Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

Für den SSW steht jedoch fest: Sozial gerecht ist das bundesdeutsche Bildungswesen nicht. Damit meine ich nicht, dass alles nivelliert werden soll; das wird in der Diskussion ja auch immer angeführt. Soziale Gerechtigkeit hat vielmehr mit der Schaffung gleicher Möglichkeiten für alle zu tun. Das soll bedeuten, dass alle gerecht behandelt werden und nicht einige gerechter als andere. Deshalb müssen wir die Veränderung der Rahmenbedingungen und Strukturen im Bildungswesen anstreben. Ich weiß, dass PISA oft zitiert wird. Aber die Forscher haben in dieser Studie einmal auch festgestellt: In keinem anderen Industrieland ist die soziale Herkunft so entscheidend für den Schulerfolg wie in Deutschland.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass diese Schieflage erkannt ist, belegen Aussagen ganz unterschiedlicher Organisationen und Personen in der Presse und in der öffentlichen Diskussion. Auch in der Politik scheint sich einiges zu bewegen. Die SPD reiht sich mit ihrem Bildungspapier in die Schar mit Vorschlägen ein und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprechen sich für die neunjährige Schule für alle nach dem Modell Finnland aus.

Wir vom SSW sagen: „Willkommen im Klub!“ Wir brauchen nicht nach Finnland zu reisen, um zu sehen, wie unser Schulsystem künftig gestaltet werden

kann. Wir vom SSW sagen: Wir können nach Eckernförde, nach Husum und bald nach Leck fahren, denn dort gibt es ungeteilte Schulen der dänischen Minderheit.

(Beifall beim SSW)

Wir können auch nach Schafflund oder Rieseby fahren, denn dort gibt es sechsjährige Grundschulen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wer bei uns das Gymnasium besuchen will, tut dies nach der 6. Klasse, hat aber auch nach der 8. Klasse noch die Chance, von der Realschule auf das Gymnasium zu wechseln.

Ich habe mir erlaubt, etwas detaillierter auf die Strukturen des Schulwesens der dänischen Minderheit einzugehen, weil ich es satt habe, dass jeder Versuch, Strukturen im Bildungswesen zu ändern, fast mit dem Untergang des Abendlandes gleichgestellt wird. Ich wünsche mir manchmal auch in Bildungsdiskussionen, dass man, wenn man sich um eine historische Perspektive bemüht, daran denkt, in der ersten deutschen demokratischen Republik, in der Weimarer Republik, in Sachen Bildung viel weiter war als 1945.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich vermisse diese demokratische Dimension und diese demokratische Perspektive in den Diskussionen sehr oft.

Daher noch einmal: Eine „ungeteilte“ Schule führt nicht automatisch zu einer besseren Schule. Das ist klar. Es ist der erste Schritt in eine bessere Bildung, der zu weiteren Schritten führen kann und führen muss. Wir wollen - das sage ich ganz deutlich - keine Ideologisierung der Bildungspolitik. Unsere Erfahrung besagt aber, dass man sich schneller, flexibler und viel genauer auf unterschiedliche Schüler und Schülergruppen - ich verweise noch einmal auf die Debatte zu PISA - einstellen kann. Das kommt den Begabten zugute und lässt die Schwachen nicht im Stich.

Nun zum zweiten Teil des FDP-Antrags. Der geht schon ziemlich ins Detail. Im Prinzip steht dort noch einmal alles aufgereiht, wofür sich die FDP einsetzt. Auch hier gilt, dass weder den Hochschulen noch den Studierenden nur mit Eliteförderung allein geholfen ist. Auch hier sind Strukturänderungen vonnöten.

Ich hatte letzthin ein Gespräch mit einer jungen Studierenden, die in Sønderburg studiert hat. Von ihr weiß ich, dass es schon ein Fortschritt wäre, wenn wir

(Anke Spoorendonk)

in Deutschland eine ebenso großzügige Stipendienlandschaft hätten wie in unserem nördlichen Nachbarland.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt zwar auch in Deutschland Stipendien, doch hier sind diese im Vergleich rar gesät und Informationen über die vorhandenen sind nicht eben leicht zugänglich. Nördlich der Grenze gibt es eine regelrechte Stipendienkultur. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Privatpersonen stiften in Dänemark Fonds, aus denen Stipendien finanziert werden. Regelmäßig erscheint eine neue Ausgabe eines ziemlich ausführlichen Stipendienwegweisers mit bis zu 2.600 Stipendien. Doch es ist heutzutage kaum noch nötig, sich diesen Wälzer zu besorgen. Im Internet gibt es Suchmaschinen, in die man lediglich sein Profil eingeben muss, um eine maßgeschneiderte Auswahl von Stipendien genannt zu bekommen. Bei denen muss man sich dann lediglich noch bewerben.

So etwas wäre bei uns wünschenswert. Daher sollte die Zugänglichkeit der vorhandenen Stipendien nochmals unter die Lupe genommen werden. Ich kann jedem empfehlen, das einmal zu versuchen. Versucht das einmal und ihr seht, dass es viel einfacher gesagt als getan ist. Nur dadurch bekämen auch deutsche Studierende die Möglichkeit, einen Zuschuss zu ihrem Studium zu bekommen.

Bei der staatlichen Förderung brauchen wir statt der immer wiederkehrenden Diskussionen über Studiengebühren oder Studienkonten einen wagemutigeren Schritt bis hin zu einem elternunabhängigen BAföG. Ich weiß, ich erzähle Ihnen nichts Neues.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten I- rene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich bleibe dabei, dass sich diese Strukturänderung volkswirtschaftlich gesehen auszahlen wird. Bildung muss für jeden bezahlbar sein, der sich für weitergehende Bildung entscheidet. Nur so können wir mehr Hochschulabsolventen verzeichnen, an denen es bekanntermaßen in Deutschland fehlt. Laut OECDUntersuchung entscheiden sich nur circa 30 % eines Altersjahrgangs für ein Studium. Das ist im Vergleich mit den OECD-Nachbarländern wenig, bei denen es ungefähr um die Hälfte mehr sind.

An den Universitäten ist schon einiges geschehen, was zur allgemeinen Verbesserung der Situation führen soll. Ich denke auch an das, was mit der Überschrift „Erichsen-Kommission“ umschrieben werden

kann. Man darf nicht vergessen, dass es einen Reformprozess gibt.

Wir finden es daher wichtig, dass nun Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sowohl der breiten Masse als auch der Elite helfen und die einer Spitzenförderung bessere Möglichkeiten geben. Dies sieht auch die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Frau Ahnen, so. Sie sagte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir brauchen in Deutschland beides, Spitzen- und Breitenförderung.“ Sie betonte aber auch, dass die geplanten Eliteuniversitäten nicht zulasten der Masse der Studierenden gehen dürften. Deshalb sieht sie es als falsch an, dass der Bund die Mittel für die Hochschulen zurückgefahren hat. Dem kann ich mich wirklich nur anschließen. Für bedenklich halte ich daher auch die Pläne der Bundesregierung, sich in Zukunft nur um die Elite oder die Spitze kümmern zu wollen, während sich die Länder auf den Hochschulbau beschränken sollen.

Die Hochschulen selber - ich sagte es bereits - sind generell für Verbesserungsvorschläge offen, solange sie sinnvoll sind. Es ist doch offensichtlich, dass einige Hochschulen sogar schon in den Startlöchern stehen und nur noch auf den Startschuss zu vernünftigen Reformen warten. In einigen Ländern haben Hochschulen sogar schon damit angefangen, Graduiertenschulen einzurichten, um die Abwanderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ins Ausland zu verhindern. In Schleswig-Holstein haben wir Zielvereinbarungen mit den Hochschulen getroffen. Aus ihrer Richtung kommen auch Vorschläge zu weiteren Reformen. So äußerte sich der Rektor der CAU zu der Möglichkeit, dass sich Hochschulen ihre Studierenden auswählen, eher abweisend. Er schlug stattdessen vor, dass man alle Bewerber zulässt, ihre Entwicklung aber während des ersten Studienjahres mit Prüfungen begleitet.

(Glocke der Präsidentin)

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ja, ich komme jetzt zum Schluss. - Das ist nur ein Vorschlag, er signalisiert aber die Bereitschaft zur Diskussion. Diese Bereitschaft zur Diskussion sollten wir wahrnehmen. Wir sollten uns darauf einlassen.

Man könnte vom Hundertste ins Tausendste kommen. Das hilft alles nichts. Erst müssen Reformen im Bildungswesen her, damit sich die Situation für alle

(Anke Spoorendonk)

Studierende verbessert. Dann wird man auch eine bessere Spitzenforschung hinbekommen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Mir liegen noch zwei Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung vor.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe meine Redezeit noch nicht ausgenutzt!)

- Dann erhält zunächst im Rahmen der Redezeit der Fraktion der Grünen Frau Abgeordnete Birk das Wort.

Ich hätte gern auf die Argumente von Herrn Klug geantwortet, die er jetzt sicherlich vortragen wird. In den Debattenbeiträgen hat eine Reihe von Hochschulstrukturüberlegungen eine Rolle gespielt. Darauf möchte ich eingehen. Sie haben sicherlich wahrgenommen, dass sich Rot-Grün im Bundestag vereint sehr für die Weiterführung einer föderalistischen Hochschulbauförderung stark gemacht haben. Allerdings - da setze ich sehr auf Sie, Frau ErdsiekRave, weil Sie die Ministerinnen und Minister in Bildungsfragen auf europäischer Ebene vertreten - müssen wir zu einem überschaubareren, transparenteren und auch für die Landtage nachvollziehbareren Verfahren kommen. Wir finden häufig vor, dass sich Schlüssel verändert haben. Wir müssen dann nachvollziehen, ob es mehr oder weniger Geld ist, und zwar in häufig nicht geringer Höhe.

Wir wissen oft nicht, warum es zu der Südlastigkeit kommt, die Sie beschrieben haben. Ich denke, das hat nicht nur viel damit zu tun, dass wir aktuell besser oder schlechter sind. Das hat einfach mit der Geschichte zu tun, in der bestimmte Mehrheiten in bestimmten Bundesländern - sei es zurückgehend auf alte Fürstentümer und die baden-württembergischen oder sonstigen Schlösser und entsprechende Hochschulen - bestimmte Institutionen in Deutschland traditionell gut ausgestattet haben, die darauf aufbauend Spitzenforschung etablieren konnten.

Wir befinden uns längst nicht mehr im Feudalismus. Insofern sollten wir solche Strukturen nicht festigen, sondern im Sinne länderübergreifender Gerechtigkeit auch unter Hinzuziehung der neuen Bundesländer ausgleichen. Das ist eine Zukunftsaufgabe. Sie hat etwas mit Organisation zu tun. Ich gebe Ihnen Recht, dies hat nicht nur etwas mit Organisation zu tun. Dies

anzupacken, erfordert viel Mut. Frau Simonis, vielleicht kommen wir in der Föderalismusdebatte ein Stück weiter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weiter ist die Frage, wie sich die Hochschulen intern organisieren. Da gilt besonders meine Aussage: Elite fördern ja, aber nicht elitäres Verhalten fördern. Ich glaube, viele Hochschulen haben sich auf den Weg gemacht und moderne Strukturen gefunden. Ich beobachte die jüngsten Ereignisse an der CAU. Wie mit einem sehr integrierenden und gesprächsbereiten Leiter dieser Hochschule umgegangen worden ist, lässt mich sagen: Vielleicht müssen wir uns die Stichworte, die ich genannt habe, nämlich dass zu Innovation auch Intellektualität, Integration und Integrität gehören, noch einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Von einer autonomen Hochschule erwarte ich, dass sie in der Lage ist, sich selbst innerlich demokratisch, transparent und auch effizient zu organisieren. Management und Demokratie müssen keine Gegensätze sein. So, wie die internen Debatten zum Teil an den Hochschulen geführt werden, hat man den Eindruck, dass dies als Schaukampf genutzt wird, um sich nicht zu verändern oder um nur das eigene Institut durchzubringen. Mit dieser Art von Kirchturmdenken müssen wir aufhören, wenn wir uns auf den Weg machen, tatsächlich die Breite wie auch die Elite zu fördern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen jetzt zu den Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung. Zunächst erhält Herr Abgeordneter Greve das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist schon deshalb wertvoll, weil der Begriff der Elite endlich wieder aus der Tabuzone der Verdächtigungen gerückt wird.

(Beifall bei der CDU)

Damit die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen mich jetzt nicht missverstehen: Das, was ich sage, sage ich ohne Häme oder gar erhobenem Zeigefinger. Wir haben in den Fragen nach den Eliten eine große Zahl von Äußerungen in der Geschichte dieser Republik, die einem Fehlschluss in Bezug auf den Begriff der Eliten unterlagen. Aus dem Kampf gegen totalitäre Eliten wurde die Verneinung jeglicher Elite. Nur einige wenige Äußerungen seien genannt: Björn Engholm schrieb in einem „Spiegel“

(Uwe Greve)

Essay zum Beispiel: „Der Begriff der Elite ist historisch besetzt. Einige wenige Beispiel verheißen Gutes, zu viele zeigen, dass Eliten keineswegs immer das Gemeinwohl im Auge und gefördert haben. Kurz ist der Weg von Elite zu elitär.“