Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 4. Dezember letzten Jahres hat die Kultusministerkonferenz in einem ersten Schritt die lang erwarteten Bildungsstandards beschlossen. Diese Bildungsstandards wurden als abschlussbezogene Regelstandards für den mittleren Bildungsabschluss definiert. Das bedeutet, dass diese Regelstandards am Ende der Jahrgangsstufe 10 erreicht werden müssen.
Das heißt, die KMK möchte, dass das mittlere Anforderungsniveau in den 10. Klassen aller Schularten, die den mittleren Schulabschluss anbieten - das heißt also Realschulen, teilweise Gymnasien und nicht zuletzt auch einige berufliche Schulen -, erreicht wird.
Ich sage es hier deutlich: Das kann uns nicht befriedigen. Für uns stellt sich nämlich die Frage, ob mit diesen einheitlichen Bildungsstandards - Herr Klug hatte dies ebenfalls bereits angedacht - die Einheitsschule über die Hintertür mittelfristig eingeführt werden soll.
- Vielen Dank, Herr de Jager. - Wir stehen für ein differenziertes Schulsystem mit differenzierten und leistungsbezogenen Anforderungen, die auf jede Schulart abgestimmt sind.
- Vielen Dank. - Insofern unterscheiden wir uns natürlich diametral von der linken Seite dieses Hauses, die erst zögernd, jetzt aber immer lauter die Einheitsschule propagiert.
Ich bedauere deshalb sehr, dass sich die Minister der unionsgeführten Länder mit ihrer Forderung nach schulartbezogenen Bildungsstandards innerhalb der KMK nicht durchsetzen konnten.
Dennoch eröffnen die Vereinbarungen der KMK über die Regelstandards den Ländern eigene Gestaltungsspielräume. Herr Höppner, man darf sich nicht nur die Presseveröffentlichungen anzuschauen, sondern muss sich speziell auch die Vereinbarungen ansehen.
Sie sind nämlich nur ein gemeinsamer Rahmen für die Kompetenzerwartungen, über den hinaus die einzelnen Länder unterschiedliche Profile im Bereich des Schulwesens ableiten können. Auch wir als CDU finden diese Möglichkeit - vielleicht im Unterschied zu Ihnen - sehr wichtig. Aus diesem Grund unterstützen wir den Antrag der FDP, gemäß dem diese Bildungsstandards als Mindeststandards festzulegen sind, ausdrücklich.
Wir wollen den Schulen einerseits feste Regelungen an die Hand geben, aus denen hervorgeht, was mindestens erreicht werden muss. Andererseits wollen wir ihnen aber auch die Möglichkeit eröffnen, über diese hinauszugehen und von ihren Schülern mehr oder anderes zu verlangen. Das ist im Bereich der Gymnasien durchaus heute schon üblich und im Bereich der Realschulen und der Berufsfachschulen auch Usus. Wir wollen natürlich Bildungsstandards nicht nur per se und an sich, sondern auch, damit die Ausbildungsbetriebe wissen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die Absolventen des mittleren Bildungsabschlusses mindestens aufweisen müssen.
Die Vereinbarungen der KMK gehen noch ein Stück darüber hinaus. Herr Dr. Klug, auf der Basis dieser Mindeststandards - wie gesagt, auch entsprechend der KMK-Vereinbarung - soll zudem durch landesweite oder Länder übergreifende zentrale Vergleichsarbeiten festgestellt werden, ob und in welchem Umfang die Standards erreicht werden, sodass auch rechtzeitig - das steht ausdrücklich drin - Fördermaßnahmen eingeleitet werden können, um den geforderten Abschluss doch noch erreichen zu können. Wir wollen diese Chance nutzen. Es entspricht nämlich unserem Verständnis von Vergleichbarkeit, dass diese Mindeststandards in den Fächern Deutsch, Mathe und einer Fremdsprache auch Teil der Abschlussprüfung für den mittleren Bildungsabschluss sein müssen. Es entspricht auch unserem Verständnis von Vergleichbarkeit, Transparenz und Bildungsgerechtigkeit, dass die Abschlussprüfung - und dazu gehören eben auch Teile des mittleren Abschlusses - auf zentralen Aufgabenstellungen beruhen müssen.
Die Vereinbarungen der KMK eröffnen diese Möglichkeiten. Schleswig-Holstein sollte sich nicht mit den in der KMK im Kompromiss erreichten Bildungsstandards für den mittleren Bildungsabschluss zufrieden geben, sondern die Möglichkeiten, die eröffnet werden, auch nutzen.
Fördern und fordern, Vergleichbarkeit der Anforderungen und Transparenz der Ergebnisse sind wesentliche Voraussetzungen für die weitere schulische und berufliche Ausbildung unserer Jugendlichen in Schleswig-Holstein. Dafür steht die CDU in diesem Land.
Frau Erdsiek-Rave, ich verzichte auf eine Antwort auf das regierungsamtliche Wahlkampfpamphlet der Ministerpräsidentin und der Bildungsministerin in den „Kieler Nachrichten“ vom 17. Februar 2004. Es zeigt mir und der CDU nur, wie dünnhäutig Sie in der Zwischenzeit geworden sind.
Ich empfehle, meine Damen und Herren von der linken Seite des Hauses, stattdessen die Untersuchung des Landeselternbeirates für Grund-, Haupt- und Sonderschulen zu lesen, eine Pressemitteilung vom 12. Februar 2004. Die so genannten Wohltaten des Bildungsministeriums entpuppen sich nämlich als reine Schaumschlägerei. Nicht einmal die verlässliche Grundschule kriegen Sie richtig hin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtige an dieser Debatte ist: Wir sollten Bildungsstandards so nutzen, wie sie in anderen Ländern genutzt werden. Sie dürfen auf keinen Fall ein Ausleseinstrument werden.
Insofern möchte ich auch von unserer Seite aus gern auf die Fragen von Mindeststandards und Kompetenzstufen eingehen. In den skandinavischen Ländern haben die Schulen große Autonomie, aber zur Sicherung ihrer Qualität gibt es landesweite Bildungsstandards, die in PISA-ähnlichen Testverfahren dort schon lange erhoben werden und sich internationalen Vergleichen stellen. Nach den Ergebnissen der PISAStudie ist Deutschland also dringend und gut beraten, solche Standards in Kernbereichen des Lernens festzulegen.
In diesem Sinne handelt es sich natürlich zunächst einmal um Mindeststandards über das, was in einem bestimmten Lebensalter Schülerinnen und Schüler können sollten und wie sie ihre Fähigkeiten praktisch einsetzen können. Mit einer solchen Praxis tut sich aber unser bundesdeutsche ständisch organisierte Schulsystem schwer. So konnte bisher in der Kultusministerkonferenz lediglich ein Kompromiss erreicht werden. Immerhin: Es wird schulstufen- und nicht schulartenspezifische Bildungsstandards geben. Das ist ein großer Fortschritt.
Allerdings - und damit kommen wir auf die länderspezifischen Unterschiede - könnte in der Praxis drohen, das Bildungsstandards nur bei denjenigen über
prüft werden, die die Schule mit einem bestimmten Abschluss verlassen wollen. Ein Beispiel: Nur diejenigen, die die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium mit einem Hauptschulabschluss verlassen wollen, würden sich an diesem Standard messen müssen. Oder es käme zu einem noch absurderen Ergebnis - was die CDU-Fraktion vorgeschlagen hat -, dass nämlich jede Schulart ihre eigenen Standards entwickelt. Das wäre wirklich nur noch mit der Einführung - ich weiß nicht - der Klassen- oder der Ständeschule zu vergleichen, wie wir sie irgendwann vor 100 Jahren einmal hatten.
Es kann doch nicht sein, dass Sie sagen, Sie wollten Schülerinnen und Schüler an schulartenspezifischen Standards messen. Wir wollen doch wissen, was 15Jährige, was Zehnjährige oder meinetwegen auch Fünfjährige können. Das wollen wir dann doch auch nutzen, um jedem Kind ein Optimum an Förderung zu geben und nicht, um sie in eine bestimmte Schulart einzusortieren.
Wir wollen allerdings auch, dass diese Bildungsstandards eine Aussage über die jeweilige Schule machen. Es soll also nicht der einzelne Schüler oder die einzelne Schülerin damit bestraft oder belohnt werden, was sie können oder nicht können, sondern es soll ein Messinstrument über die Qualität des Schulsystems und der Schule sein. Das ist etwas, was wir immer wieder betonen müssen. Nur so können die Tests gestaltet sein. Es hat überhaupt keinen Sinn, Lehrpläne zu entwickeln, in denen sozusagen die Testfragen geübt werden. Das wäre ein völliges Missverständnis dessen, was diese Tests erstens aussagen sollen, und zweitens dessen, was selbstständiges Lernen bedeutet. Es kann auf gar keinen Fall sein, die Aufgaben vorher mit kleineren Variationen zu üben und später nur das Auswendiggelernte abzufragen.
Ich komme jetzt zu den Kompetenzstufen. Es ist üblich, die Aufgaben und Ergebnisse nach Kompetenzstufen zu ordnen. Auf diese Weise haben wir auch erfahren, dass ein Viertel der 15-Jährigen hierzulande keine ausreichende Lesekompetenz besitzt, um ihnen vorgelegte einfache Texte praktisch umzusetzen, das heißt also nicht nur die Buchstaben zu verstehen, sondern auch zu wissen, was damit gemeint ist. Wenn nun allerdings zukünftig Bildungsstandards in der 4. Klasse unter Beibehaltung unseres dreigliedrigen Schulsystems eingeführt werden und nach Kompetenzstufen die Kinder in Hauptschule, Realschule oder Gymnasium sortiert, dann hätten wir der Bil
dungsstandarddiskussion einen Bärendienst erwiesen. Insofern ist es uns sehr wichtig, dass diese schulstufenbezogenen Standards für das genutzt werden, für das sie eingeführt werden, und nicht über die Hintertür etwas anderes dabei herauskommt, als die Einführung intendiert.
Insofern trägt die Kultusministerkonferenz eine große Verantwortung dafür, ob Deutschlands Bildungswesen endlich den Anschluss an international vergleichbare Bildungsstandards und moderne schülerzentrierte Lernmethoden findet oder zu unserem bisherigen Prüfungs- und Auslesesystem nur ein weiteres hinzugefügt wird. Vor diesem Hintergrund, finde ich, ist eine gründliche Debatte im Ausschuss notwendig. Wir können natürlich als Bundesland auch die Chance, die uns diese Debatte bietet, endlich nutzen, um nach vorn weisende Modellversuche, eine nach vorn weisende Praxis zu üben. Ich bin sehr froh darüber - das schlägt den Bogen zur vorherigen Debatte -, dass wir mit dem Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften auch kompetente Ansprechpartner hier im Land haben.
Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Sprecherin, Frau Anke Spoorendonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Eisenberg, die Diskussion um die von der KMK vorgeschlagenen Bildungsstandards in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache zeigt - und wen wundert das eigentlich -, dass auch diese Diskussion, die eher unter Experten geführt wird, nicht im luftleeren schulpolitischen Raum stattfindet. Ich denke, die vorliegenden Anträgen bestätigen dies allemal.
Für den SSW ist die Entwicklung und die Einführung von Bildungsstandards dann eine begrüßenswerte Weiterentwicklung unseres Schulsystems, wenn sie in einen klaren Kontext eingeordnet wird. Darunter verstehe ich unter anderem, dass in einem demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozess die übergeordneten Ziele festgelegt werden, an denen sich das Bildungssystem insgesamt zu orientieren hat. Standards geben dann an, welche Fähigkeiten unter dieser Zielsetzung möglichst alle Schülerinnen oder Schüler erwerben sollen. In Schweden hat man zum Beispiel den Bildungsstandards eine Präambel vorangestellt. Sie lautet - ich zitiere nur den Anfang -:
„Alle Schüler haben das Recht, die Unterrichtsziele des schwedischen Schulsystems zu erreichen. Die Kinder und Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten haben, haben ein Recht darauf, die Hilfe und Unterstützung zu erhalten, die sie brauchen.
Die Schulen haben eine besondere Verantwortung sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler die Ziele erreichen. Aus diesem Grund muss der Unterricht so gestaltet sein, dass er den Bedürfnissen jedes einzelnen Schülers entspricht.“
Wer dies als Lyrik abtut, hat nicht verstanden, dass die Einführung von Bildungsstandards nicht zuletzt an den Defiziten des deutschen Schulwesens zu messen ist. Das soll heißen: Bildungsstandards dürfen nicht als Ersatz für den Nürnberger Trichter begriffen werden. Sie dürfen nicht so begriffen werden, dass sie sozusagen automatisch zu einer Verbesserung von Schule und schulischen Leistungen führen. Sie müssen in ein Gesamtkonzept von Schulentwicklung eingebettet sein.