Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

Die „Zeit“ urteilte in ihrer Ausgabe vom 11. Oktober 2001, die jetzt von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmepakete machten aus Deutschland noch keinen Polizeistaat. Sie fügte an, allerdings benötigte ein Polizeistaat kaum zusätzliche Gesetze, er brauchte nur die derzeit geplanten massiv anzuwenden. Dies sollten wir immer im Auge behalten.

Für die FDP-Fraktion bleibt: Eine deutlich verbesserte Personal- und Sachmittelausstattung der Polizei und des Verfassungsschutzes, um die bereits bestehenden Möglichkeiten überhaupt zu nutzen, sind weitaus effektiver, als immer neue Möglichkeiten zu schaffen, für deren Anwendung weder das Personal noch die

Sachmittel in ausreichender Weise zur Verfügung stehen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind mit der Überweisung dieses Antrages und der anderen Anträge an den Innen- und Rechtsausschuss einverstanden. Wenn dies nicht erfolgen würde, hätten wir ansonsten diesen Placebo-Antrag der Union abgelehnt.

Ich gehe jetzt, obwohl Minister Buß noch nicht und die Ministerpräsidentin nicht ausreichend berichtet hat, die Geschäftsordnung das aber zwingend vorschreibt, zu dem Maßnahmepaket der Landesregierung über. Ich will gar nicht auf die Begrüßungsorgie des Maßnahmepakets 1 von Otto Schily eingehen - das haben wir hinter uns -, sondern auf das, was zur Bewältigung der Lage der inneren Sicherheit in Schleswig-Holstein vorgesehen ist nach dem, was wir gestern vernommen haben. Frau Ministerpräsidentin, das ist keine Reaktion auf den Terrorismus. Das ist eine Reaktion auf den Wahlsieg von Herrn Schill in Hamburg. Machen wir uns da nichts vor. Keine der Maßnahmen, die Sie einleiten, setzt Polizei, Verfassungsschutz und Katastrophenschutz sowohl personell als auch, was die Ausstattung mit Sachmitteln angeht, in die Situation, die bereits 1996 vorgeherrscht hat.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Sie machen nichts anderes, als den als Steinbruch missbrauchten Etat innere Sicherheit im Polizeihaushalt wieder auf ein Niveau aufzustocken, das deutlich unter dem des Jahres 1996 liegt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Landesregierung will 100 zusätzliche Anwärterstellen besetzen. Das ergibt nach Beendigung der Ausbildung 65 neue Polizeibeamte. Das reicht nicht aus. Wir brauchen zumindest über die nächsten Jahre 100 mehr Anwärterstellen, damit wir am Ende den benötigten Zuwachs von 200 Polizisten erreichen.

Bereits zum jetzigen Zeitpunkt gehen die Bewerberzahlen drastisch zurück. Von ehemals circa 3.500 Bewerbern sind es nur noch 2.700, die im Polizeidienst tätig sein wollen. Von den für 2001 aufgestellten 220 Anwärterstellen konnten sie 10 in Ermangelung ausreichend qualifizierter Bewerbungen nicht einmal besetzen.

Das ist die Situation, die sich verschärfen wird, weil wir jetzt bundesweit konkurrieren. Alle Bundesländer, nicht nur Hamburg, werden Abwerbung betreiben, Frau Ministerpräsidentin. Sie müssten Herrn Schily einmal sagen, er solle es unterlassen, für den BGS

(Wolfgang Kubicki)

systematisch und konsequent Polizeibeamte aus den Ländern abzuwerben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Der ist nach Ihrer Diktion auch dumm und naiv.

Alle konkurrieren sozusagen um den gleichen Bestand an nicht wachsenden Bewerberzahlen, die nicht zunehmen, sondern eher abnehmen werden, wenn wir weiter so tun, als müssen alle Polizeibeamten jeden Tag damit rechnen, von Terroristen weggebombt zu werden. Sie wissen momentan gar nicht, was sie in Familien von Polizeibeamten auslösen, die Wochenenddienst schieben, in denen die Frauen Angst um ihre Männer haben, Angst, die emotional begründet ist, aber keinen rationalen Kern hat, die aber ständig geschürt wird, auch durch die Debatten, die wir heute führen. Sie wissen gar nicht, was Sie anrichten.

Meine Bitte ist: Erklären Sie den Menschen in Schleswig-Holstein, dass sich die Sicherheitslage nicht in Schleswig-Holstein derart dramatisch geändert hat, dass wir in Schleswig-Holstein nicht morgen mit einem Terroranschlag zu rechnen haben. Oder Sie werden erleben, dass Sie die erforderlichen Personen, die Sie brauchen - jedenfalls bei der Dotierung, die Sie gegenwärtig vorsehen -, gar nicht bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Bereits heute fallen zu viele Überstunden an. Nach einer Kleinen Anfrage meines Kollegen Hildebrand wurden bis September 2001 für das laufende Jahr 92.000 Überstunden mit knapp 3,1 Millionen DM vergütet. Ein mindestens gleich hoher, entsprechender Anteil, schätze ich, ist nicht vergütet worden, sondern wird in Dienstplanorganisationen versteckt, von denen Sie sagen, dass sie stattfinden,

(Günther Hildebrand [FDP]: Viermal!)

von denen wir aber hören, dass sie angesichts der bestehenden Personalsituation gar nicht umgesetzt werden können.

Rechnet man nur das letztes Jahresdrittel hinzu, kommt man bei einer Arbeitsbelastung, wie sie immerhin vor dem 11. September errechnet wurde, auf 148.000 Überstunden. Die kosten über 5 Millionen DM. Aufgrund des zusätzlichen Objekt- und Personenschutzes wird es eher noch mehr sein.

Es sollen zusätzliche Mittel für die Abgeltung von Überstunden bereitgestellt werden. Das muss wegen der größeren Arbeitsbelastung ohnehin gemacht werden. Weitere Überstunden können mit Freizeit gar nicht abgegolten werden.

Wie soll man bei diesen Voraussetzungen Nachwuchs für die Polizei gewinnen? - Ohne bessere Bedingungen

wird es schwierig, im Konkurrenzkampf der Länder um Bewerber für den Polizeidienst zu bestehen. Wir laufen eher Gefahr, dass Beamte von anderen Ländern mit Prämien abgeworben werden. Hamburg fängt schon an zu werben. Andere werden folgen. Man kann sich darüber streiten, ob das glücklich ist, aber: Es wird so sein. Darunter befindet sich - ich sagte es - der Bundesgrenzschutz.

Ich hoffe nicht, Herr Innenminister, dass wir in die absurde Situation kommen, dass ehemalige schleswigholsteinische Polizisten die Drogenszene in Hamburg vom Hamburger Hauptbahnhof ins Hamburger Umland, also nach Schleswig-Holstein, drängen, wo gerade diese Beamten wieder fehlen werden.

Bisher sind für die Durchführung der repressiven Rasterfahndung gerade einmal vier Beamte vorgesehen. Die GdP schätzt den Bedarf auf 20 zusätzliche Stellen. Für die Umsetzung der präventiven Rasterfahndung, für die auch die entsprechende EDV und die dazugehörigen Programme benötigt werden, die wir gegenwärtig gar nicht haben, wollen Sie zwölf Mitarbeiter mehr einstellen. Das ist nach unserer Auffassung von vornherein zu wenig, zumal der Abgleich der Daten mit den regionalen Verwaltungen überhaupt nicht funktioniert. Dies sagen Sie selbst, dass sie oftmals gar keine kompatiblen Systeme haben. Der Verfassungsschutz erhält mit sechs Stellen eine Arbeitseinheit „Islamismus“ und es wird mit sechs Stellen eine zweite Observationsgruppe eingerichtet. Vor dem Hintergrund des eigenen Verfassungsschutzberichts ist es - ich sagte es bereits - eher verwunderlich, dass dies erst jetzt geschieht. Herr Innenminister, ich fand es bemerkenswert, dass Sie der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit erklärt haben, dass Sie nur eine Observationsgruppe besitzen. Das wusste bisher keiner. Wir Fraktionsvorsitzende, die auch in der PKK sitzen, haben dies immer geheim gehalten. Sie müssen einmal darüber nachdenken, was Sie mit so einer Information der Öffentlichkeit gegenüber dokumentieren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Im Justizbereich wollen Sie ganze sechs neue Stellen bei den Staatsanwaltschaften besetzen. Bei den Gerichten gibt es drei neue Strafrichterstellen. Frau Ministerin, das sind Forderungen, die wir in der Vergangenheit bereits erhoben haben, als es die Terroranschläge überhaupt noch nicht gab. Sie wollen doch niemandem im Ernst erzählen, dass Sie sechs Staatsanwälte brauchen, um mögliche terroristische Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen, und dass Sie drei weitere Strafrichter brauchen, um terroristische Aktivitäten abzuurteilen. Das ist nichts anderes als das

(Wolfgang Kubicki)

Nachvollziehen der Versäumnisse der Vergangenheit, die wir laufend beklagt haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Kollege Lothar Hay, wir sagen ausdrücklich: Wir sind dagegen, dass wir nun den „polizeilichen Volkssturm“ zur Terrorismusbekämpfung aufrufen und Anwärter und über 60-Jährige aufrufen. Wir werden beantragen, das „Konversionsprogramm“, das seit 1996 auf dem Tisch liegt, umzusetzen, und Polizei- und Vollzugsbeamte freizusetzen, indem man Angestellte einstellt. Hier können wir auf einen Schlag 140 Stellen schaffen. Wir werden versuchen, dieses Programm haushaltstechnisch umzusetzen. Damit ist für die Polizei in Schleswig-Holstein mehr getan als durch den Maßnahmenkatalog der Landesregierung.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, ob der Paradigmenwechsel, der sich in den vollmundigen Ankündigungen widerspiegelt, auch den Fakten entspricht. Angesichts der Metamorphose der Grünen würde es dann heißen: Aus dem Biotopkataster machen wir ein Menschenraster; statt Beobachtung der Wale observieren wir Muslime alle. Wir wollen mehr Grüne - allerdings nur bei der Polizei. Das möchte ich ausdrücklich sagen.

(Beifall bei der FDP)

Zur Schleierfahndung will ich mich gar nicht weiter äußern, weil die Diskussion, die die Union hier einführt, derart absurd geworden ist. Herr Kollege Geißler, Sie müssen selbstverständlich die verdachtsunabhängigen Kontrollen - wenn dies ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung sein sollte - flächendeckend im ganzen Land fordern. Das machen Sie gerade nicht, weil Sie mir selbst sagen, „Meck-Pom“ habe das versucht und sei kläglich gescheitert. Im Übrigen ist der von Ihnen eingebrachte Antrag eine Einschränkung des Antrages, den der Kollege Schlie vor einigen Jahren eingebracht hat, denn der wollte noch 10 km vom Nord-Ostsee-Kanal entfernt eine entsprechende Schleierfahndung durchsetzen. Das haben Sie jetzt vergessen. Wir müssen die Terroristen auch am NordOstsee-Kanal bekämpfen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das steht im neuen Antrag!)

Herr Kollege Wadephul, das Beispiel, das Sie herangezogen haben, nämlich den Waffenfund des Zolls in Lübeck, war kein Erfolg einer verdachtsunabhängigen Kontrolle. Dies war der Erfolg einer Fahndungsmaßnahme, die auf einem Verdacht beruhte. Ich sage noch einmal: Polizeibeamte, die heute erklären, dass sie nicht in der Lage wären, eine Polizeikontrolle durch

zuführen und ein Verkehrsfahrzeug mit seinen Insassen zu kontrollieren, weil sie sich mangels Ermächtigungsgrundlage des Landesverwaltungsgesetzes daran gehindert wähnen, lade ich zu einem Vier-AugenSeminar von 10 Minuten ein. Ich kann Ihnen sagen: Sie können das machen.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Wir brauchen diese Geschichte einfach nicht. Sie ist eher ein Hindernis auf dem Weg zur europäischen Integration als ein Fortschritt. Meine Fraktion hat mir aus meiner Rede herausgeschnitten, was ich eigentlich dazu sagen wollte, nämlich warum es auch sinnvoll ist, einmal nicht verdachtsunabhängig kontrolliert zu werden. Herr Kollege Wadephul, das mache ich einmal privatissime mit Ihnen.

Zur Rasterfahndung! Ich habe in der letzten Landtagstagung erklärt, dass sich meine Fraktion dazu bereit erklären kann, der Rasterfahndung trotz des Glaubens, dass sie erfolglos sein wird, zeitlich begrenzt zuzustimmen, um herauszufinden, ob etwas geschieht oder nicht. Wir haben seit 1992 die repressive Rasterfahndung. Herr Kollege Minister, vielleicht könnten Sie uns erklären, wie häufig sie angewandt wurde und mit welchem Erfolg. Sie müssen uns das nicht durch „Zeichen setzen“ erklären, einen Daumen hoch, sondern dadurch, dass dies ein dramatischer Misserfolg gewesen ist. Das sieht bei Herrn Schill und anderen aus wie ein Erfolg. Wir haben vorgeschlagen und bitten auch darum, dass wir uns bei den Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss noch einmal über die Frage der zeitlichen Befristung und vor allen Dingen darüber unterhalten, welche rechtsstaatlichen Mindestanforderungen wir einziehen müssen. Ich glaube, dass es einem Redaktionsversehen bei Ihnen zuzuschreiben ist, dass Sie die nachträgliche gerichtliche Überprüfung nicht vorgesehen haben, wie das bei der repressiven Rasterfahndung vorgesehen ist.

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Das müssen wir einfügen. Selbstverständlich muss eine Organisation, ein Verein, eine Partei oder eine Hochschule, bei der Sie einen Datensatz erheben wollen, das Recht haben, dies gerichtlich überprüfen zu lassen. Sie darf nicht nur einer amtsrichterlichen Entscheidung folgen müssen. Aber auch die davon Betroffenen müssen anschließend das Recht haben, nicht nur unterrichtet zu werden, sondern von einem Gericht die Verhältnismäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit überprüfen zu lassen. Ansonsten würde der Rechtsstaat sich selbst ins Knie schießen. Das wollen wir nicht. Ich bin aber sicher, dass wir dies

(Wolfgang Kubicki)

intensiv im Innen- und Rechtsausschuss diskutieren können und dass wir uns auf diese Maßnahmen verständigen können. Signale habe ich schon gehört. Dann soll die Fristenfrage für uns nachrangig sein, wenn wir uns überhaupt auf eine Frist verständigen.

(Beifall bei FDP und SSW und vereinzelt bei der SPD)

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Besucher begrüßen. Auf der Tribüne haben sich Schülerinnen und Schüler der Ernst-Barlach-Realschule, Wedel, eingefunden. - Herzlich Willkommen!