Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

Die Politik setzt die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Landes. Hierzu zählt auch die Unterstützung einzelner Unternehmen oder Hochschulen im Bereich der Gentechnik. Davor gilt es allerdings, die ethischen Fragen und Probleme zu lösen. Solche Fragen und Probleme lassen sich nur in einem breiten Dialog zwischen Bevölkerung und Wissenschaft lösen.

Außerdem haben wir unsere Schwierigkeiten mit dem zweiten Teil des F.D.P.-Antrages. So suggeriert die Aufzählung einzelner Bereiche der Gentechnik, dass man sich in der Gesellschaft vollständig mit den Forschungsinhalten identifiziert.

(Thorsten Geißler [CDU]: Ja!)

Dies wird vom SSW so nicht gesehen.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Nein?)

Themenfelder wie die gentechnische Herstellung von Arzneimitteln oder die gentechnische Erzeugung von Zusatzstoffen in der Ernährungswirtschaft sind immer noch heikle Themen, die man nicht einfach in einer Aufzählung abhandeln kann.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Das gibt es doch längst! Wie wird denn Käse herge- stellt?)

Hier muss über jede einzelne Fördermaßnahme nachgedacht und intensiv diskutiert werden. Der Abschlussbericht der Enquetekommission hat gezeigt, dass es auch hierbei keine einfachen Lösungen gibt.

(Lars Harms)

Was verwundert, ist, dass die F.D.P und auch die CDU keine Aussagen zum Verbraucherschutz machen. Die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderter Nahrungsmitteln ist eine Kernforderung des SSW.

(Beifall beim SSW)

Bisher besteht die Grundvoraussetzung in der Bevölkerung nicht, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel überhaupt akzeptiert werden.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Wir essen sie längst!)

Letztlich muss die Gentechnik im Einklang mit dem Verbraucher entwickelt werden. Hier besteht jedoch noch ein Defizit an Informationen.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Wo ist denn da der Widerspruch?)

Daher ist und bleibt die breite Information und Aufklärung in der Bevölkerung über die Gentechnik ein wichtiger Bestandteil unserer Politik.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Aber nicht durch ein neues Institut!)

Der SSW ist der Meinung, dass eine verantwortungsvolle Weiterentwicklung und eine breite Diskussion in der Bevölkerung zur Gentechnik auf der Grundlage der Empfehlungen der Enquetekommission des Landtages möglich sind.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Bringen Sie doch einen entsprechenden Änderungsantrag ein!)

Der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zielt in eine Richtung, die unseren Vorstellungen eher entspricht.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Das ist aber sehr überraschend!)

Im Prinzip sehe ich drei Bereiche, in denen sich Schleswig-Holstein besonders engagieren muss.

Erstens. Allgemeine Technikfolgenabschätzung und ein breiter ethischer Diskurs in der Bevölkerung.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Allgemeine TA? Ach du lieber Gott! Wissen Sie, was das kostet?)

Zweitens. Technikfolgenabschätzung in der Medizin.

Drittens. Technikfolgenabschätzung in der Landwirtschaft.

Bevor eine Technologie angewandt wird, sollte im Idealfall ein ethischer Diskurs über die Ziele und Auswirkungen dieser Technologie durchgeführt werden. Wir sind uns im Klaren darüber, dass die Gen

technik schon da ist. Aber sie befindet sich immer noch im Anfangsstadium. Sie wurde in der Gesellschaft noch nicht ausreichend diskutiert. Weder der Nutzen noch die möglicherweise gravierenden Folgen sind annähernd ausdiskutiert.

Dass sich eine breite Diskussion zu diesem Thema in der Bevölkerung durchführen lässt, zeigt - natürlich unser nördlicher Nachbar. Die können nicht nur Fußball spielen, sondern sie können auch mit der Gentechnik besser umgehen.

(Heiterkeit)

Hier wurde vom dänischen Wirtschaftsministerium eine Broschüre erstellt, in der der Forschungsstand und die Chancen und Risiken der Gentechnologie zusammengefasst worden sind.

(Uwe Eichelberg [CDU]: Können Sie die mal übersetzen?)

Der verfolgte Zweck ist, die Information der Bevölkerung sowie die Diskussion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Bevölkerung zu verbessern. Die Diskussion läuft in Dänemark inzwischen auf einer breiten und interdisziplinären Grundlage. Ähnliche Arbeiten müssen in Deutschland respektive in SchleswigHolstein auch geleistet werden. Mir ist bewusst, dass Schleswig-Holstein sicherlich nicht die Diskussion für ganz Deutschland oder ganz Europa leisten kann, aber wir können die Grundlagen für eine Diskussion erbringen.

Wie sehen diese Grundlagen aus? Indem man sich beispielsweise auf die Bereiche festlegt, die das Land am stärksten beeinflussen. Dies muss jedoch neben einer breiten ethischen Diskussion geschehen.

In ihrer Regierungserklärung erklärte Frau Simonis, dass die Landesregierung einen Schwerpunkt im medizinischen Bereich setzt und die Forschung hier voranbringen wird.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Das merkt man auffallend!)

Hier sehen wir die Notwendigkeit eines öffentlichen Diskurses. Es handelt sich hierbei um keine rein medizinische oder biologische Frage. Wenn beispielsweise Erbgut erforscht wird, können diese Erkenntnisse zu allem Möglichen genutzt werden. Gerade hier halte ich eine öffentliche Diskussion für unbedingt notwendig.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Die findet doch schon längst statt, Herr Harms!)

Erst dann können wir genauer abwägen, wie wir damit umgehen wollen.

(Lars Harms)

Der dritte Punkt, den ich genannt habe, bezieht sich auf die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft. Es handelt sich hierbei um klassische Wirtschaftszweige in Schleswig-Holstein, die schon jetzt von der Gentechnik beeinflusst sind. Dies allein ist Grund genug für einen öffentlichen Diskurs.

Zum Beispiel stellt sich die Frage: Ist eine Ertragssteigerung durch die Nutzung von gentechnisch behandelten Pflanzen gesellschaftlich gewollt - vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man die Weltbevölkerung heute schon ausreichend ernähren könnte, wenn man die Verteilung der Nahrungsmittel entsprechend organisieren würde?

Sind die eventuell preiswerteren oder höherwertigen Produktionen höher einzuschätzen als mögliche gesundheitliche Nachteile für den Verbraucher?

Gibt es Nachweise für die gesundheitliche Bedenklichkeit von gentechnisch behandelten Lebensmitteln oder - besser umgekehrt gefragt - gibt es objektive Nachweise für die Unbedenklichkeit solcher Lebensmittel?

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Ja, die gibt es! - Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Ja, natürlich!)

Dies sind alles Fragen, die sich ein Agrarland wie Schleswig-Holstein im Allgemeinen wie im Speziellen stellen muss. Es gibt viele offene Fragen zur Gentechnologie, doch es gibt nur wenige Antworten.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

Daher ist eine interdisziplinäre Forschung an den Hochschulen unter Mithilfe einer weiteren Hochschule im Lande, die die Technologiefolgenabschätzung für die Bio- und Gentechnologie für das Land professionell abdeckt, dringend notwendig.

Dies ist vor allem auch deshalb angeraten, weil es wichtig ist, die Technologiefolgenabschätzung unter unabhängiger und staatlicher Regie durchzuführen. Im Grundsätzlichen herrscht Einigkeit darüber, dass Gentechnik eine wichtige Zukunftstechnologie ist, an der man faktisch - sie ist nämlich schon da - nicht vorbeikommt. Es gilt aber nicht nur, den Markt regieren zu lassen, sondern die Entwicklung auch von der Bevölkerung mitbestimmen zu lassen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Müller.