Eine einheitliche Zeit der Strafverfolgung hat es somit im modernen Deutschland erst seit 1872 gegeben, und für viele Deutsche stellte sie einen gravierenden Rückschritt dar. Doch auch seither gestaltete sich die Intensität der Verfolgung sehr unterschiedlich, und es wäre zu fragen, ob hierbei nicht auch regionale Unterschiede weiterhin eine Rolle spielten. Jedenfalls stellte die Art und Weise der NSVerfolgung eine bis dahin in Deutschland nie gesehene Radikalisierung dar.
Im Kaiserreich überschritt die Zahl jährlicher Verurteilungen nach § 175 erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert auf Dauer die Zahl 500. Somit wurde vermutlich nur ein verschwindend geringer Teil der tatsächlich vorkommenden Fälle überhaupt polizei- und gerichtskundig, wobei vor allem die Oberschichten geschont worden sein dürften. Weitaus gefährlicher war es damals offenbar, den Folgen der gesellschaftlichen Diskriminierung zum Opfer zu fallen, und vor allem kriminellen Erpressern.
Im Kaiserreich hat übrigens auch ein katholischer Oberhirte, und zwar der Mainzer Bischof Paul Haffner, zwar 1897 seine Unterschrift unter die prominente Petition zur Abschaffung des Homosexuellenparagrafen verweigert, zugleich aber erklärt – ich zitiere ihn –, da „die moderne Gesetzgebung“ sexuelle Vergehen im Allgemeinen „sehr mild“ behandle, erscheine „der § 175 als eine Inkonsequenz, deren Beseitigung mit Recht gefordert werden“ könne. Diese Feststellung wurde zum Werbeslogan der Emanzipationsbewegung Magnus Hirschfelds, deren Anliegen der SPDAbgeordnete August Bebel dann im Reichstag vertrat. Ein solch liberaler Satz eines katholischen Bischofs sollte sich im 20. Jahrhundert nicht wiederholen.
Stattdessen agierte der Erzbischof von Köln und langjährige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Josef Kardinal Frings, als Schirmherr des sogenannten „Volkswartbundes“, einer katholischen Laienorganisation, die in den 1950er- und 1960er-Jahren strikt für die Beibehaltung des Homosexuellenstrafrechts eintrat und Homosexuelle auch ganz grundsätzlich diffamierte. Für die Historikerin Dagmar Herzog ist damit die kirchliche Gegnerschaft zur Entkriminalisierungskampagne „ein wichtiger Faktor für die lange Beibehaltung des Paragrafen.“
In der Weimarer Republik, die auch sehr viel ambivalenter war, als die populäre Vorstellung von den „Goldenen Zwanzigern“ im bunten Berlin suggeriert, wurden die Verurteilungszahlen nach § 175 erstmals vierstellig – mit 1.107 Verurteilungen 1925 als Spitzenwert. Noch in den ersten beiden Jahren der NS-Diktatur blieben die Verurteilungen deutlich unter dieser Weimarer Zahl, bevor dann allerdings ein gewaltiger Sprung erfolgte: auf 2.106 Verurteilungen 1935, und – als NS-Höhepunkt – auf über 8.500 Verurteilungen 1938. Das bedeutete eine Verachtfachung
Zwar sanken die Verurteilungen im Zweiten Weltkrieg wieder ab, lagen aber mit über 3.700 pro Jahr noch immer über den Zahlen von 1935. Auch im Vergleich zur Nachkriegszeit erscheint die NS-Verfolgung als außergewöhnlich radikal. Seit 1950 stieg zwar in der Bundesrepublik die Zahl der Verurteilten von knapp 2.000 kontinuierlich an und erreichte im Jahr 1959 mit mehr als 3.500 ihren Höhepunkt, doch selbst damit bewegte sie sich noch unterhalb der NS-Ziffern der Kriegsjahre.
Zeigt sich im Vergleich zur NS-Diktatur somit eine gewisse Abmilderung, so belegt ein Vergleich mit der Weimarer Republik andererseits „die Aggressivität der ‚neuen‘ Republik gegenüber den Homosexuellen“, wie dies Hans Georg Stümke einmal treffend formuliert hat, denn gegenüber den Weimarer Verurteilungen „hatte sich die Zahl unter dem Schutz des Grundgesetzes mehr als vervierfacht“.
Ein Betroffener klagte 1963 öffentlich – ich zitiere ihn –: „Damals, im Dritten Reich, wurde ich wegen meiner Abstammung – ich bin deutscher Jude – verfolgt. Heute, nach den Jahren des Leidens, geht die Verfolgung weiter. Oft frage ich mich, wie es möglich ist, Menschen, deren Fehler es ist, nicht ‚normal‘ empfinden zu können, Verbrechern gleichzustellen. Wo bleibt da die vom Gesetz garantierte ‚freie Entfaltung der Persönlichkeit‘?“
Die Schwankungen bei den Verurteilungen der NS-Zeit zeigen, dass man die damalige Homosexuellenverfolgung nach drei Phasen deutlich unterscheiden muss: Die Jahre 1933 bis 1935, dann die Jahre 1935 bis zum Kriegsbeginn und die Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Wir haben es nicht mit einer einheitlichen Verfolgungssituation zu tun. Zwar wird behauptet, dass es eine sukzessive Radikalisierung gegeben habe, doch wird man hinzufügen müssen, dass trotz dieses tatsächlich vorhandenen bösartigen Trends die Weltkriegsphase auch von parallelen Lockerungen – bedingt durch die Ausdünnung der Verfolgungsapparate – und von neuen Freiräumen – zum Beispiel durch das Leben der meisten Männer in der Wehrmacht fernab Deutschlands – geprägt worden ist.
Betrachten wir die Frühphase der NS-Diktatur, so kann bis Juni 1934 von einer umfassenden Verfolgung Homosexueller gar nicht gesprochen werden. Zwar ist es richtig, dass schon 1933 die Zerschlagung vieler Strukturen der bisherigen Weimarer Szene erfolgte: Lokale wurden geschlossen, Zeitschriften verboten, das Berliner Institut für Sexualforschung verwüstet. Jedoch gab es in der NS-Führung nicht nur dezidierte Homosexuellen-Feinde wie Heinrich Himmler, sondern auch den Duzfreund Hitlers und Stabschef der Parteimiliz SA Ernst Röhm, dessen Homosexualität vor 1933 von linken Gegnern schon gezielt öffentlich gemacht worden war. Trotzdem wurde dieser geoutete, skandalisierte Homosexuelle von Hitler Ende 1933 zum Reichsminister ernannt – und damit wahrscheinlich der erste öffentlich vorab bekannte Homosexuelle in einer deutschen Regierung überhaupt. Röhm war überdies ab Frühjahr 1933 Ehrenbürger des Freistaats Bayern – und damit auch der bayerischen Pfalz.
Entmachtung und Ermordung Röhms Mitte 1934 setzte eine systematische Homosexuellenverfolgung ein. Bis dahin waren vor allem politisch links stehende und jüdische Homosexuelle verfolgt worden – nicht zuletzt von homosexuellen Nazis wie Röhm, war doch dessen SA in der Frühphase der Diktatur ein zentrales Instrument des Terrors. Damit berühren wir grundsätzlich das für sämtliche zwölf Jahre der NS-Herrschaft gegebene Problem der angemessenen Erinnerung auch an solche Homosexuelle, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung geworden, bis dahin aber Mitträger der NS-Herrschaft gewesen sind – im Staatsdienst, in SA, SS und HJ, in der Wehrmacht während der Eroberungskriege Hitlers, ja vereinzelt sogar als Funktionshäftlinge in den KZ, die Macht über andere Häftlinge ausübten. Hier hilft keine Sakralisierung, bei der man sich sämtliche NS-Opfer als völlig makellos vorstellt, hier bedarf es einer historisch informierten und differenzierten Form der Erinnerung.
Zu den Verlierern des NS-Machtkampfs von 1934 gehörten freilich, wie Till Bastian betont hat, sämtliche Homosexuelle in Deutschland, denn fortan wurden sie – ich zitiere ihn – zur „Zielscheibe einer verschärften Propaganda und einer sich intensivierenden Verfolgung“. Dabei konzentrierte sich die Verfolgung zunächst auf NS-Organisationen und den Staatsdienst. Selbst ein Gauleiter wurde abgesetzt und inhaftiert. Doch dann gewann diese Verfolgung rasch an Dynamik und Reichweite. Denn neben der tief sitzenden Furcht vor einer Unterwanderung staatlicher Stellen durch homosexuelle Männer trieb den obersten Verfolger Himmler – den Reichsführer SS und ab 1936 Chef der gesamten deutschen Polizei – ein zweites, bevölkerungspolitisches Motiv an: die Angst vor einer Bedrohung der Fortpflanzung des deutschen Volkes durch abweichende Sexualität.
1935 kam es zur schon erwähnten drastischen Verschärfung des Homosexuellenstrafrechts und infolgedessen zum sprunghaften Anstieg der Ermittlungs- und Verurteilungszahlen. Für viele Juristen und Polizisten im NSStaat wurde Homosexuellenverfolgung fortan zum Karrieresprungbrett. Waren bisher nur sogenannte beischlafähnliche Handlungen als strafbar betrachtet worden, so wurden künftig alle gewohnheitsmäßigen homosexuellen Handlungen als strafwürdig angesehen, unabhängig von der jeweils angewendeten Technik.
Zugleich wurden besondere Strafbestimmungen, welche die Strafrechtsreformer der Weimarer Republik um 1930 noch eigentlich als Ersatz für die von ihnen geplante Entkriminalisierung einvernehmlicher Erwachsenensexualität vorgesehen hatten, vom NS-Regime ergänzend und damit verschärfend aufgegriffen: Im NS-Paragrafen 175 a des StGB, den es vorher so nie gegeben hat, der in der Bundesrepublik und DDR gleichermaßen bis 1968/69 in Kraft bleiben sollte, ging es um Sonderfälle wie Missbrauch von Abhängigkeitsverhältnissen, sexuelle Nötigung, Verführung Minderjähriger und homosexuelle Prostitution.
Diese Sachverhalte, die zu einem gewissen Teil heute noch strafbar sind, für die aber heute anders als damals gleiche Regeln für Hetero- und Homosexuelle gelten, wurden zynisch mit der freiwilligen Sexualität unter Erwachsenen vermischt, wie es erstmals schon in der späten Kaiserzeit
im sogenannten Eulenburg-Skandal der Jahre 1907/08 geschehen war, als bürgerliche Medien ein aristokratisches Netzwerk im Umfeld des letzten deutschen Kaisers zu Fall brachten.
Damals hatten Kritiker solcher Skandalisierung wie der Wiener Publizist Karl Kraus noch öffentlich darauf beharren können, nicht die Richtung des Geschlechtstriebes an sich sei ein gesellschaftliches Übel und damit strafwürdig, sondern nur die konkrete Verletzung von Pflichten. Das NSRegime unterband nicht nur vergleichbare Kritik, sondern trieb die demagogische Vermischung von Homosexualität, Missbrauch und Verführung in den antikatholischen sogenannten „Klosterprozessen“ der Jahre 1936/37 propagandistisch auf die Spitze: Hitler ließ Schauprozesse gegen den bis dahin vom Staat kaum je strafrechtlich behelligten Sonderbereich der Kirche führen, die schwerpunktmäßig übrigens wiederum in Koblenz stattfanden, und Goebbels orchestrierte eine flächendeckende Medienpropaganda, die antikatholisch und homophob zugleich war.
Die dadurch extrem gesteigerte Atmosphäre von Bedrohung und Denunziation zwang alle homosexuell empfindenden Männer und auch alle lesbischen Frauen, über deren Einbeziehung in das verschärfte Strafrecht NS-Juristen damals ernsthaft debattierten, in ein „Leben in Zeiten des Terrors“, wie Franz Xaver Eder dies prononciert genannt hat. Zwar entschied sich die NS-Diktatur infolge ihres abwertenden Blickes auf weibliche Sexualität für die Beibehaltung der Nichtkriminalisierung lesbischer Handlungen, doch galt dies nicht für das 1938 annektierte Österreich, wo das seit dem 19. Jahrhundert geltende und auch Frauen bedrohende Strafrecht weiter angewendet wurde.
Allerdings selbst in Wien blieb, wie die Historikerin Claudia Schoppmann festhält, die Gefahr realer Verurteilung für Männer „sehr viel größer als für Frauen“. Gewiss, auch für einige Männer gab es soziale Freiräume, etwa seit 1937 für die NS-Kulturszene, oder minder bedrohte Räume, wie später im Weltkrieg sogar die Wehrmacht, deren Militärjustiz bei einfacher Homosexualität milder urteilte als die zivile Strafjustiz.
Überhaupt muss man sehen, dass die große Mehrheit homosexueller Männer und Frauen in Deutschland weder zu Opfern des KZ-Terrors noch des verschärften NSStrafrechts geworden ist. Sie alle aber wurden, wie Albert Knoll von der KZ-Gedenkstätte Dachau treffend beobachtet, größtem Stress ausgesetzt, entdeckt zu werden, und dadurch potenziell traumatisiert. Wenn auch die NSVerfolgung nur etliche traf und keineswegs alle, und dabei wiederum sehr viel stärker Männer als Frauen, so zielte sie doch, wie Insa Eschebach von der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück betont, auf die generelle Unterbindung, Unterdrückung und Einschüchterung abweichender Sexualität.
Seit der vollständigen Abschaffung eines Homosexuelle diskriminierenden Strafrechts im Jahre 1994 – das ist nicht lange her – ist viel geschehen, um früheres Unrecht aufzuarbeiten. Freilich kamen diese Schritte sehr spät und für viele Betroffene eindeutig zu spät. Die Rehabilitierung der NS-Verfolgten mündete 2002 denn auch nicht in individuelle Entschädigung, sondern in die 2011 vollzogene
Errichtung der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“, die ihre freilich sehr begrenzten Fördermittel seither für Forschung, Bildung und Erinnerung einsetzt.
Solche Anstrengungen können wichtige Zeichen setzen, kommen jedoch ohne flankierendes Engagement nicht aus. Gerade die Landtage und Landesregierungen von Rheinland-Pfalz haben seit 2012 wichtige Forschungsprojekte angestoßen, die über ihren Regionalbezug hinaus für ganz Deutschland wegweisend geworden sind.
Besonders dem Ministerium für Familie, Frauen und Jugend möchte ich für seine hervorragende Mitarbeit daran an dieser Stelle auch ganz herzlich danken.
Es wäre zu wünschen, dass das Land Rheinland-Pfalz auch für die Zukunft geeignete Wege der Finanzierung und Institutionalisierung findet, um die allzu lange unsichtbar gehaltene Geschichte sexueller Minderheiten – auch der Trans- und Interpersonen, über die wir bis heute viel zu wenig wissen – stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein zu heben. Das erscheint umso wichtiger, als auch heute – und zwar trotz aller Fortschritte der letzten Jahre – noch längst nicht alles gut ist. Noch immer gibt es homophobe und transphobe Einstellungen und Handlungen in unserer Gesellschaft. Diesen können wir letztlich nur mit wissensbasierter Aufklärung und Erinnerung sowie mit dem Einüben wechselseitiger Toleranz im Alltag begegnen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Philosoph Theodor W. Adorno beurteilte 1963 den Strafrechtsparagrafen 175 mit wenigen Worten so, wie es dieses Überbleibsel der NS-Zeit verdient. Ich zitiere ihn: „Gegen den Homosexuellenparagraphen ist eigentlich nicht zu argumentieren, sondern nur an die Schmach zu erinnern.“
Die Geschichte dieses Unrechts, das mehrheitlich einmal als Recht angesehen wurde, ist in der Tat eine Schmach – nicht allein für die Opfer, die jahrzehntelang darunter leiden mussten, sofern sie nicht gar ermordet wurden, sondern auch für die Täter und ihre oft unerträglich guten Gewissen.
Unter den vielen NS-Verbrechen stellt diese Schmach der Homosexuellenverfolgung gewiss nicht das größte Übel dar. Gerade am Gedenktag der Befreiung des NSVernichtungslagers Auschwitz, die heute vor exakt 75 Jahren erfolgte, wird das uneingeschränkt deutlich. Die Erinnerung an die verbrecherische Schande der deutschen Völkermorde an Millionen von jüdischen Menschen und an vielen Roma und Sinti rückt im Vergleich die Dimensionen sehr eindringlich zurecht. Aber sie verkleinert das genuine, den homosexuellen Menschen zugefügte Unrecht keineswegs.
Die konkrete Schmach der Homosexuellenverfolgung, von der Adorno sprach, wird unerträglicher noch durch das Wissen darum, dass es nicht nur um NS-Unrecht bis 1945 geht, sondern dass dieses Unrecht teilweise weit in unsere Demokratiegeschichte hinein verlängert worden ist. Auch hier aber waren Homosexuelle nicht die Einzigen, für die das Dritte Reich 1945 noch nicht zu Ende war: Roma und Sinti oder Zwangssterilisationsopfer mussten Ähnliches erfahren. All diese Menschen erlebten nach dem schlimmen
Terror der NS-Diktatur eine – wenn auch abgemilderte – Fortsetzung ihrer Verfolgung und Diskriminierung durch eine „Tyrannei der Mehrheit“ – wie einst Alexis de Tocqueville die innere Gefährdung der Demokratie hellsichtig benannt hat.
Unser heutiges Gedenken an die Verfolgung homosexueller Menschen hält damit die verstörende Erkenntnis für uns bereit, dass nicht nur die menschenverachtende Diktatur Hitlers, sondern dass auch ein demokratischer Rechtsstaat in die Irre gehen konnte. Freilich hat sich unsere Demokratie auch selbst zu korrigieren vermocht, was wir als einen ihrer größten Vorzüge begreifen dürfen. Historischkritisches Wissen kann zu solchen Korrekturen beitragen. Es kann zudem gute Gründe benennen für eine heutige Kultur der Zivilität, der wechselseitigen Achtsamkeit. Nur so lässt sich die friedliche Zukunft unserer Gesellschaft vielleicht gewinnen – es klingt so einfach und ist doch so schwierig: in Vielfalt geeint.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Hering, sehr verehrte Abgeordnete des rheinland-pfälzischen Landtags, liebe Kollegen und Kolleginnen des Kabinetts, sehr verehrte Frau Vizepräsidentin Wünsch, meine sehr verehrten Gäste! Genau heute vor 75 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit.
„Auschwitz“ ist spätestens seit den Frankfurter AuschwitzProzessen zum Inbegriff der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen, insbesondere des Holocaust an den europäischen Juden und Jüdinnen geworden.
Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland der Gedenktag für die – und ich zitiere aus der Proklamation des Bundespräsidenten – „Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völkermordes (... ) und der Millionen Menschen (... ), die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält oder ermordet wurden.“
Wie zur ersten Sondersitzung 1998 haben wir uns auch heute dazu in der „Gedenkstätte ehemaliges KZ Osthofen“ zusammengefunden.
Dieser historische Ort, dessen Geschichte uns der Landtagspräsident eben in Erinnerung gerufen hat, macht uns unmissverständlich deutlich: Der NS-Terror fand auch auf dem Gebiet von Rheinland-Pfalz statt; Opfer und Täter hatten Namen, Gesicht, Alter und Wohnort.
Zum ersten Mal gedenken wir heute in besonderer Weise derjenigen, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität durch den Nationalsozialismus verfolgt wurden.
Mein besonderer Gruß gilt auch denjenigen, die selbst Unrecht erleiden mussten oder als Vertretung der Opfer des Nationalsozialismus heute hier sind. Dass Sie hier sind und wir gemeinsam gedenken, ist nicht selbstverständlich, und ich möchte Ihnen dafür meinen großen Respekt aussprechen.
Mein besonderer Dank gilt heute all denen, die beharrlich darum gekämpft haben, dass der § 175 vollständig aus unserem Strafgesetzbuch gestrichen wird, dass die Verurteilten voll rehabilitiert werden und dass homosexuelle, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen das grundgesetzlich garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bei uns endlich selbstverständlich in Anspruch nehmen können
Natürlich weiß ich, dass die Diskriminierung queerer Menschen noch nicht überall beendet ist. Als Land setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein, tatsächliche Benachteiligung zu beenden, und werden das auch künftig tun, wo es notwendig ist.
Verehrte Anwesende, die strafrechtliche Verfolgung und Verachtung homosexueller Menschen hat eine lange Geschichte, die bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Sie wurde viel zu lange nicht als Unrecht anerkannt.
Ich danke Ihnen, sehr verehrter Herr Professor Schwartz, für Ihren eindrücklichen Vortrag. Und natürlich danke ich Ihnen, Herrn Dr. Grau, Frau Dr. Plötz, für die akribische Forschungsarbeit, die dahintersteckt.
Die Geschichte der verfolgten Homosexuellen, die Sie uns gerade vorgestellt haben, macht einmal mehr deutlich: 1945 gab es keine Stunde null.