Protokoll der Sitzung vom 18.06.2004

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Viele!)

- Sie sind eine Ausnahme, Sie wissen alles, das weiß ich sowieso. Warum erschließen wir unser skandinavisches Erbe nicht, dass Wikingerland, dass Danewerk, unsere Verbindung zu England? Machen wir genug aus einer so einmaligen baulichen und religionsgeschichtlichen Stadt wie Friedrichstadt, die in Deutschland seines gleichen nicht hat? Wird es nicht endlich Zeit, dass wir Friedrichstadt zum Weltkulturerbe erklären?

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind nur einige Beispiele von vielen auch grenzüberschreitenden Angeboten.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Lieber Herr Kubicki, ich möchte Ihnen was sagen: Hier mag das alles bekannt sein, aber ist das im Lande bekannt, wissen das die Kommunen, wissen das unsere Bürger? Sind wir nicht alle aufgerufen, hier die Kenntnisse weiter zu verbreiten und aufzufordern: Macht etwas aus eurer Kultur!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber auch die Regierung!)

Es ist nicht nur unsere Aufgabe, Aufgabe der Regierung,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber auch der Regierung!)

es ist die Aufgabe aller Verantwortlichen im Land, vom Landtag bis zum Gemeinderat, hier Abhilfe zu schaffen. Es ist nicht nur Aufgabe der Regierung.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber auch!)

Tun wir doch nicht so, als ob die Regierung für alles verantwortlich ist, Morgen auch noch für das Wetter. Sie hätten das gern, aber das werden Sie auch nicht schaffen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier liegt also ein großes Betätigungsfeld vor uns, und zwar aus zwei Gründen: einmal im Sinne von mehr harten Euros, sprich Kultur als Tourismusfaktor, zum anderen ist Kultur aber auch identitätsstiftend. Kultur ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Denn nur durch eine ganz spezifische unterscheidbare Kultur kann sie sich definieren und geht nicht unter.

Liegt nicht dort die geheime Angst der gesamten Gesellschaft, dass andere Kulturen, die bei uns, in unser Haus eingezogen sind, stärker sind als wir und wir uns deswegen unsicher fühlen? Fehlt es bei uns nicht gerade an kulturellem Bewusstsein und fühlen wir uns deswegen insgeheim nicht jenen Gruppen unterlegen, die dieses Bewusstsein durchaus haben, sodass wir sogar Angst vor Kopftüchern haben?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer ist denn jetzt „wir“?)

Das heißt, die Herausarbeitung und stärkere Betonung unserer eigenständigen Kultur - von Backsteindomen bis zum Ringreiten - stärkt unser Selbstbewusstsein und macht dieses Land auch im internationalen Wettbewerb stark.

Kultur schafft Identität. In England weiß man längst. Kulturelles Leben und Identität sind wesentliche Voraussetzungen, um den Wettbewerb zwischen den Städten und Ländern zu bestehen - auch was die Ansiedlung von Gewerbe betrifft.

Dem Satz im Bericht, immer mehr setze sich die Überzeugung durch, dass die Kulturwirtschaft eine Zukunftsbranche sei und im Europa des 21. Jahrhunderts ein maßgebliches Potenzial im internationalen Wettbewerb darstellen werde, ist allenfalls noch hinzuzufügen: Kultur ist alles andere als ein weicher Faktor, Kultur ist ein wahrhaft entscheidender Faktor. Und das ist eine Erkenntnis, die alle angeht - selbst Herrn Kubicki.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich möchte zunächst auf der Tribüne einen weiteren Gast begrüßen, und zwar Herrn Otto-Dietrich Steensen, den Vorsitzenden des Bauernverbandes. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Kulturwirtschaftsbericht ist eine Premiere. Erstmals wird der Kultursektor von der Landespolitik auch in seiner wirtschaftlichen Bedeutung wahrgenommen. Normalerweise pflege ich in solchen Debatten über Berichte der Landesregierung auf die rituelle Danksagung an die Mitarbeiter, die solche Berichte erstellen, zu verzichten. Heute möchte ich eine Ausnahme machen. Angesichts der sehr schwierigen Datenbasis, die den Ausgangspunkt dargestellt hat, ist hier eine beachtliche Leistung erbracht worden.

(Beifall bei der FDP)

Ich hoffe, dass dieser Bericht nicht umgehend in irgendwelchen Aktenordnern verschwindet, sondern dass er Anstöße für die weitere Arbeit gibt; ich komme nachher auf den einen oder anderen Punkt zurück.

Zunächst ein allgemeines Resümee: Mit rund 28.700 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verdient der Kultursektor auch hinsichtlich seiner ökonomischen Bedeutung für unser Land eine größere Beachtung, als er sie in der Vergangenheit gefunden hat.

Dabei haben die Autoren des Berichts mit ihrer Feststellung natürlich Recht, dass unser Land im Kulturwirtschaftsbereich nicht die große Rolle spiele, wie es bei den Zentren der deutschen Kulturwirtschaft wie Nordrhein-Westfalen, Berlin und München der Fall ist.

Zutreffend ist auch die Aussage, dass Potenziale in diesem Wirtschaftssektor hierzulande vielfach erst noch zu entwickeln seien. Gerade deshalb ist die Vorlage dieses Kulturwirtschaftsberichts zu begrüßen. Denn auf der Grundlage dieses Berichts kann man über die Entwicklung dieser Sparte der Wirtschaft nachdenken.

Es gibt freilich auch in unserem Bundesland Unternehmen, deren Name in der deutschen Kulturwirtschaft einen guten Klang hat. Jedes Mal, wenn ich in einem Buch die Zeile „Druck und Bindung: Clau

sen & Bosse, Leck" lese, werde ich daran erinnert und solche Beispiele sind gewiss nicht nur deshalb erfreulich, weil sonst die allermeisten Leser kaum jemals etwas von Leck gehört hätten.

Sehr interessante Entwicklungschancen liegen in besonderem Maße im Bereich Kulturwirtschaft und Tourismus. Das wachsende Potenzial für Kulturreisen wird im Bericht erwähnt. Darüber hinaus nehmen viele Touristen im Rahmen eines „normalen“ Urlaubs auch kulturelle Angebote wahr, besuchen Konzerte, Ausstellungen und Einrichtungen wie das Multimar Wattforum in Tönning, das jährlich über 200.000 Besucher hat.

Öffentliche Mittel, die in solche Einrichtungen beziehungsweise in die erforderliche Infrastruktur investiert werden, haben deshalb nicht nur eine kulturpolitische, sondern eben auch eine wirtschaftspolitische Begründung.

Besonders erfreulich ist es natürlich dann, wenn solche Angebote auch Menschen von außerhalb unseres Landes anziehen. Das könnte zum Beispiel in Schleswig durch die Siedlungsrekonstruktion des Wikinger-Museums Haithabu

(Beifall)

und durch die Wiederherstellung des alten Gottorfer Barockgartens in Zukunft viel stärker als in der Vergangenheit der Fall sein. Gerade am übernächsten Wochenende, Herr Kollege von Hielmcrone, können Sie sich bei den Wikinger-Tagen in Haithabu persönlich davon überzeugen, dass in diesem Bereich einiges geschieht.

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Ich bin über die Aktivitäten in diesem Land ziemlich gut informiert!)

- Wunderbar. Sie haben nämlich vorhin gesagt, das finde nicht statt. Inzwischen greifen aber erste Aktivitäten.

Sobald man etwas zu bieten hat, was so andernorts nicht oder nur kaum zu finden ist, steigt die Chance, dass man damit eine Magnetwirkung auch für Menschen erzielt, die von außerhalb Schleswig-Holsteins zu uns kommen.

Meine Damen und Herren, in die einzelnen Kultursparten gibt der Bericht bemerkenswerte Einblicke. Er verschweigt auch nicht die zum Teil sehr schwierige Lage, in der sich heute etwa Selbstständige etwa im Bereich der Musik oder Kunstschaffende in der bildenden Kunst befinden.

Ich nenne eine Zahl von Seite 18. Demnach haben Selbstständige im Bereich der Musik ein durch

(Dr. Ekkehard Klug)

schnittliches Jahreseinkommen von 10.280 €; diese Summe stagniert seit Mitte der 90er-Jahre. Dies ist sicherlich eine Zahl, die für die in diesem Bereich Tätigen keine sehr guten sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Ausdruck bringt.

Zur bildenden Kunst. Dass Schleswig-Holstein „ein schwieriger Kunstmarkt“ ist, wie in dem Bericht festgestellt wird, ist zutreffend. Bei wenigen privaten Großsammlern und Museen, die über nicht allzu großartige Ankaufetats verfügen, ist der Kreis der potenziellen Käufer bildender Kunst in diesem Land begrenzt.

Gleichwohl sollte man die Frage stellen, ob man nicht durch öffentliche und private Initiativen den Käuferkreis ein wenig vergrößern könnte. Vor einigen Monaten hat Michael Legband mit seiner Initiative „Farbige Debatten - Realisten im Parlament" unter anderem dafür gesorgt, dass hier in diesem Hause auf einen Schlag mehr Bilder gekauft worden sind als je zuvor.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich denke, man sollte überlegen, wie man neben den beiden „Großkunden", die der Kulturwirtschaftsbericht nennt - den privaten Großsammlern auf der einen Seite und den öffentlichen Auftraggebern beziehungsweise Käufern auf der anderen Seite -, auch noch hier und da ein breiteres Interesse bei einer privaten Käuferschicht - Privatpersonen, Selbstständigen oder kleineren Firmen, also quasi den potenziellen „Otto Normalverbrauchern“ eines hierzulande eher unterentwickelten Kunstmarktes - wecken könnte.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Umsätze, Mitarbeiter- und Besucherzahlen in vielen Bereichen der Kulturwirtschaft in letzter Zeit rückläufig sind. Das ist sicherlich im Wesentlichen eine Folge der allgemein sehr schlechten Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Das Geld sitzt auch bei den Kinobesuchern - um nur ein Beispiel zu nennen - nicht mehr so locker wie früher. Davon sind die Medien ebenso betroffen wie der Musikmarkt. Bei den Theatern haben wir im Lande in den letzten zehn Jahren einen Rückgang von 620.000 auf 540.000 Theaterbesucher pro Jahr zu verzeichnen.

All dies ist meiner Meinung nach Ausdruck einer schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung und es gibt nur in einzelnen Bereichen Umschichtungen. Ich nenne den Boom im Bereich der Konzert- oder Theaterveranstalter. Das hängt wohl damit zusammen, dass in diesem Bereich in den letzten Jahren eine Hinwendung zu den Theater- und Konzertevents er

folgt ist. Aber beim „normalen“ Theater- und Konzertbesuch - beispielsweise beim Abonnement - verzeichnen wir rückläufige Zahlen. Es gibt also Umschichtungen in der Nachfrage.

Alles in allem möchte ich feststellen, dass wir im letzten Jahr gemeinsam eine richtige Entscheidung getroffen haben, als wir erstmals für unser Land einen Kulturwirtschaftsbericht in Auftrag gegeben haben. Wie der Bericht zeigt, hat Schleswig-Holstein in diesem Sektor manches vorzuweisen, was in der Öffentlichkeit bisweilen noch nicht hinreichend Beachtung gefunden hat. Es gibt weitere Potenziale, die man im erfreulicherweise synchron schwimmenden Interesse von Kultur und Wirtschaft noch entwickeln kann.