Protokoll der Sitzung vom 18.06.2004

Was aber vermitteln uns die Oppositionsparteien in Berlin? Die CDU/CSU sucht, insbesondere der bayerische Ministerpräsident von der CSU, ihr Heil wiederum in der Kernenergie. Im „Stern“ vom Mai war eine Forsa-Umfrage veröffentlicht, wonach sich 47 % der Befragten „für einen allmählichen Verzicht auf die Kernenergie“ - das ist das, was wir gerade machen -, 18 % sogar für „einen Ausstieg so schnell wie möglich“ ausgesprochen haben. Das sind zwei Drittel unserer Bevölkerung. Angesichts dieser Stimmungslage in der Republik verfolge ich mit einigem Interesse, wie der bayerische Ministerpräsident seinen Wunsch - einige CDU-Leute folgen ihm gern - durchsetzen will. Es wäre übrigens interessant zu erfahren, welches der fordernden Länder sein Land für eine Deponie des strahlenden Abfalls zur Verfügung stellt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bayern ist an dieser Stelle jedenfalls nicht aufgefallen, im Gegenteil. Sie haben sich klammheimlich von

dannen gemacht. Gott sei Dank, kann man nur sagen. Wer wollte schon Wackersdorf? Aber es hat gezeigt: Andere sollen es machen und sie selber wollen sich dabei einen weißen Fuß machen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Übrigens haben junge CDU-Abgeordnete von Bundestag und Landesparlamenten ihre Partei zu stärkerer Beachtung ökologischer Fragen aufgefordert, wie es in einem programmatischen Aufruf zur Europawahl stand. Nach ihrer Ansicht „überwiege in der Union die Kritik an alternativen Energiequellen. Eigene Konzepte seien hingegen kaum bekannt“. Das stimmt. Mir sind sie nämlich auch nicht bekannt. Das Zitat ist nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 9. Juni dieses Jahres.

Die FDP zeigt ganz erstaunliche Kenntnisse über Grundsatzfragen. Sie fordert, bei der Kernenergie zu bleiben, weil der Ölpreis so hoch ist. Dabei weiß bereits jeder kleine Junge, dass Autos keine Atommeiler sind. Jeder weiß auch, dass in der Bundesrepublik seit den 80er-Jahren Öl kaum noch verstromt wird, damit wir von Ölimporten unabhängig werden. Jetzt kann die FDP noch die alten Nachtspeicherheizungen zurückwünschen; dann hätten wir den richtigen Schritt in die Vergangenheit gut geschafft, wenn wir Ihnen folgen würden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es geht darum, alternative Energiearten weiterzuentwickeln, die die Welt nicht so belasten. Hier stehen wir vor zwei großen Herausforderungen. Es ist absehbar, dass sich die Windenergie - insbesondere nach dem Repowering der Windenergie an Land - aufs Meer hinauswagt. Was an Land fehlt, nämlich Platz, haben wir dort genug. Wir werden diesen Offshore-Prozess umweltgerecht und nachhaltig unterstützen, weil er auch Arbeitsplätze in diesem Land bringt, zum Beispiel bei der HDW, die bei den Tripoden mitarbeiten möchte.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb fördern wir auch den Ausbau des Hafens in Husum. Wir werden damit die Zahl unserer bisherigen Windenergie-Arbeitsplätze von etwa 4.000 erheblich erhöhen können. Vor den Küsten SchleswigHolsteins sind acht neue Anlagen geplant. Windenergie ist und bleibt obendrein eines unserer Exportmarkenzeichen.

Natürlich weiß man aber auch, dass im Energiemix eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Ener

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

giequellen in den nächsten Jahrzehnten eine Illusion wäre. Deswegen müssen wir die zweite Herausforderung ebenso ernst nehmen. Im Treibhaus Erde zwingt uns der anlaufende Klimawechsel, auch wenn wir fossile Energieträger nutzen müssen, diese möglichst effizient zu nutzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Dies bedeutet kurzfristig, die Kraft-WärmeKoppelung auszubauen. Hier liegt SchleswigHolstein ebenfalls schon weit vorn, weil der Anteil des in Kraft-Wärme-Koppelung erzeugten Stroms etwa 20 % - gegenüber 10 % im Bundesdurchschnitt - beträgt. Wenn die erneuerbaren Energien und die Kraft-Wärme-Koppelung nicht ausreichen und wir aus Risikogründen die Kernenergie abwickeln, müssen wir uns neue Technologien suchen.

Dies sind zum einen die so genannten CFTs - Clean Fossil Techniques -, zum anderen die Nutzung von Wasserstoff. Mit der so genannten Clean Fossil Techniques werden neue Kraftwerkstypen daraufhin untersucht, ob deren Verbrennungsprodukt Kohlendioxid flüssig abgezogen werden kann. Dann hätten wir zum ersten Mal die Möglichkeit, zu entscheiden, was damit passiert, ohne dass wir wie bisher Schadstoffe über den Schornstein nicht rückholbar in die Atmosphäre ableiten. Ich begrüße es deshalb, dass der Bundeswirtschaftsminister das Forschungsprogramm COORETEC aufgelegt hat. In diesem Programm arbeiten Energiewirtschaft, Hersteller, Wissenschaft und die Energiebehörden zusammen. Im Beirat arbeiten wir mit.

Nun ist es selbst technischen Laien bestens vertraut, dass es bislang keine Technik gibt, die nicht gleichzeitig Nachteile nach sich zieht. Mit anderen Worten: Die Lösungen von heute sind die Probleme von morgen. Oder noch anders formuliert: Selbst wenn wir großtechnisch und umfassend das Kohlendioxid flüssig extrahieren, können wir es noch nicht speichern. Heute bietet sich die Speicherung in terrestrischen Speichern oder in den Tiefen des Ozeans an. Übrigens stellt sich auch im Zusammenhang mit unserer Initiative „Zukunft Meer“ die Frage, wie wir damit fertig werden, wie wir rechtlich absichern können, wer wann und wo speichern darf. Diese Frage muss allerdings aus Nachhaltigkeitsgründen sehr genau untersucht werden, und zwar schon jetzt.

Der zweite technologisch interessante Teil ist der Wasserstoff. Leider fällt uns Wasserstoff nicht einfach zu, sondern wir müssen ihn erst erzeugen. In einer Übergangsphase wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als Wasserstoff auch aus Erdöl zu er

zeugen. Zunehmend sollten wir Wasserstoff aber aus erneuerbaren Energieträgern gewinnen, sei es aus Biogas, sei es aus Wind.

(Beifall beim SSW)

In diesem Bereich der technologischen Entwicklung werden die Hochschulen Schleswig-Holsteins hoffentlich kräftig mitwirken. Das Zeug zum Mitspielen haben sie. Zum einen haben sich die Universitäten Kiel und Flensburg sowie die Fachhochschulen Kiel, Flensburg und Westküste sowie die Nordakademie zu einem Windkompetenzzentrum zusammengeschlossen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Die so viel belächelte Windenergie - sie wird oft nach dem Motto belächelt: denen da oben hinter dem Deich fällt etwas anderes nicht ein - zeigt sich heute als ein ganz wichtiger Motor für wirtschaftliche Entwicklung und für Arbeitsplätze.

(Beifall bei SPD und SSW)

Mit diesem Windkompetenzzentrum werden wir jedenfalls unsere Position als Windland Nummer eins weiter festigen können. Zum anderen hat sich in der Fachhochschule Lübeck der Kompetenzbereich Wasserstoff/Brennstoffzellen etabliert. Auch HDW treibt diese Entwicklung mit großem Erfolg voran.

Nach all dem zeigt sich, dass wir folgende Ergebnisse festhalten können. Die Chancen des Landes im Bereich der erneuerbaren Energien sind groß. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien von heute 25 % bis zum Jahr 2010 auf 50 % erhöhen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das scheint mir sehr viel realistischer zu sein, lieber Herr Abgeordneter Hentschel, als über die Etablierung eines Nordstaates bis zum Jahre 2020 zu diskutieren. Ich würde meine Kraft gern auf das eben genannte Ziel konzentrieren.

(Beifall bei SPD, SSW und vereinzelt bei CDU und FDP)

Schleswig-Holstein weist trotzdem günstige Stromtarife auf. Die technologische Entwicklung wird in Schleswig-Holstein vorangetrieben. Wir haben dort Kompetenzzentren in der Wissenschaft. Die Abwicklung der Kernenergie ist auf den Weg gebracht.

Was wir bisher erreicht haben, haben wir nicht gänzlich allein zustande gebracht. Ich danke deshalb den vielen Institutionen, die daran mehr oder weniger mitgearbeitet haben. Das sind - stellvertretend für

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

alle - die drei Industrie- und Handelskammern sowie zwei Handwerkskammern. Das sind die kommunalen Spitzenverbände. Das sind die Anlagenhersteller, die Energiewirtschaft bis hin zu den Werften und weiter die Hochschulen des Landes, die Investitionsbank, WSH und ttz, die Landwirtschaftskammer, der Bauernverband ebenso wie der Bundesverband Windenergie, die Energiestiftung, die vielen Planungsbüros und die vielen energiepolitischen Akteure, seien sie nun in der Kommunalpolitik, in Schulen, Vereinen und Parteien oder auch im Rahmen der Agenda tätig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Insbesondere danke ich aber Wirtschafts- und Energieminister Bernd Rohwer und seinen Mitarbeitern für die Vorlage des Energieberichts 2004. Ich bin sicher, dass über ihn in den Ausschüssen lebhaft diskutiert wird. Ich bin Ihnen allen dankbar, dass Sie uns dabei helfen, Schleswig-Holsteins Zukunft nachhaltig mitzugestalten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Trutz Graf Kerssenbrock.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal sehr herzlichen Dank an die Mitarbeiter der Landesregierung, die diesen Bericht zusammengestellt haben. Er ist in der Tat eine wirklich gute Diskussionsgrundlage, auch wenn wir zu ganz anderen politischen Schlüssen kommen als Sie, Frau Ministerpräsidentin. Es war auch ein glücklicher zeitlicher Zufall, dass die Konferenz über erneuerbare Energien in Bonn zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als der Ölpreis ganz besonders hoch war und uns schmerzvoll unsere Abhängigkeit von ausländischen fossilen Energiequellen deutlich gemacht hat.

(Zuruf von der SPD: Waren Sie da?)

- Ich war genau wie Sie da und ich habe Sie auch gesehen. Ich habe Sie sogar mit einer beachtenswerten Rede auf Englisch erlebt. Diese Rede fand ich sogar inhaltlich ganz ordentlich.

(Beifall bei SPD und SSW)

Sie haben mich dort aber offensichtlich nicht gesehen. Frau Aschmoneit-Lücke und Herr Nabel sind übrigens auch dort gewesen.

Es ist fast so schön wie bei Münchhausen, der sich selbst am Zopf aus dem Sumpf ziehen wollte beziehungsweise gezogen hat, wenn gesagt wird: raus aus der Abhängigkeit vom Öl und rein in die alternativen Energiequellen. Selbst der Kohlekanzler, der kürzlich noch 17 Milliarden € für die Steinkohle locker gemacht hat, äußerte sich so. Ich habe in Bonn sehr sorgfältig zugehört, Herr Kollege Matthiessen. Es waren durchaus bewegende Plädoyers für den Einsatz erneuerbarer Energien und die Hilfe aus Industrieländern, die wir dort aus Schwarzafrika und Südamerika zu hören bekommen haben. In den gerade genannten Bereichen der Welt fehlt es an Kapital. Wenn dort 80 % der Bevölkerung keinen Stromanschluss haben, versteht man überhaupt erst, warum auch bedeutende EU-Würdenträger sagen, es gebe so etwas wie ein Grundrecht auf Energie. Das ist durchaus bewegend gewesen. Was dort bei der Konferenz geschildert worden ist, kann keinen kalt lassen. In den genannten Bereichen der Welt macht Biomasse, die auch grundlastfähig ist, in Koppelung mit Wasser-, Solar- und Windenergie möglicherweise durchaus Sinn, um überhaupt zu einer Grundversorgung zu kommen. Das ist in Ordnung.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW)

Wir müssen aber doch differenzieren und uns fragen: Geht das auch in den Industrieländern? Der Energiebedarf wird sich ausweislich des Berichtes der Landesregierung in den nächsten 50 Jahren verdoppeln. Das können Sie auf Seite 7 nachlesen. Glauben Sie wirklich, dass es bei uns in den wachstumsorientierten Industrieländern gelingen wird, den Energiebedarf durch Einsparungen zu verringern? Die klimapolitische Verantwortung der Industrieländer steigt noch. Wir werden den Entwicklungsländern bei der Herstellung einer Grundversorgung mit Energie überhaupt nur helfen können, wenn unsere Volkswirtschaften leistungsfähig bleiben.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Energie muss bei uns preiswert bleiben und darf unserer Wirtschaft nicht die Wettbewerbsfähigkeit rauben. Deshalb ist in den Industrieländern auch eine andere Energiepolitik als in den sich entwickelnden Ländern notwendig.

Wir brauchen einen anderen Energiemix als die Entwicklungsländer. Das soll unsere politische Verantwortung überhaupt nicht minimieren. Der Blick darauf darf aber einfach nicht getrübt werden, dass eine für den Sudan richtige Energiepolitik in Mitteleuropa kein tragfähiges Konzept sein kann. Das ist nun einmal so.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)