Jetzt noch einmal zur Frage des hentschelschen Theorems, von dem Sie so schön gesprochen haben, Frau Aschmoneit-Lücke. Dienstleistungssektor: Es ist in der Tat so, dass alle kleinen und großen Industrieländer von Skandinavien bis Nordamerika, die es schaffen, wesentlich mehr Arbeitsplätze bereitzustellen als wir - Skandinavien zum Beispiel 20 % mehr Arbeitsplätze pro Kopf -, diese Arbeitsplätze nicht im Industriesektor haben, sondern im Dienstleistungssektor. Diese Länder haben mittlerweile einen Anteil von Dienstleistungen und Handwerk von 80 % der Beschäftigten.
Diese Entwicklung kann nur funktionieren, wenn wir es schaffen, dass die Gelder, die wir im Ausland verdienen - es kann niemand bestreiten, dass wir im letzten Jahr Exportweltmeister waren, wir haben Geld verdient im Ausland, unsere großen Konzerne, auch wenn nicht so viel Steuern reingekommen sind -, dazu führen, dass Dienstleistungen inländisch entstehen und damit auch die Binnenkonjunktur angereizt wird. In den USA tragen gerade die vielen kleinen Dienstleistungen die Konjunktur und nicht nur die Großindustrie. Das ist das Geheimnis von erfolgreichen Volkswirtschaften, wie wir sie zurzeit erleben, die es schaffen, immer wieder neue Arbeitsplätze bereitzustellen.
Wenn wir das nicht schaffen, dann hängt das damit zusammen, dass wir eine Struktur haben, die gerade die kleinen Dienstleistungen und die Dienstleistungen im sozialen Sektor, im Umweltsektor und in anderen Bereichen, aber auch das Handwerk massiv behindert. Es ist wichtig, sich um diese Frage zu kümmern, das Steuersystem in dieser Frage zu optimieren und nicht immer nur danach zu optimieren, wie die Konkur
renzfähigkeit auf dem Weltmarkt gestärkt wird, sondern wie die Förderung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor ist. Denn die Stärkung des Dienstleistungssektors ist notwendig, damit die Binnenkonjunktur trägt. Diese Frage wirtschaftswissenschaftlich zu behandeln, ist ausgesprochen wichtig. Es ist wichtig, dass wir die Erkenntnisse, die es in der Wirtschaftswissenschaft zu diesem Thema längst gibt, endlich genügend in Politik umsetzen. Das geschieht in Deutschland zu wenig.
Frau Aschmoneit-Lücke und Herr Garg, ich bin gern bereit, mich mit diesem Thema detailliert auseinander zu setzen. Ich bin allerdings nicht bereit, dass sich - was wir hier immer wieder erleben, wenn wir über solche Fragen reden - die Debatte im Landtag auf billige Polemik beschränkt. Das ist schade. Gerade wenn Sie ein Papier des Wirtschaftsministers zur Debatte nehmen, finde ich es ausgesprochen interessant, sich mit den einzelnen Thesen auseinander zu setzen.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Ein paar Lösungen wä- ren auch nicht schlecht!)
Nun komme ich zu den Verkehrsverbindungen. Auch dort muss man sich die wirklichen Entwicklungen angucken. Alle Verkehrsprognosen gehen von dramatischen Zuwächsen in den nächsten 15, 20 Jahren aus. Tatsache ist, dass der Individualverkehr in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 8 % gesunken ist. Tatsache ist, wenn man die Tendenz der letzten fünf Jahre fortschreiben würde, dass man in den nächsten 20 Jahren zu völlig anderen Zahlen käme, als unsere Prognosen besagen. Nun mag es sein, dass die eine Prognose oder die andere Prognose richtig ist. Ich verlange nur, dass man die Zahlen einmal zur Kenntnis nimmt.
Ähnliches gilt für andere Sektoren. Wir haben einen dramatischen Anstieg im Billigflugsektor, der jetzt fortgeschrieben wird. Niemand weiß, ob das stimmt, und niemand weiß, ob die tatsächliche Kostenrelationen im Billigflugsektor überhaupt nachhaltig aufrechterhalten werden. Wenn wir eine Kerosinsteuer bekommen, wenn wir eine Mehrwertsteuer für den Flugverkehr bekommen, wie es jetzt in der EU diskutiert wird, haben wir im Flugverkehr plötzlich völlig andere Rahmenbedingungen. Wenn wir eine Maut im LKW-Verkehr und so weiter haben, kann es sein, dass wir völlig andere Rahmenbedingungen haben. Dann muss die Frage, wie sich die Flugverkehre ent
wickeln, gestellt werden. Der Flughafen Hamburg hat auch bei den jetzigen Wachstumszahlen noch für Jahrzehnte genügend Wachstumsplatz.
Deswegen glaube ich, dass die Option Kaltenkirchen nicht notwendig ist und es völlig verrückt wäre, darauf zu setzen.
Die Flughäfen Kiel und Lübeck sind hochgradig defizitär. Für Kiel ist in dem Jahr, in dem die Gutachten angestellt wurden, prognostiziert worden, dass Kiel im Jahr 2004 über 200.000 Fluggäste haben wird. Tatsächlich sieht es im Moment so aus, dass die Zahl der Fluggäste leicht über 50.000, also einem Viertel davon, liegen wird. Man muss diese Zahlen endlich zur Kenntnis nehmen. Das sage ich auch meinem Koalitionspartner. Wenn die Zahlen nur ein Viertel dessen betragen, was damals prognostiziert worden ist, als der Ausbau geplant wurde, muss man die Frage stellen, ob der Ausbau tatsächlich sinnvoll ist.
In Lübeck subventionieren wir im Grunde genommen nur einen Billigflieger, nämlich Ryanair. Ich frage mich, ob es notwendig ist, für ein privates Unternehmen wie Ryanair 20 Millionen Fördermittel des Landes zur Verfügung zu stellen, um einen Billigflieger zu subventionieren und damit aus Steuergeldern im Wesentlichen billige Urlaubsflüge zu finanzieren.
Es ist zwar nett, wenn jemand für 19 € nach Pisa fliegen kann, und ich gönne jedem, für eine Taxifahrt nach Pisa zu fliegen, aber ich sehe nicht ein, dass das eine Sache ist, die der Steuerzahler finanzieren muss.
Das hat auch nichts mit zukunftsweisender Wirtschaftspolitik zu tun. Das hat mir bisher keiner erklären können.
Meine Damen und Herren, Minister Rohwer spricht von einem gemeinsamen Leitbild für die Wachstumsregion Nord. Ich bin gegen Denkverbote über den Nordstaat. Ich bin dafür, dass man die Frage offen diskutiert, gerade wenn wir über einen Zeitraum bis 2020 sprechen. Aus meiner Sicht spricht vieles für
eine Ländertransformation, insbesondere damit eine Metropole nicht von ihrem Umland abgeschnitten wird. Es geht gar nicht um Staat oder sonst etwas, es geht einfach darum: Wir haben eine Metropole, wir haben darum liegende Länder und es gibt ständig Reibungspunkte, es gibt ständig Konfliktlinien in der Zusammenarbeit, die unabhängig von den jeweiligen Regierungen sind. Das hat nichts mit CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder sonst welcher Regierungsführung zu tun. Es ist einfach festzustellen, dass die Konstellation ungünstig ist und die Konstellation meinetwegen in Bayern mit einer Metropole München und einem Umland, die von einer gemeinsamen Landesregierung regiert werden, günstiger und effizienter ist.
Deswegen bin ich dafür, dass das auch gemacht wird. Wenn man es macht, sollte man nicht nur SchleswigHolstein und Hamburg zusammentun, sondern mindestens auch Mecklenburg-Vorpommern, damit man ein ausreichendes Gegengewicht des flachen Landes gegenüber der Großstadt hat, weil die Metropole sonst zu mächtig wird.
- Ich komme zum Schluss. - Ludwig Erhard - ich dachte, ich nehme einmal ein Zitat von einem Christdemokraten - sagte einmal:
Es ist nicht alles rosig, aber wir brauchen keine Angst vor der Zukunft zu haben. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen. Schleswig-Holstein hat eine gute Ausgangslage und seine Chancen müssen auch in schwieriger Umwelt genutzt werden. Deshalb: Schluss mit dem Jammern, lassen Sie uns die Probleme anpacken!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der SSW begrüßt, dass der Landtag heute über das Strategiepapier des Wirtschaftsministers debattiert. Das gibt uns die Gelegenheit, über die Tagespolitik hinaus langfristige Perspektiven für die wirtschaftliche Entwicklung Schleswig-Holsteins aufzuzeigen. Die Zukunft ist schwer vorauszusagen. Wichtig ist, dass die Politik bereits heute die Weichen für eine zukunftsfähige wirtschaftliche Entwicklung des Landes stellt.
Bei allen politischen Unterschieden in der Bewertung der Arbeit der Landesregierung auf dem wichtigen Feld der Wirtschaftspolitik glaube ich doch, dass wir in der Analyse der Ausgangslage weitgehend Übereinstimmung haben. Denn die vier strukturellen Faktoren, die laut Dr. Rohwer Schleswig-Holstein in besonderer Weise belasten, kann man nicht wegdiskutieren. Schleswig-Holstein hat gegenüber den europäischen Wirtschaftszentren eine sehr dezentrale Lage. Wir haben zum Teil immer noch eine veraltete Wirtschaftsstruktur. Unsere Wirtschaft wird von kleinen und mittleren Unternehmen dominiert. Wir haben immer noch zu wenig Forschung und Entwicklung im Land.
Aus Sicht des SSW füge ich hinzu, dass diese vom Wirtschaftsminister angesprochenen strukturellen Defizite noch viel stärker für den Norden des Landes und für die Westküste gelten. Daher ist es auch kein Wunder, wenn diese strukturschwachen Gebiete in punkto Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Industriedichte auch heute noch hinter dem Süden des Landes hinterherhinken. Dazu muss unterstrichen werden, dass der Landesteil Schleswig die Hauptlast bei der Verringerung der Dienstposten der Bundeswehr seit 1990 in Höhe von 30.000 Stellen zu tragen hatte, obwohl wir im Norden nur einen Bevölkerungsanteil von knapp 20 % haben.
Vor dem Hintergrund dieser schwierigen strukturellen Ausgangslage, die auch noch von kaum beeinflussbaren weltwirtschaftlichen Entwicklungen geprägt ist, kann der SSW der Aussage des Wirtschaftsministers zustimmen, dass sich die Ergebnisse der Wirtschafts- und Strukturpolitik durchaus mit anderen Bundesländern messen lassen können. Sieht man sich die Entwicklung der schleswig-holsteinischen Wirtschaftsdaten von 1991 bis 2003 an, erkennt man, dass es in wichtigen Kernbereichen einige Lichtblicke gibt. So sind die Exportquote und die Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich angewachsen. Den größten Erfolg können wir im Bereich der Nettoneugründungen verzeichnen, wo Schleswig-Holstein mit einem Anstieg von 43,6 %
Leider hat diese positive Entwicklung noch nicht dazu beigetragen, dass das größte soziale Problem dieses Landes gelöst worden ist, nämlich die viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Deshalb ist es in keinster Weise ein Trost, dass Schleswig-Holstein seit 1991 „nur“ einen Anstieg von 51 % bei den Arbeitslosen hatte, während im Bundesdurchschnitt sogar 56,8 % mehr Arbeitslose registriert worden sind.
(Die Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU] und Martin Kayenburg [CDU] unterhalten sich - Glocke des Präsidenten)
Herr Abgeordneter! Ich denke, das Abschiedstreffen für den Abgeordneten Geißler findet in der Mittagspause statt.
Die neusten Arbeitslosenzahlen für SchleswigHolstein lassen leider noch keine Trendwende erkennen. Auch bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes liegt Schleswig-Holstein definitiv leider unter dem Bundesdurchschnitt. Licht und Schatten halten sich also bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung Schleswig-Holsteins in den letzten Jahren die Waage. Das Strategiepapier des Wirtschaftsministers macht aber sehr deutlich, dass wir in den nächsten Jahren mit internationalen und nationalen Entwicklungstrends zu rechnen haben, die eine sehr große Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein darstellen. Im Papier werden acht Entwicklungstrends angesprochen, die alle weitreichende Folgen für unser Land und für unser wirtschaftliches Handeln haben werden.
Von den angesprochenen Trends möchte ich nur drei Punkte herausheben, die aus Sicht des SSW besonders wichtig sind. Erstens. Ein vielfach unterschätztes, aber für unsere wirtschaftliche Entwicklung entscheidendes Problem sind die enormen Schwierigkeiten, die der Mittelstand bei der Kapitalbeschaffung hat. In einem Artikel der „Zeit“ haben namhafte Experten vor einigen Wochen sogar behauptet, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland nicht kommt, weil die Banken zu restriktiv bei der Kreditvergabe sind. Kurzfristig mag dies eine Folge der
Gerade der Mittelstand - insbesondere in SchleswigHolstein - ist von dieser Entwicklung betroffen. Denn die meisten mittelständischen Betriebe haben eine sehr geringe Eigenkapitalquote. In Zukunft werden sie zu ihrer weiteren Entwicklung große Investitionsbeträge benötigen. Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung versucht, neue Finanzierungsinstrumente für den Mittelstand zu entwickeln. Übrigens wäre gerade die von der FDP angestrebte Privatisierung der Sparkassen in dieser Frage äußerst kontraproduktiv. Dieses Instrument sollte weiterhin als öffentliches Finanzierungsinstrument für den Mittelstand erhalten bleiben und nicht privatisiert werden.
Der aus Sicht des SSW zweite ganz wichtige Punkt, um die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern, ist die Weiterentwicklung einer hochwertigen Aus- und Fortbildungsstruktur für die Menschen in Schleswig-Holstein. Weder SchleswigHolstein noch die Bundesrepublik als Ganzes werden jemals mit den Billiglohnländern, sei es in Osteuropa, Asien oder anderswo, konkurrieren können. Wir müssen am Weltmarkt durch Qualität, Innovation oder Nischenprodukte bestehen. Wir zeigen immer wieder, dass wir das können; sonst wären wir kein Exportweltmeister. Die Exportweltmeisterschaft bezieht sich mittelbar auch auf Schleswig-Holstein, denn auch dort sind wir stärker als noch vor zehn, 15 Jahren. Das setzt gut ausgebildete und flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus, die durch lebenslanges Lernen immer auf der Höhe der neusten Entwicklung sind.