Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Mut gefasst, mich in einer Bildungsdebatte zu Wort zu melden, weil ich bei dem Beitrag des Kollegen Hentschel festgestellt habe, dass ich davon mindestens genauso viel verstehe wie er.
Ich bin wirklich begeistert, wenn man der Debatte folgt - das mache nicht nur ich, sondern das tun auch viele Interessierte außerhalb -, wie schnell wir doch mit Erklärungen parat sind. Kollege Hentschel fordert zu Recht, wir müssen in Ruhe analysieren. Aber das Ergebnis der Analyse steht bereits fest, nämlich: Wir brauchen eine Schulformdebatte und eine möglichst langjährige Einheitsschule für alle. Für den SSW stand das sowieso schon immer fest.
(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir beschäftigen uns ein bisschen länger mit dem Thema als Sie, Herr Kubi- cki!)
- Frau Birk, das Ergebnis Ihrer Einheitsschule kann ich jedes Mal zur Kenntnis nehmen, wenn Sie sich zu Wort melden.
Zunächst einmal geht es darum, dass wir Fakten zur Kenntnis nehmen. Gelegentlich muss man nach oben zum Rednerpult kommen und widersprechen, wenn hier einfach Behauptungen in den Raum hinein gestreut werden, denn die Leute denken sonst, es ist alles wahr, was die Grünen erzählen. Die Behauptung des Kollegen Hentschel, Österreich liege nicht unter den ersten Zehn bei der PISA-Studie, wird durch die amtlichen Erklärungen widerlegt. Beim Leseverhalten liegt Österreich auf Platz 10, bei den Naturwissenschaften liegt Österreich, Herr Kollege Hentschel, auf dem Platz 8. Viel spannender ist aber: Wäre Bayern ein eigenes Land, dann würde Bayern beim Lesen zwischen Schweden und Österreich liegen, Bayern läge jedenfalls immer unter den ersten Zehn, und bei den Naturwissenschaften läge es zwischen Schweden und Baden-Württemberg, jedenfalls auch deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Wo Schleswig
Da Bayern die stärkste Differenzierung hat, müssen wir jetzt die Frage beantworten: Wollen wir alle das bayerische Modell haben, da die starke Differenzierung offenbar zu solchen Ergebnissen führt? - Das kann es doch wohl nicht sein. Also müssen wir uns doch ernsthaft fragen, was hinter diesen Ergebnissen steckt. Was ist eigentlich das Ergebnis, was uns PISA und was uns die OECD berichten, das, was wir uns in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hier im Haus als Inhalt von Bildungspolitik vorgestellt haben? Haben wir nicht Debatten geführt - ich kann mich erinnern, Herr Kollege Klug, dem ich immer sehr genau zuhöre, hat die Frage auch schon einmal gestellt -: Ist denn die Wissensvermittlung nur nachrangig gegenüber der Vermittlung von sozialer Kompetenz? Was wird denn hier abgefragt? - Wissensvermittlung. Wollen wir uns diesen Standards eigentlich annähern, die andere aufstellen? - Wenn wir Ja sagen, müssen wir den Inhalt des Unterrichts in Deutschland ändern, und zwar egal in welcher Schulform.
- Liebe Anke, die Finnen haben eine Einheitsschule, das weißt du ganz genau, das wissen Sie ganz genau, Frau Abgeordnete Spoorendonk, weil sie ein riesiges Flächenland sind mit einer geringen Bevölkerungsdichte und man dort den Unterricht auf dem Land gar nicht anders organisieren kann. Dort könnte man das differenzierte System gar nicht aufbauen, sonst hätte man für jede Schulart nur ein oder zwei Leute.
Die Finnen haben überwiegend ganz kleine Schulen, 60 Schüler in einer Schule. Das sind Dinge, die können wir uns hier nur wünschen.
Wenn wir uns Großbritannien angucken, Kollege Weber, müssen wir uns fragen: Wollen wir diese Art der Differenzierung, die in Großbritannien vorhanden ist, wo 8 % der Schüler auf private Eliteschulen gehen, wo man bis zu 30.000 € pro Jahr zahlen muss und dafür auch entsprechende Ergebnisse erwarten kann? Wollen wir diese Form der sozialen Differenzierung auch in Deutschland, indem wir eine Einheitsschule propagieren und anschließend diejenigen, die aus reichen Elternhäusern kommen, die es sich leisten können, das zu organisieren, ihre Kinder in
Wenn wir es mit einer genaueren Analyse ernst meinen, dann sollten wir das tun. Wir sollten dann aber jetzt keine Schulformdebatte beginnen, wie sie Sozialdemokraten, Grüne und SSW möglicherweise wollen. Wir haben keine Angst davor. Wenn wir jetzt im Wahlkampf so eine Schuldebatte führen wollen, dann müssen mir die Sozialdemokraten erklären, warum - wie im Grundsatzprogramm von Clement und anderen vorformuliert - von einer zu organisierenden Eliteschule gesprochen wird. Sie müssen mir erklären, warum Peer Steinbrück sagt, wir brauchen in Nordrhein-Westfalen eine Landschaft mit Eliteschulen. Sie müssen mir erklären, warum Eliteuniversitäten gegründet werden sollen und warum Frau Bulmahn jetzt sogar dafür Geld herausschmeißt, um Eliteuniversitäten finanziell zu fördern. Meine Bitte ist die: Nehmen wir Emotionen heraus. Wir sollten nicht wieder in die alten Schützengräben zurückkehren, die wir in der Vergangenheit hatten.
- Lothar Hay, ob 13 % des Unterrichts im gegliederten Schulsystem oder bei Einheitsschulen ausfallen, ist völlig egal. Die Leute erhalten 13 % weniger Unterricht. Das ist keine Frage der Schulform!
- Erklären Sie doch, warum Schleswig-Holstein nach 17 Jahren rot-grüner Regierung bei der PISA-Studie im Vergleich so weit unten steht. Das ist das Ergebnis eurer Bildungspolitik!
Das kommt nicht von George Bush und das kommt nicht von der Schulform, denn die Schulform unterscheidet sich nicht von der in Bayern. Die Bayern stehen im Vergleich mit Schleswig-Holstein deutlich besser da. Ich führe diese Debatte gern. Das Versagen der schleswig-holsteinischen Schulpolitik ist offenkundig. Es hat aber nichts mit der Schulform zu tun, sondern vielmehr mit der Bildungspolitik, die diese Regierung zu verantworten hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Das, was die Opposition hier hervorbringt, überzeugt überhaupt nicht. Sie nimmt nicht zur Kenntnis, dass die Abiturientenquote in Bayern bundesweit am niedrigsten ist. Die bayerischen Hochschulen wären ohne den Zufluss von außen völlig aufgeschmissen. Die Opposition nimmt auch nicht zur Kenntnis, dass die Entmischung der Hauptschulen in Bayern tatsächlich weniger stattgefunden hat als in den anderen Bundesländern. Herr Kubicki, man muss sich differenziert mit den Sachverhalten beschäftigen. Es nützt nichts, nur die Überschriften zu lesen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf die Kollegin Eisenberg eingehen. Frau Eisenberg, innere und äußere Schulreformen haben etwas miteinander zu tun. Die Bildungsministerin in Schleswig-Holstein hat mit vielen inneren Schulreformen begonnen. Irgendwann hat sie in der öffentlichen Debatte - aber auch anhand der Erfahrungen - gemerkt, wo die Grenzen sind. Wir sind nicht bereit, die Oppositionsgrenzen mit ihren Scheuklappen zu akzeptieren.
Sie wollen nur eine innere Schulreform. Wenn Sie aus inneren Reformen heraus merken, dass der innere Prozess in sich widersprüchlich wird, dann stellen sich Fragen: Wie wollen Sie mündige Lehrerinnen und Lehrer erleben und mündige Schülerinnen und Schüler erziehen, wenn es zu wenig Autonomie gibt und wenn die Botschaft sowohl für Lehrerinnen und Lehrer als auch für Schülerinnen und Schüler lautet: „Wenn du für diese Schule nicht taugst, dann gibt es immer noch ein System darunter, auf das du abgeschoben werden kannst“? Das ist ein Widerspruch, auch für die innere Organisation und die Botschaft der Pädagogik. Da müssen wir ansetzen. Insofern hängen innere und äußere Schulreformen zusammen.
Ich komme nun zu einem Thema, bei dem uns auch die Kultusministerkonferenz Schranken gesetzt hat, weil dort konservative Mehrheiten sind. Sie zwingen uns, selbst in den Gesamtschulen nach Leistung orientierte Gruppeneinteilungen vorzunehmen. Im Grunde genommen bedeutet dies eine Schulartenorientierung selbst in der Gesamtschule. Das ist der Hemmschuh bei der Weiterentwicklung der Gesamtschulen. Insofern müssen wir uns jetzt Wege überlegen, wie wir dazu kommen, den Konsens zu fördern, die Beschlüsse in der Kultusministerkonferenz abzu
Zweitens müssen wir uns überlegen, was wir in Schleswig-Holstein tun können, um hier für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, einerseits mit einer Experimentierklausel den vorgestrigen Normen der KMK zu genügen und andererseits trotzdem schon die ersten Schritte in Richtung eines neuen Schulsystems zu machen. Darüber sollten wir uns Gedanken machen. Hierzu brauchen wir juristischen Sachverstand. Wahrscheinlich brauchen wir aber auch ein bisschen Mut.
Ich sehe mit Freude, dass in Nordrhein-Westfalen die Laborschule Bielefeld oder auch die am Herforder Modell zur Autonomie beteiligten Schulen Schritte gemacht haben, die die KMK bisher akzeptiert. Wir haben auch hier in Schleswig-Holstein eine ganze Reihe von neuen Entwicklungen. Die Ministerin hat aufgezählt, welche Entwicklungen sie angeschoben hat. Ein Ergebnis ist beispielsweise, dass in Schleswig-Holstein die Stiftung Bildung in Kiel sagt: Wieso können wir hier nicht mit einem Schulmodell nach finnischem Vorbild anfangen? Das müssen wir ermöglichen!
Ich komme jetzt zu Ihnen, Frau Spoorendonk. Warum sind wir als Grüne zögerlich, Ihr Angebot mit der sechsjährigen Grundschule aufzunehmen? Es klingt auf den ersten Blick ein wenig absurd, aber wir glauben, dass Ihr Vorschlag die Verhältnisse nur zementiert. Nehmen wir an, alle kleinen Grundschulen sagen, wir überwinden unsere Kleinheit, indem wir sechs Schuljahre haben. Wir haben dann mehr Schüler und all die Dinge, die bisher gerechnet wurden, rechnen sich dann. Wenn danach das weiterhin geteilte Schulsystem nicht angegangen wird, dann haben wir trotz der jetzigen Mittel für Ganztagsschulen und Sanierung keine richtige Schulentwicklungsdebatte. Wir brauchen aber eine Schulentwicklungsplanung, die zukunftsfähig ist. Wenn wir das Thema einfach nur in den strukturschwachen Gebieten angehen, indem wir zwei Jahre an die Grundschulzeit anhängen, dann umgehen wir die Hauptentscheidung und erweisen uns selbst einen Bärendienst. Ich finde, Ihre Argumente sind ernsthaft dahingehend zu prüfen, ob sie der erste Schritt oder nur Notbehelf sind. In dieser Debatte haben Sie mich noch nicht überzeugt.
Denn es kommt hinzu: Wir haben nach der sechsten Klasse Kinder oder Jugendliche in der Pubertät. In dieser Phase werden sie dann in neuen Klassen zusammengestellt. Ob das pädagogisch günstig ist, wenn wir andererseits die Vision einer Schule mit neunjährigem gemeinsamen Lernen vor uns haben, möchte ich infrage stellen. Insofern nehme ich Ihren
Vorschlag sehr ernst, Frau Spoorendonk, aber ich glaube, wir sollten uns nicht mit der sechsjährigen Grundschule verwirren, wenn wir eine wirkliche Reform anschieben wollen. Wir brauchen alle Kraft, um tatsächlich die Dreigliedrigkeit, beziehungsweise die faktische Fünfgliedrigkeit, abzuschaffen. Wir brauchen nicht gleichzeitig ein Nebengleis, das im Grunde genommen allen die Möglichkeit belässt, alles so zu belassen, wie es ist.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Wolfgang Kubicki, si tacuisses, kann ich nur sagen. Was waren das noch für Zeiten, als Wolfgang Kubicki Assistent in der FDP-Fraktion war und Leute wie Neitzel und Hadewig in Schleswig-Holstein mit uns zusammen Bildungspolitik gemacht haben. Die war wirklich um Meilen fortschrittlicher als das, was ich hier heute von der FDP höre.
Niemand behauptet, dass das System allein die Ursache aller Probleme ist. Das habe ich nie gesagt und das sage ich auch heute nicht. Ich sage aber: Wir müssen erkennen, dass das System ein Teil unseres Problems ist. Liebe Frau Eisenberg, ich denke, Sie werden das irgendwann auch noch lernen. Das bestreitet niemand mehr. Lesen Sie nicht nur das, was Herr Baumert und andere sagen, sondern lesen Sie das, was in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert wird. Hören Sie einmal hin! Ich bin - nicht nur in diesem Land und zu dieser Frage - wirklich viel unterwegs. Ich stelle in der Bevölkerung, in der Wirtschaft und bei den Eltern sehr viel mehr Offenheit in dieser Frage fest, als Sie und manche Bildungsfunktionäre das überhaupt wahrhaben wollen. Zum Glück ist das so.
Ich will das noch einmal zurück auf den Kern und weg von dem Hickhack um das eine oder andere Problem bringen, wobei das kein Ablenkungsmanöver ist. Ihre Reden waren Ablenkungsmanöver, weil Sie sich mit der Frage, die ich jetzt noch einmal stellen will, gar nicht auseinander setzen. Eine der entscheidenden Fragen, die die Menschen heute bewegt und die einen der Werte darstellt, die die Gesell