Protokoll der Sitzung vom 27.09.2001

Als letzten Tagesordnungspunkt für heute rufe ich Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweites Seeschifffahrtsanpassungsgesetz - Sicherheitsuntersuchungsgesetz (SUG)

Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/1185 (neu)

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/1208

(Unruhe)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist fünf nach halb sechs. Ich weiß, dass das eine anstrengende und teilweise auch sehr unterhaltsame Sitzung war, trotzdem sollten wir noch bis zum Schluss, bis 18:00 Uhr, die notwendige Aufmerksamkeit für die zu behandelnden Punkte aufbringen.

Wird das Wort zur Begründung des gemeinsamen Antrages von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW gewünscht? Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der SPD hat Frau Abgeordnete Jutta Schümann.

(Widerspruch - Zurufe: Malerius!)

- Entschuldigung, Herr Abgeordneter Malerius, Sie haben für die SPD-Fraktion das Wort.

Jutta, ich kann dir die Seefahrt ein bisschen beibringen und dann übernimmst du das beim nächsten Mal, kein Problem.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Erhöhung der Schiffssicherheit ist ein ständiger Prozess - national, bilateral und international. Auf jeder Ebene gibt es Handlungsbedarf. Es ist unser aller Anliegen, die Vorsorge für die Sicherheit und den Umweltschutz auf See sowie den Schutz der deutschen Küsten zu verbessern. Es steht außer Frage, dass sich Deutschland hier keine Defizite leisten darf. Die Seeunfalluntersuchung ist ein entscheidendes Element, nicht nur der Analyse, sondern auch der Gefahrenvorsorge, weil aus den Ergebnissen für die Zukunft gelernt werden soll.

(Beifall)

Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Anpassung bestimmter Bedingungen in der Seeschifffahrt an den internationalen Standard - Zweites Seeschifffahrtsanpassungsgesetz - ohne kritische Auseinandersetzung mit den betroffenen Küstenländern oder den um die Sicherheit an der Küste besorgten Schifffahrts- und Umweltverbänden durchsetzen will.

Kern des vorgelegten Gesetzentwurfs ist die erstmalige Trennung der Ursachenfeststellung eines Unfalls von der Untersuchung individueller Fehler und dem Patententzug. Die von der Bundesregierung vorgetragene Begründung über die Notwendigkeit der grundsätzlichen Abkehr vom bestehenden System der Seeunfalluntersuchung ist objektiv falsch und weder aus dem IMO-Code noch der entsprechenden EURichtlinie zu ersehen. Der IMO-Code von 1997 beziehungsweise die Richtlinie 1999/35 EG des Rates vom 29. April 1999 verlangen keine Trennung von Ursachenermittlung und der Feststellung eines Fehlverhaltens. Im Gegenteil, in Abschnitt 4 der IMOEmpfehlung ist auch das Feststellen von Fehlverhalten technischer und menschlicher Sachverhalte ausdrücklich enthalten.

Die Feststellung fehlerhaften Verhaltens ist bei einer konsequenten Unfallanalyse in zirka 80 % aller

(Wilhelm-Karl Malerius)

Seeunfälle unvermeidbar, eben weil 90 % der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Der Seeunfall „Lucky Fortune" war dafür ein typisches Beispiel. Der anfängliche Verdacht eines technischen Mangels am Regler stellte sich in der Seeamtsverhandlung als fehlerhafte Bedienung der Reglertechnik durch das Personal heraus.

Mit dem Regierungsentwurf erfolgen zukünftig drei unterschiedliche Verfahren. Die Bundesstelle ist ausschließlich in der Ursachenermittlung tätig, die Wasserschutzpolizei in Bezug auf Strafverfolgung und Ursachenermittlung und die Seeämter hinsichtlich der Prüfung der Patententziehung und Ursachenermittlung. In der Praxis wird es zwangsläufig zu Kollisionen kommen. Die Wasserschutzpolizei muss zur Sicherung des Strafverfahrens gegebenenfalls Maßnahmen der Bundesstelle unterbinden. Dies kann zur Verzögerung des Aufhebens eines Auslaufverbotes mit möglichen Schadenersatzansprüchen an das Land oder den Bund kommen.

Im Gegensatz zum Regierungsentwurf gewährleistet das bestehende System die einheitliche Ermittlung beziehungsweise Untersuchung durch die Wasserschutzpolizei, Seeämter und Staatsanwaltschaften, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handeln, aber unterschiedlichen Ressorts angehören.

Die Öffentlichkeit soll in Zukunft von dem Verfahren ausgeschlossen werden. Die Öffentlichkeit will nicht nur die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Sie hat auch ein Interesse daran zu verfolgen, wie diese Ergebnisse zustande kommen.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das ist besonders bei der Seeamtsverhandlung im Fall „Pallas“ in Cuxhaven deutlich geworden. Das Widerspruchverfahren soll nach dem neuen Gesetzentwurf abgeschafft werden. Dadurch wird den Betroffenen jede Möglichkeit genommen, sich gegen zweifelhafte Unfallanalysen zur Wehr zu setzen.

Die Eilbedürftigkeit dieses Gesetzentwurfs wird von der Bundesregierung mit dem Hinweis auf die EGRichtlinie über ein System verbindlicher Überprüfungen im Hinblick auf den sicheren Betrieb von Ro-RoFahrgastschiffen und Fahrgast-Hochgeschwindigkeitsfahrzeugen im Linienverkehr begründet. Diese Richtlinie verlangt von den EG-Staaten nicht die komplette Veränderung ihres nationalen Seeunfalluntersuchungsgesetzes. Im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung sollen die Mitgliedsstaaten einen Rechtsstatus schaffen, der anderen Staaten, die ein begründetes Interesse an der Aufklärung des Seeunfalls haben, eine Beteiligung am Verfahren ermöglicht. Ob überhaupt ein förmliches Gesetz erforderlich ist, um einen solchen

Rechtsstatus zu schaffen, muss bezweifelt werden. Das bestehende Seeunfalluntersuchungsgesetz entspricht grundsätzlich den IMO-Empfehlungen, bedarf aber einer Modifizierung. Die IMO greift nicht in national- und rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze beziehungsweise Organisationsstrukturen ein. Dies würde jeder Nationalstaat im Grundsatz strikt ablehnen.

Alle Küstenländer, Hafenstädte und Experten sind gegen diesen vorgelegten Gesetzentwurf. Dieses hohe Haus sollte sich solidarisch zeigen. Wir beantragen Abstimmung in der Sache.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz Maurus das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der Havarie der „Pallas“ beschäftigen wir uns in diesem Haus verstärkt mit der Sicherheit auf See. Mit großer Spannung haben wir die Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission zur Havarie zur „Pallas“ erwartet. Wir haben das mit der Hoffnung verbunden, ein verbessertes Sicherheitskonzept für Ost- und Nordsee mit konkreten Maßnahmen zu erhalten. Gegenwärtig hat es den Anschein, als wenn tatsächlich keine wirkungsvollen Schritte für ein Schutzkonzept unternommen werden, obwohl in verschiedenen Konferenzen ihre Notwendigkeit immer wieder eingefordert wird. Dies erfüllt uns mit großer Sorge.

Sicherheitsrelevante Forderungen - wie zum Beispiel die dringend notwendige dauerhafte Stationierung eines leistungsfähigen Sicherheitsschleppers oder die Schaffung einer effizienten Küstenwachstruktur - werden bislang nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt. Darüber lassen auch nicht die da oder dort - wie in der Kadetrinne - eingeleiteten ersten Schritte hinwegtäuschen. Von daher ist es für uns unverständlich, dass sich das Bundesverkehrsministerium als Konsequenz aus dem „Pallas“-Unfall vordringlich auf ein neues Seeunfalluntersuchungsgesetz konzentriert, statt auf die zentralen Sicherheitsbedürfnisse einzugehen. Ich kann hier nur dem Kollegen Wolfgang Börnsen zustimmen, der im Deutschen Bundestag erklärt hat:

„Wenn die Bundesregierung schon keine wirksame Unfallprävention betreibt, muss sie wenigstens die Unfalluntersuchung so organisieren, dass diese Schwäche niemand merkt.“

(Beifall bei CDU und SSW)

(Heinz Maurus)

Lieber Herr Kollege Malerius, ich danke Ihnen, dass Sie hier die Initiative ergriffen haben, die Landesregierung aufzufordern, im Bundesrat darauf zu dringen, dass das derzeitige Seeunfalluntersuchungsgesetz novelliert wird, gleichzeitig aber darauf hinzuwirken, dass dem am 27. Juni 2001 vorgelegten Entwurf des Zweiten Seeschifffahrtsanpassungsgesetzes nicht zugestimmt wird. Dieser Gesetzentwurf ist in der vorliegenden Fassung, die sie schon ausgeführt haben, absolut praxisfremd und führt nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung des Verfahrens. Ich nenne die Gründe:

Erstens. Das Untersuchungsverfahren ist nicht mehr öffentlich. Das heißt, dass alle Beteiligten separat vernommen werden. Sie haben keine Kenntnis des Untersuchungsablaufs und somit nicht die Gelegenheit, der Gegenseite zu antworten und damit Widersprüchen zu begegnen.

Zweitens. Nur das Untersuchungsergebnis wird veröffentlicht, nicht die Aufzeichnungen sowie die einzelnen Aussagen. Die Einleitung vorbeugender Maßnahmen und eine damit verbundene Verbesserung der Sicherheit auf See wird erschwert.

Drittens. Die Zweistufigkeit des Verfahrens wird aufgegeben. Damit entfällt die Möglichkeit, das Untersuchungsergebnis von einer weiteren Instanz überprüfen zu lassen. Ein in jedem anderen rechtsstaatlichen Verfahren eingeräumtes Widerspruchsrecht entfällt.

Viertens. Es kann zu Interessenkollisionen innerhalb einer Behörde kommen. Die Fachaufsicht über die Seeämter im Bundesverkehrsministerium sollte so geregelt werden, dass nicht mehr ein Fachreferat gleichzeitig die Fachaufsicht für die Schiffsdezernate in den Wasser- und Schifffahrtsdirektionen und die Seeämter ausübt. Das ist mit dem Gedanken unabhängiger Seeämter nicht zu vereinbaren.

Fünftens. Die Anlehnung von Seeunfalluntersuchungen an Flugunfalluntersuchungen ist verfehlt. Eine Anpassung der Seeunfalluntersuchung an die Vorschriften des Flugunfalluntersuchungsgesetzes trägt in keiner Weise der Unterschiedlichkeit von Schiffsunfällen und Flugunfällen Rechnung.

Man könnte jetzt noch auf die Besetzungen eingehen und viele weitere Punkte aufführen. Dafür aber fehlt die Zeit. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die internationale Zusammenarbeit ist selbstverständlich verbesserungsfähig und eine Novellierung der gesetzlichen Grundlagen ist angebracht. Dies heißt nicht, dass gleich das gesamte bewährte System geändert werden müsste. Es wäre sicherlich auch möglich, die bestehenden Regelungen des § 24 a SeeUG auf die Seeämter zu übertragen.

Darüber hinaus sollte der IMO-Code für die Untersuchung von Seeunfällen als Verfahrensregelung für internationale Untersuchungen als Zusatz des § 24 a Seeunfallgesetz eingeführt werden. Dieser Zusatz sollte allerdings nur für andere interessierte Flaggenstaaten gelten, die ihrerseits ebenfalls eine verbindliche Möglichkeit zur gemeinsamen Untersuchung nach dem IMO-Code geregelt haben. Vielleicht könnte man das auch über eine Durchführungsverordnung regeln und sicherstellen.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, mit unserem gemeinsamen Antrag über den Bundesrat eine bedarfsgerechte und praktikable Lösung zu erreichen, die den Bedürfnissen tatsächlich gerecht wird.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Joachim Behm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDPFraktion begrüßt die im uns hier vorliegenden Antrag aufgestellte Aufforderung an die Landesregierung, dem Zweiten Seeschifffahrtsanpassungsgesetz im Bundesrat nicht zuzustimmen. Die Aufforderung stellt klar, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf verfehlt ist. Er ist so verfehlt, dass man gleich ein Gesetz mit dem Inhalt verabschieden könnte, dass Schiffsunfälle zukünftig verboten werden.

Würde nämlich der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf durchstehen, dann wäre in Zukunft das Untersuchungsverfahren nach Schiffsunfällen nicht mehr öffentlich. Lediglich das Untersuchungsergebnis würde veröffentlicht werden. Das Widerspruchsverfahren würde abgeschafft und somit die Zweistufigkeit des Untersuchungsverfahrens nicht mehr gewährleistet.

Das bisherige Verfahren der Einbindung der ehrenamtlichen Beisitzer soll abgeschafft werden, was zur Folge hätte, dass beim Untersuchungsverfahren erheblicher Sachverstand fehlen würde. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass sich erheblicher Protest gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung - und zwar von sachverständiger Stelle - breit machte. Allen voran sprach sich der Verband deutscher Schiffsingenieure vehement gegen die geplanten Regelungen aus.

Wir haben dieser Kritik nichts hinzuzufügen. Daher ist der vorliegende Antrag in seiner Intention absolut richtig. Wir wurden von dem Kollegen Malerius gebeten, diesen Antrag mitzustellen, und hätten dies auch fast getan. Allerdings stolperten wir dann doch über

(Joachim Behm)