Protokoll der Sitzung vom 22.09.2004

(Glocke des Präsidenten)

Wir würden schneller und flexibler auf Veränderungen reagieren können und wir hätten die Chance, eine

für Schleswig-Holstein maßgeschneiderte Schullandschaft zu bekommen.

Dies sind gute Gründe. Lasst uns anfangen!

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Weber das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, aus der Präsentation von Herrn Schleicher einen Satz zu zitieren. Er sagte: Ohne Daten sind Sie nur noch jemand mit einer Meinung. Ich konzidiere gern: Eine Meinung haben Sie in der Tat, nur die Daten sind nicht auf Ihrer Seite. Das ist das generelle Problem der Opposition in dieser Debatte.

Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zu den Argumenten machen, die hier vorgetragen worden sind.

(Uwe Eichelberg [CDU]: Fakten!)

- Das fängt bei den Fakten, schon bei den historischen Fakten an. Wenn Unsinn erzählt und gesagt wird, wir hätten die Vorschule abgeschafft, wo doch bereits 1978 die Landesregierung, die damals keineswegs von uns gestellt worden ist, den Ausbau der Vorschule gestoppt und zurückgeführt hat, so hat das auch mit Fakten zu tun. Ich finde, man sollte sich ein wenig informieren, bevor man in einer Debatte solche Dinge erzählt.

(Beifall bei SPD und SSW - Zurufe von der FDP)

Meine Damen und Herren, ein Stichwort will ich gern aufgreifen, nämlich die Weiterentwicklung des gegliederten Schulsystems. Wenn es denn so wäre, dass wir eine solche Weiterentwicklung entdecken könnten, dann könnte man über die Frage nachdenken, welche Effekte und welche Ergebnisse dies zeitigte. Nur, das findet gar nicht statt. Wo findet so etwas statt? Wenn in der CDU selbst über die Frage nachgedacht wird, ob man vielleicht bei Kooperationen zwischen Hauptschulen und Realschulen ein bisschen mutiger sein könnte, gibt es ein gewisses öffentliches Gewitter und schon tritt man den Canossagang zum Verband der Realschullehrer an. Wo bleibt denn dabei die Bereitschaft, auch nur innerhalb des Systems über Veränderungen nachzudenken? Ich kann sie überhaupt nicht entdecken.

(Jürgen Weber)

Das Gute an dem jetzigen OECD-Bericht ist nicht, dass er neue Dinge auf den Punkt bringt, die wir noch nicht wissen, sondern das Gute ist, dass er noch einmal unterstreicht und damit alle Zweifel daran beiseite wischt, dass es kein Problem von Methodik oder von organisatorischen Mängeln ist, das man sozusagen über PISA und über IGLU legen kann, sondern es ist eindeutig klargestellt: Es gibt kein Problem von Methoden oder Samples von PISA; es gibt ein strukturelles Problem unseres Schulsystems. Dass dies nicht nur die Politik, sondern auch Teile der Gesellschaft erreicht hat, sehen wir an allen Diskussionen, die wir führen, das sehen wir in vielen Bereichen, auch in der Wirtschaft.

Einen Aspekt, der heute Morgen noch nicht im Fokus gestanden hat, der aber im OECD-Bericht auch eine wichtige Rolle spielt, möchte ich noch beleuchten. Das ist der tertiäre Bildungsbereich der Hochschulen. Dass wir in Deutschland zu wenig Hochschulabsolventen haben, dürfte in diesem Raum von niemandem bestritten werden. Dass die Zahlen noch dramatischer sind, als wir ursprünglich gedacht haben, ist jetzt manifest geworden. Im OECD-Schnitt erreichen 32 % der jungen Menschen einen Hochschulabschluss, in Deutschland ganze 19 %.

Wenn ich mir die Reaktionen der Politik hierauf ansehe, dann sage ich nur: Ich habe den Eindruck, dass aus Teilen der Politik heraus diese Problemlage eher noch verschärft werden soll. Denn wenn die Schülerzahlen zurückgehen, so wird dies irgendwann auch die Hochschulen erreichen. Dennoch gibt es eine starke Auffassung aus der Opposition heraus, Studiengebühren einzuführen. Es gibt seitens der CDU einen Angriff auf ein darlehensfreies BAföG, es gibt den Angriff auf das Abitur als alleinige Hochschulzugangsberechtigung und Ähnliches mehr. Hier gibt es also eine Politik, die das Problem der Hochschulen weiter verschärfen wird und nicht abbaut. Das bedeutet ein Stück weit, die Augen vor dem Problem zu verschließen. Das können wir nicht akzeptieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Erlauben Sie mir noch ein paar Worte in Richtung SSW. Verehrte Kollegin Spoorendonk, wir sollten den Eindruck vermeiden, man könne einen Wandel in der Schulpolitik per Knopfdruck oder dadurch erreichen, dass man einfach einen Hebel umlegt. - Das will ich Ihnen auch nicht unterstellen. Aber zu glauben, man könne kurzfristig noch in dieser Legislaturperiode Strukturen verändern, ist unserer Auffassung nach daneben.

Ich will hinzufügen: Mir ist übrigens auch nicht bekannt, dass es beispielsweise irgendwo in Skandinavien ein Modell einer sechsjährigen Grundschule gibt. Wir würden also einen neuen zusätzlichen Sonderweg beschreiten, den wir so nicht wollen.

(Widerspruch beim SSW)

Wir wollen eine kontinuierliche Entwicklung auf ein längeres gemeinsames Lernen hin mit dem Ziel, bis zum Ende der Sekundarstufe I ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das ist das, was man jetzt machen kann, lieber Kollege!)

- Nein, ich will das noch einmal deutlich sagen: Das ist etwas, was sozusagen von einer kontinuierlichen Entwicklung wegführt und unseres Erachtens nicht zielführend ist.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident, ich formuliere meinen letzten Satz. Die Erfahrungen aus Skandinavien sind in einer anderen Hinsicht auch noch hilfreich, nicht nur im Hinblick auf die Ergebnisse zur Schulform, sondern auch, wie es gelingen kann, im politischen Raum einen breiten Konsens für eine bessere Schule herzustellen. Es ist völlig unvorstellbar, dass sozusagen das politische Lager von ganz links bis ganz rechts - -

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, Sie hatten Ihren letzten Satz bereits formuliert!

Ich war zwar noch bei einem letzten Komma, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier meine Rede zu beenden. Ich möchte der Hoffung Ausdruck geben, dass wir es wie in Skandinavien schaffen, dass alle politischen Kräfte gemeinsam an „einer Schule für alle“ mitwirken.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Abgeordneter Eisenberg das Wort.

Herr Landtagspräsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich behaupte noch einmal: Wir brauchen

(Sylvia Eisenberg)

kein anderes Schulsystem, sondern eine Verbesserung der Qualität unserer Schulen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

- Gemach, gemach!

„Eine vordergründige Konzentration auf die skandinavischen Länder und auf Schulsysteme führen uns nicht weiter, vielmehr ist auf Unterrichtsmethodik, Organisation des Schulalltages, Aus- und Fortbildung der Lehrer und zur Verfügung stehende Lernzeit abzustellen.“

So, meine Damen und Herren, Frau Erdsiek-Rave noch im Februar 2002 vor dem Europaausschuss des Landtages und in sämtlichen Landtagsreden - bis zum März 2004. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Jetzt plötzlich aber springt unsere Kultusministerin auf den Zug „eine Schule für alle“ auf, „Hamburger Abendblatt“ vom 21. September 2004. Wie ist eigentlich dieser Wandel zu erklären? - Jedenfalls nicht mit der veröffentlichten OECD-Studie. Denn diese Zahlen - das ist hier mehrfach gesagt worden - fußen auf statistischen Erhebungen der Jahre 2001 und 2002 und bringen auch im Verhältnis zu den PISA-Ergebnissen der Jahre 2001/02 keine wirklich neuen Ergebnisse. Deshalb, Frau Erdsiek-Rave, ist eine Rolle rückwärts, wie Sie sie gerade gemacht haben, hinein in die Strukturdebatte der 70er-Jahre überhaupt nicht angebracht und sachlich nicht notwendig. Sie ist auch deswegen nicht erforderlich, da selbst PISAKoordinator Jürgen Baumert erklärt, dass sich keine belastbaren Ergebnisse aus der PISA-Studie für eine Änderung der Schulstruktur herleiten lassen, ebenso wenig wie aus der OECD-Studie. Ich zitiere: „PISA-Studie und OECD-Zahlen untermauern Forderungen nach einem Gesamtschulsystem nicht.“ - Nachzulesen im „Focus“ vom 20. September 2004.

Das zentrale Ergebnis der PISA-Untersuchung ist, dass wir die Qualität von Schulen verbessern müssen, nicht, dass wir irgendwelche Schulsysteme verändern müssen.

Warum, Frau Erdsiek-Rave, beginnen Sie jetzt eine Schulstrukturdebatte, die unnötig ist wie ein Kropf? Unnötig ist sie deshalb, weil eine Debatte über die Schulstruktur die notwendigen inhaltlichen Veränderungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Aber vielleicht, Frau Erdsiek-Rave, sind auch Sie der Auffassung, dass Ihre Reformbemühungen zu spät und zu halbherzig sind, Ihre so genannten Rahmenvereinbarungen und Leitlinien unverbindlich sind und nicht zum gewünschten Erfolg führen werden. Dann allerdings erklärt sich der Sinneswandel hin zu einer Gesamt- und Einheitsschule.

Was wir an unseren Schulen brauchen, ist eine Qualitätsoffensive, eine konsequente Förderung bereits vom Kindergartenalter an, eine Förderung der Schwachen und Starken - da hatten wir mal Konsens -, die Durchlässigkeit zwischen den Schularten, eine Vergleichbarkeit der Leistungen und Ergebnisse aufgrund verbindlicher Bildungsstandards und externer Überprüfung. Wir brauchen eine Unterrichtsversorgung, die sich zumindest am Durchschnitt der Länder orientiert und ein Schulsystem, das den unterschiedlichen Begabungen und Leistungen der Kinder und Jugendlichen gerecht wird. Wir brauchen auch motivierte Lehrkräfte, die sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe, den Unterricht, konzentrieren können und nicht im bürokratischen Hickhack ihre Kraft verbrauchen. Und, Frau Erdsiek-Rave, wir brauchen Verlässlichkeit in der Bildungspolitik.

(Unruhe)

Was wir nicht brauchen, ist ein Schulsystem, das Grund-, Haupt-, Realschüler, Gymnasiasten und Sonderschüler über einen Kamm schert, das Begabungen, Fähigkeiten und Leistungen nicht berücksichtigt - -

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Frau Abgeordnete, einen Moment bitte, ich muss Sie einmal unterbrechen. - Meine Damen und Herren, ein kommunikatives Parlament ist eine schöne Sache, aber Schwatzhaftigkeit zähle ich nicht unbedingt dazu.

(Vereinzelter Beifall)

Wir brauchen auch keine Kultusministerin, die als Zielsetzung die neuerdings zwangsweise Zusammenführung der Haupt-, Realschüler und Gymnasiasten ohne ersichtlichen Grund zu ihrem Ziel erklärt.

Ein Grund könnte darin liegen, dass sie den linken Ideologen ihrer Partei jetzt Folge leistet, um damit möglicherweise die anerkannten - auch in PISA anerkannten - Leistungen unserer Gymnasien und Realschulen wieder zu nivellieren. Wir brauchen auch keine Kultusministerin, die unsere Kinder wider besseres Wissen - ich erinnere noch einmal an das Zitat von Jürgen Baumert - zu Versuchskaninchen

(Glocke des Präsidenten)

für ihre bildungspolitischen Ziele und für ihre Wahlkampfführung ausersieht. Machen Sie erst einmal

(Sylvia Eisenberg)

Ihre Hausaufgaben, Frau Erdsiek-Rave, dann sprechen wir uns wieder!