Protokoll der Sitzung vom 12.05.2000

(Unruhe)

Ich denke, so einfach kann es sich hier niemand machen und so einfach machen wir es uns auch nicht.

Die Debatte um die Reform des Zivilprozessrechts wird jenseits der politischen Lager geführt. Die Ausgestaltung der dritten Gewalt, insbesondere die Gewährleistung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger, ist eine existentielle Frage für jeden Staat. Insofern haben wir es hier mit einem Thema zu tun, das sich zur parteipolitischen Auseinandersetzung oder gar für Populismus überhaupt nicht eignet. Daher hat mich die Form des vorliegenden Antrags etwas befremdet, Herr Kollege Geißler, obwohl ich eine Behandlung im Landtag natürlich begrüße. Die Landesregierung wird mit Ihrem Antrag aufgefordert, bis zur Juli-Tagung einen schriftlichen Bericht zu erstatten; dann werden in dem Antrag auf fast zwei DIN-A-4Seiten mit vielen Untergliederungen und Unterpunkten Einzelpunkte aufgeführt, zu denen Sie Auskunft verlangen. Das liest sich, als ob irgendein Anlass bestünde, hier Geheimniskrämerei zu befürchten. Ich bin froh, dass die Ministerin hier bereits ausgeführt hat, dass überhaupt kein Grund zu dieser Befürchtung besteht, sondern dass sie sich darauf freut, hier in die notwendigen Debatten einzutreten. Jedenfalls bei der Reform der Juristenausbildung war das ja schon klar.

Ich glaube also nicht, dass wir es hier mit irgendeiner Furcht vor Geheimniskrämerei zu tun haben müssen, sondern ich gehe davon aus, dass wir auch in diesem Falle die Justizministerin als Gesprächspartnerin haben werden.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Ich bitte doch um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin.

Das wäre wahrscheinlich auch ohne dieses detaillierte Fragenwerk möglich gewesen.

Die Entlastung der Justiz und die Übersichtlichkeit der Verfahrenswege sollten das Ziel der Reform sein, damit eine bürgerfreundlichere, weil schnellere, Rechtsprechung entsteht. Aber Geschwindigkeit - also schnelle endgültige Streitbeilegungen - ist natürlich überhaupt nicht alles. Da hat dann der Kollege Kubikki doch - ich muss das an dieser Stelle einmal sagen auch einmal Recht.

(Martin Kayenburg [CDU]: Ach nee!)

Die Fehlbarkeit des Menschen - das klingt ja fast, als wären wir uns einig - muss stets einkalkuliert werden, natürlich auch die des Richters. Das bekannte Sprichwort, dass wir vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand und nur in dieser seien, muss ja nicht noch mehr Nahrung erhalten.

Bei allen Meinungen, die bisher zu dem Referentenentwurf geäußert wurden, bestand offenbar Einigkeit darin, dass die obligatorische außergerichtliche beziehungsweise vorgerichtliche Streitbeilegung begrüßt wird. Detailliert werden wir darüber aus Anlass des Berichts der Ministerin debattieren; dem möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen. Da befinden wir uns aber wohl wirklich auf einem Feld, in dem wir eine neue Idee von Bürgergesellschaft formulieren müssen und diese auch in die Gestaltung des Zivilprozesses einfließen lassen sollten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine Reform der Zivilgerichtsbarkeit in dem Umfang, wie sie bis jetzt geplant ist, kann wohl getrost als justizpolitisches Jahrhundertwerk angesehen werden, auch wenn das Jahrhundert noch sehr jung ist. Die Debatte darüber sollte kontrovers, aber - wie ich schon erwähnte - über die Parteigrenzen hinweg geführt werden. Ich freue mich auf eine spannende Auseinandersetzung im Juli.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich schenke jemandem noch eine Minute Redezeit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der SSW kann dem von der Bundesjustizministerin vorgelegten Referentenentwurf zur Novellierung der

(Silke Hinrichsen)

Zivilprozessordnung nicht ungeteilte Freude entgegenbringen. Er enthält zwar einige gute Ansätze, umfasst aber auch Vorhaben, denen wir nicht beipflichten können. Es wird auch mir nicht möglich sein, dieses komplexere Reformwerk in fünf Minuten gebührend zu würdigen. Ich nehme deshalb nur einige Punkte heraus.

(Unruhe)

Hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens ist es zu begrüßen, dass die materielle Prozessleitung, die Vorlagepflicht und insbesondere die Güteverhandlung eingeführt werden sollen. In arbeitsgerichtlichen Verfahren hat man mit der Güteverhandlung gute Erfahrungen gemacht. Häufig führt diese Art der Verhandlung auch zu einem von allen Beteiligten akzeptablen Ergebnis und das ist selbstverständlich auch im Zivilprozess nach wie vor ein erstrebenswertes Ziel. Ein Vergleich, der häufig das Ergebnis einer solchen Verhandlung ist, zeigt für beide Seiten den Weg zur Problemlösung, indem jeder nachgibt.

(Anhaltende Unruhe)

Ein Punkt, dem wir nicht ohne weiteres unsere Zustimmung erteilen können, ist die vorgesehene Änderung der Richterzahl bei den Verfahren vor dem Landgericht. Dort soll, wenn es nach den Plänen geht, demnächst ein Einzelrichter oder eine Einzelrichterin entscheiden, wenn es um einen Streitwert von weniger als 60.000 DM geht. Erst ab dieser Summe soll ein Kollegialorgan entscheiden können.

(Anhaltende Unruhe)

Nach unserer Ansicht muss es aber auch bei schwierigeren Entscheidungen unterhalb des genannten Streitwertes auch möglich sein, eine Entscheidung durch eine Kammer zu erlangen. Daher meinen wir, dass es deutlich besser wäre, wenn erst nach dem Vorbringen der Klage die Entscheidung erfolgt, ob ein oder drei Berufsrichter oder Berufsrichterinnen entscheiden. Dies ist zurzeit möglich und das sollte auch so bleiben.

Die Tatsache, dass von diesem Instrument bisher nicht überall Gebrauch gemacht wird, darf nach unserer Ansicht nicht dazu führen, dass diese Möglichkeit zukünftig ausgeschlossen wird. Dies gilt umso mehr, als die Möglichkeiten, gegen ein Urteil Berufung einzulegen, eingeschränkt werden sollen. Gerade diesen Änderungen sehen wir nicht besonders freudig entgegen.

Die vorgesehene Form der Annahmeberufung lehnen wir ab. Ich weiß nicht, wie man einem Rechtssuchenden erklären soll, dass er gegen ein Urteil nur dann Berufung einlegen kann, wenn eine Berufung nachweislich Aussicht auf Erfolg hat oder Grundsatzfragen

berührt sind. Für jeden Einzelnen ist es so, dass seine eigene Berufung immer Aussicht auf Erfolg hat und zusätzlich Grundsatzfragen, nämlich häufig seine eigenen, berührt sind.

(Beifall bei SSW, F.D.P. sowie der Abgeord- neten Thorsten Geißler [CDU] und Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU])

Zudem könnte die erstinstanzliche Verhandlung wirklich überfrachtet werden, weil es keine weitere Tatsacheninstanz gibt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!)

Dies dient in keinster Weise der Prozessökonomie und dürfte so manchem Einzelrichter die gesparte Zeit kosten. Außerdem darf bezweifelt werden, dass für den Rechtssuchenden nachvollziehbar ist, was alles vorgetragen werden muss, auch wenn es für ihn nichts mit der Sache zu tun hat. Zudem müsste ihm in der Güteverhandlung bekannt gemacht werden, dass ein Urteil des Richters oder der Richterin kaum geändert werden kann. Dies hebt zwar möglicherweise die Vergleichsbereitschaft, aber es kann dem Einzelnen nicht zu seinem Recht verhelfen. Wir haben deshalb allergrößte Bedenken dagegen, dass es keine zweite Tatsacheninstanz mehr geben soll.

(Vereinzelter Beifall)

In einer Resolution der Rechtsanwaltskammer zur Reform der Zivilprozessordnung heißt es: „Bügernah ist eine Ziviljustiz, die möglichst schon in erster Instanz zu einer materiell richtigen Entscheidung führt. Der ideale Richter ist eine Illusion.“ Denn das sind auch Menschen.

(Vereinzelter Beifall)

Nach unserer Ansicht muss es deshalb eine Überprüfbarkeit geben. Es ist nicht zu übersehen, dass eine Verfahrensbeschleunigung für alle und für die Staatskasse wünschenswert ist, aber dies darf nicht auf dem Rücken des Rechtssuchenden ausgetragen werden.

(Vereinzelter Beifall)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Graf Kerssenbrock.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich rede unter anderem als Fachanwalt für Verwaltungsrecht.

(Beifall bei der F.D.P.)

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Wir können im Verwaltungsrecht, insbesondere im Verwaltungsprozessrecht, besichtigen, was diese Reform möglicherweise bringen würde. Ich persönlich möchte Folgendes freimütig bekennen: Ob die Union und die F.D.P., die die Reform des Verwaltungsprozessrechts seinerzeit im Bundestag durchgesetzt haben - nämlich über Nacht, wir haben es kaum gemerkt -,

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wir waren da- gegen!)

noch so glücklich wären, wenn dies noch einmal zur Entscheidung anstünde, wage ich zu bezweifeln. Denn da sind ja die Zulassungsberufung und eine zunehmende Einzelrichterübertragung eingeführt worden. Das hat de facto dazu geführt, dass die zweite Instanz abgeschafft worden ist und die OVG-Senate immer weniger zahlreich geworden sind und kaum noch etwas zu tun haben. Man muss sich schon um die Beschäftigung der OVG-Richter sorgen. Ähnliches würde möglicherweise im Zivilprozessrecht passieren, wenn das losginge.

Deshalb sage ich ganz offen: Man muss aus Erfahrungen lernen und die letzten Erfahrungen mit dem Verwaltungsprozessrecht sind nicht sehr bürgerfreundlich. Aus diesem Grunde muss man das, was die Bundesregierung im Zivilprozessrecht angedacht hat, außerordentlich kritisch sehen. Man sollte nicht noch einmal die gleichen Fehler machen.

Es hat verschiedene Zivilprozessrechtsreformen, insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren, gegeben, die durchaus etwas gebracht haben. Ich warne allerdings davor, am Zivilprozessrecht zu doktern, um fiskalische Probleme zu lösen.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Das ist nicht der richtige Weg. Wenn man daran denkt, dass bei zunehmender Einzelrichterübertragung Richter mit verkürzter Ausbildung, weniger praktischer und weniger theoretischer Erfahrung auf die Justiz losgelassen werden und deren Urteile, die dann oft wirklich lebensfremd sind, praktisch nicht mehr angefochten werden könnten, bedeutet das einen Verlust an Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Nicht umsonst - - Vielen Dank, verehrter Herr Kollege?

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: War nicht um- sonst! - Heiterkeit)

Nicht umsonst machen sich Kieler Anwälte intensiv Gedanken, wie sie dieses auf sie zukommende Manko