Protokoll der Sitzung vom 12.11.2004

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Ich erteile dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Zeitpunkt, zu dem wir die Föderalismusdebatte führen, zeugt nicht gerade vom Selbstbewusstsein des Parlaments.

(Beifall bei CDU und FDP)

Vielleicht ist der Zeitpunkt auch das Signal dafür, dass die Föderalismusdebatte eben nicht mit dieser Landtagssitzung zu Ende ist, sondern dass wir über den Tag hinaus eine Verpflichtung wahrzunehmen haben. Im Übrigen stimme ich mit dem Kollegen Hay in den grundsätzlichen Ausführungen mit einer Einschränkung überein, über die in der Tat noch diskutiert werden muss. Das ist die Jugendhilfe. Herr Hay, hier bin ich nicht sicher, ob nicht im Bundesrat, trotz der Intervention von Frau Lütkes, gemeinsam eine andere Entscheidung getroffen worden ist.

Sei es drum. Ziel der Kommissionsarbeit ist es, die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu verbessern, die politischen Verantwortlichkeiten deutlicher zuzuordnen und die Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern. Gleichzei

(Martin Kayenburg)

tig - und auch da stimme ich Ihnen zu - sollen die Defizite der deutschen Verhandlungsposition auf europäischer Ebene reduziert werden. Trotz vieler ungeklärter Fragen ist es so, dass bis zum 17. Dezember von den beiden Vorsitzenden ein Ergebnis präsentiert werden soll, das mit den einzelnen Gruppen diskutiert ist. Das ist dann zwar möglicherweise nicht - wie erhofft - eine große Reform, aber immerhin eine vertretbare Reform.

Unseres Erachtens muss es vor allem politisches Ziel sein, eine föderale Ordnung zu schaffen, die den Wettbewerb um politische Lösungen innerhalb Deutschlands möglich macht. Ich glaube, ein so verstandener Wettbewerbsföderalismus, nämlich Wettbewerb um politische Lösungen, Herr Hay, könnte sicherlich auch von den Kollegen von der SPD mitgetragen werden.

Eines ist sicher: Wir stecken in einem gewaltigen Reformstau. Wenn wir den nicht auflösen, dann ist es in der Tat um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nicht gut bestellt. Ein verkrustetes System des koordinierenden Föderalismus hemmt Innovationen auf fast allen Gebieten. Der ursprüngliche Gestaltungsföderalismus ist längst zu einem bloßen Beteiligungsföderalismus geworden. Dies ist der Anlass, warum wir dringend Änderungen herbeiführen müssen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ich bin eigentlich mit großem Optimismus in die Diskussion gegangen. Allerdings muss man sagen: Wenn man die Debatte in der Kommission verfolgt und wenn man vor allem sieht, wie die einzelnen Gruppen versuchen, ihre eigenen Interessen zu sehen, dann ist die Frage: Kommen wir noch zu dem Ergebnis, das wir ursprünglich mit der Lübecker Erklärung auf den Weg gebracht haben? Dies gilt - so muss man sagen - zum Teil übergreifend für die Kollegen der Bundestagsfraktionen. Das gilt aber ganz besonders - ich bitte um Nachsicht - für die Kollegen der SPD, die eher in Richtung Zentralismus denken. Im Übrigen gilt das auch für einige ostdeutsche Ministerpräsidenten, die das sehr deutlich gesagt haben. Ich denke, es ist an dieser Stelle angebracht, Herrn Ahrens für das, was er mitinitiiert hat, noch einmal zu danken.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU haben im Sommer einen Katalog auf den Weg gebracht, der auch als Kommissionsdrucksache in die Arbeit eingebracht worden ist. Ich weiß, das waren mutige und weitreichende Forderungen. Man kann nicht alles

erreichen. Deswegen glaube ich, dass das Kompromisspapier der Münchener Erklärung, das sowohl von allen Landtagspräsidenten, die in der Kommission vertreten waren, als auch von allen Fraktionsvorsitzenden, die als beratende Mitglieder dort waren, unterschrieben worden ist, ein guter Kompromiss ist. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auch wieder in die Öffentlichkeit gehen. Leider ist die ganze Kommissionsdiskussion inzwischen zu einer Insiderveranstaltung geworden. Leider haben auch die Medien dieser so wichtigen Arbeit nach meiner Auffassung nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt.

(Beifall des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Ich glaube, wir sollten den Kommissionsvorsitzenden Müntefering und Stoiber, die noch eine große Aufgabe vor sich haben, Glück für das wünschen, was sie bis zum 17. Dezember noch bewerkstelligen müssen. Ich denke, dass die von uns heute mit unterzeichnete Münchener Erklärung, die noch einmal an die gesamtstaatliche Verantwortung aller Beteiligten in der Kommission appelliert, die richtige Basis ist, um aus der Föderalismuskommission und aus deren Arbeit doch noch einen Erfolg zu machen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Reform der bundessstaatlichen Ordnung -, kurz: Föderalismusreform - ist zu Recht - ich glaube, das Zitat stammt von Peter Glotz - als Mutter aller Reformen bezeichnet worden. Denn ohne eine klare Trennung und Neuverteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern wird in Deutschland weiter sehr viel Sand im staatlichen Getriebe bleiben. Die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit aller staatlichen Ebenen wäre weiter eingeengt. Das Schwarze-Peter-Spiel wechselseitiger Schuldzuweisungen ginge weiter.

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Auch wenn sich das sehr komplexe Thema nur schwer in der Öffentlichkeit vermitteln lässt, müssen wir den Bürgern sagen, dass das Schicksal der Föderalismusreform über die Zukunftschancen in Deutschland entscheiden wird. Es ist nicht so, dass sich unser Staat den in Jahrzehnten gewachsenen Kompetenzdschungel weiter leisten kann. Politische Blockaden

(Dr. Ekkehard Klug)

zwischen Bund und Ländern, doppelte und dreifache Verwaltungszuständigkeiten und die Bindung knapper Finanzmittel in zahlreichen Mischfinanzierungssystemen fordern zunehmend einen hohen Preis. All dies hemmt und lähmt den Fortschritt, den ein Staat, der immer mehr von seiner eigenen Substanz lebt, eigentlich dringend braucht.

Jetzt, da die Beratungen der vom Bundestag und Bundesrat gebildeten Reformkommission in die entscheidende Endphase eingetreten sind, meldet sich natürlich die Riege der Bedenkenträger besonders laut zu Wort - Besitzstandswahrer und Angsthasen, die organisierten Interessen in großen Verbänden, aber natürlich auch die einzelnen Vertreter der politischen Institutionen auf Bundesebene und in den Ländern.

Jeder weiß natürlich, dass eine verfassungsändernde Mehrheit am Ende nur durch Kompromisse erreichbar sein wird. Wie in allen Verhandlungssituationen hat aber derjenige von vornherein schon verloren, der nicht in der Lage ist, seine Verhandlungsposition ganz klar zu definieren. Die Präsidenten der Landesparlamente und die Vertreter der Landtagsfraktionen in der Bundesstaatskommission haben nach unserer Auffassung diese Positionsbeschreibung, die für die Verhandlungen erforderlich ist, in der Münchener Erklärung überzeugend und richtig vorgenommen. Die FDPLandtagsfraktion stellt sich deshalb ausdrücklich hinter die Erklärung. Wir haben uns in den letzten zwei Wochen schon etwas darüber gewundert, welche Schwierigkeiten die SPD-Landtagsfraktion damit gehabt hat, den von Landtagspräsidenten Heinz-Werner Arens angeregten gemeinsamen Resolutionsentwurf mitzuzeichnen. Das ist jetzt dadurch geheilt worden, dass heute als Tischvorlage dann doch die Bekräftigung der Münchener Erklärung jedenfalls zu - sage ich einmal - 95 % erfolgt ist. Kleine Abweichungen habe ich bei der Durchsicht sehr wohl festgestellt.

(Holger Astrup [SPD]: 94 %!)

- 94 %. Holger Astrup hat wie immer auf seinem Computer ganz genau nachgerechnet.

Natürlich gibt es in allen politischen Lagern auf der Bundesebene auf der einen Seite und der Länderebene auf der anderen Seite - das ist auch schon gesagt worden - zum Teil unterschiedliche Positionen. Die sind gerade in der letzten Zeit in der SPD zwischen dem SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering, einem der beiden Co-Vorsitzenden der Bundesstaatskommission, auf der einen Seite und dem Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der anderen Seite sehr deutlich geworden. Ich zitiere aus dem „Spiegel“ vom 25. Oktober 2004:

„Längst vermutet man in der SPD-Fraktion,“

- gemeint ist die SPD-Bundestagsfraktion -

„dass der Kanzler unter Umständen gar kein Interesse an einer konsequenten Entfernung der Kompetenzen haben könnte. Schließlich gehört es zu seiner Linie, die Opposition in möglichst viele Entscheidungen der Regierung einzubinden.“

Im Kern geht es bei der Föderalismusreform um einen sehr einfachen Zusammenhang, den niemand, der Fortschritte erreichen will, ignorieren kann. Wenn der Bundestag künftig in deutlich mehr Bereichen als bisher Gesetze beschließen können soll, die nicht der Zustimmung des Bundesrates, das heißt der Länderregierungen bedürfen, dann muss der Bund im Gegenzug auch bereit sein, den Ländern und damit auch den Landesparlamenten mehr eigenständige Gestaltungsbereiche einzuräumen. So einfach ist das.

(Beifall bei FDP und CDU und vereinzelt bei der SPD)

Der Bund ist aber lange Zeit nur bereit gewesen, so bedeutende Kompetenzbereiche wie das Notar- und Jagdwesen und den öffentlichen Freizeitlärm, also die Öffnungszeiten in Biergärten, in die alleinige Länderzuständigkeit zu geben. Ein Kompromiss mit Geben und Nehmen ist so sicherlich nicht zu erreichen. Auch die jüngsten Angebote der Bundesjustizministerin Zypries gehen in diese Richtung. Da ist dann noch das Schornsteinfegerrecht dazugekommen und es sind auch noch echte politische Kuckuckseier dazugekommen, wie zum Beispiel der Vorschlag, dass die Küstenländer den Küstenschutz allein übernehmen sollen. Das ist auch schon angesprochen worden. Solche Offerten liegen ganz auf der Linie einer Bundespolitik, die immer wieder Lasten auf die anderen staatlichen Ebenen abzuwälzen geneigt ist. Ein letztes Beispiel ist die Einrichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen für den Altersbereich von null bis drei Jahren. Finanziert werden soll das Ganze - wie Sie wissen - mit angeblichen Einsparungen aus dem Bereich von Hartz IV.

(Klaus Schlie [CDU]: Die suchen wir noch!)

- Die sucht man noch. Sie brauchen nur die Zeitungen aufschlagen, dann lesen Sie überall, dass die Kommunen Mehrkosten haben. Die veranschlagte Summe ist auch nur ein Bruchteil dessen, was die kommunalen Spitzenverbände an Betriebskosten, vor allem auch Investitionskosten, für solche Einrichtungen ausgerechnet haben. Dieses Spiel muss in unserem

(Dr. Ekkehard Klug)

föderalen System aufhören, wenn wir politisch in den nächsten Jahren weiterkommen wollen.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Heinz-Werner Arens [SPD] - Glocke der Präsidentin)

- Das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Wir brauchen eine klare Zuordnung von Aufgaben und Zuständigkeiten. Der Kern einer funktionierenden Föderalismusreform ist, dass danach niemand in unserem Staat Beschlüsse auf Kosten anderer fassen kann.

Ich hoffe, dass wir trotz aller Schwierigkeiten bei diesem Reformprozess doch noch zu nennenswerten Fortschritten kommen werden.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hentschel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht bei der Föderalismuskommission um nicht mehr und nicht weniger als um eine neue Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein großes Vorhaben und es ist ein bedeutsames Vorhaben. Ich halte es für eines der wichtigsten Reformvorhaben dieser Republik überhaupt, das jetzt bewältigt werden muss. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, dass das bewältigt werden muss. Es ist nur die Frage, wie gut es bewältigt wird.

Ich hätte mir in der Debatte die Aussprache von mehr Visionen gewünscht und dass die grundsätzliche Diskussion auch mehr in der Öffentlichkeit geführt worden wäre.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kommt doch jetzt!)

Dass das nicht gelungen ist, liegt auch an den schwierigen Diskussionen innerhalb der einzelnen Parteien. Das muss man einfach feststellen. Das ist nicht nur bei den Sozialdemokraten so, auch bei uns gab es unterschiedliche Auffassungen, gerade auf Bundes- und Landesebene. Das ist natürlich bei einer Partei, die auf Bundesebene regiert, stärker der Fall als bei Parteien, die nicht auf Bundesebene regieren. Aber auch in den anderen Parteien hat es diese Diskussionen gegeben. Ich habe immer gesagt, dass wir eigentlich prädestiniert dafür sind, eine grundsätzlich neue Vision einer Verfassung vorzustellen. Es ist nicht gelungen, weil es unterschiedliche Auffassun

gen gab, sich in allen Punkten zu einigen und zu einem geschlossenen Modell zu kommen. Das muss man ehrlicherweise leider sagen.

Trotzdem möchte ich auf einige Punkte eingehen, die mir wichtig sind. Ich finde die Erklärung, die die Fraktionsvorsitzenden gemeinsam entworfen haben, ausgesprochen gut. Ich kann auch in einzelnen Punkten sagen, dass ich mit ihnen nicht einverstanden bin, aber ich finde sie insgesamt von der Sache her gut. Ich möchte mich außerordentlich bei den Fraktionsvorsitzenden bedanken, die an dieser Ausarbeitung beteiligt waren. Herr Kayenburg ist der Einzige, der hier aus Schleswig-Holstein daran beteiligt war. Ich möchte noch einmal explizit sagen, dass das eine hervorragende Arbeit ist, denn sie geht wesentlich weiter als das, was wir heute hier verabschieden. Es ist schon eine große Leistung, wenn das bundesweit zu einer Einigung führt. Von den Grünen haben ein Kollege aus Berlin und einer aus Baden-Württemberg mitgearbeitet. Von der SPD hat glaube ich auch ein Kollege aus Baden-Württemberg mitgearbeitet. In einigen Punkten kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber ich finde, es ist ein Papier, das wesentlich weitgehender und in vielen Punkten schlüssig ist. Und mit ihm wird in dieser ganzen Debatte tatsächlich einmal ein Punkt gesetzt. Gerade als Landesparlamentarier brauchen wir diese Debatte.

(Beifall im ganzen Haus)