Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

(Unruhe)

- Ja, ich warne davor, etwas in einen Zusammenhang zu stellen, was nicht zusammengehört, weil wir damit Vorurteile in einer Art und Weise transportieren, die ich für extrem gefährlich halte.

(Beifall bei der FDP)

Damit komme ich unmittelbar zu Ihrem Antrag, Herr Kollege Dr. Wadephul. Die Behauptung in der Einleitung - interessanterweise wurde das übrigens heute von der Ministerpräsidentin wiederholt -, die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 hätten die Sicherheitslage in der Welt tief greifend verändert, ist falsch. Wir schauen bei dieser Feststellung auf das Ergebnis, dass nach dem Einsturz von zwei Hochhäusern mehr als 5.000 Menschen den Tod gefunden haben. Aber das ist gar nicht der Ausgangspunkt. Ausgangspunkt sind die Flugzeugentführungen, von denen es weltweit Dutzende gab und gibt, von denen wir in Deutschland aber in den letzten 30 Jahren überhaupt keine hatten.

Die Anschläge haben uns allerdings zweierlei bewusst gemacht: Dass sich erstens die seit Anfang der 90erJahre allseits erkannte und beschriebene Gefahr von Terroranschlägen dieser Größenordnung erneut verwirklicht hat und dass zweitens trotz aller Rasterung, trotz des Einsatzes von Zehntausenden von Geheimagenten, trotz ungeheuren finanziellen Aufwandes und des massiven Einsatzes bestmöglicher Technik - ich erinnere nur daran, was die NSA mit Echolot alles machen kann - der weitere Anschlag vom 11. September 2001 nicht verhindert wurde.

Erinnern wir uns - das sage ich zur Belegung der These, dass sich die Sicherheitslage überhaupt nicht verändert hat -: Bereits Anfang der 90er-Jahre ist nur durch einen Zufall verhindert worden, dass die Katastrophe des Einsturzes der beiden Tower des World Trade Centers eintrat. Der Sprengstoffanschlag, der ebenfalls bin Laden zugeschrieben wurde, sollte einen der Tower derart zum Einsturz bringen, dass er auf den zweiten Tower fallen würde. Dem Attentäter

(Wolfgang Kubicki)

McVeigh gelang es Mitte der 90er-Jahre, ein Regierungsgebäude in Oklahoma in die Luft zu sprengen. Wiederum bin Laden zugerechnet werden Anschläge auf Botschaften der Vereinigten Staaten in Schwarzafrika Mitte der 90er-Jahre mit ebenfalls mehreren Hundert Toten.

Die Welt war gewarnt, die Sicherheitsbehörden der gesamten Vereinigten Staaten waren auf der Suche, nicht nur nach den Attentätern von Lockerbie. Deshalb ist auch die Behauptung, der Terrorismus habe eine neue, bislang unvorstellbare Dimension erreicht, jedenfalls in dieser apodiktischen Form unzutreffend. Die neue Dimension wird durch die Anzahl der beklagenswerten Opfer bestimmt, nicht durch die Art und Weise der Terroranschläge.

Vor diesem Hintergrund möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der CDU ausdrücklich sagen: Keine der von Ihnen im Antrag Drucksache 15/1259 vorgeschlagenen Maßnahmen hätte die Attentate in New York oder in Washington verhindert oder auch nur einen Beitrag dazu geleistet, den Attentätern rechtzeitig in die Arme zu fallen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Lars Harms [SSW])

Deshalb wird auch keine dieser vorgeschlagenen Maßnahmen dazu einen unmittelbaren Beitrag leisten, dass künftig terroristische Aktivitäten dieser Art und Weise unterbunden werden können. Das heißt nicht, Herr Kollege Wadephul, dass nicht die eine oder andere Maßnahme zur Verfolgung allgemein kriminalpolitischer Ziele sinnvoll ist. Das heißt nur, dass sie zur Bekämpfung des modernen Terrorismus nicht geeignet sind.

Im Einzelnen: Dass wir beim Verfassungsschutz ein Referat zur Beobachtung des islamistischen Extremismus brauchen, ist eine pure Selbstverständlichkeit. Diese Notwendigkeit bestand allerdings bereits vor dem 11. September 2001 und völlig unabhängig von den Terroranschlägen.

Wenn der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2000 ausführt, dass 31.000 der in Deutschland lebenden Muslime Anhänger extremistischer Organisationen sind, muss es die Öffentlichkeit wundern, dass eine entsprechende Beobachtung nicht stattfindet und daran scheitert, dass entsprechende sprachkundige Mitarbeiter gar nicht zur Verfügung stehen.

Selbstverständlich müssen wir uns in diesem Zusammenhang fragen, ob die aus falsch verstandener Akzeptanz angeblich kultureller Eigenarten in den vergangenen Jahren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD vertretene Position, den Verfassungsschutz

abzuschaffen, moslemische Extremisten nicht zu beobachten, nicht bereits vor dem 11. September 2001 änderungsbedürftig gewesen wäre.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen - ich bin dankbar dafür, dass der Kollege Lothar Hay dies in der letzten Landtagstagung ebenso getan hat -, dass selbstverständlich derjenige, der hier lebt, und zwar unabhängig von der Frage, ob deutscher Staatsbürger oder noch nicht deutscher Staatsbürger, die verfassungsmäßige Ordnung zu beachten hat und dass der dann, wenn er dies nicht will, keinen Anspruch darauf hat, von eben dieser Verfassungsordnung geschützt zu werden.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der SPD und des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Dies führt mich unmittelbar zu Punkt 2 des Antrages, nach dem Ausländer, die sich extremistisch und verfassungsfeindlich betätigen, ausgewiesen werden sollen. Es drängt sich doch geradezu die Frage auf, ob die Union zum Beispiel die PKK für eine extremistische und verfassungsfeindliche Organisation hält und jeden, der sich zu ihr auch nur bei Demonstrationen bekennt, zum Beispiel in die Türkei ausweisen will.

Sind die oppositionellen Gruppen, Herr Kollege Dr. Wadephul, die auf den Sturz des Ajatollah-Regimes im Iran hinarbeiten, extremistisch und verfassungsfeindlich oder sind es gar diejenigen, die den Sturz des afghanischen Taliban-Regimes betreiben? Muss Frau Ministerin Lütkes über ihr Engagement in der iranischen Kinderflüchtlingshilfe erneut und verschärft nachdenken?

Vielleicht sollten wir uns darauf verständigen, dass nur diejenigen, die Straftaten von nicht unerheblichem Umfang begangen haben, zwangsweise zum Verlassen des Landes aufgefordert werden sollten. Die Attentäter von New York und von Washington sind doch gerade nicht durch extreme oder verfassungsfeindliche Äußerungen aufgefallen.

Die Verstärkung des Zivil- und Katastrophenschutzes ist in jedem Fall zu begrüßen, weil Katastrophen erheblichen Ausmaßes allein durch die Naturgewalten die Menschen jederzeit bedrohen können. Allerdings eine Alarmplanung für alle denkbaren terroristischen Bedrohungsszenarien auszuarbeiten, ist doch eher zu viel des Guten. Ich will mich hierbei nicht mit dem im Kopf einiger Kollegen kursierenden Szenario eines Jumboabsturzes auf ein Kernkraftwerk beschäftigen, der durch Flugabwehrraketen verhindert werden soll. Wie wäre es mit dem Szenario einer Verseuchung

(Wolfgang Kubicki)

sämtlicher als Trinkwasserreservoirs dienenden Stauseen durch Bakterien oder durch Chemikalien, des Bodensees durch Bakterien, Chemikalien oder Ähnliches? Oder wie wäre es mit der Explosion eines Chemikalientankers, der durch den Nord-Ostsee-Kanal fährt und unmittelbar vor der Holtenauer Schleuse liegt?

Wenn wir alle am Katastrophenschutz beteiligten Organisationen, Herr Kollege Dr. Wadephul, personell und sachlich so ausstatten sollen, dass sie einer solchen Katastrophe - unabhängig von ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit - gerecht werden, wird dies nicht nur den Landeshaushalt sprengen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das steht auch nicht in unserem Antrag!)

- Genau das steht in Ihrem Antrag drin: Diese Organisationen sind so auszustatten, dass sie einem entsprechenden Szenario gerecht werden können.

Eine Bundesratsinitiative zur Wiedereinführung der Kronzeugenregelung in die Strafprozessordnung ist überflüssig, da die Bundesregierung - allen voran Bundesinnenminister Schily die entsprechenden Maßnahmen bereits beschlossen hat. Allerdings mache ich keinen Hehl daraus, dass ich die Kronzeugenregelung für gänzlich ungeeignet halte, da sie das Rechtsstaatsprinzip in strafprozessualer Hinsicht massiv infrage stellt und eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips darstellt, wobei sich der Staat in die Hand des Straftäters begibt, an dessen Angaben per se erhebliche Zweifel anzubringen sind.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erfahrungen mit der Kronzeugenregelung alter Art haben zu ihrer Abschaffung geführt. Warum glaubt hier eigentlich jemand, dass die Neuauflage der Kronzeugenregelung gerade zur Bekämpfung derjenigen Terroristen geeignet ist, mit denen wir es vorliegend zu tun haben? Die Frau Ministerpräsidentin hat zu Recht gesagt: Wer sich selbst umzubringen bereit ist, wird weder die Sache noch Gleichgesinnte verraten.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich setze noch einen drauf: Wenn Herr bin Laden ein schlauer Mensch ist - er ist möglicherweise ein schlauer Mensch -, wird er das Instrument systematisch nutzen, um unsere Sicherheitsorgane in die falsche Richtung zu lenken.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So ist es! Genau!)

Es ist sehr sinnvoll, sich als Kronzeuge anzubieten und unsere Sicherheitsbehörden mit etwas zu beschäftigen, was gar nicht up to date ist, um sich in anderen Bereichen schädlich oder gütlich zu halten.

Die amerikanischen Sicherheitsbehörden diskutieren momentan die Frage, ob die Versendung dieser wenigen Milzbranderreger möglicherweise ein Ablenkungsmanöver ist, um von größeren extremistischen Gewalttaten anderer Art abzulenken. Deshalb bitte ich, darüber nachzudenken, ob das wirklich ein Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus sein kann.

Die Abnahme von Fingerabdrücken bei der Beantragung von Visa im Ausland und die Kopie des Reisepasses sind bemerkenswerte Vorschläge in einer globalisierten Welt, weil diejenigen, die vorhaben, Straftaten in Deutschland zu begehen oder sie vorzubereiten, sich selbstverständlich um entsprechende Visa mit Fingerabdrücken im Reisepass im Ausland bemühen werden.

Gleiches gilt natürlich für Asylbewerber und eingeschleuste oder eingeschleppte Personen, von denen ich bisher noch nicht gehört habe, dass sie zuvor in einer deutschen Botschaft im Ausland vorstellig geworden sind.

Diese Maßnahme müsste im Übrigen europaweit vorgesehen werden, weil für den Schengener Raum so genannte Schengenvisa erteilt werden und deshalb die Franzosen, Belgier, Dänen und andere Entsprechendes unternehmen müssten. Sonst würde es keinen Sinn machen. Was ist mit denjenigen, die aus Ländern kommen, bei denen die Visapflicht wechselseitig nicht mehr gilt, beispielsweise aus den Vereinigten Staaten?

Was ist mit den Terroristen - davon soll es am 11. September 2001 auch welche gegeben haben -, die Deutsche mit arabischer Herkunft oder Franzosen mit algerischer Herkunft oder Briten mit pakistanischer Herkunft sind? Diese Maßnahme dient allem, nicht jedoch der Bekämpfung des Terrorismus.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass wir uns über jede Erhöhung der Bundesmittel für die Bereitschaftspolizei der Länder freuen, nicht nur über 43 Millionen DM, ist selbstverständlich. Ich würde mich auch freuen, wenn wir 150 Millionen DM bekämen. Allerdings wäre es sinnvoll, in SchleswigHolstein eine zweite Einsatzhundertschaft vorzusehen angesichts der absehbaren Großlagen, die uns bevorstehen, nicht nur bei Castor-Transporten und rechtsextremen Demonstrationen, sondern auch bei den absehbaren Friedensdemonstrationen für Afghanistan bei anhaltenden Angriffen unserer amerikanischen Freunde auf afghanische Städte und Dörfer. In Schleswig

(Wolfgang Kubicki)

Holstein gibt es bereits die ersten Ankündigungen von ASten der Universitäten - übrigens zu Recht; das will ich gar nicht bestreiten -, solche Großdemonstrationen organisieren zu wollen. Dies wird polizeiliche Großlagen auslösen, die beherrschbar sein müssen. Diese Demonstrationen wird es selbst dann geben, wenn die Grünen nicht dazu aufrufen sollen.

(Konrad Nabel [SPD]: Das glaube ich auch!)

Wem die weitere wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes am Herzen liegt - davon soll es in der Unionsfraktion auch einige geben -, der sollte alles unternehmen, um die sich bereits abzeichnende Hysterie

(Martin Kayenburg [CDU]: Na, na!)

bei der Beschreibung terroristischer Bedrohungslagen abzumildern. Bereits heute fliegen immer weniger Menschen mit fatalen Folgen für die Fluggesellschaften und die Flughafengesellschaften nebst anhängender Betriebe, für die Produktionsbetriebe von Flugzeugen, obwohl sich die Wahrscheinlichkeit einer Flugzeugentführung in Deutschland nicht erhöht hat. Schon heute kaufen die Menschen weniger langlebige Konsumgüter, weil - wie wir wissen - Furcht Attentismus erzeugt. Schon heute sind Gewerbeflächen in Hochhäusern nur noch schwer zu vermarkten - mit aller Konsequenz für die Bauwirtschaft, die gewerblichen Vermieter und die Banken.

Trittbrettfahrer, die mit der Furcht der Menschen vor terroristischen Aktivitäten ihre Scherze treiben, ob sie nun Papierschnipsel oder Waschpulver verschicken, sind schlimm genug. Politische Trittbrettfahrer, die mit der Behauptung einer Bekämpfung des Terrorismus alle diejenigen Maßnahmen schnell auf den Weg bringen wollen, denen sich eine freiheitliche Gesellschaft bei aller Vernunft in ruhigen Zeiten widersetzen würde, sind weitaus gefährlicher.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die „Zeit“ urteilte in ihrer Ausgabe vom 11. Oktober 2001, die jetzt von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmepakete machten aus Deutschland noch keinen Polizeistaat. Sie fügte an, allerdings benötigte ein Polizeistaat kaum zusätzliche Gesetze, er brauchte nur die derzeit geplanten massiv anzuwenden. Dies sollten wir immer im Auge behalten.