Protokoll der Sitzung vom 11.05.2001

In diesem Hause haben wir Konsens darüber, dass der Verkehrsinfrastruktur weiterhin hohe Aufmerksamkeit zukommen muss. Die Probleme sind noch nicht hinreichend gelöst. Deshalb arbeitet die Landesregierung mit Hochdruck an diesem Thema. Auch in diesem Jahr kommen wir deutlich voran. Ich nenne einige Beispiel: Fertigstellung des ersten Teilstücks der A 20 bei Lübeck noch in diesem Jahr, Baubeginn für den zweiten Bauabschnitt, Fertigstellung des entscheidenden Abschnitts der Südumgehung Neumünster, Baubeginn am Herrentunnel, Baubeginn für die Westtangente Eutin, Weiterbau der A 1 - Umgehung Oldenburg -, Verlegung der Bundesstraße 203 bei Kappeln, Verlegung der Bundesstraße 502 - Ortsumgehung Preetz. Das sind doch alles Beispiele, die zeigen, dass in Schleswig-Holstein etwas passiert.

(Beifall des Abgeordneten Arno Jahner [SPD])

Wir geben in diesem Jahr 540 Millionen DM - darunter 100 Millionen DM reine Landesmittel - allein für den Straßenbau aus. Das ist Standortpolitik und verbessert die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.

Ich fasse zusammen: Wir haben eine vorübergehende Abschwächung. Für Pessimismus besteht kein Anlass. Die Aussichten für eine baldige Wiederbelebung stehen gut. Zur Wirtschaftspolitik dieser Landesregierung gibt es keine Alternative. All das, von dem Sie gelegentlich sagen, man könnte oder man müsste mal, machen wir längst. Ich schlage vor, dass Sie uns von der Opposition auch einmal konkrete Beispiele dafür nennen, was wir zusätzlich machen könnten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das wird langsam albern!)

Sie können sich darauf verlassen, dass die Landesregierung dabei weiter Tempo macht. Ich sage ganz bewusst: Ich bitte Sie, auch vor Ort in den Wahlkreisen zu etwas schwierigeren Projekten wie beispielsweise der A 20 und Holtenau das zu sagen, was Sie hier im hohen Hause sagen. Das würde mir schon

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

reichen. Das wäre nämlich ein Beitrag zur Infrastrukturpolitik in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von CDU und FDP)

Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Eichelberg hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Rohwer, Sie haben Ihren Bericht mäßigend angefangen. Er stand in wohlwollender Distanz zu dem schriftlichen Bericht. Das sage ich ganz ehrlich. Vor einer Woche sind Sie noch zu euphorisch vorgegangen. In den Medien stand, dass der Wirtschaftsminister Silberstreifen am Konjunkturhimmel sieht. Ich glaube, da sind Sie einer der ganz wenigen, die das so deutlich sehen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Er ist etwas län- ger als die anderen!)

Ich frage mich, woher Sie den Optimismus nehmen. Ich nenne nur, was Sie für das Jahr 2000 angekündigt hatten: Alle Zeichen stehen auf Wachstum und Beschäftigung. Was aber war 2000? Alle Länder der EU haben von der weltweiten Konjunktur kräftig profitiert. Deutschland hat sich mit Italien um den letzten Platz gestritten. Schleswig-Holstein hat gar nicht davon profitiert. Das muss man klar sagen. Bodenhaftung und Realität sind wichtig, wenn man die Zukunft gestalten will. Das empfehle ich auch dem Ministerium. Wahlkampf muss irgendwann einmal ein Ende haben.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Jetzt, da die Weltkonjunktur Schwierigkeiten zeigt und die Inflationsrate in Europa - und gerade in Deutschland - bedenkliche Höhen erreicht, die Arbeitslosenzahlen auch in Schleswig-Holstein nur noch durch Altersabgänge sinken und die Jugendarbeitslosigkeit steigt - schauen Sie sich die Zahlen an -: Das kann nicht gewollt sein. In einer Zeit, in der die Masse der Einkommensbezieher - auch in Schleswig-Holstein ihre Steuerersparnis für erhöhte Heizungsrechnungen und durch die Ökosteuer verteuerte Fahrten zum Arbeitsplatz verwenden muss, steht ein Silberstreif am Horizont? Das kann nicht sein.

Ich erinnere daran, was wir in den letzten Wochen und Monaten erfahren haben. Die Bundeswehr zieht Tausende von Arbeitsplätzen - und damit Kaufkraft - aus Schleswig-Holstein ab. BSE und MKS machen nicht nur der Landwirtschaft große Probleme, sondern auch

der Ernährungswirtschaft, was katastrophale Folgen für die Zukunft hat. Das Baugewerbe ist in einer Situation, die mit „katastrophal“ gar nicht mehr beschrieben werden kann. Dort sehe ich im Augenblick gar keine Perspektive mehr. Selbst bei Alsen haben wir in den letzten Tagen deutliche Folgen gesehen. Dieser bedeutende Arbeitgeber hat im großen Umfang Arbeitskräfte abgebaut. Andere Projekte für mehr Arbeitsplätze - wie MEMS und Philips in Itzehoe finden gar nicht statt.

In den letzten Monaten und im vergangenen Jahr haben Sie immer wieder auf bevorstehende große Auftragseingänge im Lande hingewiesen. Wenn ich die Zahlen analysiere, sehe ich, dass die Zahlen kontinuierlich abnehmen. Im Augenblick haben wir negative Auftragszahlen. Das ist keine Zeit für Optimismus.

Ich habe den Eindruck, Wirtschaftsberichte sind wie Bilanzen von Unternehmen. Sie verschleiern und verschönern, soweit es gesetzlich und moralisch noch zulässig ist. Deshalb taugen diese Einzelberichte nur für die Analyse, wenn man die verschiedenen Jahrgänge nebeneinander legt. Dabei erlebt man ein Wunder nicht nur was die jährlich aufbereiteten Zahlen angeht, sondern auch was die sich eigentlich widersprechenden Aussagen angeht. Allein die Überschriften machen es deutlich. Man vergisst jedes Jahr neu, dass diese Regierung schon seit über zwölf Jahren im Amt ist. Dabei definiert sie immer wieder neue Ziele. Irgendwann müssen die Ziele einmal so definiert sein, dass ein Konzept steht, von dem man sagen kann, da geht es lang.

(Beifall bei der CDU)

Die Berichte lesen sich immer mehr wie ein Wahlprogramm und nicht wie ein Rechenschaftsbericht. Seien wir ehrlich, Schleswig-Holstein steht vor gravierenden Herausforderungen, die angepackt werden müssen. Es ist wichtig, was der Minister am Ende gesagt hat: Wir müssen unsere Maßnahmen bündeln und sie auf wenige konzentrierte Bereiche verteilen. Mehr geht nicht. Wir können nicht mehr versprechen, als da ist.

(Beifall bei der CDU)

Das Wenige muss konzentriert eingesetzt werden. Ich bin sicher, das wird eine interessante Haushaltsdebatte.

(Zuruf des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir dürfen auch nicht nur darauf hinweisen, dass die New Economy neue Impulse für die Zukunft gibt. Natürlich bietet sie neue Impulse, aber die Anteile der Arbeitsplätze und die Anteile der Steuereinnahmen aus diesem Bereich sind noch für eine sehr lange Zeit sehr

(Uwe Eichelberg)

kritisch zu betrachten. Deshalb muss der Schwerpunkt wieder auf die Bereiche konzentriert werden, die dem Land dauerhafte Arbeitsplätze erhalten. Diese Bereiche müssen erhalten und ausgebaut werden. Es ist bedenklich nachzulesen, dass die Anzahl der Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung in den letzten Dekaden um 25 % gestiegen ist. Da ist keine Wertschöpfung, deshalb fehlt uns das Geld auch für Investitionen der öffentlichen Hand. Das mahnen wir seit Jahren an.

(Beifall bei der CDU)

Seien wir doch ehrlich bei der Analyse der Zahlen für den Dienstleistungssektor. Wenn Sie diesen Bereich kritisch betrachten und weitere Tabellen des Statistischen Landesamtes hinzuziehen, merken Sie, dass unternehmensnahe Dienstleister, auf die wir immer hinschielen, überwiegend outgesourcte Firmen von Großunternehmen sind, die nicht mehr die hohen Löhne bezahlen wollten und sich die Dienstleistungen lieber auf dem Markt kaufen. Das ist eine kritische Betrachtung, die wir hier einmal ernsthaft besprechen müssen.

Der Bericht macht deutlich, dass wir in SchleswigHolstein nicht nur die niedrigste Investitionsquote von allen Bundesländern haben. Wir haben auch das niedrigste Bruttosozialprodukt von allen alten Bundesländern. Darüber haben wir bereits gesprochen. Ich mache es mir nicht so leicht, das abzuhaken. Der Bericht zeigt auch in brutaler Härte, dass sich das Wachstum im Verhältnis zu den übrigen alten Bundesländern seit 1995 kontinuierlich auseinander entwickelt hat. Das Wachstum in Schleswig-Holstein lag in den letzten Jahren bei 9,8 %. Das Wachstum der übrigen alten Bundesländer lag bei 13,1 %. Sie können nicht sagen, dass sich die Schere schließen würde. Im Gegenteil, sie geht weiter auseinander. Darüber hinaus haben wir noch die schwierigen Probleme, die ich vorher genannt habe. Es kann überhaupt nicht von einem Silberstreif gesprochen werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Landesregierung rühmt sich im Bericht ihrer starken mittelstandsorientierten Wirtschaftspolitik. Verbal stimmt das. Nicht jeder im Lande weiß, dass 98 % aller Betriebe im Lande mittelständisch sind und 85 % aller Beschäftigten dort arbeiten. Ich sehe jedoch die Handlungspriorität immer bei den größeren Firmen. Was hat diese Regierung eigentlich zur Abwendung der gerade die kleinen mittelständischen Betriebe belastenden Kündigungsschutzgesetze unternommen?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Gar nichts!)

Was hat sie gegen die gerade die kleinen Betriebe belastende Steuerreform getan? Was hat sie gegen die

unzeitgemäße Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes getan?

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Gerade die von uns so geförderten Betriebe in der Forschung und der New Economy sowie die schlingernden Handwerksbetriebe leiden unter diesen Dingen. Herr Minister, ich habe es damals als mutig empfunden, als Sie sich dagegen ausgesprochen hatten, dass diese Gesetze umgesetzt werden. Ich habe jedoch nichts von Aktivitäten dagegen im Bundesrat gelesen.

In der Vergangenheit war es immer so: Wenn die öffentliche Hand Aufträge an den Bausektor vergab, war das die Lokomotive für eine neue Konjunkturwelle. Mittlerweile ist die Lokomotive so klein geworden, dass selbst die Aufträge nur noch von Ausländern bearbeitet werden können. Wir haben hier eine äußerst kritische Situation zu verzeichnen.

Auf der einen Seite gibt es Auftragspotenziale, gerade in unseren so genannten touristischen Hochburgen, die noch den Charme der 70er-Jahre atmen und sich im Vergleich zu Mecklenburg-Vorpommern in einem erbärmlichen Zustand befinden. Da müsste kräftig investiert werden. Die liegen überwiegend in GAGebieten, sodass Fördermittel dorthin fließen könnten. Wir wollen endlich einmal das Konzept dafür haben. Dann kann man in diesen Gebieten, gerade im touristischen Bereich, zielgerichteter investieren. Die Prioritäten sind unseres Erachtens nicht richtig gesetzt.

Die Entwicklungskonzepte und regionalen Besonderheiten, zum Beispiel die Ernährungswirtschaft im Landesteil Schleswig, der Tourismus, sind angesprochen worden; im Süden und Südwesten sind besondere Schwerpunkte zu setzen. Diese Schwerpunkte müssen wir in der Regionalpolitik entsprechend verarbeiten. Es darf nicht die Region gefördert wird, die nach dem Windhundrennen das beste Konzept für eine Einzelmaßnahme bringt, ohne zu wissen, in welchem Rahmen und mit welcher Zielsetzung für die ganze Region. Da haben wir große Bedenken, gerade in Anbetracht der Wettbewerbsverhältnisse in den Bundesländern und vor dem Hintergrund dessen, was uns Mecklenburg-Vorpommern vormacht. Natürlich haben die in Mecklenburg bessere Chancen, auch durch die Steuergesetzgebung; aber die haben wir früher auch gehabt mit den Zonenrandmitteln und den Fördermitteln im Landesteil Schleswig. Wenn diese Fördermittel demnächst auslaufen, haben wir gar kein Geld mehr und die Infrastruktur ist nicht entsprechend angepasst. Dann sieht es für Schleswig-Holstein erst richtig grauenhaft aus, ab 2006. Daher haben wir an dieser Stelle große Bedenken.

(Uwe Eichelberg)

Lassen Sie mich ein paar Worte zur Verkehrsinfrastruktur äußern; denn dieser Bereich wurde sehr positiv dargestellt. Herr Minister, die Vorstellungen, was wir gern hätten, sind gut definiert, aber was wir davon realisieren können und welche Mittel wir bekommen, das lässt allergrößte Zweifel aufkommen, ob wir das immer wieder so mit geschwollener Brust verbreiten können. Was die Bundesbahn an Entscheidungen getroffen hat und die rot-grüne Bundesregierung anscheinend so hinnimmt, dass zum Beispiel die Industriebahngleise gekappt werden und unsere Fernzüge zu regionalen Erlebnisbahnen für Schleswig-Holstein werden, zeigt wie früher: Nach Altona ist die Welt zu Ende. Da kann der internationale Fahrgast zwar sein Fahrrad umsonst mitnehmen und einen Kaffee auf dem Gang ziehen. Nur, ist das die große Leistung für einen zukunftsträchtigen Standort Schleswig-Holstein?

(Beifall bei CDU und FDP)

Erstaunt war ich bei den Straßenbauankündigungen. Früher stand immer drin, bis 2011, dann kann man von Lübeck durchgehend über die Elbe fahren. Jetzt haben Sie sich beschieden; da steht nur noch zu lesen, dass der Abschnitt bis Segeberg 2007 fertig sein soll. Sehr vorsichtig. Kommt da schon Kritik auf?

Sehr vage waren auch die Aussagen zum Ausbau von Häfen und Flughäfen. Die Mittel werden von der EU nicht kommen. Ich weiß nicht, wie wir die angekündigten Maßnahmen überhaupt durchsetzen wollen. Es sieht äußerst kritisch aus.

Ich fasse zusammen: Die Situation ist kritisch und wir sollten sie selbstkritisch aufnehmen, nicht nur um zu mäkeln, sondern um daraus die richtigen Maßnahmen abzuleiten und dann im nächsten Jahr bestimmte Maßnahmen gemeinsam zu tragen und den Bürgern zu vermitteln. Mit Schönfärberei kriegen wir nichts mehr hingebacken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Bernd Schröder.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Wirtschaftsbericht der Landesregierung Stellung nehme, lassen Sie mich eine Feststellung vorausschicken: Die deutsche Wirtschaft befindet sich, insgesamt betrachtet, nach wie vor in einer gesunden Aufschwungphase.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Zu diesem Ergebnis kommen nicht nur die Einschätzungen der Bundesregierung, sondern auch die Pro