Protokoll der Sitzung vom 27.05.2004

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns liegt heute ein sehr umfassender Antrag zur Zukunft der Bahn und der Schieneninfrastruktur vor, der viele Dinge enthält, die wir auch schon in

(Lars Harms)

anderen Debatten angesprochen haben. Der Kollege Eichelberg hat das vorhin auch schon dargestellt. Deshalb glaube ich, dass wir inhaltlich sicherlich in vielen Punkten übereinstimmen. Aber je umfangreicher ein Antrag ist, desto eher ist man natürlich auch geneigt, jede Formulierung genau zu betrachten und natürlich auch noch einmal zu schauen, ob nicht hier und da noch etwas ergänzt werden kann.

Betrachten wir die Formulierungen, so wird unter Punkt 4 festgestellt, dass die Qualität des SPNV auf den Hauptstrecken - wie Lübeck-Hamburg oder KielHamburg - weiter verbessert werden muss. Dies ist sicherlich nur eingeschränkt richtig, weil nur ein Teil der Hauptstrecken genannt ist. Auch die Qualität auf den Strecken Hamburg-Flensburg und insbesondere an der Westküste muss natürlich weiter verbessert werden.

Die durch das Land Schleswig-Holstein begonnenen Ausschreibungen haben schon in einem erheblichen Umfang dazu beigetragen, dass die Qualität auf einzelnen Strecken verbessert werden konnte. Das bezieht sich allerdings nur auf das Wagenmaterial und das Personal, aber nicht auf die Infrastruktur. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass die Praxis der Ausschreibung dazu geführt hat, dass die Leistung der Verkehrsunternehmen besser geworden ist und gleichzeitig die Kosten für das Land gesunken sind. Dies ist eindeutig ein Erfolg der schleswig-holsteinischen Verkehrspolitik.

Trotzdem bleiben Wünsche offen. Was bisher fehlt, ist nämlich eine Abstimmung zwischen Fern- und Nahverkehr. Am deutlichsten wird dies in der Tarif- und Fahrplangestaltung sichtbar. Da werden verschiedene Ticketautomaten benötigt, um verschiedene Tickets unterschiedlicher Tarife lösen zu können und dann gibt es da auch immer wieder Schwierigkeiten zwischen Nah- und Fernverkehr in Bezug auf die Fahrplangestaltung.

Während der Nahverkehr als Landesaufgabe über Ausschreibungen geregelt wird, stellt sich die Finanzierung des Fernverkehrs natürlich anders dar. Da die Bereiche Nah- und Fernverkehr in der Deutschen Bahn AG in zwei unterschiedlichen Tochtergesellschaften verankert sind, gibt es aber erst einmal keine direkte Verbindung untereinander, was zu den gerade eben beschriebenen Schwierigkeiten mit beiträgt.

Schlimmer noch: Geht für die Bahn ein Nahverkehrsauftrag verloren, stellt sich immer gleich die Frage, wie sich nun die DB AG als Träger des Fernverkehrs gegenüber dem neuen Nahverkehrsträger von der Konkurrenz verhält. Wir führen diese Diskussionen gerade an der Westküste, nachdem die NOB die

Ausschreibung für den Nahverkehr gewonnen hat. Diese Diskussion wird es gegebenenfalls auch auf anderen Strecken geben. Uns fehlt hier das Signal der Deutschen Bahn AG, dass sie auch mit anderen privaten Verkehrsträgern vernünftig zusammenarbeitet, um so das Produkt Bahnverkehr gemeinsam gut vermarkten zu können.

Ein solches Signal würde die absolute Sicherheit geben, dass der Nah- und der Fernverkehr gut aufeinander abgestimmt gefahren wird und dass man trotz der Tatsache, dass man im Ausschreibungsverfahren Konkurrent war, beiderseitig an einer guten Bahnanbindung interessiert ist, weil man nur gemeinsam den Verkehrsträger Bahn konkurrenzfähig gegenüber der Straße erhält. An diesem kleinen Beispiel zeigt sich aber auch, wie schwierig die Thematik ist. Im Antrag wird festgestellt, dass zur Fortsetzung einer zukunftsfähigen Bahnreform weitergehende Maßnahmen erforderlich sind. Was sind das für Maßnahmen? Ist es eine Privatisierung oder geht es hierbei um die Zusammenlegung von bisher selbstständigen Tochtergesellschaften oder sollen hier die für den Nahverkehr zuständigen Einheiten in den Ländern zu einer Einheit auf Bundesebene zusammengeschlossen werden? - Dies sind sicherlich nur einige und zudem sehr grob formulierte Optionen, die denkbar sind.

Wenn man aber weitgehende Maßnahmen fordert, muss man auch sagen, in welche Richtung es gehen soll und wie es gehen soll. Hierüber findet sich aber kaum etwas im Antrag. Deshalb wird es auch für die Landesregierung schwer werden, diesen Aspekt in den anstehenden Beratungen zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften mit einzubringen.

Wenn wir den Passus „weitergehende Maßnahmen für eine Bahnreform“ ernst meinen, müssen wir als Parlament auch sagen, was wir wollen; das lässt sich möglicherweise noch im Ausschuss genauer beschreiben.

Doch nicht nur die Unternehmensstruktur der Deutschen Bahn AG ist im Umbruch, sondern auch die Finanzierung der Infrastruktur steht zunehmend auf wackeligen Beinen. Der Antrag fordert eine Anhebung des Finanzierungsanteils für regionale Schienenstrecken durch den Bund.

Nun konnten wir aber gerade vernehmen, dass durch die Haushaltslöcher auf Bundesebene damit zu rechnen ist, dass wir erst mit rund einer halben Milliarde Euro und später sogar mit mehr als einer Milliarde Euro weniger für die Schieneninfrastruktur rechnen müssen. So brechen uns rund 20 % der Mittel in Zu

(Lars Harms)

kunft weg, was eine Vielzahl von Projekten bedrohen würde.

Die Forderung ist somit gut und berechtigt, aber aufgrund des finanziellen Chaos auf Bundesebene wohl nicht umzusetzen. Und so werden dann viele der wichtigen im Antrag genannten Projekte wohl bestenfalls nur wesentlich später umgesetzt werden können. Wohl oder übel werden wir Prioritäten setzen müssen. Der schwarze Peter wird somit von der Bundesregierung direkt an die Bundesländer weitergereicht.

Bei Betrachtung der wichtigsten Schienenverkehrsprojekte, die im Antrag genannt sind und die wir alle wollen, fällt doch eines und die dafür gewählte Begründung besonders auf. Gefordert wird der Ausbau der Strecke von Neumünster zum Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel und weiter zum Hauptbahnhof.

Das Projekt selber ist natürlich völlig in Ordnung, aber die Begründung, die angegeben wird, ist etwas unvollständig. Begründet wird der Ausbau nämlich nur damit, dass die Stadt Norderstedt angeschlossen werden soll. Das ist schön für Norderstedt, aber bestenfalls die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit ging und geht es immer noch darum, die K.E.R.N.-Region an den Flughafen Fuhlsbüttel anzubinden.

Das heißt, sowohl Rendsburg als auch Kiel sollen bessere Verbindungen zum Hamburger Flughafen bekommen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Dies will man anscheinend nicht so deutlich in einem Antrag sagen, da sonst die ganze Argumentation für einen Flughafenausbau in Holtenau zusammenbrechen würde. Trotzdem ist die schnelle Schienenverbindung nach Fuhlsbüttel genau der richtige Weg, um kurzfristig die K.E.R.N.-Region an das internationale Verkehrsnetz anzuschließen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier hätte ich mir allerdings mehr Mut auch von den Kollegen Müller und Hentschel bei der Formulierung dieser Passage gewünscht,

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

weil ich glaube, dass mit dieser hervorgehobenen Forderung nach einem Ausbau der Strecke nach Fuhlsbüttel endlich auch von den regierungstragenden Fraktionen dokumentiert würde, dass wir uns von der Startbahnverlängerung in Holtenau verabschieden und die bestehenden Flughäfen nutzen sollten.

(Beifall beim SSW)

Betrachten wir die einzelnen wünschenswerten Infrastrukturmaßnahmen, so kommen wir an einem Grundproblem nicht vorbei. Schon früher haben wir als Landtag gefordert, dass die Schieneninfrastruktur in öffentlicher Hand verbleiben und nach Möglichkeit in regionale Verantwortung übergeben soll.

Dies wird auch jetzt wieder deutlich gemacht. Die Einrichtung einer Trassenagentur ist dabei nur ein erster Zwischenschritt, den wir zwar unterstützen, der das Problem aber nicht grundsätzlich löst. Die Trassenagentur kann nur ein Hilfsmittel für den Übergang sein. Erst wenn die Schieneninfrastruktur aus dem Konzern Deutsche Bahn AG herausgelöst wird, werden sich auch sämtliche konkrete und denkbare Abhängigkeiten zwischen der DB-Netz und der Muttergesellschaft auflösen.

Deshalb stellt der mögliche Börsengang der Deutschen Bahn AG auch ein Risiko dar. Wenn mit der Muttergesellschaft auch die Tochter DB-Netz quasi an die Börse geht, wird die Infrastruktur, die alle Bahnanbieter nutzen müssen, völlig privaten Interessen ausgesetzt. Jetzt kann man immerhin noch davon ausgehen, dass der Bund als alleiniger Gesellschafter der Deutschen Bahn AG immer auch noch gesamtgesellschaftliche Ziele verfolgt. Dies wird sich eine völlig privatisierte Bahn mit privatisierter Infrastruktur nicht leisten können.

Wie sich so etwas auswirkt, kann man in Großbritannien sehen. Investitionen in die Strecke werden auf das Allernotwendigste beschränkt und der Zugang zum Netz für alle könnte auch eingeschränkt werden. Dies ist nicht die Entwicklung, die wir anstreben sollten. Unserer Meinung nach muss das Netz deshalb vorher vom Mutterkonzern getrennt werden, bevor die Deutsche Bahn AG an die Börse geht.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben glücklicherweise noch Zeit und wir erwarten, dass die Landesregierung in diesem Sinne tätig wird, zumal es hierzu schon einen Landtagsbeschluss gibt. Wir sollten diesen schönen und breit gefassten Antrag im Ausschuss auf das wirklich Wesentliche eindampfen und zu einem gemeinsamen Antrag kommen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Eichelberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Legendenbildung unseres lieben Kollegen Karl-Martin Hentschel etwas Einhalt gebieten, und zwar im Hinblick auf die Äußerungen, die die Führung der CDU während des Besuchs von Herrn Mehdorn gemacht hat. Ich empfehle Ihnen, die gesamte Presseinformation und nicht nur die paar Passagen, die in dieser oder jenen Zeitung abgedruckt wurden, zu lesen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Presseinformation gelesen!)

Ich habe vorhin klipp und klar gesagt: Die Haltung der CDU zur Bahnpolitik ist bundeseinheitlich gleich. Wir wollen die Trennung von Gleis und Betrieb und die anderen Punkte sind ebenso klipp und klar; darüber müssen wir nicht weiter diskutieren.

Gehen Sie die einzelnen Punkte durch. Der erste Paragraph enthält das weitgehende Einvernehmen über die Bahninvestitionen dieses Landes. Was ist dagegen zu sagen? - Klipp und klar wird dargelegt, dass die Mittel im Bundeshaushalt reduziert werden; das steht im zweiten Absatz. Und es wird beschrieben, dass sich eine fatale Lage daraus ergibt. Was ist daran zu beklagen?

Daraus ergibt sich, dass Herrn Mehdorn dieses Jahr nur 16 Millionen € für vorbereitende Maßnahmen der Elektrifizierung hat; mehr Geld steht nicht zur Verfügung. Herr Mehdorn hat ganz deutlich gesagt, was er nicht machen kann. Was gibt es daran zu beklagen?

(Rainer Wiegard [CDU]: Woher soll der Hentschel das wissen?)

Dann geht es mit der privaten Ausrichtung der Bahn weiter. Das ist doch gewollt worden; das ist doch der zweite und dritte Schritt der Bahnreform. Natürlich soll die Bahn an die Börse gehen, aber nicht inklusive der DB-Netz. Darauf ist gar nicht eingegangen worden. Was gibt es daran zu beklagen?

Zum nächsten Absatz! Da steht, das von Frau Simonis regierte Land sei kein Partner für eine optimale Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und dem Land Schleswig-Holstein ist mies. Das kann Herr Poppendiecker beschreiben. Das muss verbessert werden. Was gibt es daran zu beklagen?

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal sagen, was Herr Steenblock dazu gesagt hat: „Solange das Land Schleswig-Holstein nicht entscheidet, was es von der Bahn will, tut die Bahn gar nichts.“

(Beifall bei der CDU)

Das stellen selbst die Grünen in Berlin fest! Was sollen wir dann hier noch groß beklagen?

(Beifall bei der CDU)

Das kann man auch in der Zeitung lesen. Vielleicht lassen Sie sich von Herrn Steenblock auch einmal die Presseberichte zuschicken!

(Beifall bei der CDU)