Protokoll der Sitzung vom 17.10.2001

Das ist keine mangelnde Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen, sondern es ist notwendig, das Humanitäre zu tun, und es ist notwendig, um die internationale Allianz gegen den Terrorismus zusammenzuhalten. Sie darf nicht auseinander brechen. Deswegen ist es auch in dieser Situation notwendig, immer den nächsten Schritt zu überprüfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter sagte mir, als ich mich bei ihr für ihre eindrucksvolle Rede in der Nicolai-Kirche am Tag nach dem Anschlag bedankte: „Sie sind Politiker. Sie haben in der kommenden Zeit schwierige Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche Ihnen die Kraft, das Richtige zu tun.“ - Meine Damen und Herren, das wünsche ich uns allen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich richtig, dass seit dem 11. September die Tagesordnung der Welt eine andere ist. Aber es ist nicht alles richtig, was seit dem 11. September auf der politischen Tagesordnung steht. Da reicht es nicht zu sagen, dass der Terrorismus Angst macht und ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit schafft, dass der Terror den Weg nach Deutschland finden könnte. Auch die Lösungen, die uns angeboten werden, wekken Besorgnis.

Besonders erschreckend ist es für den SSW festzustellen, dass jetzt Maßnahmen Hochkonjunktur haben, die wir bisher als untauglich für die Kriminalitätsbekämpfung oder schädlich für die freiheitlichen Grundrechte angesehen haben. Jetzt kommen schnell Lösungen auf den Tisch, die schon lange in Schubladen verstauben, alte Schreckensinstrumente, die angeblich die neuen Probleme lösen werden. Als Universallösung wird uns wieder einmal die Überwachung präsentiert. Man muss sich aber vor Augen halten, dass auch die vorgeschlagenen Maßnahmen das Inferno am World Trade Center nicht verhindert hätten.

(Manfred Ritzek [CDU]: Das wissen Sie doch nicht!)

Seit dem 11. September haben die Bürgerinnen und Bürger hierzulande ein Stück Sicherheit verloren, das sie gern wiederhaben möchten. Der rücksichtsvolle Umgang mit solchen Ängsten ist ein legitimes politisches Ziel. Trotzdem muss eines in diesen Tagen betont werden: Verantwortungsbewusste Politik handelt nicht von der schnellsten Lösung, sondern von der effizientesten.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es geht darum, den Terrorismus wirksam zu bekämpfen, ihn vorbeugend zu verhindern. Wir gewinnen jedoch nichts, wenn wir die Freiheitsrechte jetzt gegen die Sicherheit ausspielen. Ebenso wie Freiheit innere Sicherheit voraussetzt, gibt es andersherum die persönliche und öffentliche Sicherheit nicht ohne Freiheit. Es wäre wirklich fatal, wenn die Politik und die Bürger jetzt eine Einschränkung der Bürgerrechte in Kauf nähmen, nur weil ganz schnell etwas passieren soll.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zugegeben, die Freiheitsrechte finden dort ihre Grenzen, wo sie den Feinden der Freiheit Tür und Tor öffnen. Der Datenschutz ist keine in Beton gegossene Verfassung, sondern lebendiger Schutz der Bürger, der an die gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst werden muss. In diesem Sinne muss auch der Schutz der informationellen Selbstbestimmung immer gegen andere Rechte in die Waagschale geworfen werden. Die Grenzen des Datenschutzes müssen nach dem 11. September neu verhandelt werden, aber nicht in dem Sinne, dass der Bundesinnenminister schon wenige Tage nach dem Desaster die einzig richtigen Glaubenssätze zur inneren Sicherheit verkündet, sondern indem man sich seriös mit dem Für und Wider der verschiedenen Maßnahmen auseinander setzt.

Es ist Aufgabe der Politik, die Spreu vom Weizen zu trennen und festzustellen, was wirklich wirksam gegen Terrorismus ist. Im Moment scheint aber ein Wettbewerb um die härteste Politik entbrannt zu sein, in dem Argumente kaum noch zählen. Es scheint nicht einmal mehr notwendig zu sein zu begründen, weshalb Freiheitsrechte auf dem Altar der Terrorismusbekämpfung geopfert werden sollen. Viele der Vorschläge werden einfach in die Welt gesetzt, ohne überhaupt zu erklären, wie sie denn gegen den Terrorismus wirken sollen. Dies gilt zum Beispiel für die vom Kanzler wie auch vom Kollegen Wadephul favorisierte massenhafte

(Anke Spoorendonk)

Einsammlung von Fingerabdrücken, Sprachprofilen und anderen Persönlichkeitsmerkmalen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Damit meine ich, dass es jetzt erst einmal wichtig ist zu analysieren, was die bestehenden Gesetze für die Bekämpfung des Terrorismus hergeben. Immerhin sind in den letzten Jahren zig Gesetze zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geschaffen oder geändert worden. In vielen Bereichen müssen erst die bestehenden Möglichkeiten genutzt werden. Mit anderen Worten: Es geht zunächst einmal nicht um die Verschärfung von Regeln, sondern darum, die bestehenden Einrichtungen zu stärken und effektiv einzusetzen. Das heißt auch, dass es für uns nicht hinnehmbar ist, wenn vorgeschlagen wird, die Rechte der Geheimdienste auszuweiten oder die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, wenn also die Trennung von Bundeswehr, Polizei und Geheimdienst aufgehoben werden soll. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass diese Trennung zu den rechtsstaatlichen Grundprinzipien, das heißt zu den Sicherungen unserer Republik gehört. Nicht nur Elektriker wissen, was passieren kann, wenn auf Sicherungen verzichtet wird.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Ur- sula Kähler [SPD])

Wir müssen jetzt nicht in Panik die Innenpolitik neu erfinden.

(Beifall bei SSW, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade weil wir bisher keine Erfahrung mit dieser Form des Terrors gehabt haben, ist es falsch zu behaupten, dass die bisherige Politik der inneren Sicherheit völlig geändert werden muss. Es muss erst einmal zwischen Maßnahmen unterschieden werden, die den Terrorismus wirksam bekämpfen können, und Maßnahmen, die dies nur vorgeben.

Auch bei den vom Kollegen Wadephul vorgeschlagenen Ideen haben wir teilweise erhebliche Zweifel, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen im Einzelfall wirklich Terroristen stoppen können. Das gilt natürlich nicht für alles.

Eines möchten wir ganz sicher nicht, nämlich dass bei ausländischen und deutschen Bürgern unterschiedliche Rechtsmaßstäbe angewandt werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Das gilt auch für die schwierige Frage der Abschiebung. In diesem Bereich benötigen wir ganz sicher keine Verschärfung. Die bisherigen Regelungen reichen aus.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Einrichtung einer Einheit für islamischen Extremismus beim Verfassungsschutz macht vom Ansatz her Sinn, weil wir bisher keine ausreichenden Informationen über dieses Problem haben. Wir begrüßen deshalb auch dementsprechende Pläne der Landesregierung. Allerdings warnen wir schon jetzt vorbeugend davor zu glauben, dass für diese neuen Aufgaben Mittel für die Bekämpfung des Rechtsextremismus in Anspruch genommen werden können, wie es die Bundesregierung bereits vorgeschlagen hat. Es dient bestimmt nicht der inneren Sicherheit, wenn die Mittel von der Bekämpfung des Rechtsextremismus zur Bekämpfung des extremistischen Islamismus umgeschichtet werden. Skinheads schlagen in Deutschland immer noch öfter zu als extreme Islamisten.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber mit geringerer Wirkung!)

Was die Katastrophenschutz- und Alarmplanung betrifft, so muss eine Überprüfung stattfinden.

Es sind neue Gefahrenszenarien entstanden, die entsprechende Maßnahmen erfordern. Die Landesregierung hat bereits Vorhaben zur Verbesserung der Ausrüstung eingeleitet. Allerdings glauben wir nicht, dass wir durch eine personelle und sachliche Verstärkung von Organisationen des Katastrophenschutzes auf die Folgen der terroristischen Gewalt in der jetzt deutlich gewordenen Dimension vorbereitet sein können - wie es in dem CDU-Antrag steht - und müssen. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir nicht jederzeit für alles vorbeugend gewappnet sein können.

Die Bundesmittel für die Bereitschaftspolizei sind gekürzt worden. Das war falsch. Deswegen können wir der Forderung nach Erhöhung dieser Gelder nur beipflichten. Es ist absurd, wenn der Bund auf der einen Seite seinen Beitrag für die Bereitschaftspolizeien der Länder kürzt, während der Bundesinnenminister auf der anderen Seite die Aufgabengebiete für den Bundesgrenzschutz ausweiten möchte und so manche die Bundeswehr gar als Wach- und Schließgesellschaft einsetzen wollen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Wir meinen, dass die Polizeihoheit der Länder nicht ausgehöhlt werden darf.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein Fazit lautet also: Unsere freiheitliche Demokratie baut darauf, dass der Staat nur solche Maßnahmen ergreift, die wirklich notwendig sind, um ein Problem

(Anke Spoorendonk)

zu lösen, und die möglichst wenig Nebenwirkungen haben. Mit anderen Worten: Die Politik der inneren Sicherheit muss möglichst mit einem feinen Skalpell arbeiten und nicht mit dem Buschmesser, auch wenn Letzteres sicherlich tatkräftiger aussieht und mehr Eindruck schindet. Im Moment scheinen in der Innenpolitik aber markige Worte und Härte Konjunktur zu haben. Dass sich hierdurch der Terrorismus effektiv bekämpfen lässt, das wagen wir zu bezweifeln.

(Beifall bei SSW, SPD und vereinzelt bei der FDP)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich dem Innenminister, Herrn Buß.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in Schleswig-Holstein konnten und können hier in unserem Land sicher leben. Damit das so bleibt, hat die Landesregierung gestern - wir haben dazu schon Diskussionsbeiträge gehört - ein umfangreiches Sicherheitspaket verabschiedet, das die notwendige Voraussetzung schafft, damit unsere Sicherheitsbehörden den neuen Herausforderungen gewachsen sind. Ich bin der Auffassung, wir haben neue Herausforderungen, Herr Kubicki. Das Täterbild, das sich aufgrund der Anschläge ergeben hat, ist neu. Bisher sind alle Reaktionsbilder aller Polizeien davon ausgegangen - egal, ob es kriminelle oder terroristische Akte sind -, dass der jeweilige Täter oder die jeweilige Täterin am Leben bleiben will. Diese neue Dimension schafft neue Herausforderungen. Vielleicht müssen Sie sich einmal mit dem einen oder anderen Fachmann unterhalten.

Wir erhöhen die polizeiliche Präsenz durch mehr Personal. Wir verbessern die Ausstattung unter anderem dadurch, dass alle Beamtinnen und Beamten des Revier- und Streifendienstes eine persönliche und individuell angepasste Schutzweste bekommen. Wir stellen zusätzlich rund 3 Millionen € zur Verfügung, um Überstunden zu bezahlen. Wir stärken den Verfassungsschutz, damit er seine Aktivitäten im Bereich des Islamismus intensivieren kann. Der Verfassungsschutz wird Konzepte entwickeln, um den neuen Herausforderungen wirksam begegnen zu können. Ich werde sie gern in der PKK vorstellen, Herr Hentschel. Wir werden die Mittel für den Katastrophenschutz aufstocken. Wir werden die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und den Strafvollzug personell stärken und für eine bessere Sachausstattung sorgen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Beamtinnen und Beamten für ihren bisherigen anstrengenden und

engagierten Einsatz bei der Bewältigung der Einsatzlage nach den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten zu danken.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir - ich denke, wir alle, das zeigt mir Ihr Beifall wissen, welche zusätzlichen Anstrengungen unsere Landespolizei seit gut einem Monat unternimmt, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Das ist eine großartige Leistung, die ich im Namen der gesamten Landesregierung öffentlich würdigen möchte. Die Menschen in SchleswigHolstein können stolz auf ihre Polizei sein. Ich bin überzeugt, im Namen aller zu sprechen, die in unserem Land politische Verantwortung tragen, wenn ich der Polizei unseres Landes auch für die Zukunft unsere volle Unterstützung zusage.

Das Sicherheitspaket der Landesregierung leistet dazu - davon bin ich fest überzeugt - einen wichtigen Beitrag.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir werden 100 zusätzliche Anwärterinnen und Anwärter einstellen. Nun kann man das natürlich beklagen, Herr Kubicki, und sagen: Das ist alles viel zu wenig. Ich habe auch gesagt: Ganz zufrieden ist ein Fachminister nie. Aber Sie haben selber über die Schwierigkeiten gesprochen, überhaupt junge Anwärterinnen und Anwärter zu finden. Alles das, was Sie gesagt haben, ist richtig. Ich denke also, 100 ist eine realistische Zahl, die uns sehr hilft.

Ich darf die Zusammenarbeit mit Hamburg erwähnen. Ich bin von Herrn Kayenburg deswegen kritisiert worden.