Wenn Wolfgang Clement erklärt, die SPD müsse sich von ihrer bisherigen Definition sozialer Gerechtigkeit verabschieden und akzeptieren, dass gerecht auch die Hinnahme, ja die Förderung der Ungleichheit sein könne, weil nur so die Leistungsbereitschaft und der Leistungswille gestärkt werden könnten und gesellschaftlichen Wohlstand erzeugten - so nachzulesen in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 27. April 2000 -, dann muss diese Einsicht auch Auswirkungen auf unser Bildungssystem haben, und zwar sowohl institutionell als auch inhaltlich. Dann muss es einen Wettbewerb zwischen den Schulen, privaten wie öffentlichen, zwischen den Hochschulen, privaten wie öffentlichen, und den Bildungseinrichtungen insgesamt geben. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder heute davon spricht, dass eine gezielte Elitenförderung vonnöten sei - die Green Card lässt grüßen - muss dies Auswirkungen auf die innere Struktur der Schulen und Hochschulen, ihre Ausstattung in jeder Hinsicht, vor allem aber auch auf die Vermittlung der Inhalte haben. Welche Debatten haben wir hier im Haus über die Frage der Förderung von Hochbegabten, der Ausbildung von Eliten, des Bildungswettbewerbs, der Wissensvermittlung geführt - jeweils auf Initiative oder jedenfalls unter erheblicher Mitwirkung der F.D.P. und auf welche Weise, verehrter Herr Kollege Hay, reagierten jeweils die Sozialdemokraten in einem nahezu pawlowschen Reflex auf die angeblich so kalten sozialdarwinistischen Liberalen?
Welche Debatten haben wir über die Frage der Flexibilisierung, der Entbürokratisierung und der Privatisierung geführt? Immer empfanden Sozialdemokraten dies als Angriff auf soziale Errungenschaften, die es um jeden Preis zu verteidigen galt. Heute wissen auch Sozialdemokraten, dass im Standortwettbewerb die Attraktionen entscheiden. Hiervon hängt unsere künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ab.
Überregulierung und Bürokratisierung sind der sichere Weg in die Stagnation. Aber überall dort, wo der schöpferischen Kraft des Menschen nicht nur keine Steine in den Weg gelegt wurden, sondern seine Leistungsbereitschaft gefördert wird, stellen wir Entwicklung und Wachstum fest.
Was mich besonders beeindruckt, Kollege Kayenburg, ist die Tatsache, dass dieselben Sozialdemokraten, die vor einiger Zeit noch das Nullwachstum propagierten, heute mit Wachstumsraten von 2,8 oder 3 % werben und das als Ausweis erfolgreicher Politik.
Den besten Anschauungsunterricht für die Richtigkeit der Auffassung, dass Wachstum nötig ist und viele Probleme lösen hilft, liefert die jüngere europäische Geschichte. Die Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Ländern macht deutlich, worin die Perversion, das unverzeihliche Unrecht des Sozialismus bestanden haben: Er hat die Menschen behindert, ihre Talente zu entfalten, ihre Schaffenskraft zu beweisen und nach ihren Neigungen leben zu können. Die Menschen in Polen, Tschechien, Ungarn oder in den neuen Bundesländern sind vor dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht weniger begabt, anspruchsvoll und fleißig gewesen als jetzt - aber man hat sie früher nicht machen lassen.
Heute beweisen sie, dass sie zu einer rasanten wirtschaftlichen Aufholjagd fähig sind. Heute sind zum Beispiel die sächsischen Uhrenbauer aus Glashütte wieder weltspitze, und das in einem hart umkämpften Markt.
Die Politik muss den Menschen die Chance geben, ihren Neigungen nachzugehen, ihre Talente zu verwirklichen. Nur so kann es gelingen, durch den Abbau der Arbeitslosigkeit wieder oder erneut ein Umfeld hoher sozialer Sicherheit zu schaffen.
Dies lässt sich durch marktwirtschaftliche Mittel besser erreichen. Staatliche Beiträge der Landespolitik in den nächsten Jahren sollten sich neben der Mitwirkung an einer weit greifenden Steuerreform auf Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und des Ausbildungswesens konzentrieren, kurz gesagt auf alles, was die Attraktivität des Standorts Deutschlands und vor allem Schleswig-Holsteins erhöht und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit steigert.
Soweit sich das Angebot des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Lothar Hay, zur Zusammenarbeit an die Opposition hierauf bezieht, werden wir uns nicht verweigern. Die Herstellung von Ruhe zur Kaschierung einer verfehlten Politik kann und darf allerdings von uns nicht erwartet werden. Und, Herr Kollege Hay, Gesprächsangebote sollte man schlicht nicht dadurch untermauern, dass man entweder die Personen, mit denen man reden will, angreift, oder aber droht, man werde es, wenn die Opposition nicht fügsam sei, im Zweifel alleine machen. Im Hinblick auf den von mir sehr geschätzten Volker Rühe erlauben Sie mir eine
Anmerkung - weil ich unerhört finde, was Sie hier vorgetragen haben. Als führendes Mitglied einer Partei, dessen ehemaliger Bundesvorsitzender sich halunkenhaft vom Acker gemacht hat, sollten Sie in dieser Frage den Ball flach halten.
Ich will die Aufrichtigkeit der Analyse des Kollegen Hay in seinem „KN“-Gespräch vom 9. Mai 2000 ausdrücklich hervorheben, man habe 1994 und später nicht den Mut zu notwendigen Sparmaßnahmen und strukturellen Haushaltsverbesserungen aufgebracht. Aber was ist damals mit entsprechenden Vorschlägen der F.D.P. geschehen? Und wie ist 1996 mit dem Vorschlag der F.D.P. verfahren worden, mit einem Investitionsprogramm in Höhe von 40 Millionen DM über vier Jahre alle Schulen mit PCs zu versorgen?
Heute die Debatten nachzulesen, kann lohnend sein. Vergleichen wir doch nur die heutigen Aussagen von Ute Erdsiek-Rave und Heide Simonis mit denen vor vier Jahren. Wo wären wir in diesem Land eigentlich, wenn das Programm 1996 gemeinsam umgesetzt worden wäre?
Wie sähen unsere Schulen heute aus, hätten wir die letzten vier Jahre nicht mit Spiegelfechtereien verloren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben heute im Zeitalter der dritten technologischen Revolution. Den meisten Menschen ist noch nicht voll bewusst, mit welcher Wucht und Nachhaltigkeit diese Entwicklung auf die wirtschaftliche Existenz von Nationen einwirkt und wie sehr es schon heute das Leben einzelner Menschen bestimmt. Vielen Menschen macht diese Entwicklung Angst.
Die technische Entwicklung der Kommunikationsmittel - insbesondere die Datenübertragung durch Internet, Satellitenkommunikation, Fax und Telefon - hat uns einen Punkt erreichen lassen, wo jedermann irgendwo auf der Welt und zu jedem beliebigen Zeitpunkt Informationen minuten-, ja sekundenschnell abrufen und verschicken kann. Dies ist der Kern der dritten technologischen Revolution. Sie hat das Zeitalter der Globalisierung ausgelöst.
Die Durchbrüche in der Datenübertragung, aber auch die Entwicklungen in der Verkehrstechnik und im Frachtwesen haben unseren Planeten in ein globales Dorf verwandelt. Mehr und mehr Firmen richten in der globalen Welt ihre gesamte Wertschöpfungskette global aus. Es kann an jedem Ort der Welt produziert werden, wenn das betriebswirtschaftlich sinnvoll ist.
Damit schießen neue Produktionsstätten aus dem Boden und treten in Wettbewerb mit etablierten Standorten.
Die Globalisierung reicht jedoch in ihrer Tragweite über die Wirtschaft hinaus. Sie erfasst alle Bereiche, die Kultur ebenso wie die Gesellschaftspolitik, die Beschäftigungspolitik ebenso wie die Sozialpolitik, unsere innere und äußere Sicherheit ebenso wie den Schutz unserer natürlicher Lebensgrundlagen. Und sie reicht in ihren Wirkungen über unsere Grenzen hinaus, sowohl in ihren positiven Folgen als auch in ihren Fehlentwicklungen und sie macht deutlich, wie begrenzt eigentlich der Regelungsraum ist, innerhalb dessen wir uns bewegen.
Wir haben die Erschütterungen, die sich 1997 durch die Finanzkrise in Asien einstellten, in vielen Ländern der Welt gespürt, auch in Schleswig-Holstein. Sie führte zu Firmenzusammenbrüchen, Arbeitslosigkeit und plötzlicher Verarmung. Wir stoßen auch auf ein hässliches Gesicht der Globalisierung. Dieselben Instrumente der Kommunikationstechnik, die Fortschritt und Wohlstand ermöglichen, werden durch kriminellen und perversen Umgang zu einer Bedrohung, wie dies der „love-letter“ nachdrücklich belegt. Sie fördern die Ausdehnung des organisierten Verbrechens, des Frauenhandels und der Kinderpornographie, wie erst kürzlich der Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen 1999 eindringlich beschrieben hat.
Wir müssen sehen, dass die Globalisierung etwas bewusst gemacht hat, was wir schon früher hätten erkennen sollen: Wir sind in unserer einen Welt stärker denn je voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Das ist der eigentliche Kern der Problematik der Globalisierung.
Welches konkrete Handeln steht denn hinter dem Begriff? Es ist nichts anderes als die Suche nach demjenigen Standort, der für die Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung am geeignetsten erscheint. Die Frage der Standortentscheidung aber ist uralt.
Neu hingegen ist, dass sich die Frage des Standorts „entnationalisiert“ hat. Plakativ gesprochen: Musste sich das Unternehmen früher zwischen Flensburg und Garmisch entscheiden, steht ihm heute fast die ganze Welt offen. Pilsen liegt übrigens näher an Frankfurt als Flensburg.
Globalisierung ist damit im Gegensatz zu früher auch zu einer Frage geworden, unter welchem politischen oder rechtlichen Umfeld ein Unternehmen produziert oder seine Dienstleistung anbietet. Das begrenzt erneut den Handlungsrahmen unserer politischen Entscheidungen.
Die Frage, ob dies ein Segen oder ein Fluch ist, wird von vielen mit großer Leidenschaft diskutiert. Es macht aber keinen Sinn mehr, über den Fluch oder den Segen der Globalisierung zu streiten, oder darüber, ob sie zu einem „Jobkiller“ oder „Jobknüller“ geworden ist.
Auch die Landesregierung hat ihre Position noch nicht gefunden und changiert zwischen „new labour“ und „neu laber“.
Auf der einen Seite gibt die Ministerpräsidentin ja mittlerweile zu, dass die Liberalisierung der Märkte, die Privatisierung bisher öffentlicher Leistungen und der Wettbewerb zu einer Vermehrung des Wohlstandes und nicht zu einer Verminderung geführt haben. Auf der anderen Seite verfällt sie reflexartig in alte sozialdemokratische Stereotypen und ist meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Beim Tag der offenen Tür an der Universität Kiel wurde die Ministerpräsidentin mit dem Vorschlag konfrontiert, die Universität doch einfach an die Börse zu bringen. Übrigens: Denkverbote soll es angeblich nicht geben. Zitat aus den „Kieler Nachrichten“ vom 8. Mai:
„Kurzerhand wetterte die Sozialdemokratin aufseiten der Gegner gegen die drohenden kapitalistischen Strömungen.“
„Doch auch diese Argumentationshilfe nutzte nichts: Die Befürworter des Börsengangs machten bei der Zuhörerabstimmung per Hand das Rennen.“
Warum diese Verweigerungshaltung? Kann es sich Schleswig-Holstein leisten, sich vom Rest der Welt abzukoppeln? Macht es etwa einen Sinn, dass wir uns anders verhalten als beispielsweise Herr Scherf in Bremen, der gerade vor 14 Tagen gelobt hat, dass dort eine private Universität mit einem Post-value-Studium weltweit Kapazitäten heranholt und für die Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland sorgt?
Die Alternative kann doch nicht sein, wie die Frau Ministerpräsidentin in der „Süddeutschen Zeitung“ von heute erklären lässt: „Ich gehe immer wieder durch die Wand.“ - Das glaube ich sofort. Sinnvoller für dieses Land wäre es allerdings, Sie würden - wie jeder vernünftige Mensch - die Tür nehmen.
Nehmen Sie wie die gesamte Sozialdemokratie die neuen Realitäten zur Kenntnis. Hören Sie mit dem Jammern auf. Hören Sie auf, Globalisierung als einen
Die Herausforderung besteht nicht darin, der Ausweitung globaler Märkte in den Arm zu fallen. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, politische Vorkehrungen zu treffen, um die Vorzüge globaler Märkte und des globalen Wettbewerbs auszuschöpfen, aber zugleich Sorge dafür zu tragen, dass sich die Globalisierung zu einer Wohltat für die Menschen und nicht nur für den Umsatz entfaltet.
Den globalisierten Märkten müssen schnellstmöglich globalisierte oder zumindest europäisierte politische Entscheidungseinheiten gegenübergestellt werden. Der Nachholbedarf ist mit den Händen zu greifen. Das ist die eigentliche Lernaufgabe der Politik, der schnellen Veränderungsgeschwindigkeit der Märkte zu folgen und die Rahmenbedingungen den neuen technischen Gegebenheiten anzupassen.
Das vergleichsweise kleine Land Schleswig-Holstein muss sich Bündnispartner suchen: in der Bildungs-, der Wirtschafts- und der Infrastrukturpolitik. Mehr denn je gilt es, Probleme im internationalen Verbund zu lösen. Nicht nur die Zusammenarbeit im Ostseeraum muss intensiviert und ausgedehnt werden. Virtuelle länderübergreifende Hochschulen, gemeinsame koordinierte Infrastrukturpolitik, Zusammenarbeit der Regionen sind nur einige wenige Stichworte für zukünftige Projekte. Frau Ministerpräsidentin, auch Ihre dänischen Kolleginnen und Kollegen werden Ihnen erklären, dass es die Dänen mittlerweile Leid sind, dass die zwei Stunden Fahrzeitverkürzung durch die Große-Belt-Querung dadurch aufgefressen wird, dass die dänischen Fahrzeuge zwei Stunden länger vor dem Elbtunnel stehen.