Protokoll der Sitzung vom 12.05.2000

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen.

(Lothar Hay [SPD]: Guten Morgen!)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Zuvor möchte ich der Abgeordneten Irene Fröhlich ganz herzlich zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren.

(Beifall)

Herzlichen Glückwunsch!

Entschuldigt sind Frau Abgeordnete Dr. Gabriele Kötschau - sie ist erkrankt -, Herr Abgeordneter Rainer Wiegard, CDU, wegen Erkrankung. Frau Abgeordnete Gisela Böhrk ist beurlaubt, Herr Abgeordneter Rainder Steenblock ist beurlaubt, Herr Abgeordneter Bernd Steinke ist beurlaubt. Der Minister für Finanzen und Energie, Claus Möller, ist dienstlich bis 16:00 Uhr beurlaubt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Bis 16:00 Uhr? - Heiterkeit)

Ich begrüße auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Gorch-Fock-Schule Kappeln und des Kreisgymnasiums in Neustadt.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Einwanderungsgesetz

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/66

Änderungsantrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/90

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/98

Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/101

Gehe ich richtig davon aus, dass die Anträge Drucksachen 15/66 und 15/90 aufgrund der Drucksache 15/101 als zurückgezogen gelten?

(Zuruf: Ja!)

- Gut.

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Nach Absprache mit den Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD erteile ich zuerst der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich das Wort.

Ich freue mich, dass ich diesen Antrag hier vorstellen darf. Wir hatten dazu die Initiative ergriffen, weil uns in den letzten Wochen noch einmal sehr deutlich geworden ist, wie wichtig es ist, Einwanderung als Bereicherung und Notwendigkeit für unser Land zu sehen und entsprechend politisch darauf zu reagieren. Es reicht nicht, einmalig eine Aktion zu starten, um in einer akuten Bedarfssituation - was ja noch gar nicht ganz klar ist - Menschen in unser Land zu holen. Wir müssen unser Land vielmehr öffnen, damit Menschen Lust haben, uns hier zu bereichern. Wir müssen uns auch ein Stück weit öffnen, damit wir in einer Welt, die man ja häufig genug als das globale Dorf bezeichnet, miteinander leben können.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Umso mehr freue ich mich natürlich, dass aus solcher Initiative ein fraktionsübergreifender Antrag geworden ist. Das ist vielleicht ein kleines Wunder, nein, nicht nur ein Wunder, denn es sind ja zum Teil alte Forderungen der anderen Fraktionen, die sich hier geäußert haben, in die gemeinsame Resolution eingeflossen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben bereits im Juli 1996 auf Bundesebene ein Einwanderungsgesetz vorgestellt. Mit diesem Gesetz erhalten Einwanderer und Einwanderinnen, die dauerhaft in Deutschland leben, zum einen eine Niederlassungsberechtigung, zum anderen erhalten Einwanderungswillige aus humanitären oder arbeitsmarktpolitischen Motiven im Rahmen eines transparenten Verfahrens einen Einwanderungsanspruch in Deutschland.

Die Einwanderung soll nicht dazu führen, dass Menschen großer Spezialisierung und Ausbildung oder mit hoher finanzieller Investition aus Ländern abgezogen werden, die diese Menschen für ihre eigene Entwicklung dringend benötigen.

(Zuruf von der CDU: Das passiert aber!)

Die Grünen gingen damals bei der Vorstellung des Gesetzes noch davon aus, dass Deutschland nicht in diese Lage kommen würde, in der wir uns nun tatsächlich befinden. Der Mangel an Arbeitskräften, der in der IT-Branche jetzt beklagt wird, ist sicherlich auch ein Stück hausgemacht. Sicherlich kann man dafür nicht nur den alten so genannten Zukunftsminister

Rüttgers verantwortlich machen. Man muss auch die Wirtschaft in die Verantwortung ziehen und fragen, wo ihre vorausschauende Personalplanung in diesem Bereich geblieben ist.

Es ist egal, wem man irgendwelche Verantwortung zuschieben will. Man muss jetzt nicht nur kurzfristig reagieren, sondern man muss die Geschichte langfristig angehen.

Wir treten aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte für eine Neuorientierung in der Migrationspolitik ein. Wir brauchen eine transparente und menschenrechtsorientierte Konzeption der Einwanderungspolitik, die den humanitären, wirtschaftichen und gesellschaftlichen Anforderungen der Zukunft gleichermaßen gerecht wird.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Entscheidung für eine begrenzte Anwerbung ausländischer EDV-Fachkräfte kann man unterstützen, weil sie kurzfristig und flexibel auf einen vorhandenen Bedarf in der IT-Branche reagiert. Das ist ein pragmatischer und richtiger Schritt - wie ich finde -, der allerdings mit verstärkten Bildungs- und Ausbildungsbemühungen verbunden werden muss, um die Versäumnisse der Vergangenheit wieder aufzufangen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Langfristig jedoch könnte Einwanderung das Problem der demographischen Alterung lösen. Aufgrund des seit den siebziger Jahren bestehenden Sterbefallüberhangs wäre nach den vom Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld veröffentlichten Forschungsergebnissen 2025 ein Wanderungssaldo von 500.000 Menschen nötig, der bis 2050 sogar noch auf 700.000 jährlich zunehmen müsste.

Die UNESCO hat kürzlich festgestellt, dass in Deutschland um 2030 herum - das deckt sich ungefähr mit diesen Ergebnissen - aufgrund der demographischen Entwicklung ein so gravierender Arbeitskräftemangel herrschen wird, dass es eigentlich jetzt schon erforderlich ist - so die UNO -, jährlich 500.000 Menschen in Deutschland einwandern zu lassen, damit bei uns per saldo eine Alterssicherung gewährleistet werden kann, damit Arbeit geschaffen, aber auch getan werden kann, die gesellschaftlich nötig ist, damit unsere Entwicklung nicht zum Stoppen kommt. Das müssen wir hier zur Kenntnis nehmen. Ich bin froh, dass es endlich auf dem Tisch liegt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Irene Fröhlich)

Wer angesichts dieser Entwicklung glaubt - wie die CDU -, sich mit muffigen Sprüchen eine ausschließlich national orientierte Bevölkerungs- und Migrationspolitik leisten zu können - ich will das hier nicht wiederholen -, gerät im internationalen Standortwettbewerb und gesellschaftlich auf das Abstellgleis.

Ich finde es richtig, dass die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, in der letzten Woche eine breite Diskussion in dieser hoch sensiblen Frage eingefordert hat. Ich hielte es für klug, dass Regierungs- und Oppositionsfraktionen gemeinsam mit Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unter Leitung des Kanzlers zu einem Bündnis für eine humane Einwanderungspolitik zusammenfinden. Ein solches Bündnis hilft, die Fehler aus den sechziger und siebziger Jahren nicht zu wiederholen.

In diesem Sinne hoffe ich, dass mit der heutigen Debatte und mit unserem gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sozialdemokraten, SSW und F.D.P. eine sachliche und breite Diskussion begonnen wird, und am Ende ein Einwanderungsgesetz steht, das eine breite Unterstützung in der Gesellschaft findet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Johann Wadephul.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An diesem Antrag, Herr Kollege Astrup, überrascht mich am meisten Ihre Unterschrift, die Unterschrift der Sozialdemokratischen Fraktion. Denn noch vor wenigen Tagen haben der Herr Bundeskanzler, der bekanntlich Ihrer Partei angehört, der Bundesinnenminister - auch SPD-Mitglied - und der Generalsekretär der SPD klar gesagt: Sie lehnen ein solches Gesetz für die laufende Legislaturperiode ab.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Unglaublich! Pfui!)

Sie bitten also offenbar um unsere Unterstützung, weil Sie sich in der eigenen Partei nicht hinreichend durchsetzen können. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Ehrlichkeit dieser Diskussion.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Frau Fröhlich hat uns ja schon Muffigkeit vorgeworfen. Ich bin gespannt, ob auch die Grünen bereit sind, in dieser Diskussion über den einen oder anderen Schatten zu springen.

Wir sind durchaus dazu bereit. Wir sind dazu bereit, konstruktiv über ein Einwanderungsgesetz auf der Grundlage ganz bestimmter Voraussetzungen, auf die ich noch eingehen will, mit Ihnen zu diskutieren.

Aber ich will Ihnen ganz klar sagen: Das, was RotGrün offenbar beabsichtigt, einen maßlosen Zuzug nach Deutschland zuzulassen, ist nicht unsere Absicht. Wir wollen nicht mehr Einwanderung. Wir wollen eine andere Einwanderung nach Deutschland. Darüber sollten wir vernünftig miteinander reden.