Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

Meine Fraktion hat sich ein Jahr lang mit Kommunalpolitikern aus fast allen Kreisen Schleswig-Holsteins zusammengesetzt, die Aufgaben der verschiedenen Ebenen analysiert und daraus ein Konzept für eine Verwaltungsstrukturreform vorgelegt. Wir schlagen vor, die Ämter und kleineren selbstständigen Gemeinden zu Amtsgemeinden zusammenzufassen, die mindestens ungefähr 20.000 Einwohner umfassen sollen und einen direkt gewählten Bürgermeister an der Spitze haben. Diese Gemeinden können dann alle Aufgaben der jetzigen Kommunen und einen großen Teil der Aufgaben der Kreise und Zweckverbände übernehmen, und zwar von der KFZ-Anmeldung über das Bauamt, vom Jugendamt bis zur Schulträgerschaft. Es gibt also ein Amt für alle Angelegenheiten und alle Aufgaben, die den Bürger betreffen. Das ist wirklich bürgerfreundlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schlagen weiter vor, innerhalb der Amtsgemeinden die kleinen Gemeinden beizubehalten. Diese heißen dann Ortsgemeinden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Günther Hildebrand [FDP]: Oder Festaus- schuss!)

Sie sollen für die Aufgaben zuständig sein, die vor Ort gelöst werden können. Das betrifft die Kindergärten, die Feuerwehren, das Dorfgemeinschaftshaus und so weiter, denn das ehrenamtliche Engagement ist uns wichtig und soll erhalten bleiben. Dieses Modell haben wir uns nicht am grünen Tisch ausgedacht. Die

(Karl-Martin Hentschel)

ses Modell gibt es bereits in Rheinland-Pfalz und wird dort mit großem Erfolg gelebt.

Wir schlagen weiterhin vor, die Kreise und kreisfreien Städte zu vier bis fünf Regionen zusammenzufassen. Eine dieser Regionen könnte die K.E.R.N.Region sein, eine andere der Landesteil Schleswig, eine dritte die Region Unterelbe. In der Region sollen für die Selbstverwaltungsaufgaben gewählte Regionalversammlungen und Ländräte zuständig sein. Zu deren Aufgaben gehören dann beispielsweise die Wirtschaftsförderung, der ÖPNV und die Regionalstraßen, Abfall, Gesundheitswesen, überörtliche kulturelle und soziale Einrichtungen und die kommunale Umweltverwaltung.

Als Krönung schlagen wir vor, die Regionalplanung - also die Aufstellung der Regionalentwicklungspläne - an diese Regionen zu geben. In diesen Regionen hätten die gewählten Kreistagsabgeordneten endlich wieder über alle Aufgaben der Regionalverwaltung und des Landrates zu entscheiden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch dieses Regionalmodell haben wir nicht neu erfunden. Vor drei Jahren wurde die Region Hannover per Gesetz zu einer Region mit 1,1 Millionen Einwohnern zusammengefasst. Hannover, eine Stadt mit 600.000 Einwohnern, ist seitdem keine kreisfreie Stadt mehr, sondern eine Stadt in der gemeinsamen Region.

Wir schlagen weiter vor, alle unteren Landesverwaltungen einheitlich entsprechend diesen Regionen zu gliedern, also pro Region eine Polizeidirektion, ein Landgericht, ein Amt für Umwelt und Landwirtschaft, ein Straßenbauamt, ein Amt für Arbeit und Gesundheit, ein Katasteramt und so weiter vorzusehen. Damit hätten wir eine einheitliche Gliederung und Verwaltungsstruktur im Lande und klare Ansprechpartner für die Kommunen.

Meine Damen und Herren, wir verstehen unseren Vorschlag nicht als fertiges Konzept, das wir den Bürgern Schleswig-Holsteins überstülpen wollen, sondern als einen Vorschlag an die Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Verbände, um gemeinsam über eine sinnvolle Struktur zu diskutieren. Meine Erfahrung aus zahlreichen Diskussionen mit Kommunalpolitikern, Vertretern der Verwaltungen und Bürgerinnen und Bürgern im letzten Jahr ist überraschend positiv.

Auf Fehmarn haben sich 60 % der Bürgerinnen und Bürger für einen Zusammenschluss ausgesprochen, obwohl dadurch die Eigenständigkeit der Kommunen verloren ging. Ich bin sicher, dass sich für eine Amts

gemeinde mit Erhalt der Ortsgemeinden noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger in Fehmarn ausgesprochen hätten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf Sylt haben 75 % der Bürgerinnen und Bürger für einen Zusammenschluss votiert. Davon haben sich 50 % für eine einheitliche Kommune und 25 % für den Zusammenschluss in einem Amt ausgesprochen. Ich vermute, dass sich für das Modell einer Amtsgemeinde mit einheitlicher Verwaltung und einem direkt gewählten Bürgermeister unter Beibehaltung der Ortsvertretungen mindestens diese 75 % ausgesprochen hätten.

Auch beim Zusammenschluss meiner Heimatgemeinde Heikendorf mit Schönkirchen und Mönkeberg stellt sich genau dieses Problem. Das neue Amt hat zwar eine gemeinsame Verwaltung, aber keine demokratisch gewählte Vertretung und keinen direkt gewählten Bürgermeister mehr.

Deswegen unterstützen wir den gemeinsam mit der SPD eingebrachten Antrag, neue Formen der freiwilligen Zusammenschlüsse von Gemeinden in die Kommunalverfassung einzubringen.

Die vom SSW vorgeschlagene Übertragung des Eutiner Großgemeindemodells auf das ganze Land halte ich nicht für eine gute Lösung, da dann die so genannten Dorfschaften nur noch den Status von Ortsbeiräten hätten. Das reicht uns nicht aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich begrüße aber den Vorschlag des SSW, die Reform zügig bis zur Kommunalwahl 2008 durchzuführen. Ich würde mich freuen, wenn sich auch die großen Fraktionen für ein zügiges Reformtempo entscheiden könnten.

Als ersten Schritt zur Regionenbildung schlagen wir vor, dass eine Region wie die K.E.R.N.-Region einen Regionalverband bilden kann. Dieser sollte eine Regionalversammlung haben, die der politischen Zusammensetzung der Kreistage entspricht, und einen Vorstand, in dem die Landräte und Oberbürgermeister vertreten sind.

Ein entsprechendes Modell ist bereits in der geplanten Novelle des Landesplanungsgesetzes vom Innenministerium angedacht. Solchen Regionalverbänden könnte dann die Regionalplanung übertragen werden.

Meine Damen und Herren, Klaus Schlie

(Klaus Schlie [CDU]: Hier!)

hat angesichts der Ankündigung der Ministerpräsidentin, den freiwilligen Zusammenschluss von

(Karl-Martin Hentschel)

Gemeinden finanziell zu unterstützen, tatsächlich von der Zerstörung der Ehrenamtlichkeit in den Gemeinden gesprochen.

(Klaus Schlie [CDU]: Nein! Das, was Sie er- zählen, ist Unsinn!)

Es ist schon bemerkenswert: Nach 30 Jahren gescheiterter Kommunalreform, nach jahrelangen Diskussionen im Landtag und einem glasklaren Bericht des nun wirklich nicht rot-grünen Landesrechnungshofes schreit Herr Schlie Zeter und Mordio, weil ein freiwilliges Angebot gemacht wird.

Herr Schlie, wem nach 30 Jahren Stillstand beim ersten Schritt bereits vor Angst die Hose herunterrutscht, von dem ist nicht zu erwarten, dass er die Probleme dieses Landes lösen kann.

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)

Eine Partei, deren Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertreter aus Angst vor Veränderungen sogar die Mehrheit von 75 % der Bürgerinnen und Bürger auf Sylt ignorieren, die hat nicht begriffen, in welcher Lage sich dieses Land befindet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich jedenfalls bin froh, dass diese Regierungskoalition den Mut hat, auch ein Jahr vor der Wahl dieses unbequeme Thema anzupacken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines machen der vorliegende Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch die Vorschläge von Ministerpräsidentin Heide Simonis zur Förderung der interkommunalen Zusammenarbeit und zum Zusammenschluss von Kommunen überdeutlich: Auch die Bedenkenträger und „Lordsiegelbewahrer“ der jetzigen kommunalen Struktur in SchleswigHolstein beginnen zu begreifen, dass dringender Handlungsbedarf für eine grundlegende kommunale Verwaltungs- und Strukturreform in SchleswigHolstein besteht. Jeder, der behauptet, dass die jetzige kommunale Struktur angesichts der großen Herausforderungen, vor der wir in Schleswig-Holstein stehen, so bleiben kann, wie sie ist, der streut den Men

schen aus Angst vor der Landtagswahl 2005 Sand in die Augen.

(Beifall beim SSW)

Nicht zuletzt der Bericht des Landesrechnungshofes Ende letzten Jahres hat klargemacht, dass wir uns in Schleswig-Holstein eine Kirchturmspolitik mit 1.130 Kommunen einfach nicht mehr leisten können. Die jetzige Struktur ist nicht nur ineffektiv, sie schwächt auch das kommunale Ehrenamt, da die Kommunalpolitiker in den kleinen Gemeinden kaum noch etwas bestimmen können. Seit vielen Jahren müssen wir eine Aushöhlung und einen Verlust der kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten feststellen. Sehen Sie sich einmal an, was in den kleinen Gemeinden auf der Tagesordnung zur Gemeindevertreterversammlung steht!

(Beifall beim SSW)

Das liegt auch und vor allem an der viel zu kleinteiligen kommunalen Struktur in Schleswig-Holstein. Die beiden großen Parteien scheinen aber bisher bei ihrer Grundhaltung zu bleiben, dass die notwendigen Veränderungen auf kommunaler Ebene auf dem Wege der Freiwilligkeit herbeigeführt werden sollen.

Das Beschwören der freiwilligen Zusammenarbeit stößt allerdings schnell an seine Grenzen, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass der Zusammenschluss der Stadt Fehmarn nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellt. So hat sich die Zahl der amtsangehörigen Gemeinden im Zeitraum von 1970 bis 2002 lediglich von 1.162 auf 1.026 reduziert. Entsprechend ist die Zahl der Ämter von 137 auf nur 119 gesunken. In 32 Jahren hat es also nur marginale Veränderungen gegeben. Aus unserer Sicht kann das eindeutig so nicht weitergehen. Die kommunale Struktur kann nicht im Schlafwagen erneuert werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben daher einen Änderungsantrag eingebracht, der auf der Grundlage des kommunalpolitischen Eckpunktepapiers des SSW, das auf dem Landesparteitag in Tarp beschlossen wurde, ganz konkrete Schritte zu einer kommunalen Gebietsreform für SchleswigHolstein fordert. Der SSW orientiert sich dabei am skandinavischen Begriff der Bürgernähe. Dies beinhaltet, dass Qualität, Quantität und Kosten des kommunalen Leistungsangebots sowie die autonome Entscheidungskompetenz der lokalen Gremien mit dem Begriff „Bürgernähe“ verbunden werden.

(Beifall beim SSW)

(Silke Hinrichsen)

Dabei ist es augenfällig, dass man in Dänemark vergleichsweise große kommunale Strukturen hat, die jetzt noch größer werden sollen. Trotz der größeren Einheiten behauptet aber niemand, dass die Demokratie dort weniger bürgernah als in SchleswigHolstein ist.

Größere kommunale Einheiten sichern mehr Einfluss für die Bürgerinnen und Bürger. Deshalb will der SSW, dass die bestehenden Ämter in Gemeinden zu überführen sind. Die Umwandlung von amtsangehörigen Gemeinden zu einer „Großgemeinde“ ist organisationstechnisch relativ unproblematisch: Die bisherige Verwaltungsstruktur muss lediglich in eine Gemeindeverwaltung umstrukturiert werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der heutigen Amtsverwaltung nehmen nämlich schon heute die Aufgaben der Gemeindeverwaltung wahr.