Protokoll der Sitzung vom 26.01.2005

(Silke Hinrichsen)

mer wieder die spektakulären Einzelfälle wie der Moshammer-Mord, die diese Diskussion entflammen. Taten wie diese sind aber gerade deshalb so spektakulär, weil sie besondere Einzelfälle sind. Deshalb können und dürfen sie nicht dafür entscheidend sein, wie wir mit Straftaten - weniger schwerwiegenden und schweren Straftaten - und Kleinkriminellen umgehen. Das ist unsere Meinung.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich erteile Frau Ministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie einigen Vorrednerinnen und Vorrednern erschließt sich mir nicht, warum das sehr wichtige Thema DNA eine Aktuelle Stunde erfordert. Herr Schlie, wenn ich das sagen darf: Die Strafprozessordnung, das Strafprozessrecht ist ein schwieriges Rechtsgebiet und ein sehr schwieriges tatsächliches Gebiet. Insofern - ich darf diesen alten Juristenspruch zitieren -: Ein Blick ins Gesetz eröffnet ungeahnte Perspektiven.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Sie können daraus sehr klar erkennen, dass die gegebene Rechtslage eindeutig ist und dass sich durch den tragischen Fall, den Mord an Herrn Moshammer, keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Im Gegenteil wird deutlich, dass mit dem geltenden Recht sehr schnell und sehr gut aufgeklärt worden ist.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Diskussion wurde dann aus anderen Gründen als einem rechtsstaatlichen Verfahren geschuldeten Erwägungen neu entfacht. Angesichts der Sensibilität des Themas muss allerdings die Debatte mit Augenmass und unter Beachtung der wertschätzenden Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geführt werden. Die Nutzung des genetischen Fingerabdrucks ist unter Beachtung der strengen rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Aufklärung schwerer Straftaten notwendig und unverzichtbar und wird eingesetzt. Wer - vielleicht auch unterschwellig - unterstellen mag, ich persönlich, meine Fraktion oder meine Partei redeten einer Abschaffung das Wort, sollte auch hier sowohl ins Gesetz als auch in die einschlägigen Veröffentlichungen schauen. Niemand in der Bundesrepublik

stellt infrage, dass wir hier ein Instrument zur effektiven Verbrechensaufklärung zur Verfügung haben und es rechtsstaatlich genutzt wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW)

Aber jeder Mensch hat ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Rechtsstaatliche rechtliche Kontrolle ist notwendig und entspricht unserer Verfassung.

Ich bin mir mit dem Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein sehr einig, dass bei anonymen Tatortspuren auf die Einholung eines richterlichen Beschlusses verzichtet werden kann. Auch das könnte, wenn Sie hinschauen, Ihnen bekannt sein. Bei solchen anonymen Proben bedarf es nämlich keiner unabhängigen Gefahrenprognose. Darüber muss man nachdenken. Damit muss man differenziert umgehen. Anders ist es, wenn bei einem Beschuldigten ein Speicheltest genommen wird. Denn hier sind die rechtsstaatlichen Garantien für die betroffenen Menschen berührt. Hier bedarf es einer anderen Verfahrensregelung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über eine mögliche Beschleunigung und Entbürokratisierung - um einmal dieses Wort im Rahmen der Strafprozessordnung zu benutzen; ich weiß, dass auch das etwas schwierig ist - kann man sprechen. Aber es darf nicht zulasten der Rechtsstaatlichkeit gehen. Viele wissen und ich erkläre es hier erneut: Ich bin gerade aus strafprozessualen Gründen heraus bereit, über Struktur und Effektivität des Ermittlungsverfahrens und in diesem Kontext über den Richtervorbehalt zu diskutieren.

Der Richtervorbehalt ist ein hohes rechtsstaatliches Gut. Allerdings sagen die Untersuchungen, dass man mit Ruhe und insbesondere mit Sachverstand an dieses Instrument herangehen muss und es diskutieren kann. Wer das richterliche Anordnungsverfahren für zu schwerfällig erachtet, der muss ein anderes, aber eben effektiven Rechtsschutz garantierendes Verfahren vorlegen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Würden Sie sich einmal die Mühe machen, die Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium näher anzuschauen, so würden Sie sehen, dass auch in diesen Vorschlägen den Rechten der Beschuldigten, den Rechten der Verteidigung und dem Recht der Öffentlichkeit auf Aufklärung durchaus Genüge getan ist.

Es liegen sehr gute Vorschläge auf dem Tisch. Ich unterstelle es niemandem, aber ich kann mich des

(Ministerin Anne Lütkes)

Anscheins nicht erwehren, dass aus populistischen Erwägungen vorschnell rechtsstaatliche Sicherungen abgebaut werden sollen. Das halte ich für unverantwortlich. - Aber, meine Damen und Herren, es interessiert Sie nicht so sehr, was ich dazu zu sagen habe. Vielleicht interessiert Sie dies: In Schleswig-Holstein machen Innen- und Justizministerium gemeinsam eine Rechts-, auch Polizei- und Verbrechensbekämpfungspolitik. Deshalb wird Ihnen jetzt der Innenminister nicht seinen, sondern unseren gemeinsamen Standpunkt noch einmal erläutern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Herrn Minister Buß das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur DNA-Problematik haben wir in diesem Haus sowohl im Plenum als auch im Innen- und Rechtsausschuss intensiv diskutiert. Ich war und bin dankbar, dass sich die Diskussion versachlicht hat. Für die nunmehr erneut vehement ausgebrochene Diskussion in Deutschland, in Medien und auch in Schleswig-Holstein habe ich wenig Verständnis. Seit unserer Diskussion hier haben sich weder in technisch-wissenschaftlicher noch in rechtlicher Hinsicht neue Gesichtspunkte ergeben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Der Fall Moshammer ist überhaupt kein Anlass, erneut eine DNA-Diskussion zu beginnen.

Meine Position als Zielvorstellung zur Anwendung der DNA-Analyse ist bekannt. Daran hat sich nichts geändert. Nach der Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss haben wir uns darauf verständigt - jedenfalls habe ich das für mich so verstanden -, dass zunächst die Beschlüsse und begleitenden Untersuchungen der Innenminister- und der Justizministerkonferenz abgewartet werden. Die Beschlüsse der Innenministerkonferenz, die Sie kennen, sind eindeutig. Als damaliger Vorsitzender habe ich diese der Justizministerkonferenz, einer der federführenden Fachministerkonferenzen zu diesem Thema, zugeleitet. Die Justizministerkonferenz wird sehr wahrscheinlich im April des Jahres 2005 weitere Beschlüsse zur Anwendung der DNA-Analyse fassen. Erst dann und nach Vorliegen konkreter Gesetzentwürfe sollte die DNA-Problematik erneut im Innen- und Rechtsausschuss erörtert werden. An diese Absprache fühle ich mich selbstverständlich gebunden.

Die Justizministerkonferenz hat auf ihrer Frühjahreskonferenz 2004 in Bremerhaven unter anderem beschlossen - ich zitiere -:

„Die Justizministerinnen und Justizminister sind darüber hinaus der Auffassung, dass zu prüfen ist, ob und gegebenenfalls in welchen verfassungsrechtlichen Grenzen die DNAAnalyse zum Zwecke der Identifizierung in künftigen Strafverfahren entsprechend der erkennungsdienstlichen Maßnahmen genutzt werden kann.“

Dieser Beschluss wurde mit überwältigender Mehrheit gefasst.

Der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz widmet sich zurzeit dem von mir zitierten Prüfauftrag. Ich habe - das ist möglicherweise in der aufgeregten Diskussion vergessen worden - zu beiden Beschlüssen der Innenministerkonferenz, sowohl auf der Sommer- als auch auf der Herbstkonferenz, Protokollnotizen abgegeben und dabei die Diskussionspunkte berücksichtigt, die im Land, im Innen- und Rechtsausschuss und im Plenum des Landtags, aufgetreten sind. Das, verehrte Frau Fröhlich, ist zugleich die Antwort auf Ihren offenen Brief an mich. Ich darf diese Protokollnotiz zitieren, der sich Rheinland-Pfalz angeschlossen hat. Sie lautet wie folgt:

„Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz begrüßen den Beschluss der Justizministerkonferenz vom 17./18.06.04 zu TOP 2.1.“

- Das habe ich soeben auszugsweise zitiert.

„Sie halten es für erforderlich, dass die Prüfungen des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz insbesondere auch darauf gerichtet werden sollten, ob bei rechtlicher Gleichstellung der DNA-Analyse mit den herkömmlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen

a) die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchungen durch die Strafverfolgungsbehörde (Polizei, Staatsanwaltschaft) bei Wegfall der geltenden Richtervorbehalte einer nachträglichen richterlichen Bestätigung bedarf,

b) eine Schaffung von Löschfristen auch bei Lichtbild- und Fingerabdruckmaterial und Überarbeitung der Löschfrist bei DNAMaterial vorgesehen werden soll,

c) eine Strafbewehrung gegen Missbrauch notwendig ist.“

(Minister Klaus Buß)

Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass sich der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz entsprechende Gedanken macht, die dann in die Beschlüsse der Justizministerkonferenz einfließen werden.

Meine Damen und Herren, mehr ist aus meiner Sicht zurzeit nur DNA-Problematik nicht zu sagen. Alle Bundesratsinitiativen zum jetzigen Zeitpunkt und sonstige Schnellschüsse verbaler und schriftlicher Art werde ich nicht unterstützen, weil mir die rechtlich saubere Ausweitung der Anwendung der DNAAnalyse viel zu wichtig ist, um sie kurzfristigen Interessen zu opfern.

Ich bin ganz sicher, dass wir in Deutschland zu klugen und deutlich weiterführenden Entscheidungen kommen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will ich zunächst Gäste begrüßen. Auf der Tribüne haben Schülerinnen und Schüler der Hauptschule in Nortorf mit ihren Lehrkräften Platz genommen. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich erteile jetzt Herrn Abgeordneten Lehnert das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst etwas Grundsätzliches sagen, weil einige Kolleginnen und Kollegen gefragt haben, warum wir eine Aktuelle Stunde durchführen. Ich bin dem Herrn Innenminister sehr dankbar, dass er einen der Gründe genannt hat, nämlich den offenen Brief von Frau Fröhlich. Es ist ja schon ein relativ einmaliger Vorgang, dass in diesem wichtigen Themenbereich der eine Koalitionspartner dem anderen öffentlich über eine Presseerklärung mitteilt, welche gegenteilige Position er in einigen Punkten hat. Ich denke, das ist durchaus ein Grund, um eine Aussprache hier im Plenum zu führen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will versuchen, mich den Positionen der Landesregierung zu nähern. Der Innenminister hat einige Ausführungen dazu gemacht.

Sie wissen, dass wir die ständigen Konferenzen der Innenminister mit besonderem Interesse verfolgen.

Sie haben einen Beschluss einer Konferenz erwähnt. Eine weitere Konferenz hat im November in Lübeck stattgefunden. Damals hat es auch einen Beschluss der Innenministerkonferenz gegeben. Ich will ihn einmal wörtlich zitieren:

„Sie spricht sich dafür aus, die DNAAnalyse vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung zukünftig zum Zwecke der Identifizierung in künftigen Strafverfahren entsprechend den erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu nutzen.“