Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Meine Fraktion ist trotz des breiten Meinungsbildes der Auffassung, dass ein vorschneller Gesetzentwurf hier nicht weiterhelfen wird. Wir werden es auch in Zukunft immer mit Einzelfallentscheidungen zu tun haben. Es ist auch zu bezweifeln, dass die gesetzlichen Regelungen in den anderen Bundesländern Erfolg haben werden. Wir wollen diese Frage aber gemeinsam ausführlich und sorgfältig im Bildungsausschuss diskutieren. Ich bitte um Überweisung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man eine sehr schwierige Frage aufwirft und dann fordert, jemand anders soll dafür einen passenden Lösungsvorschlag unterbreiten, dann macht man sich die Sache wirklich sehr leicht.
Der leichtfüßige Antrag der CDU-Fraktion zum Thema Kopftuchverbot ist dafür ein Musterbeispiel. Er hat übrigens eine inhaltliche Stoßrichtung, die uns insoweit erstaunt hat, als am 25. September dieses Jahres in den „Kieler Nachrichten“ die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden der Union nachzulesen war:
tionschef Martin Kayenburg. ‚Wir werden uns nicht in die religiösen Gepflogenheiten anderer Kulturen einmischen.’“
Wie schon in dieser Debatte gesagt: Es gibt quer durch die Parteien in der Sache unterschiedliche Meinungen. Das ist auch ganz klar in der Schwierigkeit der Materie begründet. Die Karlsruher Richter haben mit ihrem Urteil vom 24. September die Sache nicht leichter gemacht, denn tatsächlich ist das Urteil in sich widersprüchlich. Das kann ich auch als Historiker beurteilen, der beruflich mit Textkritik und Textinterpretation zu tun hat. Auch wenn ich kein Jurist bin, so vermag ich sehr wohl die widersprüchlichen Aussagen in diesem Urteil zu erkennen.
Sie werden auch von Verfassungsrechtlern wie dem Osnabrücker Professor Jörn Ipsen bestätigt. Er hat gesagt:
„Das Bundesverfassungsgericht … verstrickt sich ausweglos in den Widerspruch, eine Handlung dem Schutzbereich eines Grundrechts zugewiesen zu haben, das vorbehaltlos gewährleistet ist, diese Handlung aber aufgrund eines Gesetzes für verbietbar zu halten.“
Er meint das Kopftuchtragen. Das Verfassungsgericht schließt nicht aus, dass das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Symbole in Schule und Unterricht zur Beeinflussung von Schulkindern oder zu Konflikten mit Eltern führen kann. Da es sich dabei aber lediglich um abstrakte Gefahren handele, bedürfe es für staatliche Verbote einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Sodann stellen die Karlsruher Richter fest, dass das Tragen eines Kopftuchs zwar als Symbol eines islamischen Fundamentalismus gesehen werden könne. Das hieße im Einzelfall aber, dass dies weder die beabsichtigte noch die tatsächlich erzielte Wirkung zu sein brauche. Weiter wird gesagt: Für die Beurteilung der Frage, ob die Absicht einer Lehrerin, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie ein Kopftuch auf seine Betrachter wirken kann. Mit anderen Worten: Der objektive Empfängerhorizont sei entscheidend. Gleichwohl erkennt das Gericht im gleichen Atemzug praktisch an, dass sich die Beschwerdeführerin für ihr Verhalten auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, nämlich die Glauben-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit berufen könne.
Ich will versuchen, an zwei konkreten Fallbeispielen die Problematik - bezogen auf unser Schulgesetz - weiter zu verdeutlichen: Unser Schulgesetz sagt in § 4 zu den Bildungs- und Erziehungszielen der Schule unter anderem, die Schule habe die Aufgabe, die Offenheit des jungen Menschen gegenüber kultureller Vielfalt zu fördern. Die Erziehung der jungen Menschen in Achtung Andersdenkender wird explizit dem Bildungsauftrag der Schule zugerechnet.
Zugleich wird in dem § 4 aber betont, die Schule dürfe - Zitat - „die religiösen und weltanschaulichen Grundsätze nicht verletzen, nach denen die Eltern ihre Kinder erzogen haben wollen“.
Denkbar ist - das will ich vor dem Hintergrund dieser Zitate aus dem Schulgesetz schildern - folgender konkreter Fall: Eine muslimische Lehrerin, die ein Kopftuch trägt, tut dies aus einem religiösen Fundamentalismus heraus, und dies wird gegebenenfalls von Schülern und Eltern auch so wahrgenommen. In diesem Fall ist die Sache eigentlich klar. Das Tragen eines Kopftuchs wäre als manifestes Zeichen religiöser Intoleranz anzusehen, ein Zeichen, das die im Schulgesetz ausgeführten Vorgaben und die von Schülern und Eltern einzufordernden Schutzansprüche verletzen würde. In diesem Fall wäre ein Kopftuchverbot ganz sicher zu rechtfertigen.
Denkbar ist aber auch eine ganz andere konkrete Situation, nämlich dass die Trägerin eines Kopftuchs dies, wie es auch die Karlsruher Richter in ihrem Urteil für denkbar halten, nicht mit einer fundamentalistischen Haltung verbindet. In diesem Fall wäre das Kopftuch lediglich, wie es auch in dem Urteilstext geschrieben steht, Ausdruck religiöser Identität und Tradition, ohne dass dies im Widerspruch zu einem modernen Lebensgefühl oder zu Vorgaben des Grundgesetzes stünde. Ebenso denkbar ist, dass Schüler und Eltern dies in einem konkreten Einzelfall in der Schule auch genauso wahrnehmen. In diesem Fall, meine Damen und Herren, würden alle Beteiligten ein staatliches Kopftuchverbot und ein daraus möglicherweise resultierendes Berufsverbot als einen Akt massiver staatlicher Intoleranz ansehen, der zudem die eigenen schulgesetzlichen Vorgaben des Staates - Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt, Achtung anders Denkender - total missachtet. Es ist ein Dilemma
- ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident -, dass beide denkbaren Einzelfälle möglich sind. Aus diesem Widerspruch gibt es meiner Meinung nach nur zwei Auswege, nämlich zum einen, dass man ein Gesetz macht, wenn man schon ein Gesetz machen
will, das alle Formen religiöser Symbole, auch Bekleidungsformen, ausschließt - ich glaube, diesen Weg will Bremen gehen -, oder dass man auf ein Gesetz verzichtet nach dem Motto: Lieber gar kein Gesetz als ein schlechtes Gesetzes. Nach den Vorgaben des Karlsruher Verfassungsgerichts ist derzeit nach meinem Dafürhalten nur eine schlechte Gesetzregelung denkbar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem gestrigen Gespräch, das wir als Fraktion mit den Vertreterinnen und Vertretern der Migrantenorganisationen im Kieler Raum führten, wurde folgende Geschichte berichtet, und manchmal sind ja Geschichten ganz hilfreich, ein Bild auf eine komplexe Frage zu werfen. Diese Geschichte lautet: Im Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg, bekanntermaßen ein multikultureller Stadtteil, sagte ein etwa zehnjähriger muslimischer Schüler zu seiner Lehrerin mit Migrationshintergrund: „Warum trägst du kein Kopftuch?“ Die Lehrerin antwortete zunächst: „Warum sollte ich denn eines tragen?“ Darauf sagte der Schüler: „Bist du denn keine Muslimin?“ Die Lehrerin antwortete: „Doch, ich bin Muslimin, aber ich trage kein Kopftuch.“ „Das glaube ich dir nicht“, sagte der Zehnjährige. „Mein Vater sagt, die Christen haben dir das verboten. Du darfst sonst hier gar nicht unterrichten.“ Was sagt uns diese Geschichte? - Sie sagt zum einen etwas über das Misstrauen aus, das es nach wie vor zwischen den unterschiedlichen Religionstraditionen gibt, und es sagt etwas darüber aus, was von uns befürchtet wird und was man glaubt, an Assimilationsleistungen vollbringen zu müssen, um als Schüler oder Schülerin oder als Lehrer oder Lehrerin gleichberechtigt zu sein. Das ist der eine Teil der Geschichte. Der andere Teil der Geschichte sagt uns - das sage ich als Frauenpolitikerin -: Schon ein Zehnjähriger glaubt, dass eine Frau nicht die Entscheidung darüber hat, wie sie sich bekleidet, und dass die Religion oder ein Religionsverbot wichtiger ist als das, was die Frau denkt.
Diese beiden Seiten haben wir in dieser Frage vor uns und nicht, Frau Eisenberg, die Mutmaßung, die leider vorschnell öffentlich geäußert wird: Hinter jedem
Sie haben sehr deutlich gemacht, dass das Kopftuch aus Ihrer Sicht vor allem als Zeichen von Fundamentalismus und Angriff auf unser Grundgesetz missverstanden werden kann. Ich glaube, das ist nicht das Hauptproblem, das wir zu lösen haben, sondern wir haben einen sehr schwierigen Dialog zu führen. Ich sage ganz deutlich: Ich glaube nicht, dass ein Verbot hilfreich ist. Verbote richten sich gegen Integration und gegen Frauenrechte gleichermaßen. Wir brauchen also eine Diskussion in der Mitte der Gesellschaft. Insofern ist es richtig, dass wir uns im Parlament mit diesem Thema beschäftigen und es ist auch richtig, wenn wir es als Abgeordnete außerhalb des Parlamentes tun.
Das so genannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts stellt fest, dass es keine landesrechtliche Handhabe gibt, das Tragen eines Kopftuches durch Lehrkräfte an Schulen zu untersagen. Die Privilegierung der christlichen Schule, wie sie in Baden-Württemberg explizierter als hier geschieht, entspricht nicht unserem Verständnis der Unabhängigkeit von Kirche und Staat. Ich sage das ausdrücklich, weil bedeutende Politiker in Baden-Württemberg vor allem die christliche Schule herangezogen haben, um sich gegen ein muslimisches Religionssymbol zu wehren. Das kann auf keinen Fall unsere Unterstützung finden.
Die langjährige Erfahrung kopftuchtragender Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in mehreren Bundesländern zeigt, dass das Kopftuch weder von Lehrerinnen als Symbol oder Missionierungsmittel benutzt wird noch von den Kindern und Eltern als solches empfunden wird. Dies sagt uns auf Nachfrage der Zentralrat der Muslime. Er fügt hinzu: Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 15 Frauen, von denen sieben verbeamtet sind, die seit vielen Jahren mit einem Kopftuch zur Schule gehen. Der Zentralrat der Muslime geht darüber hinaus davon aus, dass es bundesweit zwischen 30 und 40 Beamtinnen sind.
Die Situation - das hat meine Geschichte gezeigt - ist viel komplexer. Neben der persönlichen Freiheit der Lehrkraft spielen andere Rechtsgüter, wie der staatliche und der elterliche Erziehungsauftrag, das Neutralitätsgebot des Staates, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und nicht zuletzt die Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle. Diese Diskussion über diese schwierige Rechtsgüterabwägung darf nicht am „grünen Tisch“ entschieden werden. Sie muss dort stattfinden, wo
Religion und Gesellschaft diese Werte täglich leben - in der Mitte der Gesellschaft. Die Rechtspraxis muss dem realen Leben Rechnung tragen. Deswegen brauchen wir einen breiten Diskurs über Integration in Schule und Kindertagesstätten. Wir haben mit dem Integrationsbericht der Landesregierung und der Debatten hierüber den Anfang gemacht. Aber das reicht nicht. Gerade in einer solchen schwierigen Situation, in der sich Migranten als diskriminiert und bedroht erleben, ist es unsere Debatte, Offenheit zu zeigen. Ich finde, es macht Sinn, eine fachliche Anhörung und Debatte im Ausschuss über die Frage von Religion und Staat an der Schule zu führen, eine Diskussion über die Integration von Migrantinnen und Migranten. Ich glaube nicht, dass wir mit einem Verbot weiterkommen, und möchte ihm eine deutliche Absage erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Egal ob es ein Kopftuch ist oder ein Kruzifix - religiöse Symbole haben in staatlichen Schulen nichts zu suchen, jedenfalls nicht außerhalb des Religionsunterrichts. Die öffentlichen Schulen sind zur religiösweltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Neutralität in der Schule heißt aber nicht, dass alle Religionen sich dort gleichwertig äußern dürfen, sondern dass wir in öffentlichen Schulen gar keine religiösen Glaubensbekenntnisse sehen wollen. Es muss eine strikte Trennung von privaten Überzeugungen und Schule stattfinden. Dabei ist es nachrangig, ob der Glauben aus einer religiös-politischen Motivation zu Markte getragen wird, oder ob es nur ein privater Akt der Glaubensausübung und Traditionspflege ist. Entscheidend ist die Wirkung auf und für die Schulkinder, und die ist unabhängig von der persönlichen Motivation.
Mit dem Kopftuch wird der persönliche Glaube in einer Art ausgelebt, die das äußere Erscheinungsbild der Person insgesamt prägt. Noch komplizierter wird die Situation aber dadurch, dass das Kopftuch auch als weltanschaulich-politische Aussage betrachtet werden kann, die sich bewusst von einem laizistischen Staatsverständnis abgrenzt. Angesichts der Erstarkung des politischen Islamismus in den letzten Jahrzehnten - das hat nichts mit vor oder nach dem 11. September zu tun; das möchte ich unterstreichen - müssen wir ein deutliches Signal setzen. Blau
äugig ist, wer nicht erkennt, dass die Fahne des Pluralismus von Islamisten hoch gehalten wird, weil sie so ihre Zielsetzungen, die wiederum mit Pluralismus sehr wenig zu tun haben, besser erreichen.
Es geht nicht nur um eine freie, private Glaubensausübung, wenn die Klägerin in Karlsruhe, Frau Ludin, sagt, sie könne in der Schule ohne Kopfbedeckung keine Männer treffen, weil sie dann als Frau unrein werde. Das Selbstbild, das dahinter steht, ist ihre Privatsache. Aber die Frage ist, welche Konsequenzen das Tolerieren dieser Geschlechterrolle für das Leben in der Schule hat. Welches Signal vermitteln wir den gläubigen Männern, die als Väter auch mit nicht muslimischen Lehrerinnen zu tun haben? Können wir einerseits noch Respekt für diese unreinen Frauen erwarten, wenn wir andererseits das Kopftuch als Symbol dieses Weltbildes akzeptieren? Und welches Signal senden wir jungen Mädchen, die von zu Hause aus gedrängt werden, ein Kopftuch zu tragen?
Es ist bemerkenswert, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2001 in einem Urteil darauf hingewiesen hat, dass den Frauen das Tragen des Kopftuchs durch eine Vorschrift des Korans auferlegt ist, die nur schwer mit der Botschaft von Toleranz, Respekt vor dem anders Denkenden, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung zu vereinbaren ist,
der Botschaft, die in einer Demokratie jede Lehrkraft ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln soll - so der Europäische Gerichtshof.
Trotzdem, wir unterstellen keiner Kopftuch tragenden Muslimin, dass sie mit dem Stoff schon zwangsläufig ein Glaubensbekenntnis zum fundamentalistischen Islamismus und zu Frauenunterdrückung ablegt. Deshalb sollten wir auch bestimmt nicht der türkischen Vorgehensweise nacheifern, wo jegliches Tragen von Kopftüchern in offiziellen Zusammenhängen verboten ist, weil das Tuch per se als politische, antilaizistische Meinungsäußerung gilt.
Ich möchte gar nicht bewerten, ob dies für die türkische Republik eine angemessene Vorgehensweise ist oder nicht. Dort lebt man unter anderen Rahmenbedingungen. Für uns in Schleswig-Holstein sollte es aber ausschließlich um Personen gehen, die eine besondere Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche haben. Dies trifft weder auf eine Kopftuch tragende Schülerin noch auf eine Kopftuch tragende Sachbearbeiterin in der Landesverwaltung zu. Deshalb müssen
Gerade weil es aber so viele offene Fragen gibt, muss dieser Antrag in den Ausschuss überwiesen werden. Dort müssen wir klären, was unser heutiges Recht schon hergibt. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem explizit zu einer öffentlichen Debatte hierzu aufgerufen. Wir kommen also auch nicht umhin, selbst die Betroffenen anzuhören.
Vor allem muss der Antrag aber in den Ausschuss überwiesen werden, weil wir nur eine überparteiliche Lösung in dieser Frage akzeptieren können. Ein Kopftuchverbot muss gegebenenfalls einstimmig beschlossen werden. Noch schöner wäre es natürlich, wenn wir zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen könnten. Allerdings sehe ich wenig Grundlage für einen Konsens, wenn die süddeutschen Länder das Gebot der Neutralität so interpretieren, dass die Religion des christlichen Abendlandes gleicher ist als andere.