Protokoll der Sitzung vom 21.02.2001

Das heißt, die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer muss insgesamt reformiert werden. Wir Grünen haben dazu vor drei Wochen einen umfangreichen Aktionskatalog vorgelegt, um Möglichkeiten der Beseitigung des Lehrer- und Lehrerinnenengpasses, aber auch die inhaltliche Öffnung der Schulen vorzustellen.

Werbung und Information verbessern, Ausbildung reformieren, aber auch die Ausbildungszeit verkürzen, Chancen für Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen schaffen und die Erhöhung der Flexibilität im Personalmanagement - das waren unsere Vorstellungen. Diese finden Sie auch in dem rot-grünen Antrag wieder.

Ich möchte in Erwiderung auf die Rede von Herrn Dr. Klug sagen: Ich halte es nicht für einen Fehler, sondern gerade als ausgebildete Lehrerin für einen

(Angelika Birk)

Segen, wenn wir Menschen mit anderen Ausbildungen als der klassischen Lehrer- und Lehrerinnenausbildung an die Schulen bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Eine Sozialarbeiterin mit zehnjähriger Erfahrung mit schwierigen Jugendlichen in einem Freizeitbereich, eine Erzieherin, die eine Weiterbildung gemacht hat und berufsbegleitend weitere Kenntnisse der Schuldidaktik und eines Faches erwirbt, wird eine große Lebens- und Berufserfahrung in die Schule mitbringen, genauso wie ein Meister, der berufsbegleitend eine Qualifikation für die Berufsschule erwirbt. Ich halte es auch für sinnvoll, dass wir Musikfachleute, Physiker und Physikerinnen und eine ganze Reihe von weiteren Berufen dahin gehend befragen, ob sie nicht mit einer entsprechenden maßgeschneiderten Fortbildung an unsere Schulen kommen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen diese Fachleute an unseren Schulen.

Wir brauchen endlich auch Menschen mit Migrationserfahrung. Es ist doch nicht einzusehen, dass wir einen zunehmenden Anteil von Schulkindern mit Migrationshintergrund haben, es aber nicht schaffen, qualifizierte Akademiker oder Leute, die sich dieses Wissen, eine Akademikerausbildung mit Migrationshintergrund, auf dem zweiten Bildungsweg aneignen können, als Lehrende an die Schulen zu bekommen. Ich verstehe nicht, warum das nicht möglich sein soll. Warum erkennen wir noch immer nicht hinreichend ausländische Abschlüsse an? Warum werben wir nicht in der Bevölkerung jene, die bereit wären und eine große Integrationskraft an die Schulen bringen würden, dass sie endlich zu uns kommen? Das wird eine der Herausforderungen sein, denen wir uns zu stellen haben, wenn wir eine Öffnung der Schulen und eine Reform der Lehrerbildung wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und SSW)

Zur Erhöhung der Personalflexibilität, Herr Dr. Stegner, der Sie heute in Vertretung der Ministerin als Ansprechpartner hier sind. Ich denke, gerade Sie als Fachmann für gute Organisation sind der Richtige, um die großen Schritte fort zu setzen, die wir schon gegangen sind, um die Schule in die Lage zu versetzen, kurzfristige Unterrichtsausfälle durch ein eigenes kleines Budget zu beheben und auf der anderen Seite als Schulbehörde sehr frühzeitig sagen zu können, wie viele Leute zum nächsten Schuljahresbeginn auf festen Stellen gebraucht werden. Mit dem Argument, man wisse nicht, wer am nächsten Tag krank werde oder sich in den Vorruhestand begebe, und könne deshalb

jetzt noch nicht genau sagen, wie viele Leute zum Beispiel am 1. August gebraucht würden, schrecken wir viele gute Bewerberinnen und Bewerber ab. Dieses Managementproblem muss in einem Land wie Schleswig-Holstein, das ja nicht so groß ist wie Nordrhein-Westfalen, zu lösen sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin gewiss, dass wir dieses Problem lösen werden, und freue mich auf den Bericht, den die Regierung uns Ende Mai geben wird.

Bis dahin müssen aber die Hände nicht in den Schoß gelegt werden. Frau Eisenberg, es ist doch ganz klar: Wenn es jetzt schon Signale gibt, dass hier auf Bundesebene eine Lockerung der Referendarsbesoldung erfolgen kann, dann werden wir, wenn wir uns in diesem Hause einig sind, doch unserer Regierung den Rücken stärken, dass sie dies tut, auch wenn das natürlich Geld kosten wird. Ich sehe meine finanzpolitische Sprecherin an; sie nickt. Der Finanzminister ist heute in anderen Dingen unterwegs. Aber ich denke, er wird sich einem solchen Willen nicht entziehen können. Wir müssen, um das Thema Nachwuchs zu bewältigen, diesen Schritt tun. Schleswig-Holstein hat im Übrigen als Landesregierung keineswegs aus freien Stücken nachgegeben, als es vor kurzer Zeit um die Reduzierung der Referendarbezüge ging. Wir waren als Landesregierung - ich erinnere das in eigener Sache sehr gut - sehr wohl dagegen. Es gab dann allerdings die berühmten Paketlösungen im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss durch die Vermengung mit anderen Themen, die leider eine andere Lösung nicht möglich machten. Insofern freue ich mich, wenn jetzt auch auf Bundesebene die Erkenntnis reift, dass diese Kürzung ein Fehler war, der rückgängig zu machen ist.

Wir möchten deswegen, wie es schon ausgeführt wurde, den Antrag der F.D.P. im ersten Teil unterstützen. Den zweiten Teil, der in der Tat genauere Überlegungen notwendig machen würde und ja voraussetzt, dass der erste Teil scheitert - was wir nicht hoffen -, würden wir sozusagen als Vorhalteantrag an den Ausschuss überweisen, ebenso die Anträge der CDU, die sich auf die Berufsausbildung der Jugendlichen beziehen. Wir möchten dann allerdings doch, dass es zu einer alternativen Abstimmung kommt. Uns erscheint der F.D.P.-Antrag in der Frage der Referendarbezüge besser als der der CDU.

Wir möchten noch einmal anmerken, dass sich die Ausführungen in unserem Antrag nicht nur auf die Berufsschulausbildung beziehen. Alles, was ich hier gerade zur Flexibilität im Personalmanagement, zur Lehrerbildung und dergleichen mehr gesagt habe,

(Angelika Birk)

bezieht sich insgesamt auf das Konzept der Schulen und des Nachwuchses.

Wir haben die Debatte über den Berufsschulunterricht voller Dank aufgegriffen, diese umfassenden Überlegungen unserer beiden Fraktionen in einem Antrag zusammenzustellen. Ich hoffe, wir können mit der Mehrheit dieses Hauses rechnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidenten! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor rund einem Jahr stand in den „Kieler Nachrichten“ zu lesen: „Beruflichen Schulen gehen die Lehrer aus.“ Aus dem genannten Artikel geht auch hervor, was die Ursachen dieses Dilemmas sind: Der Berufsweg ist zu lang, das Einstiegsgehalt gering. Denn nicht nur die Lehre nach dem Abitur ist Studienvoraussetzung, auch mehrjährige Berufserfahrung ist wünschenswert, wenn es um die Anstellung als Berufsschullehrer geht. Dabei haben wir es nicht allein mit einem schleswig-holsteinischen, sondern mit einem bundesweiten Problem zu tun.

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass sich der Landtag mit der Situation an unseren Berufsschulen befasst. Ob nun mit den Anträgen der CDU-Fraktion weit genug gesprungen wird, sei vorerst dahingestellt. Ich bezweifle dies. Die Kernfrage lautet nämlich: Was können wir tun, um dem wachsenden Lehrermangel an den beruflichen Schulen entgegenzuwirken? Übergeordnet betrachtet lautet sie aber auch: Was muss getan werden, um die Attraktivität der beruflichen Bildung zu stärken? In ihrem Antrag schlägt die CDU-Fraktion vor, potenziellen Fachlehrern die Möglichkeit zu geben, im Vorbereitungsdienst die fehlenden formalen Schulabschlüsse nachzuholen. Mit anderen Worten: Eine Berufsschule stellt qualifizierte oder hoch qualifizierte Meisterinnen und Meister ein, damit aber den formalen Kriterien für eine Einstellung - also die Fachhochschulreife - Genüge getan werden kann, soll das Land dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Was genau passieren soll, geht aus dem vorliegenden Antrag nicht hervor.

Dieser Weg wirkt aus unserer Sicht unnötig kompliziert. Da gilt es doch viel eher, die schon existierenden Möglichkeiten auszuschöpfen, denn auf der Grundlage der bestehenden Verordnung kann durch Auswahl- und Eignungsgespräche von der formalen Grundlage der Fachhochschulreife abgesehen werden.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Diese Möglichkeit besteht eben nicht!)

- Es ist mir ganz klar gesagt worden, dass diese Möglichkeit bestehe. Und es macht meiner Ansicht nach Sinn, diese Möglichkeit auch auszuloten, weil dadurch schneller etwas geleistet werden kann. Man darf nicht vergessen, dass es insgesamt wenig Bereiche gibt, die heute noch von Fachlehrern betreut werden. Gemeint ist in erster Linie der gewerblich-technische Bereich.

Wer mehr Fachlehrer und Fachlehrerinnen an die beruflichen Schulen holen will, muss auch wissen, dass dadurch das Zweiklassensystem an den Berufsschulen ausgebaut wird. Ich bin nicht gegen den Einsatz von Fachlehrern, man muss sich aber fragen, wie zukunftsweisend so ein Schritt ist, denn Fachlehrer sind „Schulassistenten“. Man sollte sich also auch andere Modelle überlegen.

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Sie sind in der Lehrerkonferenz stimmberechtigt! Sie sind Lehrkräfte!)

- Ich beschreibe nur die Situation so, wie sie mir gegenüber berichtet worden ist. Der Leiter einer Berufsschule sagte mir, es sei besser, die Lehrwerkmeister wieder „aufleben“ zu lassen, weil diese viel bessere Möglichkeiten hätten, an den Berufsschulen ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Dies sei nur als eine andere Möglichkeit genannt.

Als weiteren Vorschlag zur Verbesserung der Situation an den Berufsschulen schlägt die CDU-Fraktion vor, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Erhöhung der Anwärterbezüge einsetzen soll. Tatsächlich wurde das Bundesbesoldungsgesetz - gegen die Stimmen Schleswig-Holsteins - dahingehend geändert, dass Referendarbezüge bis zu 25 % gekürzt wurden. Übrigens wurde das Gesetz im Juli 1998 noch unter der alten CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung geändert. Trotzdem: Lehramtsanwärter haben häufig weniger im Portemonnaie als Azubis von Banken oder der Baubranche im dritten Lehrjahr. Dazu kommt, dass gerade die Berufsschulen in einem harten Wettbewerb zur freien Wirtschaft stehen, denn junge Berufsschullehrer werden von der Industrie mit Kusshand genommen, wie mir gesagt worden ist.

Diesen Wettbewerb können die Berufsschulen aber nur bestehen, wenn der Beruf der Berufsschullehrer an Attraktivität gewinnt. Daher ist es ein richtiger Ansatz, die Bezüge zu erhöhen - ein Ansatz, der für andere Referendarstellen des Bildungssystems gleichermaßen gerechtfertigt ist. Die Kürzung betrifft eben nicht nur die beruflichen Schulen. Genau darin liegt die Schwäche des vorliegenden Antrags.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Einen Moment, Frau Abgeordnete. Ich bitte um etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit. Es ist sonst sehr schwer für die Rednerin oder den Redner.

Vielen Dank. - Drittes Element in dem Berufsschulvorstoß der CDU ist die Flexibilisierung der Ausbildungsordnungen - gemeint ist der kleine Gesellenbrief. So einen Antrag hat es in den letzten Jahren mehrfach gegeben. Statt sich aber mit alten Hüten zu befassen, ist es an der Zeit zu fragen, wie man das System der beruflichen Bildung insgesamt modernisieren könnte.

(Zuruf von der CDU: Wir warten auf Ihren Antrag!)

- Der kommt. - Der SSW erkennt sehr wohl die Notwendigkeit einer Flexibilisierung der Ausbildungsordnung. Wir sind aber nicht der Meinung, dass dies zu einem kleinen Gesellenbrief führen sollte. Zum einen werden Abbrecher dadurch weiterhin als Versager gestempelt - sie sind eben nicht so gut, dass sie den „richtigen Gesellenbrief“ schaffen können. Zum anderen sind wir der Meinung, dass es an der Zeit ist, sich zu überlegen, ob die Anforderungen, die bis heute an die berufliche Bildung gestellt werden, noch zeitgemäß sind. Aus den anderen Redebeiträgen ging dieses Problem bereits hervor.

Gefragt ist unter anderem, wie mit Modulen und Zertifikaten andere Ausbildungsgänge und andere Abschlüsse geschaffen werden können. Gefragt ist auch, wie wir uns eine Reform der beruflichen Bildung insgesamt vorstellen. Dass in den kommenden Jahren solche Überlegungen auf der Tagesordnung stehen werden, steht für uns außer Frage. Dafür wird die EU schon sorgen. Stichwort ist hier zum Beispiel die Zukunft des Meisterbriefes auf europäischer Ebene.

Es wird Sie nicht überraschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der SSW auch hier den Blick über die Grenze wagt

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Aber nur nach Dänemark! - Beifall beim SSW)

- ja, ich will euch schließlich nicht enttäuschen -, nicht nur weil gute Nachbarn immer voneinander lernen sollten, sondern auch, lieber Kollege Klug, um den bayerischen Einfluss auf die Politik in SchleswigHolstein einzuschränken.

(Beifall beim SSW - Jürgen Weber [SPD]: Sehr gut! - Beifall des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Dennoch stimmt es, dass das dänische Berufsschulmodell 1999 mit dem Carl-Bertelsmann-Preis ausgezeichnet wurde. Das dänische Modell beruht - ähnlich wie in Deutschland - auf einer 400 Jahre alten Handwerkstradition, bei dem die Jungen von den alten Meistern auf der Walz lernten. Heute hat Dänemark eine sehr flexible berufliche Bildung mit sieben Hauptberufsfeldern entwickelt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.])

- Man kann auch daraus etwas lernen, lieber Kollege Klug. Dabei ergibt sich die Flexibilität des Modells aus der Tatsache, dass es Teil- und Grundqualifikationen gibt und Module der Aus- und Weiterbildung für die Menschen, die mehr wollen und mehr können. Wichtig ist auch, dass der Lehrling nicht mehr in die herkömmlichen Hierarchien eingebunden ist, sondern dass differenzierte Ausbildungsgänge dazu dienen, die individuellen Stärken und Qualifikationen der Auszubildenden gezielt zu fördern. Genau das ist meiner Ansicht nach der Punkt, nicht etwas unterhalb des Gesellenbriefes zu schaffen, sondern etwas anderes. So wird das Interesse der Jugendlichen mit den modernen Anforderungen der Arbeitswelt kombiniert. Dabei schafft der Staat die Rahmenbedingungen, während Arbeitgeber, Gewerkschaften und Schulen in enger Zusammenarbeit auf regionaler Ebene die Ausbildungen gemeinsam entwickeln.

Dieses Modell ist aus unserer Sicht ein Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zum Wohle des Gemeinwesens, die sich der SSW auch für SchleswigHolstein wünscht. Wir bedauern außerordentlich, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände in dieser Frage nicht weitergekommen sind. Das ist bedauerlich und es ist auch nicht zu akzeptieren.

Erste Ansätze in diese Richtung gibt es dennoch. Ich nenne hier nur das Stichwort Lernortkooperation zwischen Betrieb und Berufsschule. Danach benötigen wir insbesondere ein neues Denken. Nur so wird es uns gelingen, die Attraktivität der beruflichen Bildung zu steigern und die Berufsschulen zu stärken.

Die berufliche Bildung wird auf absehbare Zeit auf dem Prüfstand bleiben müssen. Wir begrüßen die Anträge der CDU deshalb als Diskussionsanstoß und freuen uns auf die Beratung in den Ausschüssen.

Wir stimmen dem Änderungsantrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu. Es macht wirklich Sinn, so ein Gesamtkonzept anzufordern. Hinsichtlich der Referendarbezüge werden wir dem Antrag der F.D.P. zustimmen, weil dieser Antrag unserer Meinung nach das Problem besser erfasst als der CDUAntrag. Ich weiß nicht, wie jetzt verfahren werden soll

(Anke Spoorendonk)