Protokoll der Sitzung vom 12.05.2000

Nicht umsonst machen sich Kieler Anwälte intensiv Gedanken, wie sie dieses auf sie zukommende Manko

an rechtsstaatlicher Qualität der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit ausgleichen können, zum Beispiel durch verstärkte Übernahme und Einrichtung von Schiedsgerichten, natürlich unter Beteiligung von Anwälten, was aus meiner Sicht per se ohne weiteres vernünftig und sinnvoll wäre, was aber durchaus auch Ausfluss der Verzweiflung in weiten Kreisen der Justiz über die auf sie zukommende Zivilprozessrechtsreform ist, die ich sehr kritisch sehe.

(Beifall bei CDU, F.D.P. und SSW)

Vielen Dank, Graf Kerssenbrock, für Ihren ersten Debattenbeitrag in dieser Legislaturperiode. - Ich erteile jetzt Frau Ministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch hier freue ich mich über den Berichtsantrag, weil er uns Gelegenheit gibt, das recht komplexe Thema der Zivilprozessrechtsreform ausführlich zu behandeln. Der kurze Debattenüberblick zeigt, wie komplex das Thema ist.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Grundsätzlich begrüße ich die von der Bundesjustizministerin angestoßene Diskussion um eine Neustrukturierung des Zivilprozessrechts und eine Neustrukturierung der gegebenen Instanzen. Denn schlüssig zu Ende gedacht könnte ein neuer, anderer Instanzenzug durchaus rechtsstaatlichen Bedürfnissen genügen.

Die schon begonnene Diskussion muss sehr kritisch, aber auch konstruktiv geführt werden. Es gibt in den vorliegenden angedachten Entwürfen, die sich noch nicht im Gesetzgebungsverfahren bewegen, Ansätze, die aus rechtsstaatlicher Sicht sehr begrüßenswert sind. Das ist zum Beispiel die größere Gewichtung der außergerichtlichen Streitschlichtung, wobei auch ich parteiübergreifend der Ansicht bin, dass Teile der außergerichtlichen Streitschlichtung - insbesondere in vermögensrechtlichen Angelegenheiten - professionell geführt werden müssen. Ob das vordringlich von Schiedsstellen oder von Anwälten geschehen muss, kann im Rahmen des Landesgesetzes, das sich schon in der Debatte befindet, intensiv diskutiert werden. Es ist aber ein Ansatz, der zur Entlastung der Erstinstanz führen kann.

Es ist immer ein schwieriges Thema, aber es ist auch eines, was die gesamte Gesellschaft interessiert, auch

(Ministerin Anne Lütkes)

wenn es auf den ersten Blick ein Thema ist, das nur die Juristen interessiert.

Diese Reform hätte in ihren Auswirkungen ganz eklatante Veränderungen in den Bürgerrechten - das möchte ich so deutlich sagen - zur Folge. Aber, Herr Geißler, wir werden nicht gegen die Bundesjustizministerin, sondern mit ihr - denke ich - einen Zivilprozessrechtsreformentwurf erarbeiten können, der gerade diese Bürgerrechte auch beachtet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einer der wesentlichsten Punkte, die mich sehr kritisch stimmen, ist die hier schon ausführlich dargelegte versuchte Reform der Berufungsinstanz. Ich denke und da werden wir im Rahmen der Landesregierung sicher zu einer sehr deutlich abgestimmten Meinung kommen -, die Annahmeberufung, so wie sie vorgeschlagen wird, ist zwar nicht mit der Zulassungsberufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren identisch, sie ist aber dennoch eine Reduzierung der Rechtsweggarantie, die das Grundgesetz vorsieht. Sie würde den erstinstanzlichen Richter nur sehr vordergründig entlasten. Denn der erstinstanzliche Richter, der über sich wie wir Juristen sagen - nur den blauen Himmel hat, entscheidet heute zwar sicher am Gesetz orientiert, aber doch eben mit dem Wissen, dass eine Berufung über ihm steht. Das heißt auf der anderen Seite, dass Anwälte in Zukunft gehalten sind, für die Durchsetzung ihrer Parteiinteressen - das ist ihr grundgesetzlicher Auftrag - alles vorzutragen, was man sich nur denken kann, mithin das Verfahren letztlich zu verlängern. Insofern wird auch die vorgesehene Änderung des § 139 ZPO - das ist die Aufforderung an den Richter, möglichst viel an verfahrensfördernden Hinweisen zu geben - nicht helfen, das Verfahren zu verkürzen. Im Gegenteil, zu Ende gedacht bedeutet das ein intensives erstinstanzliches Verfahren, ein sehr viel längeres und eben nicht eine Entlastung der Gerichte.

Es gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Zivilprozessrechtsreform in dieser Form nicht dazu dienen kann, dem Staat Geld zu sparen, sondern das Ziel muss sein, ein schlüssiges, zügiges, bürgernahes und mehrinstanzliches Verfahren zu garantieren. Insofern kann ich auch dem Vorschlag, die zweite Instanz auf eine bloße Rechtsfehleruntersuchungsinstanz zu reduzieren, nicht zustimmen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.)

Das ist ein Vorschlag, der den Gerichten die Aufgabe, die ihnen von der Verfassung zugewiesen ist, nämlich die Einzelfallgerechtigkeit in erster und zweiter Instanz zu üben, sehr schwer macht. Was das für eine

saubere und ordentliche Anwaltsarbeit bedeutet, werden wir im Ausschuss noch einmal diskutieren.

Herr Präsident, wenn Sie gestatten, möchte ich noch einen Satz hinzufügen. Es mag den Eindruck haben, dass ich hier meine anwaltliche Vergangenheit nicht verleugnen kann,

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Warum auch!)

ich möchte Ihnen aber sagen: Das möchte ich auch nicht.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich glaube, dass der bürgerrechtliche Blick auf eine Zivilprozessrechtsreform, so wie ihn auch der Deutsche Anwaltsverein sehr genau getan hat, der Gesamtdebatte sehr gut tut. Zu dem Ziel - das hat ja auch die Frau Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung herausgehoben -, nämlich die Bürgergesellschaft wirklich ernst zu nehmen, gehört auch ein Ernstnehmen einer unabhängigen dritten Gewalt. Es wäre schön, wenn sich das auch im Rahmen der Haushaltsdebatte so niederschlagen könnte, dass mehr Richterstellen bewilligt würden,

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

aber ich weiß, dass das im Rahmen der sorgfältigen Prioritätensetzung im Haushalt nicht in Rede steht. Deshalb sage ich das hier so deutlich.

Wir werden eine unabhängige dritte Gewalt mit sehr klaren, guten Verfahrensvorschriften garantieren können, aber auch mit Richterpersönlichkeiten, die es gerade in diesem Land gibt, die in der Lage sind, Verfahren bürgernah zu führen, und den Menschen verständliche Entscheidungen produzieren, die dann auch in erster Instanz rechtskräftig werden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD sowie vereinzelt bei CDU und F.D.P.)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Beratung. Wir haben eine Abstimmung in der Sache. Wer der Drucksache 15/70, Antrag der Fraktion der CDU, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit haben wir einstimmig so beschlossen.

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Sozialversicherungsfreiheit von Aufwandsentschädigungen ehrenamtlich Tätiger

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/68

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, wir steigen sofort in die Aussprache ein. Ich erteile Herrn Abgeordneten Maurus das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit gut einem halben Jahr beschäftigt uns im Land die Frage der versicherungsrechtlichen Beurteilung von ehrenamtlich Tätigen in Schleswig-Holstein. Zunächst ging es dabei nur um das kommunale Ehrenamt. Der Kollege Astrup erklärte dazu am 22. Oktober 1999 in einer Presseerklärung, dass er die Kritik des Gemeindetages an der gesetzlichen Regelung teile und die SPD-Fraktion von daher die Initiative zur Prüfung der Rahmenbedingungen auf Bundesebene ergriffen habe. Und er sagte wörtlich: „Wir erwarten noch in diesem Jahr eine Entscheidung.“ Und das war im Jahr 1999!

Der Kollege Klaus Schlie hat am 4. November 1999 daraufhin im Innen- und Rechtsausschuss einen Berichtsantrag gestellt. Dieser Bericht ist uns in der 99. Sitzung mit dem Inhalt vorgelegt worden, dass ehrenamtliche Tätigkeit von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie Amtsvorstehern nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV steht und damit grundsätzlich den Versicherungspflichten der Sozialversicherung unterliegt, sofern sie eine dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliche Verwaltungstätigkeit ausüben und nicht nur Präsentationsaufgaben wahrnehmen. Diese Auffassung sei zuletzt mit Urteil vom 23. Juli 1998 durch das Bundessozialgericht nochmals bestätigt worden. Hinzu kam der Hinweis auf die Regelung des Gesetzes nur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999, konkret § 8 Abs. 1 und 2 des SGB IV, das in Bezug auf das Ehrenamt meines Erachtens völlig realitätsfremd ist.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Die Auswirkungen auf die Ehrenamtler selbst, die Vereine und Verbände, die ja als Arbeitgeber durch diese Regelung auch betroffen und belastet sind, können in dem Gesetzesverfahren meines Erachtens in ihren Auswirkungen nicht erkannt worden sein. Die frühzeitige Kritik wurde ignoriert, sodass diese unzulängliche Regelung Rechtskraft erhalten hat. Auf dieser Grundlage wird nun heute verfahren. Das ist eine

Verfahrensweise, die bei allen ehrenamtlich Tätigen aus Feuerwehren, Rettungsdiensten, Sportvereinen, Kommunalpolitik und anderen berechtigterweise bundesweit auf Unverständnis und Kritik gestoßen ist. Dieser Ärger ist nachvollziehbar. Die Frage an die Politik nach dem Stellenwert des Ehrenamtes ist doch berechtigt.

Nehmen wir zum Beispiel nur einmal einen Wehrführer, der als junger Feuerwehrmann freiwillig in seine Ortswehr eingetreten ist und seitdem dort seine Pflicht tut, Zeit opfert, sich und andere permanent aus- und fortbildet, übt, sich quält und im Einsatz bei Feuer oder im Katastrophenfall Leib und Leben riskiert und schließlich noch zusätzlich Verantwortung für seine Frauen und Männer sowie die gesamte Einsatzleitung mit allem was dazugehört - übernimmt. Von dem wird verlangt, dass er aus Solidaritätsgründen Sozialversicherungsbeiträge leistet, weil er ein paar Mark als Aufwandsentschädigung - nicht als Verdienst - erhält. Das ist doch nicht in Ordnung. Ihm gebührt unser Dank und nicht die Verhängung eines Strafgeldes in Form der gesetzlich normierten Sozialversicherungspflicht.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Dieses Beispiel lässt sich ohne Probleme auf Übungsleiter in den Sportvereinen, die ehrenamtlichen Rettungssanitäter, DLRG-Rettungsschwimmer, Kommunalpolitiker und viele andere übertragen. Alle haben eines gemeinsam: Sie setzen sich für das Gemeinwohl ein und leisten so schon einen unschätzbaren, dringend notwendigen Solidarbeitrag für diese Gesellschaft.

Diese Sozialversicherungsregelung für ehrenamtlich Tätige ist durch nichts zu rechtfertigen. Sie ist widersinnig, sie schadet nur und nützt nichts. Die geltende gesetzliche Regelung beeinträchtigt die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen. Die durch Ehrenamtler ausgeübten Tätigkeiten sind für unser Gemeinwesen unverzichtbar und gesellschaftspolitisch auch wünschenswert. Von daher muss doch erkannt werden, dass hier dringender Handlungsbedarf gegeben ist.

Die bayerische Staatsregierung hat nun am 7. April 2000 im Bundesrat einen Entschließungsantrag gestellt, der lautet:

„Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,

1. in einem ersten Schritt dafür Sorge zu tragen, dass die Neuregelung des ‘630-DMGesetzes’ für den Bereich des Ehrenamtes zurückgenommen und damit für ehrenamtliche Helfer der vor dem 01.04.1999 geltende

(Heinz Maurus)

Rechtszustand wieder hergestellt wird;“

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

„2. in einem zweiten Schritt eine Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen, in der festgelegt wird, dass das Ehrenamt grundsätzlich kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt;

3. den Höchstbetrag bei der typisierenden Ermittlung des steuerfreien Anteils von Aufwandsentschädigungen gemäß § 3 Nr. 12 EStG i.V.m. R 13 Abs. 3 Satz 2 LohnsteuerRichtlinien von 300 DM auf 600 DM zu erhöhen.“

Da der Antrag in Kürze im Bundesrat abschließend beraten werden soll - die Fachausschussberatung war meines Wissens am 4. Mai -, bitten wir mit unserem Antrag die Landesregierung Schleswig-Holstein um Unterstützung der bayerischen Initiative. Es ist jetzt länger als ein halber Jahr geredet, geprüft und in Ausschüssen diskutiert worden. Das ist genug! Jetzt ist Zeit zum Handeln. Wir bitten, über unseren Antrag heute in der Sache abzustimmen und ihm zuzustimmen.