Protokoll der Sitzung vom 11.07.2001

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

dern, zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich sichert.“

Diesem Motto sind wir treu geblieben. Die Solidarität zwischen allen Ländern spiegelt sich vor allem im Solidarpakt II wider. Um die teilungsbedingten Sonderlasten für die ostdeutschen Länder einschließlich Berlin abzubauen, wurde er mit einer Finanzausstattung von 306 Milliarden DM und einer Laufzeit bis zum Jahr 2019 vereinbart. Damit haben Länder und Bund den Aufbau Ost auf eine solide und ausreichend lange Finanzierungsgrundlage gestellt. Ich halte dies übrigens für eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir während dieser Sonderkonferenz getroffen haben.

(Beifall bei der SPD)

Innerhalb einer Generation - so ist es unser aller Wille -, nämlich vom Mauerfall 1989 bis zum Jahr 2019, sollen die deutsche Einheit und damit der Aufbau Ost vollendet sein. Mit der Festlegung auf 2019 haben wir erstmals einvernehmlich mit allen Ländern einen Endpunkt vereinbart. Für die Bürgerinnen und Bürger in Westdeutschland ist das die Botschaft, dass der Aufbau Ost nach 30 Jahren finanziert sein wird. Für die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland lautet die Botschaft, dass sie die nächsten 18 Jahre dafür nutzen müssen, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Dabei wollen wir ihnen helfen. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind aber etwas anderes als materielle Gleichheit: Unterschiede, die wir akzeptieren, sind das Salz in der Suppe des Föderalismus.

Innerhalb dieser Logik wird die Summe aus dem Solidarpakt ab 2005 generell degressiv gesenkt. Perspektivisch werden wir daher auch die Diskussion bekommen, wie es mit dem Solidarzuschlag weitergeht. Uns allen ist klar, dass gerade in den neuen Ländern ein Extrabedarf an Zuwendungen besteht. Bund und Länder - genau genommen heißt das: die Steuerzahler haben sich bis heute erheblich an der Modernisierung Ostdeutschlands einschließlich Berlins beteiligt. Die Ministerpräsidenten aller Länder haben sich darauf verständigt, jetzt einen Punkt zu setzen, der diese Hilfen zeitlich begrenzt. Das soll die ostdeutschen Länder anspornen, die Mittel so zu verwenden, dass ein sich selbst tragender Aufschwung möglich wird.

Darüber hinaus haben sich die neuen Länder freiwillig verpflichtet, dem Finanzplanungsrat regelmäßig über die Verwendung der Gelder zu berichten. Mit diesem Verfahren bekommt der Aufbau Ost eine andere politische Qualität. Die berechtigte Forderung, den Aufbau Ost als nationale Aufgabe zu begreifen und zu finanzieren, wird um eine Diskussion über die Art und Weise der Mittelverwendung ergänzt. Blankoschecks sind weder ökonomisch noch politisch sinnvoll; sie werden von den neuen Ländern auch nicht mehr gewollt. Es

macht keinen Sinn, im Osten noch mehr Gewerbegebiete auszuweisen, die dann brachliegen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aus dem Solidarpakt II mit seiner zeitlichen Begrenzung schulden wir unseren Bürgerinnen und Bürgern eine sorgfältige Mittelverwendung, denn auch die westlichen Länder haben - wie bei uns zum Beispiel im Raum Flensburg anzutreffen - strukturschwächere Regionen. Auch wir müssen uns übrigens darauf einstellen, dass wir weniger Geld zur Verfügung haben werden; auch bei uns ist der Bund aus bestimmten Programmen ausgestiegen.

Der Länderfinanzausgleich stellt alle Länder finanziell besser. Kein Land hat Geld zu verschenken. In Schleswig-Holstein werden wir daher unseren Kurs der Konsolidierung fortsetzen und gleichzeitig das Land weiter modernisieren. Natürlich ist das Ergebnis des Länderfinanzausgleichs ohne den Bund nicht möglich gewesen. Ich danke Kanzler Schröder und auch Finanzminister Eichel, der sich allerdings - was ich zugeben muss - schwerer getan hat, ausdrücklich dafür, dass sie mit ihrem Entgegenkommen am Ende wesentlich zum Erfolg des Sondergipfels beigetragen haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Nach der Steuer- und Rentenreform ist mit der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und dem Solidarpakt II in nur zweieinhalb Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung das dritte große Reformwerk gelungen. Auch die jahrelange gute Zusammenarbeit der norddeutschen Länder hat sich bei dem gefundenen Kompromiss ausgezahlt. Ohne eine klare, einheitliche Positionierung der norddeutschen Länder SchleswigHolstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern wäre dieser Kompromiss nicht zustande gekommen. Ich danke meinem Kollegen Ortwin Runde, der einen entscheidenden Anteil daran hat, ausdrücklich. Wir freuen uns mit ihm über den Erhalt der höheren Einwohnerwerte der Stadtstaaten, was der Metropolregion Hamburg und damit indirekt auch Schleswig-Holstein zugute kommt.

(Beifall bei der SPD)

Für Schleswig-Holstein hat Finanzminister Claus Möller die Verhandlungen geführt. Das hat viel Zeit und Nerven gekostet. Ich darf Ihnen ausdrücklich bestätigen: Er hat es gut gemacht. Dafür möchte ich mich bei ihm bedanken.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern einschließlich des Solidarpaktes II ist nun am 21. und 22. Juni in Berlin abgeschlossen worden. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Maßstäbegesetz zum neuen Finanzausgleich und zum Solidarpakt II ist seit der am letzten Donnerstag mit überzeugender Mehrheit zustande gekommenen Entscheidung des Deutschen Bundestages in trockenen Tüchern. Die übliche Schwarzseherei, die man bei den jeweiligen Landtagsoppositionen immer wieder sieht, hat sich damit als ohne Grundlage erwiesen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Dr. Ekke- hard Klug [FDP]: Tosender Beifall bei der SPD!)

Schleswig-Holstein ist bei uns in guten Händen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung war sich immer darüber im Klaren, dass es bei der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung nicht nur um den Finanzausgleich gehen kann. Als nächste Aufgabe liegt die Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben vor uns. Darunter fallen der Aus- und Neubau von Hochschulen einschließlich Klinika, die Bildungs-, Planungs- und Forschungsförderung, die Verbesserung der örtlichen Wirtschaftsstrukturen sowie die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Ich sehe das als Chance, das Profil der Länder zu schärfen. Gleichzeitig bekäme der Landtag damit einen größeren Entscheidungsspielraum und folglich eine transparentere Verantwortung. So könnten die Bürgerinnen und Bürger wieder klarer erkennen, wer eine politische Entscheidung zu verantworten hat: Bund oder Länder. Ganz nebenbei reduziert die Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben auch den Papierkram zwischen Bund und Ländern; er senkt die bürokratischen Kosten.

Die Landesregierung setzt sich dafür ein, dass der Bund die derzeit eingesetzten GA-Mittel den Ländern vollständig, dynamisch und auf Dauer zur Verfügung stellt. Das waren im vergangenen Jahr 7,1 Milliarden DM. Dazu sollen alsbald Gespräche mit dem Bund aufgenommen werden. Die Ministerpräsidenten haben sich dafür den Herbst vorgenommen.

Bis zur EU-Regierungskonferenz 2004 brauchen wir insofern eine abgestimmte Marschrichtung. Mir liegt besonders daran, dass bei einem neuen Verteilungsschlüssel nach dem Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr 2019 die unterschiedlichen Ausstattungsbedingungen der Länder berücksichtigt werden. Es gibt Länder, die zum Beispiel eine besser ausgebaute Forschungslandschaft haben als andere. Der konkrete Bedarf der einzelnen Länder muss auch in Zukunft bei der Mittelverwendung berücksichtigt werden. Weil

dies jedoch noch weit in der Zukunft liegt, kann ich Ihnen dazu leider noch keine Einzelheiten nennen.

Ich bin dafür, dass wir den bundesdeutschen Föderalismus entflechten. Aber ich bin dagegen, dass - wie es in einigen Vorschlägen anklang - am Ende jedes Land seine eigene KFZ-Steuer erhebt oder seine eigene Vermögen- oder Erbschaftsteuer festlegt.

(Beifall bei der SPD)

Noch absurder würde es, wenn jedes Land seine eigene Mehrwertsteuer festsetzen könnte. Am Ende stünden dann an unseren Landesgrenzen wieder die Zollhäuschen, weil aufgepasst werden müsste, dass auch ja alles so bleibt, wie es jeweils im eigenen Land beschlossen worden ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Völliger Unsinn!)

Unsere föderale Struktur ist solidarisch ausgestattet; so ist es im Grundgesetz gewollt und so wollen wir es auch aufrechterhalten.

Meine Damen und Herren, was hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gilt, gilt sinngemäß auch auf europäischer Ebene. Die Landesregierung ist überzeugt, dass die Europäische Union nur dann dauerhaft funktioniert und bei den Bürgerinnen und Bürgern Akzeptanz findet, wenn Föderalismus und Subsidiarität die beherrschenden Grundprinzipien der gemeinsamen Arbeit sind.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Niemand will einen zentralistischen europäischen Superstaat. Gleichwohl wird der europäische Integrationsprozess aber weitere Veränderungen für den deutschen Föderalismus mit sich bringen.

Im Interesse der notwendigen und von uns allen gewollten europäischen Einigung werden wir auch von manch Liebgewonnenem Abschied nehmen müssen. In diesem Zusammenhang ist an die Verträge von Maastricht, Amsterdam, Nizza und eine Vielzahl von Grundgesetzänderungen in den letzten zehn bis 15 Jahren zu erinnern. Aus der Sicht der Länder geht es vor allem darum, den Kompetenzverlust, das Abfließen von Zuständigkeiten durch den Ausbau von Beteiligungsrechten auszugleichen.

Mit der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ist ein Meilenstein geschaffen. Was in SchleswigHolstein entschieden werden kann, soll auch in Schleswig-Holstein entschieden werden. Wir wollen ein bürgernahes Europa, in dem die Bürgerinnen und Bürger klar wissen, welche politische Ebene wofür die Verantwortung trägt. Wenn wir das schaffen, wird auch wieder eine Begeisterung für Europa bestehen.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Demokratie braucht Transparenz, Europa muss eine Herzensangelegenheit von allen sein und nicht nur eine Angelegenheit von Bürokraten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN FDP und SSW)

Wir dürfen den Europagedanken nicht zu Tode administrieren. Schon jetzt ist geltende Praxis, dass der Bund nicht einfach Länderzuständigkeiten an die EU abtreten darf. Die grundgesetzlich garantierten Beteiligungsrechte müssen weiter ausgebaut werden, auch wenn das in Brüssel nicht alle so sehen. Dabei geht es um Folgendes: Die Länder müssen noch stärker als bisher inhaltlich Einfluss auf die Gestaltung europäischer Politik über den Bund bekommen. Gleichzeitig dürfen ihre originären Zuständigkeiten nicht so weit ausgehöhlt werden, dass sie am Ende nur noch bloße Verwaltungseinheiten bilden. Ich will auch, dass künftig von den Ländern, von den Landtagen Politik gestaltet werden kann. Hierzu gehört auch die Frage, was vom Bund an Zuständigkeiten auf die Länder zurückverlagert werden kann, und die Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben wäre ein erster Schritt in diese Richtung.

Die europäische Integration darf nicht allein den politischen Akteuren überlassen werden. Sie muss maßgeblich von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen und mitgestaltet werden. Das Europa der Regionen muss von unten nach oben aufgebaut werden, sonst haben wir am Ende ein geeintes Europa, aber es würde eine leere Hülse sein. Das darf nicht passieren.

(Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich bitte abschließend sagen, die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat uns allen eine gute und fundierte Planungssicherheit gegeben und gewährleistet diese für die nächsten 20 Jahre. Das ist ein großer Gewinn für die Politik der Länder und für den Föderalismus in Deutschland. Wir haben einen Kompromiss erzielt, der fair und gerecht ist. Er lotet Stärken und Schwächen aus und ist ein erster akuter und wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer stabilen und modernen Neuordnung der Bund-LänderBeziehungen.

Der Prozess war ein Lehrstück für alle Beteiligten. Wir haben ihn produktiv genutzt und deshalb ist er ein Gewinn für alle. Es ist mir bewusst, dass es immer Reibungsflächen zwischen dem Bund und den Län

dern, auch zwischen den Ländern geben muss, und das ist auch gut so, denn wir werden diese strukturell bedingten Spannungen produktiv nutzen. Dann kommen wir alle weiter voran und am Ende haben die Länder alle Positives davon gehabt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Herrn Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Simonis, wer Ihrer Regierungserklärung zugehört hat, musste den Eindruck gewinnen, dass die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs ein Jahrhundertwerk des Föderalismus in Deutschland unter maßgeblichem Einfluss Schleswig-Holsteins sei.

(Beifall bei der SPD - Heiterkeit bei CDU und FDP)

Nach harten schwierigen Verhandlungen sei es in Berlin gelungen, einen Kompromiss zwischen Bund und Ländern zu finden. Das Ergebnis sei ein Zeichen von Solidarität zwischen den Ländern und ein Erfolg für den deutschen Föderalismus. Frau Simonis, war dies wirklich der große Wurf für den Föderalismus in Deutschland? Bei genauer Betrachtung haben der Bundesfinanzminister und die Ministerpräsidenten über zwei Jahre verbittert gestritten und gefeilscht wie auf einem orientalischen Basar. Herausgekommen ist doch allenfalls die Bestandswahrung zulasten des Bundes.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es gab angeblich viele Sieger, aber einen stillen Verlierer - oder besser: viele stille Verlierer. Dieser Verlierer ist der Steuerzahler, dem noch zwei Jahrzehnte lang der Solidaritätszuschlag zugemutet wird.