Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

(Beifall beim SSW)

Das Wort für die Fraktion der SPD erhält jetzt Frau Abgeordnete Ingrid Franzen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Binnen kurzer Zeit, zuletzt auf Antrag der SPD-Fraktion am 24. September des letzten Jahres, befassten wir uns mit Motorola. Inzwischen ist die Kündigung für 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer traurige Wirklichkeit geworden. Damit stellt sich für uns alle, die wir in dieser Region verantwortlich sind, die große Aufgabe zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Region, aber auch für den Erhalt der noch vorhandenen 1.200 Arbeitsplätze bei Motorola, die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen; denn leider erhalten sich diese Arbeitsplätze nicht automatisch, wie Sie, Herr Minister, schon ausgeführt haben.

Ich will aber auch die Gelegenheit dieser Debatte nutzen, gute Nachrichten zu erwähnen. Dem Betriebsrat und der IG-Metall ist es gelungen, dem amerikanischen Riesen Motorola deutsche Standards bei Massenentlassungen abzuringen. Alle Entlassenen bekommen eine Abfindung nach anerkanntem Schlüssel und - das ist besonders wichtig - dieses Geld müssen sie auch nicht in die Beschäftigungsgesellschaft mit einbringen. Welch eine abstruse Vorstellung der Geschäftsführung auch in Flensburg!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

(Ingrid Franzen)

Im Dezember des letzten Jahres wurde eine Transfergesellschaft gegründet, die Chancen für Weiterbildung, Praktika und Jobtraining bietet, und den Arbeitslosen - besonders wichtig - bietet sie maximal 24 Monate bis zu 80 % ihres letzten Monatsgehalts. Auch dazu muss Motorola 10 % beitragen. Meine Anerkennung sage ich hier dem Betriebsrat und der IG-Metall.

Die Verwendung der Fördergelder - dem SSWAntrag danke ich ausdrücklich - ist heute das Thema. Die Rückzahlung war von allen Sprechern und auch von Ihnen, Herr Minister, gefordert worden. Wir haben sehr viel Verständnis dafür, dass Sie die Zahl nicht nennen; sie wird berechnet. Sicherlich ist das „europäisch“ und kompliziert geregelt. Der Konzern muss die anteiligen Gelder zurückzahlen, wie es hier bereits gefordert worden ist. Ich denke, dass dies ein wichtiges Instrument, ein Zwang für die öffentliche Wirtschaftsförderung ist.

Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Opposition - ich habe mir die Debatte vom September des letzten Jahres noch einmal durchgelesen -, dass Sie heute dieses Instrument nicht wieder infrage stellen und damit auch die Ansiedlung von Motorola seinerzeit. Wer das hier nämlich noch einmal tut - auch öffentlich; ich habe das gut in Erinnerung -, der möge das auch zu Hause bei uns in Flensburg sagen, der möge klipp und klar sagen, es sei ein Fehler gewesen, diese Neuansiedlung, diesen Neubau zu fördern, und der möge das vor allen Dingen auch den 1.200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Motorola sagen.

Wir sollten uns stattdessen lieber gemeinsam zusammensetzen - ich freue mich über die Ankündigung der Konferenz, Herr Minister -, um über die zurückfließenden Mittel zu beraten und darüber, wie damit optimal geholfen werden kann.

Auch ich möchte noch einmal auf den „Zeit“-Artikel eingehen. Meine Damen und Herren, der Redakteur ist dort gewesen, der Redakteur hat viele Gespräche geführt; das ist gründlich recherchiert worden. Keiner hat ja die absolute Wahrheit gepachtet. Nur, ob es gescheit ist, dann zu sagen - wie es der Oberbürgermeister getan hat -, dass das alles nicht richtig sei, dass man das nicht so sehe, dass alles viel besser sei, sollten wir hinterfragen. Aber wir sollten selbstkritisch zur Kenntnis nehmen, dass uns eine so große Zeitung das Schlusslicht sogar in der Bundesrepublik zuweist - noch hinter dem Osten. Das ist etwas, was man nicht einfach so wegwischen kann.

Nun hat ja der Oberbürgermeister der Stadt Flensburg angekündigt - eineinhalb Jahre vor Ablauf seiner

Amtszeit -, dass er abtreten will. Vielleicht ist er ja schon auf der Reise. Das weiß ich nicht.

Der Wirtschaftsminister hat Initiativen angekündigt und ich denke, wir können das alles sehr gut unterstützen. Zur Anregung für ein Kompetenzzentrum für mobile Kommunikation, das dann auch mit der örtlichen Wirtschaftsförderung zusammen erarbeitet wird - anwendungsbezogene Forschung; dafür haben wir die Fachhochschule und bauen sie aus - und das vor allen Dingen auch der Sicherung der 1.200 Arbeitsplätze dient, die Motorola noch hat, empfehle ich Ihnen, Herr Minister, auch in Anbetracht der schon beginnenden Diskussion zur OBNachfolge bei uns in Flensburg, was die Verwaltungsspitze angeht, eine breite Beteiligung aller in Flensburg. Flensburg ist immer ein besonderes Pflaster - ohne Regierung und Opposition -, wo breite Mehrheiten, die man einladen kann, immer gegeben sind.

Ich möchte noch einmal die Chance nutzen, an meine Region zu appellieren. Meiner Heimatstadt Flensburg möchte ich empfehlen, mit ihren Nachbarn zusammen mehr Regionalität statt Rivalität zu praktizieren. Es sind Ansätze da - die Campushalle sei genannt -, wo auch das Land sehr gut mit hoher Förderung reagiert hat; die Campushalle läuft und sie wird auch schon privat erweitert.

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

- Ja, das ist richtig. Die SG führt sogar vor Kiel. Frau Ministerpräsidentin, vielleicht schaffen wir es ja einmal.

Weiter gibt es die gemeinsame Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die WIREG. Aber es gibt eben auch noch eine Menge zu tun.

Wir werden die Neuverteilung der von Motorola zurückzuzahlenden Gelder, Herr Minister, weiter gern verfolgen und wenn wir in Flensburg etwas mehr brauchen angesichts der dramatischen Lage, dann - so glaube ich - werden wir das bei Ihnen auch bekommen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Für die Fraktion der CDU erhält jetzt Frau Abgeordnete Brita Schmitz-Hübsch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Firma Motorola wird Fördermittel zurückgeben und sie wird das zu dem Zeitpunkt tun, zu dem es von ihr verlangt wird. Über die Höhe hat der Wirtschaftsminister leider wieder nichts gesagt. Der Zeitung war aber schon entnehmen, dass man mit mindestens 7 Millionen € rechnet; möglicherweise wird es auch noch ein bisschen mehr. Die Hälfte davon sind Bundesmittel, die andere Hälfte gehört dem Land. Über diese zweite Hälfte könnte die Landesregierung frei verfügen, wenn sie dazu den politischen Willen hätte. Der Wirtschaftsminister hat zugesagt - er hat es heute wiederholt; dafür danke ich -, dass die zurückgezahlten Mittel der Region Schleswig-Flensburg wieder zugute kommen sollen.

Über das Wie gehen die Meinungen allerdings erheblich auseinander. Die Geschäftsführung bei Motorola hatte gehofft, dass der Vorschlag von Oberbürgermeister Stell zum Tragen kommt, die Zuschüsse zur Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze im Unternehmen zu belassen und erst dann zurückzufordern, wenn die Arbeitsplätze eine bestimmte Mindestzahl unterschreiten. Hierzu rufe ich noch einmal in die Erinnerung zurück, dass sich Motorola ja einige Jahre lang hohe Verdienste um den Flensburger Arbeitsmarkt erworben hat, als die Firma von den versprochenen 2.000 Arbeitsplätze auf fast 3.000 Beschäftigte aufgestockt hat. Hier ist die Landesregierung leider nicht flexibel. Das ist schade.

Der SSW macht in seinem Antrag Vorschläge, wie die Gelder verteilt werden können. Der SSW spricht unter anderem davon, dass die Zulieferbetriebe, die in den Sog der Entlassungen kommen, gestärkt werden müssen. Ich habe mich erkundigt: Es soll zwei oder drei betroffene Zulieferbetriebe geben, die einen Teil der Beschäftigten entlassen müssen. Das ist nicht schön und vor allen Dingen schlecht für die betroffenen Menschen. Aber es ist sicherlich zu fragen: Sind die Betriebe deshalb in wirtschaftlichen Schwierigkeiten? Wenn ja, können sie sicherlich versuchen, sich an die Landesregierung zu wenden.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Druckereien im Flensburger Raum, die die Gebrauchsanweisungen und Verpackungen für Motorola drucken, steigende Aufträge zu verzeichnen haben. Das muss man auch hinzufügen.

Das Schicksal der Fahrzeugwerke Nord ist besonders bedauerlich. Ich habe diese Firma oft besucht und den Nachbarn Flensburger Fahrzeugbau gleich mit; die beiden haben sehr unter dem Rückgang der Bundeswehraufträge und der Bevorzugung der bun

deseigenen Instandsetzungswerke gelitten. Ich bewundere die Belegschaftsmitglieder, die trotz der schlechten Aussichten ihrer Firma bis zuletzt die Treue gehalten haben. Sicherlich tragen sie sehr schwer an der unternehmerischen Entscheidung der MAN, die Flensburger Niederlassung zu schließen.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Das aber kann man mit staatlichen Fördermitteln nicht aufhalten, Frau Hinrichsen.

Ich höre jedoch in Flensburg, dass es längst mithilfe des Wirtschaftsministeriums Kontakte von der FFG zur MAN gibt, um ein bestimmtes Produkt zu übernehmen. Das würde langfristig immerhin etwa zehn Arbeitsplätze sichern.

Es gibt Initiativen rund um Motorola, um die künftigen Verkaufschancen seiner Produkte zu verbessern. So wird an einer Weiterentwicklung des Designs gearbeitet und in Gründung befindet sich eine Gesellschaft von innovativen Flensburger Unternehmern, die die mobile Kompetenz und Kommunikation insgesamt weiterentwickeln wollen und dazu bereits eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht haben. Das ist das, was der Minister mit seinem Kompetenzzentrum meint. Das stand ja erfreulicherweise heute schon in der Zeitung.

Sie sollten in der Pressestelle nachschauen, wer Ihre Presse gestern nicht zurückgezogen hat, nachdem dieser Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Das ist aber eine interne Sache.

Es gibt also viele Ideen und Ansätze, wie man die Fördermittel von Motorola gewinnbringend, arbeitsplatzsichernd und zukunftsweisend wieder einsetzen kann.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir als ehemaliger langjähriger Landesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung gefällt die Verteilung der öffentlichen Mittel auf viele kreative Köpfe ohnehin besser als die bisherige Konzentration auf das Großunternehmen.

Ich möchte zum Schluss einen Vorschlag aufgreifen, der aus der Region stammt: Das Geld sollte nicht wie bisher üblich in Form von verlorenen Zuschüssen ausgegeben werden, sondern in einen Fonds eingezahlt werden, der die Mittel revolvierend ausgibt. Diese müssten nach einem bestimmten Zeitraum - als

(Brita Schmitz-Hübsch)

Hausnummer nenne ich zehn Jahre - zurückgezahlt werden und könnten dann neu vergeben werden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn dann noch die Entscheidungsbefugnis über die Mittel in die Region gegeben würde, wäre das „Glückes genug“ - um den Titel eines kleinen Klavierstückes von Schumann zu verwenden.

Herr Minister Rohwer, ich fordere Sie auf, diesen Vorschlag aufzunehmen. Seien Sie im Zeitalter der Innovationen selbst innovativ.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile jetzt Frau Abgeordneter Christel Aschmoneit-Lücke für die Fraktion der FDP das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich aus Kiel komme, kenne ich die örtlichen Verhältnisse in Flensburg nicht so gut wie meine Vorrednerinnen.

(Lothar Hay [SPD]: Ich lade dich gern ein!)

Deswegen habe ich besonders genau zugehört, was mir an zusätzlichen Informationen von den Flensburger Abgeordneten gegeben worden ist. Aber auch ohne diese zusätzlichen Informationen wäre uns klar, dass eine Region wie Flensburg unter dem Abbau von 600 Arbeitsplätzen in ganz besonderem Maße zu leiden hat, da nicht damit zu rechnen ist, dass diese 600 Arbeitsplätze in kurzer Zeit wieder geschaffen werden können.

Das ist für die Region verheerend. Es ist für die Betroffenen außerordentlich tragisch. Es ist für die Familien schrecklich. Deswegen ist es selbstverständlich richtig, dass wir heute noch einmal über die Situation in Flensburg insgesamt sprechen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben hier nicht - das hat auch von Ihnen niemand getan - eine Unternehmensentscheidung, wie sie bei Motorola getroffen worden ist, in irgendeiner Art und Weise zu kritisieren. Unternehmensentscheidungen werden nun einmal zu Recht in den Unternehmen getroffen und nicht in der Politik. Wir haben uns mit den Folgen auseinander zu setzen und das ist auch der Ansatz, den ich heute von allen Seiten vernommen habe.

Allerdings muss ich ganz klar sagen, liebe Frau Kollegin Franzen: Von unserer Seite ist auch in der Vergangenheit die Subventionierung der Arbeitsplätze bei Motorola - wenn man es einmal so ausdrücken will - überhaupt nicht kritisiert worden. Ich habe auch in der letzten Diskussion hier gesagt, dass wir alle den Wirtschaftsminister damals dazu beglückwünscht haben, dass er die Arbeitsplätze zu dem Zeitpunkt bei Motorola halten konnte. Das will ich hier gern noch einmal betonen.

Motorola muss - und da bin ich vielleicht etwas anderer Auffassung als Sie, Frau Kollegin SchmitzHübsch - die Gelder zurückzahlen.