Protokoll der Sitzung vom 23.09.2004

Ich komme zu der in der Tat wichtigen Frage: Welche Vorteile haben Patientinnen und Patienten von der integrierten Versorgung zu erwarten?

Zunächst einmal nenne ich die sektorenübergreifende Versorgung aus einer Hand. Sie verhindert unnötige Doppeluntersuchungen. Die Patientin beziehungsweise der Patient kommt in den Genuss einer abgestimmten Abfolge ambulanter, stationärer und Nachsorgeleistungen sowie der Erstversorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln.

Damit wird die lästige patientenunfreundliche und letztlich natürlich auch sehr kostenintensive Schnittstellenproblematik endlich überwunden. Sie wird damit in diesem Bereich der Vergangenheit angehören.

Zweitens haben wir eine Gewährleistungsregelung. Diese stellt sicher, dass den Patientinnen und Patienten höchste Qualität in der medizinischen Versorgung gesichert wird. Das leuchtet all denjenigen ein, die wissen, welche Nachteile mit einer sektorenabgrenzenden Behandlung verbunden sind. Es geht also um Hilfen aus einer Hand.

Drittens rechnet sich das alles. Es können finanzielle Anreize vom Bonusmodell bis zur Zuzahlungsbefreiung mit den Kassen vereinbart werden.

Viertens wird durch abgestimmte und strukturierte Behandlungsprogramme die bisherige strenge Abgrenzung der einzelnen Versorgungssektoren überwunden. Sie wird in Zukunft noch dadurch weiter entwickelt, dass es Behandlungsleistungen für die wichtigsten Erkrankungen durch ein unabhängiges Institut geben soll.

Diese Form der Leistungserbringung ist wirklich eine innovative Versorgungsform. Sie wird dazu beitragen, die bestehenden Über-, Unter- oder Fehlversorgungen zu vermeiden. Alle Fachleute sind sich in dem Ziel einig, die Qualität der medizinischen Versorgung in unserem Gesundheitssystem weiter zu steigern und die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen, und zwar durch Vernetzung, Verzahnung und Integration. Dies sind die Mittel der Zukunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit sind wir in Schleswig-Holstein auf dem richtigen Weg. Die Landesregierung kann mit Stolz darauf verweisen, dass die Voraussetzungen besonders gut sind, weil wir hier über viele funktionierende Ärztenetze verfügen, sodass der nächste Schritt in die integrierte Versorgung in Schleswig-Holstein sehr leicht ist. Aber das ist auch politisch gewollt. Deswegen habe ich mir dieses Thema als Schwerpunktthema in der

(Ministerin Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan)

Gesundheitspolitik vorgenommen und treibe es gemeinsam mit den Akteuren im Lande voran.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die antragstellende Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Schümann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedauere, dass wir das Thema zu dieser Tageszeit diskutieren. Oben findet ja auch schon eine Veranstaltung statt. Daher meine ich, wir sollten das Thema an anderer Stelle vertiefen.

Es ist nämlich ein sehr wichtiges Thema. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Ministerin, für diesen - wenn auch kurzen - sehr eindrucksvollen Bericht. Wir sollten, wie gesagt, das Thema zu einem späteren Zeitpunkt weiter vertiefen.

Unser Gesundheitssystem ist leistungsfähig. Das wissen wir. Die gesetzliche Krankenversicherung als zentrales Element unserer sozialen Sicherungssysteme sorgt dafür, dass bei uns jeder, der krank wird, unabhängig von Alter und Einkommen die medizinische Versorgung bekommt, die er braucht, und zwar auf der Höhe des medizinischen Fortschritts. Das soll auch so bleiben; das ist zumindest die Auffassung meiner Fraktion.

Diese Sicherheit ist nicht so selbstverständlich. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend verändert. Außerdem läuft auch innerhalb des Systems nicht alles so, wie es sollte.

Experten haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung festgestellt. Manche Patienten erhalten zu viele Leistungen und Medikamente, andere zu wenig und wieder andere die falschen. Das schadet der Gesundheit der Betroffenen und kostet unnötig Geld.

Das Gesundheitswesen ist für die Patientinnen und Patienten da. Doch haben sie häufig kaum eine Chance, es zu durchschauen. Sie wollen wissen: Was ist die richtige Therapie? Welches Medikament nützt mir wirklich? Werde ich gut oder schlecht beraten?

Diesem Problem entgegenzuwirken ist das Ziel eines neuen Versorgungskonzeptes, nämlich der integrierten Versorgung. Krankenkassen erhalten die Möglichkeit, ihren Versicherten eine abgestimmte Versorgung anzubieten, bei der Fachärzte, ärztliche und nichtärztliche Leistungserbringer, ambulanter und

stationärer Bereich sowie gegebenenfalls Apotheken koordiniert zusammenwirken. Dies schafft eine passgenauere aber auch finanziell günstigere Versorgung, die es ermöglicht, Bonussysteme für Patienten und Leistungserbringer zu schaffen.

Dieses Ziel zu erreichen ist sicherlich nicht immer leicht. Wenn man sich mit den Beteiligten unterhält, erkennt man: das Beharrungsvermögen traditioneller Leistungsanbieter, Konkurrenz und so weiter wirken sicher immer noch wie Hemmnisse. Diese gilt es zu überwinden. Da kommt dem Krankenhaus der Zukunft eine ganz zentrale Bedeutung zu.

Deshalb sind die von Ihnen, Frau Ministerin, vorgetragenen Projekte ganz besonders zu begrüßen. Sie haben das Projekt Manhagen in der Parkklinik, das Projekt der Lubinusklinik oder das OP-Zentrum in Kronshagen erwähnt. Schon jetzt kommt das Versorgungsangebot zum Beispiel chronisch Kranken oder Patienten mit einem speziellen Behandlungsbedarf, zum Beispiel im Bereich der Augenheilkunde, zugute.

Ich begrüße ganz besonders, dass es jetzt offensichtlich ein sehr gutes geriatrisches Projekt im Land Schleswig-Holstein geben wird. Auch hier der Hinweis: Wir sind, was die geriatrische Versorgung angeht, sicherlich fortschrittlich. Wenn man sich den Regierungsentwurf der CDU-Regierung, der CDUKoalition

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der CDU: Sehr schön!)

- der CDU-Fraktion anguckt - Sie haben es geschafft, mich durcheinander zu bringen -, dann ist es schon interessant zu sehen, dass das Wort „geriatrische Versorgung“ bei Ihnen kaum vorkommt. Sie fordern diese Betten erst. Ich möchte Sie in Kenntnis setzen: Es gibt sie bereits.

Ich fordere alle beteiligten Krankenkassen und Leistungsanbieter auf, sich dieser neuen Entwicklung nicht zu verschließen, und begrüße die intensiven Bemühungen auch des Ministeriums zur Umsetzung dieses fortschrittlichen Versorgungsangebotes im Interesse der schleswig-holsteinischen Patientinnen und Patienten. Ich bin der Auffassung und auch sicher, dass wir diese Entwicklung nicht nur positiv begleiten werden, sondern uns auch weiterhin aktiv mit ihnen auseinander setzen und sie unterstützen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kalinka.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Integrierte Versorgung ist eine gute Idee. Die Praxis ist häufig schwieriger als die Theorie. Entscheidend ist erstens, dass die Versorgung tatsächlich besser wird, und zweitens, dass die Kosten gesenkt werden. Das müssen die beiden entscheidenden Indikatoren sein. Dass dies nichts Neues ist, hat die Frau Ministerin übrigens für Schleswig-Holstein dargelegt. Das ist auch die tägliche Praxis in vielen Krankenhäusern seit vielen Jahren.

Die Möglichkeiten sind seit der Gesundheitsreform ab 2004 mit einem finanziellen Anteil von 1 % erweitert worden. Hier muss man deutlich sagen, dieses 1 % geht zulasten der jetzigen Krankenhäuser und Praxen. Es wird aus dem bestehenden Budget genommen. Alles das, was hier gemacht wird, geht zulasten anderer. Diese Wirkung darf man nicht unterschätzen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

In unseren Krankenhäusern gibt es drei Jahre praktisch eine Nullrunde. Stellen werden nicht mehr besetzt. Wir haben einen Arbeitsplatzabbau von 1.500 Stellen. Diese Seite muss man auch sehen. Besser wäre es gewesen, dass man, wenn man dies gewollt hätte, tatsächlich draufgelegt hätte. Das wäre finanziell ehrlicher gewesen.

Integrierte Versorgungsformen sind abhängig von regionalen Strukturen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Herr Kollege! Ein bisschen mehr Gehobenheit darf es auch am Ende des Tages sein. Ich komme auf den Punkt gleich noch einmal zu sprechen.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Das haben wir erwartet! Es kommt nichts!)

Regionale Strukturen sind davon abhängig. Nehmen Sie die Bundesknappschaft, die gute Ideen vorgelegt hat, das im Übrigen auch gut praktiziert, die aus einer Krise eine Chance gemacht hat - es ist lohnenswert, sich das anzuschauen -, die auch finanziell interessante Ergebnisse hat. Es muss alles zueinander passen.

Von daher ist das, was in Schleswig-Holstein stattfindet, nichts Neues, sondern Ergebnis dessen, dass diese Möglichkeiten ab dem Jahr 2004 im Rahmen der Gesundheitsreform zur Verfügung stehen.

Dass das nicht viel Neues ist, lassen Sie mich abschließend daran belegen: Vergleichen Sie einmal die Begründung des Antrages, den Sie vorgelegt haben,

mit dem, was das Redaktionsbüro Gesundheit, ein Servicebüro des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung, herausgegeben hat. Das ist fast identisch. - So weit zu Ihrer Kreativität, meine Damen und Herren!

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!)

Wir unterstützen integrierte Versorgungsformen, machen aber darauf aufmerksam, dass dies im Augenblick finanziell zulasten anderer geht. Entscheidend ist, dass für die Patienten ein Mehr dabei herauskommt und dass Kosten gesenkt werden. - Ich hoffe, ich war kurz genug.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Kolb.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Nicht jeder kann Sachkenntnis haben!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Baasch hat es gerade gesagt: Nicht jeder kann Sachkenntnis haben. Ich behaupte einmal, ich habe sie nach 30 Jahren im Gesundheitsberuf.

Frau Ministerin, vielen Dank für den Bericht. Sehr interessiert habe ich Ihre Aussagen zur Kassenärztlichen Vereinigung wahrgenommen. Da habe ich bislang anderes gehört. In der Sache stimme ich mit Ihnen überein.

Immer wieder wurde sie gefordert, seit Jahren ist sie Gesetz und trotzdem ist sie noch nicht so recht aus den Startlöchern gekommen, außer dass wir über einen Flickenteppich sprechen: Die Rede ist von der integrierten Versorgung. Warum eigentlich? Liegt es an der Idee? Liegt es an der Umsetzung? Oder liegt es daran - das wurde eben schon gesagt -, dass Ihnen nicht mehr sehr viel einfällt? Das sehen wir daran - der Kollege Kalinka sagte es eben schon, meine Damen Unterzeichnerinnen-: Die Begründung einfach abzuschreiben, ist ein bisschen arg einfach.

Mit integrierter Versorgung ist die Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Patientenversorgung gemeint. Das wissen wir alle. Dafür sollen die Versorgungspartner, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte Ideen entwickeln, wie sie sich die Behandlungsabläufe aufeinander abstimmen und - das ist der alles entscheidende Faktor - Kosten einsparen.

(Veronika Kolb)

Im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes sollte die engere Verzahnung der ambulanten und der stationären Versorgung beschleunigt werden. Denn für die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ist die Abschottung der Sektoren eine der Gründe für die viel zitierte „Über-, Unter- und Fehlversorgung“ im Gesundheitswesen. Nach ihrem Willen überwindet die so genannte integrierte Versorgung die „Schnittstellenprobleme zwischen den einzelnen Sektoren, reduziert unnötige Untersuchungen im Behandlungsprozess, schafft mehr Vertrauen in die Therapie und leistet einen erheblichen Beitrag zur finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems“. So jedenfalls die Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums auf der zur Gesundheitsreform eingerichteten Internetseite. Das hört sich zunächst sehr viel versprechend an. Aber wir sind leider vom Ziel noch deutlich entfernt.