Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Zivildienst weiterentwickeln, warum? - Weil seit dem 1. Oktober 2004 ein Zivildienständerungsgesetz in Kraft getreten ist, das die Dauer des Zivildienstes von neun Monaten mit dem Grundwehrdienst von neun Monaten gleichsetzt. Die Verkürzung gilt auf Wunsch auch für Zivildienstleistende, die zurzeit bereits ihren Dienst ableisten. Dies führt bei den Trägern von Zivildienststellen natürlich auch zu Überlegungen, ob Zivildienstleistende noch so eingesetzt werden können, wie sie bisher eingesetzt wurden. Dies führt zu Überlegungen, ob denn die oft intensiven Beziehungen zwischen den Zivildienstleistenden und den Menschen, mit denen sie und für die sie ihren Zivildienst ableisten, auch in Zukunft noch möglich sind. Darum ist diese Diskussion über die Zukunft des Zivildienstes heute aktueller und notwendiger denn je.

Die Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft, Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland“ hat Anfang diesen Jahres folgende

(Wolfgang Baasch)

Vorschläge unterbreitet: Die Kommission forderte eine Angleichung von Zivildienst- und Wehrdienstzeit. Die Kommission lehnte eine allgemeine Dienstpflicht ab. Die Kommission forderte eine stärkere Lernorientierung der Dienste. Um den Rückgang von Zivildienstleistenden beziehungsweise einen eventuellen Wegfall zu bewältigen, forderte die Kommission Freiwilligendienste. Und um diese Freiwilligendienste attraktiver zu gestalten, soll eine Anerkennungskultur entstehen. Angedacht sind Bonussysteme bei Studienplätzen und bei Ausbildungsverträgen. Außerdem sollte nach dem Willen der Kommission ein generationsübergreifender Freiwilligendienst entwickelt werden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Diese Gedanken und Forderungen der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ haben wir in unseren Antrag aufgenommen. Zivildienst in SchleswigHolstein heißt: Mit Stand vom Februar 2004 gab es in Schleswig-Holstein 4.756 Zivildienstplätze. Von diesen waren 2.548 belegt. Die Zivildienstleistenden in Schleswig-Holstein leisten ihre Dienste in 1.643 Zivildienststellen. Hier macht sich schon eine Veränderung bemerkbar. Die demographische Entwicklung führt dazu, dass nicht mehr ausreichend junge Menschen da sind, die aufgrund des Wehrdienstes oder weil sie gerade nicht den Wehrdienst ableisten wollen, Zivildienst ableisten.

Die Tätigkeitsfelder der Zivildienstleistenden sind aber nach wie vor da. Und die Tätigkeitsfelder, die die Zivildienstleistenden in Schleswig-Holstein abgeleistet haben, lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen aufteilen. Zum einen ist da die Gruppe der jungen Menschen, die Tätigkeiten im unmittelbaren Dienst am Menschen geleistet haben. Das heißt, sie haben Pflegehilfe geleistet, Betreuungsdienste wahrgenommen, sie haben Tätigkeiten im Krankentransport, im Rettungsdienstwesen, mobile oder soziale Hilfsdienste, individuelle Schwerstbehindertenbetreuung, aber auch die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in integrativen Jugendeinrichtungen oder Kindertagesstätten geleistet. Über 70 % der Zivildienstleistenden sind mit derartigen Tätigkeiten betraut und diese Aufgaben werden auch in Zukunft anstehen und müssen auch in Zukunft geleistet werden können.

Das andere große Tätigkeitsfeld von Zivildienstleistenden sind die handwerklichen Bereiche, gärtnerische Arbeiten oder auch Tätigkeiten im Umweltschutz und im Kraftfahrdienst.

Beim Diakonischen Werk in Schleswig-Holstein werden mit fast 30 % die meisten Zivildienstleistenden beschäftigt. Es folgt der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, die Arbeitwohlfahrt, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, das Rote Kreuz und der Caritasverband, um nur die größten Träger von Zivildienststellen zu nennen. Und an dieser Stelle ist ihnen und allen anderen Trägern von Zivildienststellen für ihre Arbeit und für ihr Engagement zu danken, das sie für junge Menschen aufbringen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Beifall des Ab- geordneten Torsten Geerdts [CDU])

Den Zivildienst weiterzuentwickeln, bedeutet aber auch, die Freiwilligendienste zu stärken. Freiwilligendienste sind ein unerlässlicher Bestandteil unserer Bürgergesellschaft. Freiwilligendienst bedeutet, jeder einzelne, der sich engagiert, übernimmt soziale Verantwortung und stellt sein soziales Engagement in den Dienst unserer Gesellschaft.

Gerade um den 5. Dezember, den Tag des Ehrenamtes, hat die Bundesregierung ein neues Modellprogramm „Generationsübergreifende Freiwilligendienste“ vorgestellt. Dieses Modellprogramm sagt deutlich, freiwilliges Engagement kennt keine Altersgrenze. Es sollen jüngere wie ältere Menschen die Chance nutzen, freiwillig aktiv zu sein. Denn das bringt Vorteile für sie selbst und für andere.

(Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Und wenn dieses Modellprogramm „Generationsübergreifende Freiwilligendienste“ so erfolgreich arbeitet wie die bisherigen Programme, ist das ein weiterer Baustein zur Stärkung der Bürgergesellschaft.

(Beifall der Abgeordneten Andreas Beran [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Jahr 2004 haben etwa 15.500 junge Männer und Frauen in der Bundesrepublik ein Freiwilliges Soziales und Ökologisches Jahr abgeleistet. Weitere 3.400 junge Männer haben ein solches Freiwilligenjahr anstelle des Zivildienstes geleistet. Dies macht deutlich, Zivildienst weiterzuentwickeln heißt, Freiwilligendienste zu stärken, Freiwilligendienste anzubieten und zwar in allen Bereichen sowie generationenübergreifend.

Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen und mit uns das Engagement gerade für Freiwilligendienste

(Wolfgang Baasch)

und für die Arbeit für eine Bürgergesellschaft zu unterstützen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Thorsten Geerdts.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion unterstützt den wichtigen sozial- und gesellschaftspolitischen Beitrag, den junge Männer im Grundwehrdienst und Zivildienst, aber natürlich junge Menschen überhaupt, im Freiwilligen Sozialen und Freiwilligen Ökologischen Jahr für unseren Staat und unsere Gesellschaft ganz selbstverständlich leisten.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Dienst der Zivildienstleistenden darf nicht unterschätzt werden. Gerade in der Begleitung von Menschen mit Behinderung sind Zivildienstleistende in unserer Gesellschaft zu einem nahezu unverzichtbaren Bestandteil geworden.

(Beifall der Abgeordneten Peter Lehnert [CDU] und Uwe Eichelberg [CDU])

In Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, in ambulanten und sozialen Diensten entlasten Zivildienstleistende das hauptamtliche Fachpersonal erheblich.

In mehr als vier Jahrzehnten hat sich der Zivildienst zu einer festen Säule in unserem sozialen System entwickelt. Zugleich ist er - wie der Grundwehrdienst - Teil des bürgerschaftlichen Engagements in unserer Gesellschaft.

Angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland müssen alle Anstrengungen unternommen und alle Möglichkeiten ergriffen werden, um bürgerschaftliches Engagement stärker als bisher einzuüben, zu entwickeln und zu fördern.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns völlig einig, dass auch in dieser Debatte zunächst einmal ein Dank sowie ein Wort der Anerkennung und des Respekts an all diejenigen, die sich in diesem Land als Freiwillige ehrenamtlich oder bürgerschaftlich engagieren, gerichtet werden muss.

(Beifall)

Diese Männer und Frauen leisten einen wichtigen Beitrag zum Gelingen unseres Gemeinwesens, und zwar nicht so sehr deswegen, weil das, was sie tun, ansonsten durch die öffentliche Hand finanziert werden müsste das ist nicht der wesentliche Punkt -, sondern weil das, was diese jungen Menschen ehrenamtlich und freiwillig tun, ein ganz wesentliches Moment für das Gelingen dieser Gesellschaft ist. Es fördert den Gedanken, dass jeder für den anderen und jeder für andere etwas zu leisten hat.

Wir teilen den Ansatz, den Sie in Ihrem Antrag formulieren, Freiwilligendienste generationenübergreifend zu organisieren. Gestatten Sie mir allerdings auch, dass ich einige kritische Bemerkungen zu diesem Antrag formuliere. Es wäre hilfreich, wenn Sie - allein um dem Verdacht zu entgehen, die Freiwilligendienste als einen Ersatz des Wehrdienstes und des Zivildienstes zu positionieren - vorab klären würden, welche Position die rot-grüne Koalition in dieser Frage ganz konkret hat.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich bin der Auffassung, wir tun gut daran, den Antrag zum Anlass zu nehmen, in der Ausschussberatung das Thema Freiwilligendienste noch etwas umfassender in den Blick zu nehmen. Wir brauchen klare Regelungen, was die Freiwilligendienste im Ausland betrifft. Es gibt das Problem der sozialen Absicherung. Außerdem ist die Definition eines Arbeitnehmerstatus in einigen Ländern, in die wir Freiwillige entsenden wollen, noch nicht geklärt.

Wir brauchen den Aufbau eines generationenübergreifenden Freiwilligendienstes, der neben das bestehende bürgerschaftliche Engagement, neben Zivildienst, Grundwehrdienst und Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges Ökologisches Jahr tritt. Nur so kann die soziale Kultur unseres Landes stabilisiert und weiterentwickelt werden. Nur so können die Herausforderungen des demographischen Wandels bestanden werden.

Die Schule sollte mehr noch als bisher Lern- und Einübungsort bürgerschaftlichen Engagements werden. Ebenso sind Kirchen, Vereine und Wohlfahrtsverbände aufgerufen, generationenübergreifende Freiwilligendienste in Ergänzung der bestehenden Strukturen aufzubauen.

Im Aufbau generationenübergreifender Freiwilligendienste sehen wir als CDU-Landtagsfraktion die Chance, den Mentalitätswandel von der Versorgungsmentalität zur Verantwortungsmentalität, vom

(Torsten Geerdts)

versorgten Bürger zum aktiven Bürger, auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir erwarten für die Debatte aber auch, dass die Bundesregierung endlich ein zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abgestimmtes Konzept zur Wehrpflicht und zum Zivildienst insgesamt vorlegt. Träger und Verbände müssen endlich Planungssicherheit haben. Der vom Diakonischen Werk der EKD gemachte Vorschlag einer Kommission, die sich mit der Zukunft des Zivildienstes befasst, geht dabei in die richtige Richtung. Und in dem Sinne sollten wir die Beratung, die wir heute nur beginnen können, im Ausschuss fortsetzen. Die Zielrichtung des Antrages von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tragen wir voll mit. Wir brauchen mehr bürgerschaftliches Engagement; sollten aber die Situation von Zivildienstleistenden und Wehrpflichtigen insgesamt nicht ausblenden. Wir brauchen eine umfassende Diskussion. Die werden wir im Ausschuss führen.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Das Wort für die FDP erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Veronika Kolb.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zivildienst ist eine Erfolgsgeschichte. Keine Frage. Die anfangs als Drückeberger gescholtenen Zivildienstleistenden sind zu offensichtlich unverzichtbaren Mitarbeitern geworden. Für die jungen Männer ist der Zivildienst faktisch zu einem Wahldienst geworden. Wie hoch die Akzeptanz des Zivildienstes in der Gesellschaft geworden ist, zeigen die Nachfrage und die steigende Zahl der Zivildienstleistenden.

Trotz dieser Erfolgsstory ist das Ende abzusehen: Zum einen führt die mit der Verkürzung des Wehrdienstes einhergehende Verkürzung des Zivildienstes in den sozialen Einrichtungen zu ernsten Problemen. Pflegebedürftigen ist bei kürzerer Zivildienstzeit ein häufigerer Wechsel der Betreuungspersonen nicht mehr zuzumuten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion, die wir heute Morgen um das Älterwerden in Schleswig-Holstein geführt haben. Zum anderen benötigen wir aber durch die Überalterung der Gesellschaft in Zukunft besonders in der Pflege mehr soziale Dienstleistungen. Deshalb ist es Aufgabe der Politik und damit unsere

Aufgabe, Konzepte zur Umgestaltung des Zivildienstes hin zu alternativen Diensten zu erarbeiten.

Bedeutet die jetzt von Rot-Grün vorgelegte Bundesratsinitiative den endgültigen Ausstieg aus der Wehrpflicht, wenn Sie die Förderung von Freiwilligendiensten als Alternative zum Zivildienst weiterentwickeln wollen? Es geht doch nicht um Verkürzung allein, meine Damen und Herren. Ein wenig kommt der Verdacht auf, dass dies für Peter Struck ein gesichtswahrender Einstieg in den Ausstieg aus der allgemeinen Wehrpflicht sein soll.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bereits jetzt ist absehbar, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren einen immer geringeren Bedarf an Wehrpflichtigen hat. Analog dazu werden sich hierzu die Zahlen der einzuberufenden Zivildienstleistenden entwickeln. Wie soll zukünftig die Arbeit, die bisher Zivildienstleistende in vielen Bereichen und Einrichtungen übernommen haben, geleistet werden? Welche Alternativen müssen entwickelt werden?