Protokoll der Sitzung vom 19.02.2004

(Jürgen Weber)

Kompetenz aus dem Ausschuss heraus eine Position zu formulieren, die vom ganzen Haus getragen wird.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung und wir treten in die Abstimmung ein. Es geht a) um Forschung, Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/2675, und die Antwort der Landesregierung, Drucksache 15/3202. Gehe ich richtig in der Annahme, dass der Antrag gestellt worden ist, dass beide Drucksachen zur weiteren Beratung dem zuständigen Bildungsausschuss überwiesen werden sollen? - Wenn das so sein soll, darf ich diejenigen, die diesem Vorschlag folgen wollen, bitten, sich mit einem Handzeichen deutlich bemerkbar zu machen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist das einstimmig vom Hause so beschlossen.

Wir kommen zu b), Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen“, Anmeldungen zum 34. Rahmenplan für den Hochschulbau (2005 bis 2008), Bericht der Landesregierung, Drucksache 15/3206, wie von der Ministerin vorgestellt. Ich darf fragen: Reicht hier Kenntnisnahme oder muss es zustimmende Kenntnisnahme sein? Wie soll ich verfahren?

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Zur abschließen- den Beratung in den Bildungsausschuss! So haben wir es immer gemacht!)

- Dann ist das der Antrag, der rechtzeitig gestellt wurde, und zwar diese Drucksache 15/3206 zur abschließenden Beratung dem zuständigen Fachausschuss zu überweisen. Wenn ich keine weiteren Anträge sehe, frage ich, wer diesem seine Zustimmung geben will, und zwar per Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist das einstimmig vom Hause so beschlossen.

Damit ist Tagesordnungspunkt 5 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 32 erledigt.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich neue Gäste im Schleswig-Holsteinischen Landtag begrüßen, und zwar erstens von der Städtischen Handelslehranstalt Flensburg und zweitens von der Realschule Kronshagen. - Herzlich willkommen hier im Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Bildungsstandards im Schulbereich

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/3212

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/3241

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3242

Ich weise geschäftsleitend darauf hin, dass die Antragsteller der Drucksache 15/3242 in ihren Redebeiträgen darauf eingehen könnten, wie mit ihrem Antrag zu verfahren ist.

Wir treten nun in die Beratung ein. Thema sind die Bildungsstandards im Schulbereich. Wird das Wort zur Begründung der Anträge gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Der antragstellenden Fraktion der FDP bei der Drucksache 15/3212 erteile ich hiermit zunächst das Wort, und zwar in der Person Ihres bildungspolitischen Sprechers, Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Einführung von Bildungsstandards verbindet sich oft die Erwartung, damit werde das Bildungsniveau an deutschen Schulen gesteigert oder jedenfalls ein deutlicher Beitrag zu diesem Ziel geleistet. Die Kultusministerkonferenz hat im Dezember letzten Jahres solche Standards für den mittleren Bildungsabschluss in den Fächern Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache definiert. Die bis dahin eher abstrakte Diskussion über Bildungsstandards ist damit jetzt in das Stadium der Konkretisierung eingetreten. Vor diesem Hintergrund lässt sich jetzt auch besser bewerten, worin die Funktion und die Wirkung solcher Bildungsstandards liegen könnten.

Die Vorschusslorbeeren für diese Innovation sind nach unserer Überzeugung nur dann zu rechtfertigen, wenn damit Mindeststandards festgelegt werden, also eine Untergrenze, die nach Möglichkeit übertroffen werden sollte und die zudem individuell auch vor dem Zielzeitpunkt erfüllt werden kann. Falls Bildungsstandards jedoch so verstanden würden, dass daraus ein Einheitslehrplan resultierte, der zum Beispiel im 10. Schuljahr dann an allen Schulen gleichartige Unterrichtsinhalte zur Vorbereitung auf den mittleren Bildungsabschluss vorschreibt, dann ginge der Schuss eindeutig nach hinten los.

Ich will in diesem Zusammenhang aus einem Artikel im „Berliner Tagesspiegel“ den Leiter des zweisprachigen John-F.-Kennedy-Gymnasiums in Berlin zitieren, der mit Blick auf die vorliegenden Aufgabenbei

(Dr. Ekkehard Klug)

spiele für Bildungsstandards im Fach Englisch Folgendes festgestellt hat:

„Für unsere Schule, wo die Kinder schon ab der siebten Klasse allen Fächern in beiden Sprachen folgen müssen, wäre es natürlich eine ganz einfache Aufgabe. Wir stellen viel höhere Anforderungen.“

In den Beispielen für das Fach Englisch - also Standards für den mittleren Bildungsabschluss im Fach Englisch -, die man sich mittlerweile auch auf der Website der Kultusministerkonferenz ansehen kann, findet man Aufgaben zum Verständnis von Telefonansagen, Hotelprospekten, Klappentexten von Büchern, Reservierungsinformationen oder zur Abfassung von Leserbriefen an Jugendmagazine, Inhalte, die also sehr stark auf die alltägliche Kommunikation in der Fremdsprache Englisch ausgerichtet sind. All das ist sicherlich hilfreich und trägt bei zur Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit der Schüler in dieser Fremdsprache, aber auch an schleswigholsteinischen Schulen wird heute bis zum Ende des 10. Schuljahres vielfach ein deutlich höheres Niveau erreicht, werden anspruchsvollere Texte gelesen und interpretiert.

Die derzeitige Vorsitzende der KMK, Kultusministerin Doris Ahnen aus Rheinland-Pfalz, hat am 4. Dezember in der „Tageszeitung“ erklärt, nach Einführung der Bildungsstandards müssten „die Lehrpläne sukzessive angepasst werden“. Bei uns im Landtag hat Frau Erdsiek-Rave am 11. Dezember in der Aussprache über das Thema gymnasiale Oberstufe gesagt, auch die Gymnasien müssten sich künftig an den Standards für den mittleren Bildungsabschluss orientieren. Falls dies nicht im Sinne von Mindestvorgaben verstanden wird, sondern im Sinne eines Standardkurrikulums für alle Schulen, ergibt sich daraus logischerweise nach dem, was ich erläutert habe, für viele Schulen eher eine Niveausenkung als eine Niveausteigerung, dann wäre die ganze Veranstaltung „Bildungsstandards“ nichts anderes als eine logische Vorstufe zum SPD-Ziel eines gemeinsamen Unterrichts bis zur 10. Klasse einschließlich, also des Ziels der Einheitsschule bis zum Abschluss der Sekundarstufe 1, wie gesagt, mit einem gemeinsamen Unterrichtsprogramm unter gleichartigen Anforderungen. Das wäre die logische Konsequenz.

Wie das vorhin erwähnte Berliner Beispiel deutlich macht, haben aber erfreuerlicherweise viele Schulen eigene Schulprofile entwickelt, sind auch zu einer Schwerpunktbildung in bestimmten Fächern oder Fächerbereichen gekommen. Wären diese Schulen künftig gezwungen, ihre Schüler auf standardisierte Abschlussprüfungen vorzubereiten - das sage ich an

die Adresse der CDU -, dann würden solche spezifischen Leistungsprofile etwa von Gymnasien oder von Schulen, die den Schwerpunkt im Bereich Naturwissenschaft haben, tendenziell abgeschliffen. Auch die CDU ist, wie der vorliegende Änderungsantrag der Union deutlich macht, vor solchen Tendenzen nicht gefeit, auch wenn die Union den Traum von der großen Einheitlichkeit der Bildung separat für die einzelnen Schularten träumt.

Die liberale Position unterscheidet sich von allen Denkrichtungen - den linken wie den konservativen -, die auf Einheitlichkeit und Gleichheit zielen. Aus unserer Sicht machen Bildungsstandards generell nur dann Sinn, wenn sie als Mindestvorgaben gedacht sind und verstanden werden.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wer über sie hinausgehen kann, den darf die Bildungspolitik nicht durch ein neues Regelungskorsett daran hindern.

Ich beantrage die Überweisung aller vorliegenden Anträge an den Bildungsausschuss.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile jetzt ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PISAStudie ist eine Leistungsstudie, deren Ergebnisse unabhängig vom Schulsystem und von der Schulform am Output gemessen wurden.

Die nationalen Bildungsexperten hierzulande waren beim Start der Studie aufgrund der Vielschichtigkeit der Systeme skeptisch, ob so etwas in den OECDLändern gelingen könnte. Gleichwohl führten auch wir in der Bundesrepublik schon eine Qualitätsdiskussion, die sich im Wesentlichen aber am notwendigen Input und an den festen Strukturen der Schularten orientierte. Die Methode der schulformunabhängigen Ermittlung von Kompetenzstufen der Schülerinnen und Schüler eines Altersjahrgangs war für uns also in der Tat neu. Die Ergebnisse der Studie waren teilweise ebenso überraschend wie bedrückend.

Die föderale Eigenständigkeit des bundesdeutschen Bildungssystems kennt zwar das Dach der KMK - also Absprachen über Rahmenprogramme und die gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen -, alles was dabei aber veranstaltet wird, läuft unter der Vorgabe der Harmonisierung der föderalen Struktu

(Dr. Henning Höppner)

ren. Erst unter dem Druck der PISA-Ergebnisse begann auch in der KMK die Diskussion über die am Output orientierte Steuerung unseres Bildungssystems. Zugleich veranlasste uns die Studie, in jene OECD-Länder zu schauen, die besser als wir abgeschnitten haben und in denen das Abfragen von Bildungsstandards Systembestandteil ist.

Da ist zuerst das Vereinigte Königreich mit einer ausgesprochen bunten Schullandschaft aus öffentlichen und freien Trägern zu nennen. Die Freiheit eines eigenständigen pädagogischen Weges und Konzeptes der Schulen in Großbritannien unterliegt dort einer konsequenten jährlichen oder zweijährlichen staatlichen Standardüberprüfung durch das so genannte Office for Standards in Education. Die Überprüfung von Bildungsstandards wird in den Ballungsräumen in Großbritannien nicht nur als Instrument zur Qualitätssicherung, sondern auch als Teil eines Wettbewerbs der Schulen untereinander betrachtet. Auch die Darstellung der Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Schulen gegenüber den privaten Schulen spielt dort eine starke Rolle.

Anders sieht es in Skandinavien aus. Dort sind Bildungsstandards Teil eines auf die individuelle Förderung des einzelnen Schülers ausgerichteten Qualitätskonzeptes. Bildungsstandards sollen der Überprüfung und der Festlegung dienen, welche Ausbildungskompetenzen eine Schülerin oder ein Schüler am Ende eines Ausbildungsabschnitts erworben haben muss.

(Jürgen Weber [SPD]: Genauso ist das!)

Daran orientiert werden sich nach den Vorstellungen der KMK nationale Bildungsstandards entwickeln müssen. Sie werden sich aber von denen in der PISAStudie durchaus unterscheiden. In der PISA-Studie sah das Untersuchungsdesign - so nannte man es dort selbst - zum Beispiel keine Stichproben von Neuntklässlern, sondern eine stichprobenartige Untersuchung der Alterskohorte der 15-Jährigen vor.

Zu den Anträgen. Beide Oppositionsfraktionen legen hier eine mehr oder minder starke Abkehr von dem Untersuchungsdesign der PISA-Studie vor. Die FDP schlägt die Einführung von Mindeststandards vor, die nach Möglichkeit überschritten und individuell auch vorzeitig erfüllt werden können. Sehr verehrter Kollege Dr. Klug, ich hatte Ihren Antrag eigentlich so verstanden, dass das ständig von Ihnen formulierte Anliegen der Förderung leistungsstarker Schüler wieder im Vordergrund stehen soll. Sie haben mich eben, als Sie ausführten, was Sie vorhaben, aber eines Besseren belehrt. Für die Erfüllung eines solchen Anliegens - wie gesagt: es geht um die Erreichung höherer Kompetenzen durch die Förderung von Bildungsstarken - könnten wir uns durchaus erwärmen.

Das von Ihnen beschriebene Verfahren würde aber voraussetzen, dass konsequent alle Vorjahrgangsstufen in ein solches Überprüfungsverfahren einbezogen werden, um eine vorzeitige Erfüllung von Bildungsstandards feststellen zu können. Ich denke, das wäre ein sehr aufwendiges Verfahren.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ist auch nicht nötig!)

Was die CDU mit den Bildungsstandards vorrangig erreichen möchte, ist genauso offensichtlich. Sie wollen - das haben Sie in Ihrem Antrag ordentlich formuliert - schulspezifische Bildungsstandards und -vergleichsarbeiten. Was dabei herauskommen kann, ist ebenso deutlich. Es ist nämlich im Wesentlichen die Darstellung des Leistungsvermögens einer Schülerin oder eines Schülers in seiner Schulart. Anders definiert: Die Schülerinnen und Schüler erkennen nur, welche Kompetenzstufe sie in ihrer Schulart erreicht haben. Das wäre ein Verfahren, welches dem Geist der PISA-Studie entgegenstünde.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Im Sinne der auch von Ihnen viel beschriebenen Durchlässigkeit wollen wir feststellen, ob eine Hauptschülerin, die eine hohe Kompetenzstufe erreicht, vielleicht auch das erreicht hat, was eine gute Realschülerin und vielleicht auch eine normale Gymnasiastin erreicht haben. Wir wollen dadurch erfahren, ob diese Schülerin die Schulart wechseln kann.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich denke, wir haben diesbezüglich einen reichlichen Diskussionsbedarf. Genau wie der Kollege Dr. Klug bitte ich Sie, alle drei Anträge an den Bildungsausschuss zu überweisen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)