiftet unser Zusammenleben und tritt unsere demokratischen Werte mit Füßen. Um Antisemitismus in all seinen Formen entgegenzusteuern, haben wir als erstes Bundesland Ende 2017 mit Dieter Burgard, den ich herzlich begrüße, einen Beauftragten für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen berufen.
Die überwiegende Mehrzahl der antisemitischen Straftaten ist eindeutig rechtsextrem motiviert. Daran ändert die Tatsache nichts, dass wir es in Deutschland auch mit Antisemitismus durch Linksextreme und Islamisten zu tun haben. Die Sicherheitsbehörden nehmen alle Formen des Antisemitismus gleichermaßen ernst.
Sehr verehrte Herren und Damen, es ist falsch, beim Anschlag von Halle von einer Einzeltat zu sprechen. Diese Tat hat ein ganz konkretes Umfeld. Der Täter suchte den Beifall der rechtsextremen Szene im Netz. Die Tat von Halle steht auch nicht allein da, sondern sie steht in einer Reihe mit anderen schrecklichen rechtsextremistischen Gewalttaten in Deutschland. Ich nenne nur Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Hoyerswerda, die NSU-Morde und zuletzt den Mord an Walter Lübcke. Das ist leider nur eine Auswahl.
Niemand kann mehr bestreiten, dass wir ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in Deutschland haben. Halle hat ja auch gezeigt, jeder und jede kann zum Opfer werden.
Der Täter von Halle hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sein nächstes Anschlagsziel eine Moschee sein sollte. So sage ich an dieser Stelle auch in aller Deutlichkeit: Die Verächtlichmachung von Muslimen und erst recht Gewalt gegen unsere rheinland-pfälzischen Muslime und Musliminnen oder ihre Moscheen verurteilen wir ebenfalls auf das Allerschärfste.
Wir sind auch auf die Moscheegemeinden im Land zugegangen und haben eine Prüfung ihrer Gefährdung zugesagt.
Dass die Gefahr rechtsextremer Gewalt hoch ist, zeigen schon die Zahlen. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden bundesweit mehr als 8.600 rechte Straftaten verübt.
Aktuell hat die Polizei in Rheinland-Pfalz für 2019 schon 447 Straftaten im Phänomenbereich „rechts“ registriert.
Um diese rechte Gewalt einzudämmen, müssen wir noch viel konsequenter gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen. Das Live-Video des Attentäters war etwa 35 Minuten lang online, ehe es gelöscht wurde. Anschließend war es noch 30 Minuten auf Abruf verfügbar. Spezielle Software zielt jetzt darauf, die weitere Verbreitung zu unterbinden. Der Betreiber hat konsequent gehandelt. Das zeigt, soziale Medien können reagieren und hoffentlich in Zukunft noch schneller reagieren. Anzeigen gehört dazu. Verfolgen gehört dazu. Löschen gehört dazu.
Wir dürfen uns niemals daran gewöhnen, dass Menschen beleidigt und bedroht werden und diejenigen, die öffentliche Verantwortung übernehmen, um ihr Leben fürchten müssen.
Rheinland-Pfalz geht seit dem Mord an Walter Lübcke noch offensiver gegen Hass und Hetze im Netz vor. Das Justizministerium wird jetzt zusammen mit der Landesmedienanstalt und den Medienhäusern eine Initiative starten, um strafbare Hasskommentare im Netz auch tatsächlich zur Anzeige zu bringen.
Meine sehr verehrten Herren und Damen, liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn wir den demokratischen Konsens und den sozialen Frieden in unserem Land erhalten wollen, muss jedem in Deutschland klar sein: Hass und Hetze haben mit Meinungsfreiheit nichts, und zwar gar nichts zu tun.
Sie sind kein Mittel politischer Auseinandersetzung, sondern sie sind der Nährboden für Gewalt bis hin zum Mord. Es geht also jetzt um nichts weniger als um die Zukunft der demokratischen Kultur in unserem Land. Dazu sage ich in aller Deutlichkeit: Die Ideologie einer reinen deutschen Volksgemeinschaft tötet. Sie ist ausgrenzend und menschenverachtend. Das ist unsere deutsche Erfahrung.