Protokoll der Sitzung vom 12.12.2003

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Programm „Zukunft auf dem Lande“ hat die Landesregierung im Jahr 2000 ein Innovationsprogramm für die ländlichen Räume auf die Beine gestellt, das mit seinem Finanzvolumen das größte Programm in der Geschichte der ländlichen Räume in Schleswig-Holstein ist. Das verfolgte Ziel von ZAL ist, Kräfte zu bündeln und diese dann in nachhaltigen innovativen Projekten im ländlichen Raum einzusetzen. Für die Programmlaufzeit von 2000 bis 2006 sollen Maßnahmen in Höhe von rund 537 Millionen € gefördert werden.

Das wohl am meisten verbreitete und bekannteste Instrument von ZAL ist derzeit die ländliche Struktur- und Entwicklungsanalyse. Dem Bericht ist zu ent

(Lars Harms)

nehmen, dass innerhalb weniger Jahre an die 100 LSE-Verfahren mit Beteiligung von über 900 Gemeinden abgeschlossen oder bewilligt sind oder sich in der Vorbereitung befinden. Das sind etwa 85 % der infrage kommenden schleswig-holsteinischen Kommunen. Dies sind durchaus erfreuliche Zahlen, denn LSE-Maßnahmen funktionieren nach dem Prinzip der gemeindeüberschreitenden Nachhaltigkeit und sie werden von unten nach oben entwickelt. Das bedeutet, dass die Bevölkerung vor Ort von Anfang an in den Prozess mit eingebunden sein muss, um ein gemeinschaftliches Projekt auf die Beine zu stellen.

Diesen Ansatz hat der SSW im Zusammenhang mit den LSE immer begrüßt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Bereich der ländlichen Entwicklung, auf den der Bericht eingeht und den ich hier hervorheben möchte, ist das Thema Biomasse und Energie. Wir wissen, dass wir bei der Windenergie bereits führend in Deutschland sind. Das Bestreben der Landesregierung ist es, den Bereich der regenerativen Energieformen, speziell die Nutzung von Biomasse, weiter auszubauen. Angesichts der Tatsache, dass Schleswig-Holstein ein landwirtschaftlich geprägtes Land ist, ist es natürlich nahe liegend, die energetische Nutzung von Biomasse stärker als bisher zu fördern. Die Bemühungen der Landesregierung, sich bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, dass dieser Bereich auch aus dem ZAL-Programm gefördert werden darf, sind in Brüssel auf fruchtbaren Boden gefallen.

Angesichts der Tatsache, dass die EU-Agrarpolitik auf eine Neuorientierung in der Landwirtschaft setzt, hat die Landesregierung vorausschauend gehandelt und diese Förderkulisse rechtzeitig gesichert.

Eine weitere Förderung erfährt die Landwirtschaft im Bereich der Verbesserung der Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Trotz angespannter Haushaltslage fördert die Landesregierung auch diesen Bereich der Landwirtschaft, um gerade innovative Investitionen mit prozess- und produktionsorientiertem Charakter in kleinen und mittelständischen Unternehmen den Vorrang einzuräumen. Dies sind alles Maßnahmen, die auch der SSW unterstützen kann.

Abschließend möchte ich hier noch auf zwei Punkte des Berichts eingehen; denn für mich ist besonders wichtig, dass wir gerade auch über Küstenschutz und Halligprogramm reden, wenn wir hier über die Förderung des ländlichen Raumes sprechen.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überrascht uns aber!)

- Das überrascht dich immer wieder, Detlef, aber ich bin ja auch einer, der seine Kollegen gern überrascht.

Ich gebe der Landesregierung Recht, wenn sie sagt, der Küstenschutz sei in absehbarer Zeit nicht fertig gestellt. Die Landesregierung hat zwar mit dem Generalplan Küstenschutz ein integriertes Küstenschutzmanagement auf die Beine gestellt, das auch der SSW unterstützt, aber wir haben in der Debatte seinerzeit bereits deutlich gemacht, dass die zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

- Genau, du kannst dich gut erinnern. Ich weiß, du hast ein nachhaltiges Gedächtnis. Aber trotzdem sage ich auch für alle anderen: Das ist immer noch nicht in Ordnung. Hier muss in Zukunft mehr getan werden und hier müssen Prioritäten gesetzt werden. Wenn wir darüber reden, dass von der EU neu notifiziert werden muss und dass man Prioritäten setzen soll, dann ist genau das ein Bereich, auf den wir als SchleswigHolsteiner besonderes Gewicht legen.

Was das Halligprogramm angeht, so ist es erfreulich - auch das ist einmal eine Initiative aus dem Landtag gewesen -, dass das seit 1988 bestehende Programm auch weiterhin von der EU mit getragen wird. Das heißt, es wird jetzt notifiziert und wir dürfen weiterhin Maßnahmen fördern.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Halligprogramm ist nämlich die Voraussetzung für die Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz auf unseren Halligen. Dass das jetzt wieder funktioniert und dass das weiter rechtens ist, damit können wir alle zufrieden sein.

Wir wissen, dass der zeitliche Rahmen für die Förderkulissen begrenzt ist. Daher bleibt die Frage: Was kommt eigentlich danach? Die Landesregierung hat große Anstrengungen geleistet, um Fördermittel zu bündeln, um den ländlichen Raum in allen Bereichen zu fördern. Doch wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass der ländliche Raum auch nach 2006 weiter gefördert werden muss. Genau darüber - das ist das wichtigste Thema - müssen wir uns im Ausschuss intensiv unterhalten, um für die Zukunft gerüstet zu sein.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen dem Präsidium nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht über den Stand und die Entwicklung des Programms „Zukunft auf dem Land (ZAL)“ Landtagsbeschluss vom 18. Juni 2003, Bericht der Landesregierung, Drucksache 15/2881, an den zuständigen Ausschuss zu überweisen.

(Peter Jensen-Nissen [CDU]: Agraraus- schuss!)

- Selbstverständlich; zuständig ist der Agrarausschuss. Ich wollte damit nur offen lassen, ob noch Mitberatung erfolgen soll. Ich frage deshalb: Wird eine Mitberatung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Weiter frage ich: Soll der Bericht zur abschließenden Beratung an den Agrarausschuss überwiesen werden?

(Zuruf: Ja!)

- Gut. Wer den Bericht der Landesregierung, Drucksache 15/2881, zur abschließenden Beratung an den zuständigen Agrarausschuss überweisen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf:

Initiative zum Opferschutz

Landtagsbeschluss vom 12. November 2003 Drucksache 15/2947

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/3077

Für die Berichterstattung der Landesregierung darf ich zunächst Frau Justizministerin Lütkes das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 25 Jahren, als junge Anwältin, war eines meiner Hauptarbeitsgebiete die Vertretung von Zeuginnen und Opfern in Strafverfahren.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

- Ja, das ist schon lange her. Damals war es eine harte Auseinandersetzung, in der es um die Anerkennung von Zeugen als Persönlichkeiten in Strafverfahren ging bei gleichzeitiger Akzeptanz der Aufgabe des Strafverfahrens, der Verfolgung des staatlichen Strafanspruchs, und der Akzeptanz der Rechte der Angeklagten, derjenigen, um die es dann bei der Verurtei

lung geht. Damals war es ein Kampf, heute stellen wir fest, dass sich die Strafrechtskultur verändert hat. Akzeptiert ist, dass Zeuginnen, Zeugen, Opfer in Strafverfahren Trägerinnen, Träger von eigenen Rechten sein können, gleichzeitig unter Wahrung der Verteidigerrechte, Wahrung der Beschuldigtenrechte.

Es ist in der Strafrechtskultur gegenwärtig unstreitig, dass die persönlichen Schwierigkeiten der Personen der Zeuginnen und Zeugen sowie der Opfer - auch männlichen Geschlechts - nicht unerheblich sind; nicht nur deshalb nicht unerheblich sind, weil es für den Strafausspruch relevant ist, sondern weil sie als Persönlichkeiten zu akzeptieren sind. Die Bedürfnisse der Opfer von Straftaten und die Defizite des geltenden Rechts sind im Reformbewusstsein und im Reformprozess.

Das war und ist für die Landesregierung eine Selbstverständlichkeit. Insofern war und ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, im bundespolitischen Beratungsprozess alle aktuellen Gesetzentwürfe - aber das gilt auch für die Gesetzentwürfe in der Vergangenheit wie beispielsweise das Zeugenschutzgesetz - aktiv positiv zu begleiten.

(Beifall der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aktuell tagt der Bundesrat und es hat vorgestern eine Anhörung zum Thema der Opferrechtsreformgesetze - es gibt ja mehrere, wie wir es im Bericht dargelegt haben - gegeben. Schleswig-Holstein war dort durch Frau Stahlmann-Liebelt vertreten, eine der Fachfrauen, gerade was das Opferschutzrecht angeht.

Es geht im Konkreten um eine Veränderung der Verfahrensrechte, der Informationsrechte und der Wiedergutmachungsrechte, die wir im Einzelnen im Bericht dargelegt haben.

Zielsetzung aller Parteien ist es, die Position, die Rechtsstellung des Opfers im Strafverfahren zu akzeptieren. Dass es dabei noch unterschiedliche rechtliche Debatten gibt, liegt auf der Hand. Ich gehe aber davon aus, dass der Bundesrat genau in einer Woche den vorliegenden Gesetzentwürfen letztlich positiv gegenübersteht und wir an diesem Punkt kein Vermittlungsverfahren haben werden.

Es ist unstreitig, dass die Rolle der Verletzten im Strafprozess zu beachten ist. Es ist genauso unstreitig hier in Schleswig-Holstein, dass dazu eine gesellschaftliche Begleitung und eine Vielzahl praktischer und persönlicher Begleitprojekte und Maßnahmen nötig sind.

(Ministerin Anne Lütkes)

Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle allen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der vielen Opferschutzorganisationen, Frauenfachberatungsstellen, Frauenhäuser - ich will keine Aufzählung machen, um niemanden zu vergessen - und Kinderschutzzentren meinen ausdrücklichen Dank ausspreche.

(Beifall im ganzen Haus)

In Schleswig-Holstein ist akzeptiert, dass Opferschutz eine gesellschaftliche, eine gemeinsame Aufgabe ist.

Aber, meine Damen und Herren, Sie haben im Berichtsauftrag auch danach gefragt, wie die Statistik zur Opferentwicklung aussieht. Gestatten Sie mir den Hinweis, dass die Vielzahl der Opfer, wenn Sie den Blick auf das Jahr 2002 werfen, im Bereich der einfachen und schweren Körperverletzung liegt. Wir wissen, dass die Mehrzahl der Opfer hauptsächlich weiblich ist. Es ist die häusliche Gewalt, die hier zum Tragen kommt, es sind die Sexualstrafdelikte, die mit einem hohen Prozentsatz vertreten sind. Eine Vielzahl der Opfer sind Frauen und Kinder. Der beste Opferschutz ist die Erkenntnis, dass jeder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, ein Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen, überhaupt ein Recht auf ein gewaltfreies Leben hat.

(Beifall bei SPD und SSW)

Solange das nicht die gesellschaftliche Grundlinie ist, werden wir uns mit den strafprozessualen Auswirkungen des Opferschutzes zu beschäftigen haben und wir werden uns beispielsweise darüber zu streiten haben, wo der korrekte Ort ist, um die zivilrechtlichen Ansprüche umzusetzen.

Das Adhäsionsverfahren wird beispielsweise als ein auszuweitendes vorgeschlagen. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich eine der wenigen in der Bundesrepublik bin, die nach wie vor meinen, dass das Adhäsionsverfahren, also die unmittelbare Andockung des Zivilprozesses an das Strafverfahren, allen Beteiligten nicht gerecht wird.

(Beifall bei FDP und SSW)