Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

noch so oft von Eliten reden, nie Eliten in Deutschland und damit auch nicht in Schleswig-Holstein geben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Lassen Sie mich nun auf das Thema Hochschule zu sprechen kommen. In den vergangenen Wochen ist in diesem Zusammenhang viel über den großen Teich geblickt worden, etwa nach Harvard und Yale, wo es Stiftungsvermögen in Milliardenhöhe gibt. Das sind interessante Bezugspunkte. Es sind aber keine wirklich realistischen Vergleichspunkte für uns. Insofern muss man nicht unbedingt über den großen Teich blicken. Es genügt manchmal, über den kleinen Teich zu gucken. Dann landet man in Großbritannien. Dort gibt es die London School of Economics, kurz LSE. LSE ist kein regionales Strukturprogramm, sondern eine sehr gute Universität, deren Strukturen in etwa mit den Strukturen bei uns vergleichbar sind. Auch die London School of Economics lebt überwiegend von staatlichen Zuschüssen. Dennoch kommen aus ihren Reihen 13 Nobelpreisträger. Dennoch ist es so, dass sie im Ranking in Großbritannien mittlerweile Oxford überholt hat. Man stellt sich die Frage, wie das möglich ist.

Bei der London School of Economics sind drei Komponenten zu erkennen, die es hier nicht gibt. Zum einen findet die Mittelvergabe - auch die staatliche Mittelvergabe - leistungsorientiert statt. Es gibt dort nicht eine Grundförderung, die alles umfasst. Vielmehr gibt es bei der öffentlichen Bezuschussung dieser Hochschule eine starke Leistungskomponente.

Die zweite Komponente ist, dass sich die London School of Economics ihre Studierenden selbst aussuchen kann.

Als dritte Komponente wäre schließlich anzuführen, dass die London School of Economics Studiengebühren erhebt.

Solange Sie von der SPD und den Grünen diese drei Komponenten nicht mittragen, wird sich in der Hochschulpolitik nichts ändern. So lange wird es hier in Deutschland und damit auch in Schleswig-Holstein keine Elitehochschule wie die LSE geben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es stellt sich die Frage, ob Sie wirklich den Einstieg in eine Eliteförderung wollen. Dann müssen Sie wirklich - verglichen mit dem, was Sie bisher getan haben - alles neu formulieren. Wenn Sie dies nicht tun, verabschieden Sie sich aus der Diskussion. Dann überlassen Sie das Feld besser denen, die es besser können. Das sind in diesem Falle die FDP und die CDU.

Wir sagen übereinstimmend: Wir wollen den Hochschulen das Zulassungsrecht übertragen. Wir wollen die ZVS abschaffen, weil sie haargenau das an zentraler Studien- und Forschungsförderung beinhaltet, was wir nicht haben wollen. Wir sagen weiter, dass wir Studiengebühren als einen Teil von Eigenverantwortung der Studierenden für das, was sie hinterher tun, einführen wollen. Es wird immer wieder das Argument angeführt, das sei sozial ungerecht. Ich sage Ihnen: Studiengebühren sind nicht sozial ungerecht, wenn sie darlehensbegleitet sind. Studiengebühren sind dann sozial ungerecht, wenn sie sich auf das Einkommen der Eltern beziehen. Sie sind nicht ungerecht, wenn sie sich auf das spätere Einkommen der Studierenden beziehen. Der baden-württembergische Kultusminister Frankenberger hat gesagt: Eigentlich sind Studiengebühren die Beiträge der Begünstigten, nämlich derjenigen, die später mehr Geld verdienen können und die durch ihre Begabung so begünstigt sind, dass sie eine Hochschule, eine Universität oder eine Fachhochschule besuchen können.

(Beifall bei CDU und FDP)

Unter diesem Aspekt von Eigenverantwortung einerseits und mehr Geld für die Hochschulen andererseits wollen wir Studiengebühren einführen.

Lassen Sie mich auf einen letzten Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf die leistungsorientierte Bezuschussung der Hochschulen. Ich glaube, in diesem Bereich müssen wir sehr viel mutiger werden, als wir es bisher waren. Nur wenn es uns gelingt, die staatliche Grundfinanzierung in besonderem Maße auf die Institute zu konzentrieren, die international in der Champions League mitspielen, wird es uns auch gelingen, Eliteuniversitäten und Elitenetzwerke in Deutschland zu schaffen. Die 5 Millionen € im Rahmen des Innovationsfonds - wir haben solche Mittel immer gefördert - sind sicherlich ein guter Ansatz. Dieser Betrag ist auf die Dauer aber zu wenig. Richtige Akzente werden wir erst dann setzen können, wenn wir über die 5 Millionen € im Rahmen des Innovationsfonds hinausgehen und zu einem Volumen von 5 % der Gesamtförderung kommen. Dann stünden 13 Millionen € zur Verfügung, die unter Leistungs- und Wettbewerbsgesichtspunkten verteilt werden könnten. Damit wären Dosierungen möglich, um gute Forschungseinrichtungen, die wir haben, so auszustatten, dass sie in der Champions League mitspielen können.

Es gibt insofern noch viel zu tun. Bei den Sozialdemokraten und bei den Grünen gibt es aber immer noch erhebliche Erkenntnisdefizite. Solange diese nicht beseitigt sind, wird es auch nicht zur Beseitigung der Handlungsdefizite kommen. Es ist deutlich

(Jost de Jager)

geworden, dass Sie zwar Eliten beschreiben und darüber reden wollen, weil es im Moment schick ist, letztlich aber keine Politik betreiben werden, die zu einer wirklichen Elitebildung, wie wir sie dringend brauchen, führt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr de Jager, es nützt nichts, einen Watschenmann aufzubauen, der angeblich unseren Auffassungen entspricht, und dann auf ihn einzudreschen. Natürlich leugnen wir nicht die Unterschiede zwischen den Menschen. Das wäre absolut wirklichkeitsfremd. Es kommt darauf an, wie wir mit den Unterschieden umgehen. Sie müssen doch einfach zur Kenntnis nehmen, dass uns die PISA-Studie aufgezeigt hat, dass mindestens zwei Drittel derjenigen, die dafür geeignet wären, überhaupt nicht in das Gymnasium kommen. In Ihrem hoch gelobten dreigliedrigen Schulsystem werden die Betreffenden doch aussortiert, bevor sie sich überhaupt entwickeln können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Sie betreiben im Schulbereich eine Politik, die die Bildung zukünftiger Eliten verhindert und immer nur dafür sorgt, dass diejenigen, deren Eltern und Großeltern eben dies mit viel Nachhilfe und viel Geld schon geschafft haben, nun ebenfalls wenigstens Mittelmaß weiter vorantragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch das Problem unseres gegliederten Schulsystems. Hier haben wir eine Gerechtigkeitslücke. Hier haben wir zukünftig wahrscheinlich auch eine Lücke, was unsere internationale Behauptung in Bezug auf wissenschaftliches und wirtschaftliches Handeln betrifft. Darüber gilt es sich zu unterhalten. Darauf hat der Kanzler eine Antwort gegeben, die jetzt zu einer großen gesellschaftlichen Debatte führt, und das ist gut so.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Er hat ein Schlag- wort in die Debatte geworfen!)

Spektakuläre Nobelpreisträger sagen weniger über die Qualität der Hochschulen aus als das gesellschaftliche Ergebnis der wissenschaftlichen Ausbildung insgesamt. Bisher ist der ökonomische Erfolg Deutsch

lands auch ein Zeichen dafür, dass die deutschen Hochschulen immer noch gute, oft die besten Ingenieure und Betriebswirte der Welt und hinreichend gute Naturwissenschaftler ausbilden. Das ist bisher so gewesen. Es ist am Kippen.

Es ist aber noch aus anderen Gründen am Kippen. Wir haben es vor der Nase: Der Ausverkauf von HDW hat hervorragendes deutsches Know-how an amerikanische Rüstungskonzerne befördert. Das ist aber nicht die Schuld der Hochschulen. Da müssen wir über ganz andere Dinge nachdenken.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist das denn?)

Gerne würde ich auch sagen, dass der friedliche, soziale und kinderfreundliche Zustand der Gesellschaft an der hervorragenden Ausbildung unserer Juristinnen, Psychologinnen, Pädagoginnen und Sozialwissenschaftlerinnen liegt. Nicht von ungefähr benutze ich die weibliche Form, die ich besonders gern bei den Ingenieurinnen benutzen würde. Aber leider - das muss man auch sagen - ist dazu an unseren Hochschulen international noch nicht so viel zu hören. Vielleicht hängt dieses Mittelmaß auch damit zusammen, dass bisher auch in diesen Fächern überwiegend Männer an der Spitze von Forschung und Lehre stehen. Auch hier haben wir ein Demokratiedefizit zu verzeichnen.

Karl-Otto Sattler analysiert in der Zeitschrift „Das Parlament“ vom 12. Januar, dass bei der Mittelzuweisung in wachsendem Maße jene Forschungszweige bedacht und bevorzugt werden, die anwendungsnah sind und rasch Marktfähiges versprechen und dass somit die „wertlose“ Wissenschaft in den Hintergrund gedrängt wird, dass Spitzenforschung in Zukunft mehr noch als bisher von der Wirtschaft finanziert werden dürfte. Er fordert hingegen Freiräume, die erforderlich sind, um über das eigene Tun kritisch nachzudenken. Auch dieses kostet Zeit und Geld. Aber ein demokratisches Gemeinwesen benötigt solche Impulse. Ich kann ihm da nur zustimmen. Wir brauchen Drittmittel.

Aber es darf natürlich nicht zu einer Schlagseite kommen; denn Deutschland ist nicht nur wegen seiner Ingenieurspitzenleistungen oder wegen der Leistungen auf medizinischem Gebiet bekannt geworden, sondern auch Namen wie Max Weber, Adorno, Horkheimer und Hannah Arendt sind mit deutscher Forschung verbunden. Es darf nie wieder passieren, dass solche Stimmen in Wissenschaft und Gesellschaft keinen Platz mehr haben, aus welchen Gründen auch immer.

(Angelika Birk)

Ich möchte an dieser Stelle auf einen Artikel von Andreas Pfitzmann, ebenfalls in der Zeitschrift „Das Parlament“, verweisen, der natürlich nicht behauptet, wir befänden uns auf dem Weg in eine Diktatur. Aber er macht sehr deutlich, dass es gerade für die Ingenieurwissenschaftler wichtig ist, mit den Studierenden einen kritischen Dialog über das eigene Tun zu führen. Er bedauert es sehr, dass Baden-Württemberg sein Institut für Technikfolgenabschätzung geschlossen hat.

Wenn ich mich umsehe und feststelle, welche Schwierigkeiten manche Fachbereiche - sei es der Toxikologie, der Umwelthygiene, kritischer Fragestellungen auch in der Atomwissenschaft - haben, sich zu behaupten - solche Fälle gibt es in jedem Bundesland; aber es fällt vor Ort nicht immer so auf -, wenn ich mir ansehe, dass man einzelne Persönlichkeiten feiert, die ihren verdienten Ruhestand antreten, dann aber komischerweise gleich anschließend den Lehrstuhl streicht, dann werde ich nachdenklich.

Wir sagen offensiv: Wir brauchen keine einzelnen Elitehochschulen, sondern wir brauchen gute Hochschulen, die sehr viele und gute wissenschaftlich ausgebildete Menschen hervorbringen. Durch das Bachelor- und Mastersystem haben wir eine Abstufung, die deutlich macht: Wir haben keine Angst vor Elite, sondern wir wollen Zugangsgerechtigkeit. Wir brauchen Hochschulen mit besseren Lehrerinnen und Lehrern. Die Lehre muss endlich mehr Gewicht haben. Wenn jemand forschen kann, dann ist es wunderbar. Aber es muss auch jemand da sein, der es gut vermittelt, damit es Nachwuchs gibt. Darüber hinaus kommt es darauf an, dass Forscherinnen und Forscher über die Wirkung ihrer Forschung auf die Gesellschaft öffentlich nachdenken und nicht nur über die Wirkung auf ihre persönliche Karriere.

Wir brauchen also eine gute wissenschaftliche Ausbildung in Breite und Spitze. Dies beginnt mit Kindertagesstätten und Schulen. An die Debatten über Kindertagesstätten brauche ich nur sanft zu erinnern. Wenn wir uns ansehen, mit welchen Problemen die einzelnen Träger vor Ort zu kämpfen haben, um den Kreisen und Kommunen das Notwendige aus den Rippen zu leiern, damit die Auslese nicht schon im Kindergarten beginnt, dann wird deutlich, dass wir uns bei der Elitediskussion darüber unterhalten müssen und nicht erst anfangen dürfen, wenn es um Harvard geht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Es reicht nicht, wie die FDP es fordert, nur an die Hochbegabten zu denken. Wir müssen an sie denken. Wir müssen dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer sie frühzeitig erkennen, und zwar in allen Schulformen, in allen Kindertagesstätten und an allen Hochschulen. Wir müssen uns darum kümmern, dass es ein Fördernetz gibt. Aber wir brauchen auch Lehrerinnen und Lehrer, die wissen, wie sie mit heterogenen Lerngruppen umgehen, die jedes Kind individuell fördern.

Das Problem jetzt nur darauf zu konzentrieren, wie wir am schnellsten eine neue Elite hervorbringen, würde die Fragestellung verkürzen. Unsere Schulen brauchen interkulturelles Lernen. Jugendliche von heute sollen nicht nur lesen können, sondern auch wenigstens ein Buch aus den europäischen Nachbarländern und der wunderbaren literarischen Tradition der Türkei kennen. Dies fordert Sabine Kebir in ihrem Beitrag der oben genannten Ausgabe der Zeitschrift „Das Parlament“, indem sie die Chance der interkulturellen Öffnung von Deutschlands Schulen beschreibt.

Innovation heißt für uns Grüne auch: Intellektualität, Integration und Integrität von Erziehung, Bildung und Wissenschaft. Die grüne Fraktion geht selbstverständlich davon aus, dass Deutschland eine Elite hat und braucht. Aber sie wird sich immer dagegen stellen, wenn diese elitär und exklusiv unter sich bleiben will. Das ist der Unterschied, der uns hier trennt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht kommen wir an dieser Stelle durch vernünftige Debatten auf einen Nenner. Das ist ein wichtiger Unterschied, gerade wenn wir uns die Geschichte der deutschen Forschung und Wissenschaft vor Augen halten. Wir sagen also, auf einen Nenner gebracht: Elite ja, elitär nein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum tritt die Bundesregierung eine Diskussion über Eliteuniversitäten und Kaderschmieden los, liegt auch schon ein FDP-Antrag auf Eliteförderung in Schleswig-Holstein vor, und das, obwohl erst im Dezember ein entsprechender Änderungsantrag der FDP zum Haushalt 2004/2005 von der Mehrheit des Hauses abgewiesen wurde. Auch der SSW stimmte dagegen, wobei ich gerne sagen möchte: Wir stimmen weder

(Anke Spoorendonk)

für noch gegen etwas als Hilfsmotor, und zwar auch dann nicht, wenn wir zusammen mit der FDP für etwas stimmen. Das ist natürlich kein Hindernis dafür, dass Anträge wieder gestellt und Themen dadurch weiterhin am Kochen gehalten werden. Das wissen wir alle. So agieren wir auch alle.

Das Thema „Begabtenförderung“ taucht in regelmäßigen Abständen immer wieder auf, mehr noch in der letzten Legislaturperiode als in dieser. Es gibt sogar seit 1998 ein Konzept der Landesregierung zur Begabtenförderung. Unter dieses Konzept fallen zum Beispiel Schülerstudienwochen, Sommerakademien und dass Schüler an Vorlesungen von Universitäten teilnehmen können. Da muss ich fragen: Wäre es denn dann nicht sinnvoller, sich erneut mit diesem Konzept auseinander zu setzen, als wieder ganz von vorne anzufangen?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Interessant ist, dass als Begründung für den Antrag angeführt wird, dass Eliteförderung auch ein Ausdruck für soziale Gerechtigkeit sein soll. Ich könnte mich darüber auslassen, wie viel Schindluder im Moment mit diesem Begriff getrieben wird. Ich werde es aber aus Zeitgründen unterlassen.

Für den SSW steht jedoch fest: Sozial gerecht ist das bundesdeutsche Bildungswesen nicht. Damit meine ich nicht, dass alles nivelliert werden soll; das wird in der Diskussion ja auch immer angeführt. Soziale Gerechtigkeit hat vielmehr mit der Schaffung gleicher Möglichkeiten für alle zu tun. Das soll bedeuten, dass alle gerecht behandelt werden und nicht einige gerechter als andere. Deshalb müssen wir die Veränderung der Rahmenbedingungen und Strukturen im Bildungswesen anstreben. Ich weiß, dass PISA oft zitiert wird. Aber die Forscher haben in dieser Studie einmal auch festgestellt: In keinem anderen Industrieland ist die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg wie in Deutschland.