Protokoll der Sitzung vom 12.12.2003

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Widerspruch bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ich scheue die Diskussion nicht, meine Fraktion scheut die Diskussion nicht.

(Zurufe von CDU und FDP)

Ich bin bereit, mit jedem über diese Fragen zu reden. Ich scheue mich auch nicht, mit den Menschen direkt zu reden. Wir haben deswegen beschlossen, dass wir im Januar eine Woche nach Eiderstedt fahren und mit allen Menschen vor Ort, die mit uns reden wollen, das Gespräch führen, mit Bauern, mit Bürgermeistern, mit Verbänden, mit Kirchen - die auch eine Stellungnahme abgegeben haben -, um die Diskussion zu versachlichen und deutlich zu machen, worum es geht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von CDU und FDP)

Es geht uns darum, dass wir die Menschen mit ihren Sorgen ernst nehmen, und es geht uns darum, dass wir den Naturschutz so betreiben, dass er gemeinsam mit den Menschen gemacht wird. Naturschutz und Schleswig-Holstein gehören zusammen. Wir müssen gemeinsam dafür werben, dass unser Land so erhalten bleibt, wie es ist, dass die Natur erhalten wird. Das ist für den Tourismus wichtig, das ist für die Menschen, die hier leben, wichtig und das ist für die Zukunft wichtig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Klaus Schlie [CDU]: Dann lassen Sie die Finger davon! Dann bleibt das so!)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns in der NATURA-2000Diskussion bisher mit vergleichsweise konfliktfreien Vogelschutzgebieten befasst und auch die Ausweisung von FFH-Gebieten war vergleichsweise wenig einschneidend. Die bisher ausgewiesenen Flächen waren eher kleinräumig und dadurch waren nur wenige Menschen betroffen. Meistens - nicht immer, aber meistens - konnten mögliche Probleme gelöst werden. Dies hängt natürlich auch gerade mit der Kleinteiligkeit dieser bisher ausgewiesenen Flächen zusammen.

Genaue Kenntnisse vor Ort und ein intensiver Kontakt mit den zuständigen Stellen im Umweltministerium konnten im Einzelfall durchaus dazu führen, dass bei entsprechender fachlicher Begründung die Probleme, die zu entstehen drohten, schon im Vorwege ausgeräumt werden konnten. In dieser Hinsicht möch

(Lars Harms)

te ich das Ministerium ausdrücklich loben. Meine persönlichen Erfahrungen in diesem Zusammenhang waren bisher wirklich nur gute Erfahrungen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Problem, das sich jetzt stellt, ist aber wesentlich schwieriger. Während man die Fauna und Flora dadurch schützen konnte, dass man ein bestimmtes, fest abgegrenztes, kleines Gebiet unter Schutz stellt, kann man Vogelschutzgebiete eben nicht so einfach ausweisen. Vögel halten sich nicht an Grenzen und sie nehmen naturgemäß einen größeren Raum ein, weil sie nicht immer standortgebunden, sondern äußerst mobil sind. Das wissen wir alle selber. Damit kann man zu dem Schluss kommen, dass auch größere zusammenhängende Flächen für den Vogelschutz notwendig sind. Genau dann bekommen ganze Regionen wie zum Beispiel Eiderstedt erhebliche Probleme.

Nun könnte man meinen, dass sich Fachverstand des Ministeriums und Fachverstand und Erfahrungsschatz vor Ort zusammentun und sich die ganze Sache gemeinsam sozusagen aus der Vogelperspektive ansehen, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Das ist aber weit gefehlt, denn dieses Thema ist ein hoch emotionales Thema, ähnlich wie seinerzeit die Nationalparkdiskussion. Zwar hat die Landesregierung den vor Ort stark betroffenen Eiderstedter Landwirten Gespräche angeboten, aber diese wurden im Vorwege abgelehnt, weil man erst einmal genaue Daten zu den auszuweisenden Flächen haben und - ehrlicherweise - den Umweltminister auf einer öffentlichen Versammlung auch ohne Vorgespräche so richtig die Meinung sagen wollte, weil da etwas im Raum stand.

Ich habe durchaus Verständnis, wenn berechtigte Ängste, Wut und Sorgen auch einmal demonstrativ hinausgetragen werden. Es ist auch in Ordnung, wenn dies einmal ein bisschen drastischer geschieht.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Aber dies sollte erst dann geschehen, wenn keine Gesprächsbereitschaft mehr besteht oder wenn Gespräche in der Sackgasse stecken. An diesem Punkt waren wir bisher noch nicht.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man hat nun eine öffentliche Veranstaltung gemacht und man hat Luft abgelassen. Darüber hinaus fühlte man sich - das ist leider zu beklagen - auf Eiderstedt auch noch bestätigt, weil der Umweltminister mehrmals wiederholt hat, dass nur naturschutzfachliche

Belange bei der Ausweisung von Natura-2000Gebieten eine Rolle spielen dürfen und - das ist das Schlimme - man ganz Eiderstedt diesbezüglich überprüfe. Die rot-gelbe Bundesregierung hat 1979 das Abkommen über die Ausweisung von Vogelschutzgebieten unterschrieben und die schwarz-gelbe Regierung hat 1992 Vereinbarungen mit der EU zu FFHGebieten und dann zu deren Zusammenfassung als Natura 2000 geschlossen. Die Einzigen, die bei der Unterzeichnung dieser wichtigsten umweltpolitischen Maßnahmen der letzten 20 Jahre nicht beteiligt waren, waren die Grünen. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Trotzdem war das Auftreten unseres Umweltministers auf der Versammlung in Garding sicherlich keine taktische Meisterleistung. Wer fordert, die Wasserstände auf Eiderstedt anzuheben, und suggeriert, ohne vorliegende fachliche Begründung - die liegt bis heute nicht vor -, ganz Eiderstedt unter Schutz stellen zu wollen, und dann noch sagt, Vertragsnaturschutz mit den einzelnen Betroffenen gebe es nur, wenn alle zustimmten, begegnet mit Recht erbittertem Widerstand.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Die EU-Kommission hat die Bundesrepublik aufgefordert, weitere Vogelschutzgebiete auszuweisen, und weist im Vertragsverletzungsverfahren explizit darauf hin, dass gerade Eiderstedt eines der Gebiete ist, in denen die geforderten am besten geeigneten Maßnahmen durchgeführt werden können. Insbesondere die Trauerseeschwalbe, die Uferschnepfe und der Kiebitz sollen geschützt werden. Das sind die drei Vögelchen, die genannt werden. Was bleibt einem bei einer so konkreten Aufforderung zur Einhaltung eines geschlossenen Vertrages schon übrig, als die Sachlage ordentlich abzuprüfen? Tun wir das nicht und versuchen das Problem auszusitzen, dann drohen Strafen von bis zu 750.000 Euro am Tag. Auch das ist eine Tatsache, der wir ins Auge sehen müssen.

Was ist nun bisher geschehen und was sollte auf jeden Fall geschehen? In der letzten Landtagssitzung hat der Schleswig-Holsteinische Landtag mit Mehrheit von Rot-Grün und SSW beschlossen, die Landesregierung aufzufordern, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Vertragsnaturschutz als rechtlicher Schutzstatus anerkannt wird.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies gilt schon für FFH-Gebiete, aber die Vogelschutzrichtlinie sieht dies bisher nicht vor. Der Vertragsnaturschutz soll die Betroffenen davor schützen, dass aus ihren Flächen nach ein paar Jahren automatisch ein Naturschutzgebiet oder Ähnliches wird, was

(Lars Harms)

zu erheblichen Einschränkungen in der Nutzung führen kann.

(Vereinzelter Beifall bei SSW und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Aufgrund dieses Beschlusses des Landtages setzt sich die Landesregierung nun zum Beispiel gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg - keine rot-grüne Regierung - für eine solche Lösung ein. Diese Lösung im Rahmen des Vertragsnaturschutzes bekommen wir nur, wenn wir einig sind und dies als Forderung der Region aufgestellt wird. Wir haben nur dann eine Chance auf Vertragsnaturschutz, wenn dieser längerfristig verankert wird. Frankreich hat es mit kürzeren Laufzeiten vor der EU-Kommission versucht und ist kläglich gescheitert. Ich zitiere hierzu aus dem Schreiben der EU-Kommission zum Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, in dem steht, dass trotz grundsätzlicher Bedenken gegenüber dem Vertragsnaturschutz dieser möglich sein soll. Dort steht also einerseits, es bedürfe jeweils der Darlegung im Einzelfall, wie dieser gleichwertige Schutz den Anforderungen an den individuellen rechtlichen Schutzstatus gerecht wird, und andererseits, vertragliche Vereinbarungen müssten darüber hinaus auch den dauerhaften Schutz von besonderen Schutzgebieten gewährleisten. Kurzfristige, etwa jährliche Vereinbarungen allein können dies nicht. Wir müssen also längerfristige Regelungen anstreben und diese gemeinsam gut begründen. Sie müssen sich aber nicht auf 30 Jahre erstrecken.

Wenn man aber vonseiten der Landesregierung will, dass der Vertragsnaturschutz auch vor Ort akzeptiert und praktiziert wird, muss dies auf Freiwilligkeit beruhen. Die Forderung des Umweltministers, dass entweder alle einzelnen Betroffenen einer solchen Lösung zustimmen oder sonst kein Vertragsnaturschutz kommen wird, ist deshalb kontraproduktiv - um das noch einmal ganz deutlich zu sagen.

Um aber aus der derzeitigen Misere herauszukommen, bedarf es keines wahltaktischen Verschiebens des Problems um ein Jahr, wie es die CDU fordert. Politisch ist es verständlich, dass man ein so heißes Thema für den Wahlkampf warm halten will. Aber die Menschen auf Eiderstedt haben jetzt ein Problem, das gelöst werden muss.

(Günther Hildebrand [FDP]: Ja, es heißt Müller!)

Das dürfen wir nicht wahltaktischen Erwägungen unterordnen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus der Sicht des SSW sollten wir daher wie folgt vorgehen

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

- ich sage ja, wie wir vorgehen sollen, Herr Kayenburg; hören Sie es genau an; ich glaube, dann wären wir uns schnell einig -: Zunächst einmal müssen die Beteiligten wieder miteinander reden.

(Beifall beim SSW)

Das heißt, das Ministerium mit seiner naturschutzfachlichen Kenntnis und der Kreisbauernverband als Hauptbetroffener und als Institution mit der besten Kenntnis vor Ort sollten sich an einen Tisch setzen, um zu sehen, welche Flächen überhaupt infrage kommen. Aus meiner Formulierung können sie schon ersehen, dass ich nicht glaube, dass eine flächendeckende Ausweisung von Vogelschutzgebieten auf Eiderstedt notwendig sein wird.

Ich möchte dies mit einem weiteren Zitat aus dem Aufforderungsschreiben zum Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission am 4. April dieses Jahres beweisen. Dort werden unter anderem die Forderungen gegenüber Schleswig-Holstein genauer formuliert. Dort steht beispielsweise zur Trauerseeschwalbe: Dennoch ist das größte Vorkommen auf der Halbinsel Eiderstedt mit mehreren in Verbindung stehenden und jährlich wechselnden Kolonien und ein weiteres bedeutsames nahe Heide nicht als Vogelschutzgebiet nominiert worden. Insgesamt befindet sich nur knapp die Hälfte des Bestandes innerhalb von besonderen Schutzgebieten.

Durch dieses Zitat wird deutlich, dass schon heute die Hälfte der zu schützenden Gebiete besondere Schutzgebiete sind. Ansonsten wird genau definiert, was darüber hinaus geschützt werden soll. Auf keinen Fall wird dort verlangt, die gesamte Halbinsel Eiderstedt unter Schutz zu stellen. Die Fläche, was die Trauerseeschwalbe angeht, sind vielleicht ein paar Hundert Hektar, wenn überhaupt. Von einer Ausweisung von ganz Eiderstedt kann daher zugunsten einer genauen und abgegrenzten und fachlich ordentlich unterfütterten Flächenausweisung abgesehen werden.

(Beifall bei SSW und CDU)

Mir schwebt da eine ähnliche Vereinbarung vor wie die, die das Umweltministerium mit dem schleswigholsteinischen Waldbesitzerverband bezüglich FFHGebieten abgeschlossen hat. Man hat sich mit dem Verband über die Modalitäten des Vertragsnaturschutzes geeinigt. Jedem Mitglied des Waldbesitzerverbandes steht es frei, dieser Abmachung beizutreten oder es zu lassen.

(Lars Harms)

Ich glaube, eine solche Regelung ist auch auf Eiderstedt möglich. Wir können die Leute nicht zur Unterschrift zwingen, aber wir können genau umrissene Gebiete nach naturschutzfachlichen Kriterien beschreiben und danach einen vertraglichen Schutz definieren und einen entsprechenden Ausgleich für die Betroffenen festlegen. Wenn man dann einen Vertrag abschließt, weiß man, woran man ist und um welche Fläche es sich konkret handelt. Will jemand nicht unterschreiben, so bleibt es sein gutes Recht, aber es behindert nicht andere, den Weg des Vertragsnaturschutzes zu gehen.

Als dritten wichtigen Punkt möchte ich anführen, dass es nicht akzeptabel ist, weitergehende Forderungen zu stellen, als es die EU verlangt. Die EUVogelschutzrichtlinie zielt nur auf ein Verschlechterungsverbot ab. Es werden damit keine zusätzlichen Naturschutzmaßnahmen sanktioniert. Deshalb darf es keine Anhebung des Wasserstandes in der Region Eiderstedt geben, da dies negative Auswirkungen auf Bebauung, wirtschaftliche Nutzung der Landschaft und auf den Küstenschutz haben kann.

Ich glaube es ist die Pflicht von uns allen, nicht Öl ins Feuer zu gießen, sondern ruhig und besonnen das Problem anzugehen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Wenn man miteinander redet und verhandelt und dabei den Willen zeigt, aufeinander zuzugehen, dann, glaube ich, wird man eine Lösung für Eiderstedt finden können, mit der wir alle zufrieden sein können. Die Eiderstedter und Eiderstedterinnen haben heute Mittag die Hand gereicht. Diese sollte ergriffen werden. Deswegen empfehle ich, dass wir sowohl die Berichte wie auch die Anträge federführend an den Agrarausschuss und an den Umweltausschuss zur Mitberatung überweisen, damit wir in Ruhe vernünftig darüber reden und unsere Informationen entsprechend austauschen können.