Protokoll der Sitzung vom 18.06.2004

Alles in allem möchte ich feststellen, dass wir im letzten Jahr gemeinsam eine richtige Entscheidung getroffen haben, als wir erstmals für unser Land einen Kulturwirtschaftsbericht in Auftrag gegeben haben. Wie der Bericht zeigt, hat Schleswig-Holstein in diesem Sektor manches vorzuweisen, was in der Öffentlichkeit bisweilen noch nicht hinreichend Beachtung gefunden hat. Es gibt weitere Potenziale, die man im erfreulicherweise synchron schwimmenden Interesse von Kultur und Wirtschaft noch entwickeln kann.

Es gibt aber auch Probleme, die durch diesen Bericht offen angesprochen werden, ohne dass gleich eine Lösung oder Abhilfe greifbar erscheint. Es gibt für alle, die den Kulturstandort Schleswig-Holstein voranbringen wollen, Stoff zum Nachdenken.

Eines ist jedenfalls klar: Kultur wirbt für SchleswigHolstein. Das reicht von Thomas Mann, der selbstredend vor allem von den Lübeckern in Anspruch genommen werden kann, bis hin zur „leichteren Muse“. Manchmal stößt man ganz unerwartet auf einen Fund. In einem der Bücher von John le Carré, „Der heimliche Gefährte“, „The Secret Pilgrim“, 1990, kehrt ein Engländer nach längerer Zeit nach Hamburg zurück, vergegenwärtigt sich dessen Eigenart und Attraktionen und wechselt dann in Gedanken schnurstracks weiter nach Norden:

„Und vor unseren Toren lag das schweigsame Tiefland Schleswig-Holsteins mit seinen flach peitschenden Regenstürmen, roten Bauernhöfen, grünen Äckern und wolkenverhangenen Himmeln. Jeder Mann hat seinen Preis. Bis zum heutigen Tag verkaufe ich meine Seele für einen Krug Lübecker Bier, einen Bismarck-Hering und ein Glas Schnaps nach einem Marsch über die Deiche.“

(Beifall)

So viel Enthusiasmus hätte ich einem Engländer gar nicht zugetraut. Das mit dem Lübecker Bier habe ich nicht ganz verstanden. Aber die Vorfahren der Engländer stammen ja zum Teil aus dieser Gegend. Vielleicht ist das einer der Gründe für die bei John le Carré zum Ausdruck kommende Sympathie für unser Land. Vielleicht werden manche Leser dadurch stärker animiert, einmal nach Schleswig-Holstein zu

(Dr. Ekkehard Klug)

fahren, als durch die Werbematerialien des NordseeBäderverbandes.

(Beifall bei FDP, CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche der Kultur tatsächlich mehr Aufmerksamkeit und freue mich, dass die Ministerpräsidentin und der Wirtschaftsminister nun anwesend sind. Denn wir stehen vor einem Paradigmenwechsel. Was die Ökologiedebatte in den 70er- und 80er-Jahren war, wird die Kulturdebatte zu Beginn des neuen Jahrtausends sein. Weltweit ist Kultur der Winning Factor, aber er kann auch ein Loosing Factor werden: Globalisierung, Vereinheitlichung von Baustilen bis Musikstilen und Habitus des Essens sind die eine Seite, auf der anderen Seite die Rückbesinnung auf ein vielfältiges kulturelles Erbe und die Durchmischung und neue Kreativität, indem sich beispielsweise afrikanische Musik mit moderner Popkultur vermischt. In diesem turbulenten Wechsel könnte sich Europa und in Europa Schleswig-Holstein selbstbewusst behaupten, wenn denn die Akteure wissen, was sie haben.

Insofern begrüße ich die Initiative der CDU sehr, dass wir erstmalig versuchen, mit den mageren Zahlen, die der Volkswirtschaft hierzu bisher vorliegen, einen Kulturwirtschaftsbericht für unser Land zu machen.

Der Ostseeraum hat eine einmalige Chance, Landschaft, städtebauliches Erbe, musikalische und künstlerische Kulturtradition vom Kunsthandwerk bis hin zu Literatur als Gesamtes zu entdecken und zu vermarkten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schleswig-Holstein, das in der Ostseezusammenarbeit bisher eine führende Rolle gespielt hat, könnte sich auch hier als Motor erweisen. Deshalb meine ausdrückliche Ermutigung an das Kultur- und Wirtschaftsressort, hier zusammenzuarbeiten.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Caroline Schwarz [CDU])

Die statistischen Daten sind deswegen so mangelhaft, weil es überhaupt keine kulturspezifische Aufbereitung in den Grundlagen der Statistischen Landesämter oder in anderen Bundesämtern gibt. Es ist gut, dass

die Kultusministerkonferenz hier Abhilfe schaffen will.

Frau Erdsiek-Rave, ich finde allerdings, dass der Ansatz, nur rein wirtschaftliche Betriebe in die Statistik aufzunehmen, verkürzt ist. Denn gerade das Verdienst Ihres Berichtes ist es, deutlich zu machen, dass die Trias, die Sie selber erwähnt haben, gemeinschaftliches Wirken von Gemeinnützigkeit, öffentlicher Hand und kommerziellem Handeln, der Erfolgsfaktor der Kultur ist. Wenn man die volkswirtschaftliche Grundlage, den Input von ehrenamtlichem, gemeinwirtschaftlichem oder öffentlichem Engagement, in der Betrachtung weglässt, kommt eine Schieflage heraus, die den zerstörerischen Charakter in Wirtschaftsentscheidungen fördert, den wir bei einer gewissen Einheitsbreikultur immer wieder beklagen.

Das Schleswig-Holstein Musik Festival ist ein Beispiel für eine gelungene Balance. Alle, die mitspielen, müssen in der Balance bleiben. Wie schwierig das ist, hat die Ministerpräsidentin manches Mal erfahren müssen, wenn sie bei Streithähnen schlichten musste. Dass ihr das immer so gut gelungen ist und dass das Schleswig-Holstein Musik Festival auf einem guten Weg ist, ist erfolgreiches kulturelles und wirtschaftliches Regierungshandeln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Helmut Plüschau [SPD])

Frau Erdsiek-Rave, ich möchte an dieser Stelle doch einen kritischen Einwand machen. Ich hätte mir gewünscht, als zweites auch international durchaus ansehenswertes Fenster der schleswig-holsteinischen kulturwirtschaftlichen Szene die Nordischen Filmtage zu finden, mit 16.000 Besucherinnen und Besuchern an vier Tagen, mit 46 Jahren das zweitälteste Filmfestival Deutschlands, Tür der skandinavischen Filme und der skandinavischen Filmwirtschaft für ganz Europa. Hier werden die neuesten Filme aus Nordeuropa in Deutschland gezeigt. Das wird auch honoriert. Wir haben Akkreditierungen von Fachjournalisten und Produzenten aus vielen Ländern. Die Zahl mehrt sich. Wir haben eine große Nachfrage des Publikums; die Veranstaltungen sind immer ausverkauft. Immerhin ein Viertel der Einnahmen wird allein durch das Publikum getragen. Das ist etwa genausoviel, wie der NDR dazugibt.

Auch an dieser Stelle muss ich von der Balance sprechen. Auch wenn der NDR angesichts einer relativ mageren Film- und Medienwirtschaft, die wir nun einmal im Norden im Vergleich zu Zentren wie München und Hamburg haben, so etwas wie ein Karpfen im Teich ist und wir keine größeren Fische vorzuwei

(Angelika Birk)

sen haben, also auch keine Haie, tut der NDR gut daran, nicht so zu tun, als sei er ein Hai, sondern Leben und leben lassen, fördern im Sinne von Dienstleistung, aber nicht im Sinne von Dominanz, ist hier das Gebot der Stunde.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch hier ist die Balance zwischen dem Engagement von Ehrenamtlichen, Sponsoren und vielen anderen wichtig, die beispielsweise zu dem schleswigholsteinischen Filmfestival beitragen. Wenn wir das erhalten wollen, darf nicht ein Einzelner dominieren.

Nun komme ich auf ein Sorgenkind zu sprechen, das sich auch im Wirtschaftsteil niederschlägt, und das ist das Thema Theater. Eigentlich ist es kein Sorgenkind, denn Schleswig-Holstein, insbesondere die kreisfreien und Traditionsstädte, verfügt über eine sehr lebendige freie Theaterszene, die gerade trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage in den letzten Jahren noch einige neue Gruppen hinzugewonnen hat, die im Kulturbericht zum Teil gar nicht auftauchen. Zum Beispiel wird das Theater Combinale nicht erwähnt, ein langjähriges, freies Theater in Lübeck, das fast immer ausverkauft ist, und das nicht etwa mit Klamauk, sondern mit anspruchsvollen Stücken wie beispielsweise den Vagina-Monologen oder Improvisationstheatern, die auch von anderswoher eingeladen werden, weil sie hier ein Publikum finden.

Obwohl wir die freie Profitheaterszene nur ganz mager öffentlich fördern - weder Kommune noch Land können sich hier im Vergleich zu anderen Bundesländern mit Ruhm bekleckern -, haben wir hier ein großes Engagement und einen großen Erfolg, wenn natürlich auch auf kleinteiligem Niveau.

Aber insbesondere die drei hoch subventionierten Theater, das Landestheater und die Theater in Lübeck und Kiel, stehen in Schwierigkeiten. Etwa 11,5 % ihrer Einnahmen werden durch das Publikum gedeckt. Von meiner Stelle ist ein Lob an das Kultusministerium auszusprechen, das gerade beim Landestheater in den letzten Wochen segensreich gewirkt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber auch ein Lob an diejenigen auszusprechen, die dort arbeiten, weil sie auf Gehalt verzichten, um die Theater zu retten. Ich denke, in Lübeck haben wir einen ähnlichen Prozess vor uns.

An dieser Stelle gilt es, kulturpolitisch und wirtschaftspolitisch genau zu analysieren, was da los ist. Die Theater sind bundesweit in einer Krise, auf der anderen Seite gibt es kein Land, das so dicht wie Deutschland mit Theatern bestückt ist und das auch

weltweit so wichtige Impulse in die Theaterlandschaft gibt wie Deutschland. Es ist die Frage: Was wollen wir in der Zukunft? Wollen wir das alles in den nächsten Jahren platt machen, weil es sich im engeren Sinne nicht rechnet, oder kommen wir zu kreativeren Formen der Förderung, die die freie Theaterszene und die staatlich subventionierte auf andere Weise miteinander vernetzen, als das bisher der Fall ist? Ich finde diese Debatte auch gerade aus Anlass eines solchen Kulturwirtschaftsberichtes lohnend und spannend.

Auffällig ist auch, dass sich die Soziokultur in den letzten zehn Jahren - seit 1995 liegen Zahlen vor - sowohl in der Subventionierung von 4 Millionen auf 2 Millionen als auch im Publikum, in der Nachfrage halbiert hat. Auch hier müssen wir darüber nachdenken, was da los ist. Dafür sind solche Wirtschaftszahlen interessant.

Eine Erfolgsstory ist die Museumslandschaft. Das Meereszentrum Burg auf Fehmarn mit 400.000 Besucherinnen und Besuchern und das Sea-Life-Centre in Timmendorf mit 300.000 Besucherinnen und Besuchern sind zwar nicht gerade das, was wir uns als gestandene Kulturpolitiker als die Highlights unseres Landes vorstellen, faktisch sind sie aber genau dies. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als Drittes folgt dann das Multimar Wattforum, das uns, da wir es ja auch stark öffentlich fördern, schon eher im Gedächtnis ist.

Wir müssen uns auch hier fragen: Wohin geht die Museumslandschaft? Damit komme ich noch einmal auf die Balance von Gemeinnützigkeit, staatlicher Förderung und wirtschaftlichem Erfolg zu sprechen. Wir haben beispielsweise das Buddenbrook-Haus, das mit sehr hohem finanziellem Engagement sehr schön renoviert worden ist. Auch eine Reihe EU- und anderer Gelder sind dorthin geflossen. Dieses Buddenbrook-Haus mit teuren Eintrittsgeldern, mit einem anspruchsvollen Kulturprogramm ist sehr nachgefragt. Die Interessentenzahl ist stabil. Immerhin 60.000 besuchen es jährlich.

Die Phänomenta wird nicht öffentlich gefördert und ist - auch hier sage ich -: unter den Nichtfachleuten kaum bekannt. Sie hat aus eigener Kraft und nur mit dem Hintergrund der Hochschule 70.000 Besucherinnen und Besucher angezogen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, CDU und SSW)

Das muss man einmal ins Verhältnis zueinander setzen. Ich sage das an dieser Stelle, weil wir vor einer

(Angelika Birk)

wichtigen Entscheidung stehen, die für unser Land kulturwirtschaftlich bedeutsam sein kann: Was soll ein zukünftiges Science Center bringen? Wie soll es aussehen? Wie wirkt es sich auf die schon vorhandenen Institutionen, deren hohe Besucherzahlen ich gerade genannt habe, aus? Wir sind gut beraten, uns nicht vorgaukeln zu lassen, dass uns allein ein chices Science Center mit großen technischen Geräten, wie es momentan en vogue ist, nachhaltigen Kulturerfolg bringt. Wenn wir die Einmaligkeit und das Besondere unseres Landes fördern wollen, müssen wir mit allen, die hierzu etwas beitragen wollen, darüber verhandeln, was der spezifische Beitrag eines solchen Science Centers in Schleswig-Holstein und im Ostseeraum sein soll, wie die Reinvestition gestaltet wird, welches Publikum erreicht werden und mit welchen Methoden es angesprochen werden soll.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte an dieser Stelle wieder mit einem Lob an Lübeck enden. Sie werden es mir verzeihen. Lübecks Kirchen sind im Augenblick baulich umzurüsten. Die sieben Türme sind alle baufällig. Die Kirche hat kein Geld. Sie ist übrigens in dem Bericht als Wirtschaftsfaktor etwas unterbelichtet. Die Kirche ist natürlich mit ihren Baudenkmälern auch ein kulturwirtschaftlicher Faktor. Ich bin froh, dass wir noch nicht so weit sind zu sagen, es müsse überall in den Kirchen Eintritt genommen werden.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Die Kirchen in Lübeck haben sich an die Bevölkerung gewandt. Die Bevölkerung, Groß und Klein, auch jene, die mit dem Christentum im engeren Sinne gar nichts zu tun haben, sammeln, um diese Kirchen zu erhalten.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Diese Form von Kulturverständnis gilt es zu bewahren und zu mehren und auch an die jüngere Generation weiterzugeben. Für eine solche kulturelle Leidenschaft müsste auch ein Science Center einstehen.