Wir brauchen nicht nur eine Systemdiskussion, wir brauchen vieles mehr: frühkindliche Förderung, Deutschausbildung im Kindergarten, Einstellung von Schulassistentinnen und -assistenten, die Einführung von Oberstufenzentren, die ganztägige Öffnung von Schulen, die Weiterentwicklung der Autonomie der Schulen als ganz zentrales Element, damit die Schulen sich selbst verbessern. All das gehört zu einer Besserung dazu, all das hat die Ministerin angefangen. In diesen Punkten ist Schleswig-Holstein in den letzten drei Jahren vorangegangen.
Wenn jetzt die Opposition der Ministerin vorwirft - man muss das einmal hören -, dass sie sagt, wir müssen unser eigenes System kritisch betrachten, wir haben schlecht abgeschnitten in Deutschland, wir müssen Konsequenzen daraus ziehen, und die Opposition stattdessen sagt, wir müssen überhaupt nichts lernen, machen wir doch die Augen und Ohren zu und machen wir weiter so wie bisher, dann sage ich Ihnen: Damit werden Sie nicht durchkommen, meine Damen und Herren!
Wir werden die Debatte um die Veränderung des Schulsystems auch in diesem Landtagswahlkampf führen, weil es für die Kinder in diesem Land notwendig ist. Wenn Sie diese Debatte verweigern, dann werden Sie diese Wahl bombastisch verlieren. Das kann ich Ihnen garantieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der OECD-Bericht umfasst ungefähr 500 Seiten. Noch bevor er überhaupt veröffentlicht war, waren die Schlagzeilen schon formuliert: „Die nächste Fünf fürs Bildungssystem“, „Klippschule Deutschland“, „Bildung braucht Nachhilfe“. Dabei ist klar, der Bericht greift im Teil „Schule“ nicht auf neue Erkenntnisse zurück, sondern berücksichtigt PISA und IGLU und alle Daten sind drei beziehungsweise ein Jahr alt. Die Ergebnisse haben zu weitreichenden Veränderungen in der Bildungspolitik geführt. Wir in SchleswigHolstein haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir haben die Bildungsausgaben erhöht, allein in den letzten Jahren von 2000 bis 2004 im Schulbereich um 8 %. Wir haben Standards und Vergleichsarbeiten eingeführt, den Unterrichtsausfall halbiert, Ressourcen in die Grundschule verlagert, die Lehrerausbildung reformiert, den Schul-TÜV eingeführt, einen Bildungsauftrag für Kitas formuliert: alles Veränderungen und Reformen, auf die die Opposition mit immer demselben Reflex reagiert.
Es ist wirklich absurd. Und das, obwohl andere Bundesländer unsere Konzepte, etwa der Sprachförderung in den Kitas oder der schulischen Evaluation im Team - Schul-TÜV -, nachfragen und nachmachen. Ein jüngstes Beispiel, Frau Eisenberg: Bildungsauftrag für Kitas viel zu spät, viel zu schlecht, nur ein Anfang. Ich sage Ihnen, wir gehören zur ersten Hälfte der Länder, die das überhaupt machen. Das erarbeitet man mit Experten und allen Beteiligten. Frau Eisenberg, Sie haben keine Ahnung, wie Regierungsarbeit funktioniert.
Meine Damen und Herren, messbare, nachweisbare Erfolge all dieser Reformen wird es so schnell nicht geben. Das sage ich Ihnen auch. Im Dezember kommt die neue PISA-Studie und ich vermute, Herr Schleicher hat die Ergebnisse schon ein bisschen vorweggenommen: Es wird noch keine messbare Veränderung geben. Veränderungen brauchen Zeit. Trotzdem, die Schulen sind enorm in Bewegung gekommen, übrigens machen die Lehrerinnen und Lehrer dabei mit.
Es gab nach PISA viel Gemeinsamkeit in der KMK, der viel gescholtenen, aber einer der zentralen und gravierenden Befunde, den uns die OECD noch einmal bestätigt hat, spielt in der Debatte bisher die geringste Rolle und das finde ich schon irritierend. Sie in der Opposition haben überhaupt keine Antwort
darauf, Sie reden hier kleinkariert herum. Das muss ich wirklich sagen, Herr de Jager. Sie haben keine Antwort auf die Frage, dass Bildung nirgends so sehr mit dem sozialen Status zusammenhängt wie in Deutschland. Ich behaupte, dieser Befund wurde lange und vor allem immer noch deshalb ausgeblendet, weil er das System selbst ins Mark trifft.
Unser Bildungssystem mit seiner frühen Selektion verfestigt den fatalen sozialen Zusammenhang, es schöpft Begabungen nicht aus sozusagen an den Enden und es ist schlicht und einfach ungerecht. Wir schaffen damit auch nicht die breite Qualifikation und den Umfang an Spitzenleistungen, um uns in Deutschland international konkurrenzfähig zu halten. Im Gegenteil, wenn wir so weitermachen, wenn wir nicht bereit sind, einmal über diesen ideologischen Graben zu springen und unser System grundlegend infrage zu stellen und von Grund auf zu verändern, dann werden alle Reformen nicht ausreichen, auch dann nicht, wenn wir die Investitionen noch weiter steigern und Inhalte des Bildungssystems umverteilen. Dass dies notwendig ist, bestreitet ja niemand.
Wir haben einen Vorschlag für längeres gemeinsames Lernen vorgelegt, eine Schule für alle. Das bedeutet, dass wir uns endlich davon verabschieden, Selektion zur Quintessenz des Schulsystems zu machen. Das bedeutet, dass wir nicht mehr überlegen, welcher Schüler zu dieser oder jener Schulform passt, dass wir also die Schüler mit spätestens zehn Jahren oder sogar schon früher standardisieren und klassifizieren nach dem Motto: „In welchen Rahmen, in welches System passt das Kind?“. Nein, wir werden dieses Umdenken nicht im Handstreich erreichen. Wir werden es vor allem nur dann erreichen, wenn wir uns von manchen falschen Vorstellungen trennen. Gemeinsames Lernen heißt nämlich nicht, dass der überforderte Hauptschüler neben dem unterforderten Gymnasiasten sitzt und am Ende alle die Hochschulreife erlangen, auch wenn Sie dieses Gespenst noch so gebetsmühlenartig beschwören. Gemeinsames Lernen heißt, dass wir uns verabschieden von einer Didaktik, von einer Methodik und Unterrichtsform, die Lernen und Lehren stets vom Lehrer aus denkt, ob als Frontalunterricht oder als fragend entwickelnder Unterricht.
Unser Ziel muss ein Unterricht und ein Lernen sein, das wie in den Ländern, die bei PISA gut abgeschnitten haben, vom Schüler aus gedacht wird. Dass es auch in diesen Ländern Probleme gibt, bestreitet doch niemand, bestreiten nicht einmal die Finnen oder Dänen selbst. Niemand kommt aber auf den Gedan
Meine Damen und Herren, die Bildung jedes Einzelnen liegt im Interesse aller. Das muss der Grundsatz sein und das ist der entscheidende Grundsatz für mehr Bildungsgerechtigkeit. Auf jedes Kind kommt es an, nicht auf das Dogma der Schulform. Schulformen sind kein Selbstzweck. Ich sage das hier noch einmal.
Sie geben den Rahmen für pädagogisches Handeln vor. Wenn man einsehen muss, dass dieser Rahmen nichts mehr taugt, dann ist es an der Zeit, ihn zu verändern. Wenn Sie sich einmal ohne Vorbehalte, ohne diesen ideologischen eisernen Vorhang, den Sie im Kopf haben, auf diese Diskussion einlassen und wirklich einsehen würden, wie deplatziert und falsch Ihre Unterstellung von Einheitsbrei, Einheitstempo und Einheitsschule ist, dann würden Sie erkennen: Es ist ein anderes Konzept von Schule und Lernen, auf das wir schrittweise zuarbeiten wollen.
Es kommt allen zugute, den schwächeren und den stärkeren Schülerinnen und Schülern. Das hebt, wie wir aus Schweden und Finnland wissen, das Niveau aller. Die Guten bleiben dabei keineswegs auf der Strecke. Herr de Jager, im Gegensatz zu Ihnen haben wir Visionen und ich rate Ihnen, lesen Sie einmal nach, was Herr Eckinger am 16. September in Berlin gesagt hat, der Vorsitzende des VBE. Er hat genau den Finger in diese Wunde gelegt. Aber all diese Argumente nehmen Sie mit Ihrer Ignoranz nicht zur Kenntnis.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Bemerkungen muss ich doch noch einmal aufgreifen. Richtig ist natürlich, dass sich die OECDStudie nicht mit den neuesten Zahlen im Bildungsbereich auseinander setzt. Das ist aber auch nicht die
Pointe. Die Pointe ist, dass sich im bundesdeutschen Schulsystem seit über 20 Jahren nichts verändert hat. Das heißt, dass wir auf der einen Seite sagen, wir befänden uns auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, und auf der anderen Seite in Grundzügen eine Schulstruktur haben, die über 100 Jahre alt ist und seither nicht geändert worden ist.
Zweite Bemerkung. Wenn der Kollege Klug sagt, nördlich der Grenze sei auch nicht alles in Ordnung, dort gebe es auch kein Paradies auf Erden, so bin ich die Erste, die das ebenfalls sagt. Lieber Kollege Klug, in jeder Debatte über Schulstrukturen habe ich gesagt: Schulstrukturen sind nicht zum Selbstzweck da, sie erfüllen einen Zweck; wenn sie diesen Zweck nicht mehr erfüllen, muss man sie ändern, muss man sie abschaffen.
- Liebe Kollegin Eisenberg, nördlich der Grenze steht man quer durch alle Parteien und in allen gesellschaftlichen Gruppen dazu, dass man eine Schule für alle benötigt.
- Lieber Kollege Klug, Sie haben es nicht verstanden. Wenn man eine gemeinsame, ungeteilte Schule hat, fragt man: Wo ist das Problem? Wie wollen wir das Problem lösen? Und dann zieht man an einem Strang.
Die dänische Bildungsministerin, Ulla Tørnæs, hat gefragt: Wie wollen wir das soziale Erbe brechen? Das heißt, alle Schulen haben jetzt gemeinsam den Auftrag, damit zu arbeiten. Das wird nicht durch alle Schularten dekliniert.
Man muss also nicht nur Software verlangen, sondern auch Hardware, man muss wissen, womit man sich beschäftigt.
wenn der SSW seit Jahren sagt, ein erster Schritt in Richtung ungeteilte Schule sei die Einführung einer sechsjährigen Grundschule, so saugen wir uns das natürlich nicht aus den Fingern. Vielmehr gibt es Lehrer aus dem öffentlichen Schulwesen, die unserer Meinung sind, es gibt Eltern, es gibt Gruppen, die unsere Auffassung teilen. Wir sagen: Uns muss ein Einstieg gelingen. Wir können natürlich die Hürde so hoch hängen, dass wir jahrelang mühelos darunter hinweg laufen können. Wir wollen aber den Einstieg und wir wollen ihn jetzt.
Um das noch einmal ganz konkret zu formulieren: Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf den Einstieg in eine sechsjährige Grundschule erreichen, zunächst einmal freiwillig dort, wo man das vor Ort will. Ich kann hinzufügen: Die Diskussion in der Stadt Fehmarn bestätigt genau diese Richtung. Mit einer Öffnung im Schulgesetz würde man der Gemeinde Fehmarn helfen, die Schulen zu erhalten und die Schulen vor Ort weiterzuentwickeln. Wie dies im Einzelnen aussehen könnte, zeigen die dänischen Schulen im Landesteil Schleswig.
Man braucht aus unserer Sicht nicht nach Finnland zu reisen, man kann das Geld getrost für etwas Besseres ausgeben. Gerade mit Blick auf die Fußangeln, die der Föderalismus und die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz für die Abkehr vom gegliederten Schulsystem gelegt haben, ist es aus unserer Sicht viel wichtiger, sich dort zu informieren, wo die ungeteilte Schule schon gelebt wird, in Eckernförde zum Beispiel, in Husum und demnächst auch in Leck und in Süderbrarup. Dann wird man nämlich begreifen, dass die Einführung einer sechsjährigen Grundschule gerade auch dazu geeignet ist, die kleinen Schulen im ländlichen Raum zu erhalten. Auch das, denke ich, darf nicht hinter herunterfallen.
Lieber Herr Kollege de Jager, damit meine ich konkret, dass Sie sich wirklich auf dem Holzweg befinden, wenn Sie meinen, dass die kleinen Schulen im ländlichen Raum durch eine Neuordnung des Schulsystems in Gefahr gerieten.
Es ist, wenn man so will, auch eine Konsequenz aus der OECD-Studie, dass wir nicht nur aus übergeordneten bildungspolitischen, sondern auch aus handfesten regionalen Gründen eine neue Schulstruktur benötigen. Wir müssen auch fragen, wie sich die kleinen Schulen weiterentwickeln können. Das können sie nur, indem sie die Möglichkeit erhalten, bis zur sechsten Klasse vor Ort zu agieren.
Ich fasse zusammen: Mit einer ungeteilten Schule, mit einem Einstieg in die ungeteilte Schule würden wir verstärkt Ressourcen für die Herausforderungen der Wissensgesellschaft freimachen.