Wir sind insofern gehalten, in diesem Punkt mit juristischer Phantasie eine rechtlich korrekte, zügige Erledigung zu entwickeln.
Das ist eine schwierige Aufgabe. Auch die Anhörung im Bundesrat und im Bundestag hat kein Allheilmittel aufgezeigt.
Das Entscheidende wäre, wenn der Wiedergutmachungsgedanke im Strafverfahren von allen Beteiligten akzeptiert würde und dann, wenn es aus Sicht der Beschuldigten zulässig ist, schlicht der Vergleich im
Strafverfahren abgeschlossen würde. Dann wäre es rechtlich sauber und für alle Beteiligten das Einfachste.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Herrn Abgeordneten Peter Lehnert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den vergangenen Jahren sind die Bedürfnisse der Opfer von Straftaten, aber auch die Defizite der bestehenden Rechtsordnung im Hinblick auf die Opfer zunehmend ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Der vorliegende Bericht zum Opferschutz zeigt auf, was auf dem Gebiet des Opferschutzes auf Bundesebene geschieht. Ich bin sehr froh darüber, dass überhaupt etwas geschieht. Schaut man sich nämlich im Gegenzug die Aktivitäten der Landesregierung an, muss man feststellen, dass sie den Opferschutz nicht besonders prioritär behandelt.
Ich möchte das an folgendem Beispiel verdeutlichen. Im Mai 2001 hat sich meine Fraktion unter anderem dafür eingesetzt, den Katalog derjenigen Delikte, bei denen auch ohne Bedürftigkeit beziehungsweise ohne die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe auf Antrag ein Anwalt beizuordnen ist, zu erweitern. Eine Forderung, die übrigens nach wie vor auch vom Weißen Ring erhoben wird. Zum damaligen Zeitpunkt hat die Justizministerin darauf verwiesen, dass der Antrag ins Leere laufe, weil eine entsprechende Bundesratsinitiative der Länder vorliege, in der - ich zitiere aus den Plenarprotokollen der Sitzung vom 30. Mai 2001 - „die Verfahrensverbesserungen vorgeschlagen werden, die denkbar sind“.
Tatsache ist - so ist es auch in Ihrem Bericht nachzulesen -, dass der von Ihnen gelobte und von Schleswig-Holstein im Bundesrat mitgetragene Gesetzentwurf nach Ablauf der 14. Wahlperiode der Diskontinuität anheim fallen ist. Nun frage ich mich, warum die Landesregierung im Anschluss nichts unternommen hat, um das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Schließlich ist ihr das Thema nach eigenem Bekunden doch so wichtig.
Insofern ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im April dieses Jahres den Gesetzentwurf des Bundesrates erneut in die parlamentarische Beratung eingebracht hat. Er verfolgt das Ziel, die Rolle des Verletzten von der eines bloßen Beweismittels zu der eines gleichberechtigten
Prozessbeteiligten weiterzuentwickeln, damit die Opfer in die Lage versetzt werden, ihre Interessen selbst und aktiv in das Prozessgeschehen einzubringen.
Weit über ein halbes Jahr hat Rot-Grün die Beratungen im Bundesrat blockiert. Eine verlorene Zeit für den Opferschutz, denn das, was die Bundesjustizministerin Anfang November vorgelegt hat, ist schlecht abgeschrieben, halbherzig und teilweise kontraproduktiv. Nichtsdestotrotz hat ihn sich die rot-grüne Regierungskoalition zu Eigen gemacht.
Kein Gesetz verändert allerdings von allein die Situation der Opfer von Straftaten. Hinzu kommen muss die praktische Umsetzung, um das Strafverfahren noch stärker an den Bedürfnissen der Opfer auszurichten. Deshalb haben wir zu diesem Punkt bereits mehrfach entsprechende Anträge gestellt. Leider haben wir bei den Schlussabstimmungen im Landtag trotz vieler freundlicher Worte aus allen Fraktionen nur die FDP-Fraktion auf unserer Seite gehabt.
- Ja, das ist für uns ganz wichtig. - Egal, ob Information oder Schutz von Opferzeugen, aktive Teilnahme des Opfers am Verfahren oder rascher und unkomplizierter Ausgleich materieller Schäden des Opfers schon im Strafverfahren - Sie hatten das angesprochen, das so genannte Adhäsionsverfahren -; all dies war schon einmal besser im Entwurf der Union enthalten.
Schlimmer ist jedoch das, was im Regierungsentwurf fehlt beziehungsweise unzureichend geregelt ist. So können danach weiterhin Kopien von Bild-TonAufzeichnungen einer Vernehmung des Opfers gefertigt und an den Verteidiger herausgegeben werden, während der Unionsentwurf ganz klar auf die Zustimmung des Opfers abstellt, in dessen Persönlichkeitsrecht mit solchen Maßnahmen mitunter massiv eingegriffen wird. Dies wurde im Übrigen auch in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag bestätigt. So wies eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft Flensburg - Frau Ministerin, Sie haben darauf hingewiesen - darauf hin, dass die im Opferrechtsreformgesetz der Bundesregierung vorgesehene Regelung keinen ausreichenden Schutz vor einem Missbrauch der Aufzeichnungen biete. Die Regelung gewährleiste nicht, dass unbefugte Personen keine Einsicht in die Aufzeichnung nehmen könnten.
Des Weiteren fordert die Union, Opfer - insbesondere von Sexualverbrechen - unter 16 Jahren vom Vorsitzenden in einem separaten Raum vernehmen zu
lassen, da erste praktische Erfahrungen mit dem Zeugenschutzgesetz aus dem Jahr 1998 zeigen, dass bei der gängigen Vernehmungspraxis den Belangen kindlicher Opferzeugen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Ziel muss es sein, ein persönliches Gespräch mit dem Kind fernab vom Täter führen zu können.
Die Schwachstellen im Bereich des Opferschutzes müssen geschlossen werden. Verbrechensopfer sind keine lästigen Bittsteller, sondern haben Anspruch auf Solidarität und praktische Hilfestellung.
Es ist zu hoffen, dass sich die Bundesjustizministerin durch die in dieser Woche erfolgte Anhörung dazu bewegen lässt, die besseren und weitergehenden Vorschläge von Union und FDP im Bundestag zu übernehmen. Auf ein Tätigwerden der Landesregierung hoffe ich in der Sitzung des Bundesrates. Frau Ministerin, Sie haben das angesprochen. Ich glaube, wir müssen in dem Gesetzentwurf im Interesse der Opfer in diesem Verfahren noch einige Verbesserungen vornehmen.
Ich bitte, den Antrag an den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen, damit wir dort über weitere Initiativen sprechen können.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Opferschutz ist seit geraumer Zeit in aller Munde. So forderte im Juni dieses Jahres die Justizministerkonferenz in Schleswig-Holstein, in Glücksburg - Frau Ministerin, vielen Dank für die Werbung - einstimmig:
„Die Justizministerinnen und Justizminister betonen erneut den Schutz der Opfer von Straftaten als eine besonders wichtige Aufgabe der Strafjustiz. Sie halten zur Verbesserung der Position der Opfer im Strafverfahren weitere gesetzliche Änderungen für erforderlich.“
Das ist parteiübergreifend beschlossen worden. Das finde ich wichtig. Ich finde es auch wichtig, dass wir uns hier daran erinnern.
Auch der Landtag hat sich mehrfach mit dem Thema beschäftigt. Ich konnte das komprimiert nachlesen, was ich übrigens sehr gern getan habe. Ich bedanke mich bei der Ministerin auch dafür, dass sie einen „schlanken“ Bericht gemacht hat, indem sie auf die Drucksachen verwiesen und nur Neues ausgeführt hat. Das hat ihrem Haus gedient und ist für uns als Grundlage ausreichend.
Ich sage allgemeinverständlich, wie ich es empfinde. Wir haben eigentlich genug Papier, über das wir ausreichend debattiert haben. Was die Opfer von Straftaten und die Öffentlichkeit von uns erwarten, sind weitere konkrete Ergebnisse. Wir sollten zu Potte kommen.
Sie, Herr Lehnert, haben gesagt - ich finde es erstaunlich, dass Sie das als Opposition sagen -, Sie seien froh, dass überhaupt etwas geschehe. Ich sehe das ein bisschen anders. Ich habe deutlich den Anspruch an Gestaltung. Ich werde heute auch darlegen, wo ich ihn sehe.
Ich befasse mich - ich bitte um Ihr Verständnis; Sie haben den CDU-Entwurf vorgelegt - mit dem Entwurf des Opferrechtsreformgesetzes von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 11. November 2003, der eingebracht ist und der sich mit wesentlichen Neuerungen befasst. Ich weiß sehr wohl, dass es weitere Vorgänge gibt. Das haben Sie hier geschildert. Dennoch muss man sich konzentrieren.
Ich habe die Hoffnung, dass es uns in SchleswigHolstein gelingt, mit einem einvernehmlichen Antrag zum Opferschutz wieder in den Landtag zurückzukommen. Das wäre doch etwas. Jedenfalls ist das das Ziel, das ich anstrebe.
Jetzt zu den Einzelheiten. Der Katalog der Nebenklagedelikte nach § 395 StPO wird erweitert. Dadurch sollen insbesondere Opfer gestärkt werden, bei denen besonders gewichtige, höchstpersönliche Rechtsgüter verletzt wurden. Andere Dinge wie Beleidigungs- und Staatsschutzdelikte sind aus dem Katalog gestrichen worden.
Auch Hinterbliebene - Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegatten und Lebenspartner -, die durch eine Straftat einen nahen Angehörigen verloren haben, sollen künftig einen Opferanwalt zur Durchsetzung ihrer Rechte beigeordnet bekommen. Ich begrüße diese Regelung. Sie entspricht den gesellschaftlichen Erwartungen an die Justiz. Man kann das kritisch sehen, Herr Kubicki. Ich habe auch Ihre Reden nachgelesen.
Dolmetscher und Übersetzer sind im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit. Stelle man sich doch bitte einmal vor, uns passiert etwas im Ausland, wir können uns nicht verständlich machen. Hier spielt langsam auch europäisches Recht mit rein. Das finde ich gut.
Gewichtig sind die Vorschläge zur Reduzierung der Belastung von Zeugen schwerer Gewalt- und Sexualdelikte. Neben der Erweiterung von Möglichkeiten der Dokumentation - wir können gern darüber reden, ob Sie da noch bessere Ideen auch zum Schutz solcher Aussagen haben - soll durch mögliche Anklageerhebung vor dem Landgericht eine zweite Tatsacheninstanz unter Umständen vermieden werden. Gedacht ist dabei besonders an Schutzbedürftige, insbesondere kindliche Opferzeugen.
Zu diesem Punkt habe ich mir lange überlegt, ob man so weit gehen kann. Letztlich begrüße ich allerdings diese Möglichkeit. Es sei noch einmal ganz deutlich gesagt: Das ist eine Möglichkeit und kein Zwang. Ich bin mir sehr sicher, dass alle Beteiligten sorgfältig mit dieser Möglichkeit umgehen werden. Liebe Frau Ministerin, deshalb gehe ich in der Beurteilung auch nicht so weit wie Sie. Sie glauben da von einer drohenden Sondergerichtsbarkeit für Sexualstraftaten reden zu müssen. Ich glaube, wir könnten das durchaus machen.
Über das Adhäsionsverfahren werden wir uns sicherlich auch noch auseinander setzen. Auch hier glaube ich, dass die Opfer und die Bevölkerung, denn jeder ist ein potenzielles Opfer, hier eine andere Erwartung haben. Letztlich wird entscheiden, was wirkungsvoll ist.
Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: Ich will keine Schwächung des Strafprozesses. Das Strafverfahren, der Strafprozess, ist ein hohes Gut der Demokratie. Daran, wie wir mit Beschuldigten und Angeklagten sowie mit verurteilten Tätern umgehen, kann man unsere Demokratie bewerten. Ich bitte um Ausschussüberweisung.
Bevor ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, erteile, weise ich geschäftsleitend darauf hin, dass das Präsi
dium noch vor Eintritt in die Mittagspause die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache aufrufen wird, wenn das Ihr Einverständnis findet. Ich bitte nur, dass seitens der Fraktionen sichergestellt wird, dass die jeweiligen Berichterstatter - sofern das erforderlich ist - darüber informiert werden. Ich erteile jetzt dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Abgeordneten Kubicki, das Wort.