Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, die Antwort auf die Große Anfrage zur abschließenden Beratung in den Bildungsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig beschlossen.

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Sicherheit der Atomkraftwerke gegen Flugzeugabstürze

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/1270

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung beantragt. Ich schlage daher vor, dass zunächst der Herr Minister den Bericht gibt. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann haben Sie, Herr Minister Möller, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Terroranschläge vom 11. September haben weltweit zu einer neuen Sensibilität in Sicherheitsfragen geführt. Dies betrifft auch die Sicherheit von Atomanlagen bei bisher eigentlich nicht für möglich gehaltenen gezielten Angriffen mit Passagierflugzeugen.

Natürlich haben wir unmittelbar nach den Anschlägen Prüfungen eingeleitet. Sie sollen klären, welche Auswirkungen der Absturz eines modernen Passagierflugzeugs auf die Kernkraftwerke Brunsbüttel, Brokdorf oder Krümmel hätte.

Ich freue mich, dass unsere Betreiber der jeweiligen Sicherheitslage angemessen reagiert haben, ihre eigenen Sicherheitsstufen freiwillig nach oben gesetzt haben, und ich will daran erinnern, dass übermorgen im Bundesrat über den Atomkonsens und über das Atomgesetz beraten werden wird, das das angeordnete Ende der Kernenergie vorsieht. Ich denke, das ist die adäquate Antwort auf diese Gefährdung der Sicherheit.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wir haben selbstverständlich in engem Kontakt mit dem Umweltministerium gestanden. Es sind Aufträge an die Reaktorsicherheitskommission erteilt worden. Das ist auch Anlass des Berichtes. Die Reaktorsicherheitskommission hat gestern erst einen vorläufigen Bericht gegeben. Insofern kann auch ich Ihnen heute einen Zwischenbericht geben. Ich verweise aber darauf - das ist auch neu -, dass der RSK-Bericht sogar im Internet nachlesbar ist.

Die Reaktorsicherheitskommission - das sind die Gutachter, die den Bundesumweltminister beraten - stellte vorweg fest, dass eine umfassende Bewertung aller relevanten Fragen nur durch weitere Untersuchungen

möglich ist. Parallel dazu sollen Szenarien und Lastannahmen ermittelt werden.

Der Umweltminister hatte der Kommission zunächst drei Fragen gestellt. Erstens hatte er gefragt, inwieweit die bestehenden Atomkraftwerke gegen den gezielten Absturz von zivilen Großflugzeugen mit vollem Tankinhalt geschützt sind und welche Schadensszenarien zu erwarten sind. Die zweite Frage lautete, wie das Schadensausmaß für den Fall eines derartigen Absturzes verringert werden könnte, und drittens hatte er gefragt: Gibt es Möglichkeiten technischer Nachrüstung?

Die Teilantworten, die bisher gegeben worden sind, kann ich Ihnen jetzt vortragen. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Die RSK hat die Fragen bezüglich der Gefährdung jedes einzelnen Kraftwerks oder danach, ob Nachrüstungen möglich sind, noch nicht abschließend beantwortet.

Zum Schutz der deutschen Kernkraftwerke im Hinblick auf die mechanischen Lasten durch einen Flugzeugabsturz hat sich die RSK in ihrer vorläufigen Bewertung differenziert geäußert. Hinsichtlich der Reaktoren, die nach 1973 die erste Teilerrichtungsgenehmigung erhalten haben, sieht die RSK zwar einen ausreichenden Schutz gegenüber dem zufallsbedingten Absturz eines schnell fliegenden Militärflugzeugs sowie einen so genannten Grundschutz gegen Abstürze ziviler Maschinen, beschränkt auf die letzte Aussage: auch gegenüber den mechanischen Belastungen eines zufallsbedingten Absturzes eines Verkehrsflugzeuges mittlerer Größe mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 400 km/h.

Anders sieht es bei den Kernkraftwerken aus, die vor 1973 die Teilerrichtungsgenehmigung erhalten haben. Hier gibt es diesen Grundschutz nicht, allerdings ist auch hier das Schutzniveau unterschiedlich zu beurteilen.

Zu der ersten Kategorie gehören bei uns Brokdorf und Krümmel, zur zweiten Kategorie gehört Brunsbüttel. Deshalb ist es richtig, dass wir gerade im Hinblick auf unsere Anlagen spezifische Gutachten selbst eingeleitet haben.

Offen ist, ob die mechanischen Belastungen eines zielgerichteten Absturzes großer Verkehrsflugzeuge mit höherer Aufprallgeschwindigkeit von den jeweiligen Kernkraftwerken ohne größere Schäden abgetragen werden können.

(Martin Kayenburg [CDU]: Im physikali- schen Sinne! Das ist das Entscheidende!)

In Bezug auf die Auswirkung des zu erwartenden Kerosinbrandes teilt die Reaktorsicherheitskommission lediglich mit, dass hier mit einer Treibstoffmenge von

(Minister Claus Möller)

100 t gerechnet werden müsse, und verweist darauf, dass bisherige Untersuchungen zu Militärflugzeugen auf einer Masse von lediglich 5 t Kerosin beruhten.

Nach Aussage der RSK bleibt es offen, ob bei Szenarien wie denen des 11. September in den USA die Brandlasten auch in Kombination mit den Trümmerlasten abgetragen werden können. Die RSK schließt im Einzelfall auch massive Freisetzungen radioaktiver Stoffe nicht aus.

Bei den kurzfristigen Maßnahmen zur Begrenzung des Schadensausmaßes weist die RSK auf die Möglichkeit hin, die Anlagen durch Abschaltung in den kalten, unterkritischen Zustand zu bringen und damit längere Karenzzeiten für Notfallmaßnahmen zur Verfügung zu haben. Aber die RSK sagt gleichzeitig, das relevante Potenzial an langlebigen Spaltprodukten werde durch das Abschalten der Anlagen nicht entscheidend beeinflusst. Auch das Verbringen des radioaktiven Inventars in ein gesichertes Lager sei kurzfristig nicht machbar, da man eine Abklingzeit von einem halben Jahr benötige.

Zu den konkret möglichen technischen Nachrüstungsmaßnahmen verweist die RSK auf die notwendigen eingangs geforderten vertiefenden Untersuchungen, die auf anlagenspezifische Gegebenheiten Rücksicht nehmen müssen.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, darf ich Sie auf die Redezeit aufmerksam machen?

Ich bitte wirklich darum, wenn ich hier einen Bericht geben soll und man mir fünf Minuten gibt,

(Martin Kayenburg [CDU]: Dann müsst ihr mehr beantragen! - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

dass ich dann zumindest die Ergebnisse der RSK vortragen darf.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als wirksamste Maßnahme sieht es die RSK an, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Terroranschlägen so gering wie möglich zu halten. Ich sage nur: Wie wahr! Aber wie bewerkstelligt man das? - Die RSK fordert hierfür ein gestaffeltes Schutzkonzept mit gezielten administrativen Maßnahmen. Sie wissen ja, dass die öffentliche Diskussion bis hin zum Raketenbeschuss von Kernkraftwerken geführt wird. Ich kann Ihnen nur

sagen und wiederhole das: Der sicherste Schutz ist der geordnete Ausstieg aus der Kernenergie.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Diese erste Bewertung der RSK konnte meine Besorgnis nicht mindern. Der Schutzzustand der deutschen Kernkraftwerke bei terroristischen Angriffen ist gegenwärtig nicht geklärt. Weitere Untersuchungen sind erforderlich. Allerdings hilft es hier auch nicht, in Panik zu verfallen.

(Beifall der Abgeordneten Christel Aschmo- neit-Lücke [FDP])

In der derzeitigen aktuellen Sicherheitslage und bei den derzeit auf Bundes- und auf Landesebene eingeleiteten Prüfungen sehe ich eine Rechtsgrundlage zur Sofortabschaltung nach dem Atomgesetz für rechtlich nicht haltbar an. Inwieweit die bisherige Risikoeinschätzungen künftig noch Bestand haben werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Konsequenzen werden sich insoweit aus dem Ergebnis der Prüfungen ergeben. Wir werden vor der Frage stehen, ob wir dieses Risiko, das wir bisher nicht für möglich gehalten haben, auch in Zukunft in den Bereich des Restrisikos einstufen, das ja hinnehmbar ist. Diesbezüglich wage ich keine abschließende Antwort.

Lassen Sie mich noch einige Punkte aus der aktuellen Atomdebatte ansprechen.

Ich sagte schon: Übermorgen wird im Bundesrat die Atomgesetznovelle beraten. Wir werden dort beantragen, dass auf Bundesebene kurzfristig eine umfassende Sicherheitsanalyse erstellt wird und dass die RSK etwas mehr Licht in das Dunkel der ungeklärten Fragen bringt. Auch wird die Frage zu beantworten sein, ob beziehungsweise in welchem Umfang bestehende Kernkraftwerke gegebenenfalls nachgerüstet werden können oder müssen.

Ich bleibe bei dem alten Vorschlag, den wir schon öfter gemacht haben. Wir haben Ja zum Atomkonsens gesagt, gleichzeitig aber darauf gedrungen, dass der Konsens vorsieht, dass Reststrommengen aus alten Kraftwerken, zum Beispiel aus solchen, die nicht flugzeugabsturzsicher ausgelegt sind, auf neuere Anlagen übertragen werden können.

(Beifall der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich vermute, dass dieser Vorschlag, den wir immer wieder gemacht haben - es findet ja auch eine öffentliche Diskussion dazu statt -, wieder an Aktualität gewinnen wird.

(Minister Claus Möller)

Zur Vermeidung der Atomtransporte und ihrer Risiken müssen möglichst schnell möglichst sichere Zwischenlager zur Verfügung gestellt werden. Die Sicherheit von Zwischenlagern ist nicht nur durch entsprechende Behälter, sondern auch durch eine weitere Sicherheitsbarriere zu erhöhen - ebenfalls unsere alte Forderung. Aus aktuellem Anlass weise ich darauf hin: Ich teile die Auffassung des Innenministers dazu.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Martin Kayenburg [CDU]: Sonst aber weni- ger! - Klaus Schlie [CDU]: Da hat er jetzt Glück gehabt!)

Wir brauchen die Atomtransporte. Es ist erfreulich, dass der Transport aus Brunsbüttel relativ reibungslos verlaufen ist.