Aber die Zeiten ändern sich. Es besteht heute eine besondere Gefährdungssituation, die für alle von uns sichtbar ist. Es mag sein, dass durch die Weiterentwicklung der Computertechnik sowie der Methoden der Statistik und Stochastik das an sich fragwürdige Instrument der Rasterfahndung weniger unschuldige Menschen für weniger lange Zeit in den Fahndungscomputern hängen lässt und gleichzeitig aus der Masse der Gerasterten wirklich einige potenzielle Täter herausgefiltert werden. Es kann aber auch sein, dass durch die Rasterfahndung - da zitiere ich den Berliner Staatsrechtler Kutscha - „eine Riesenzahl von Leuten mit einem Pauschalverdacht überzogen wird und die Behörden anschließend in den Daten ertrinken“. Aber das wäre zu überprüfen. Nach der Überprüfung wäre diese Maßnahme neu zu bewerten. Die Landesregierung hat diesen Auftrag dankenswerterweise aufgenommen. Aber das darf nicht vier Jahre dauern, sondern es muss in weit kürzerer Zeit geschehen;
denn wer einen starken Rechtsstaat will, der darf nicht zulassen, dass seine Maßnahmen öffentlich mit Begriffen wie „Stochern im Nebel“, „Hexenjagd“ und „Sippenhaft“ belegt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass auf Dauer ganze Studentenschaften verunsichert und muslimische Kommilitonen ausgegrenzt werden oder, wie der eben schon erwähnte Staatsrechtler Kutscha in der letzten Woche sagte, hier im Lande immer mehr Ausnahmezustände in den Normalzustand verlagert werden. Ich erwarte, dass die Mehrheit, die heute dieses Instrument in Kraft setzt, sich selbst in die Verantwortung nimmt, dieses Gesetz und seine Wirksamkeit noch in dieser Wahlperiode zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern.
Das geht leider nicht, wenn dieses Gesetz bis 2005 gelten soll. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ausreicht, diese Überprüfung nach drei Jahren durchzuführen und am Ende dieses Zeitraums, im Herbst 2004, zu einer Neubewertung dieses Gesetzes zu kommen.
Das Wort zu einem Beitrag nach § 56 Abs. 4 erteile ich dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Ausführungen des Kollegen Nabel, der den Kollegen Puls zitiert hat, ist, was die Rasterfahndung angeht, eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich denke, über die Terminfrage werden wir uns im Ausschuss noch einigen. Aber wir sollten uns - der Kollege Hentschel hat in bedenkenswerter Weise darauf hingewiesen, welch unverbrüchliche Solidarität ihn mit George Bush verbindet - an den Amerikanern ein Beispiel nehmen. Alle Gesetze, die Sie jetzt in Kraft setzen, die der Terrorismusbekämpfung dienen, sollten ein Verfallsdatum haben. Alle gehen nach fünf Jahren automatisch wieder außer Vollzug, es sei denn, es gibt eine entsprechende andere Bewertung. Dann ist auch die Sachlage ganz anders.
Die Worte des Kollegen Hentschel haben mich veranlasst, noch einmal das Wort zu ergreifen. Herr Hentschel, Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass ich hier nicht anders rede, als ich in Hamburg vor meinen Parteifreunden oder im Bundesvorstand meiner Partei reden würde oder öffentlich rede. Das unterscheidet mich dramatisch von Ihnen. Denn Sie als Grüner reden hier anders als im Kriegsrat, den Sie Parteirat nennen, oder anderswo.
Der Kollege Schlie verficht seit Jahren eine Position, die ich in vielen Bereichen nicht teile, die er aber begründet und die man einnehmen kann. Sie wird jetzt fast flächendeckend von den Sozialdemokraten und überwiegend auch von den Grünen eingenommen. Das mag Sie befriedigen, Herr Schlie, mich befriedigt das nicht.
Ich habe gesagt: Ich teile diese Position nicht. Aber ich bin gern bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen. Nach wie vor bin ich vielen Ihrer Maßnahmen gegenüber äußerst skeptisch, auch den Maßnahmen gegenüber, die die Landesregierung ins Werk gesetzt hat. Aber Sie werden nie erleben, dass ich mich hinstelle und sage: Ich bin bereit, das mitzutragen, und
das mit der Erklärung verbinde, das sei das Gelbe vom Ei, das sei das Richtige, das sei eigentlich das, was wir schon lange hätten machen sollen. Das unterscheidet uns übrigens auch von der Positionsbeschreibung der Grünen hier im Lande und auf Bundesebene. Die haben sich jahrelang gegen diese Maßnahmen gewehrt und erklären sie jetzt für das richtige Mittel, statt zu sagen: Wir geben hier einer Spannung nach.
Herr Kollege Schlie, ich fand Ihren Eindruck bemerkenswert, dass wir gegen alles seien, was nicht stimmt, dass wir Maßnahmen, die Sie vorschlagen, kritisieren, dass wir Maßnahmen, die die Landesregierung vorschlägt, kritisieren. Auch das stimmt nicht. Sie haben im zweiten Teil Ihrer Rede alles das, was ich zu den Maßnahmen der Bundesregierung gesagt habe, voll unterstützt.
In diesem Zusammenhang möchte ich dem Innenminister etwas auf den Weg geben. Ich finde es sehr toll, wie Sie das machen. Sie sagen, man muss zufrieden sein, dass man nun, positiv nach vorn blickend, etwas gemacht habe. Noch einmal: Wir müssten die Diskussion, die wir jetzt führen, gar nicht führen. Sie müssten nicht verkünden, welch ein toller Held Sie seien, was Sie dankenswerterweise ja sind. Sie müssten das aber nicht tun. Wenn Sie die Vorschläge von Union und FDP gerade bei der Frage der Personal- und Sachmittelausstattung in den letzten Jahren befolgt hätten,
dann hätten wir die 200 Polizeibeamten mehr, dann hätten wir die Ausbildungskapazitäten mehr, dann hätten wir die Strafrichter mehr, dann hätten wir einen besseren Vollzug und es müsste nicht als großes Maßnahmenbündel der Regierung verkündet werden. Das heißt, auch Sie müssen sich schon - nicht Sie als Person, sondern die Landesregierung - an den Versäumnissen der Vergangenheit messen lassen. Sie müssen der Opposition erlauben zu erklären, dass Sie die Versäumnisse zu verantworten haben und nicht wir.
Sie können heute sagen, der 11. September war der richtige Einstieg, die Debatte wieder auf die Füße zu stellen, die Sie unter anderer Gemengelage so gar nicht hätten führen können. Das wäre dann ehrlich. Aber zu sagen, dass dies Maßnahmen seien, die der Terrorismusbekämpfung dienen, das ist falsch. Sie dienen noch einmal - dem schlichten Aufholen der Versäumnisse der Vergangenheit, weil die Polizei bereits vor
dem 11. September, wie wir wissen, aus dem letzten Loch pfiff und weil die Justiz bereits vor dem 11. September 2001 erklärt hat, dass sie in vielen Bereichen überlastet ist. Nicht mehr und nicht weniger realisieren wir jetzt. Wir sollten nicht aus moralischer Überhöhung so tun, als sei das ein Kampf gegen den Terrorismus.
Ich erteile jetzt der Sprecherin des SSW im SchleswigHolsteinischen Landtag, Frau Abgeordnete Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der SSW hat zum Gesetzentwurf der Landesregierung zur Rasterfahndung einen Änderungsantrag eingebracht. Ich denke, es ist richtig, dass ich dazu noch einige Anmerkungen mache.
Zum Komplex innere Sicherheit nur so viel: In den bisherigen Redebeiträgen dürfte deutlich geworden sein, dass der SSW für eine behutsame Anpassung der Innenpolitik an die aktuelle Situation ist. Entscheidend ist, ob die gewählten Maßnahmen wirklich geeignet sind, den Terrorismus zu bekämpfen. Das habe ich schon gesagt. In diesem Sinne begrüßen wir, dass die Landesregierung auf die neuen Herausforderungen besonnen reagiert hat. Das tut sie unserer Meinung nach mit ihrem Maßnahmenkatalog.
Es ist natürlich so, dass einige professionelle Rechthaber in diesem Hause behaupten, die Aufstockung hätten sie schon immer gefordert und es habe nichts mit Terrorismus zu tun.
Auch das stimmt. Tatsache bleibt aber, dass diese Aufstockung - die vielleicht keine Aufstockung ist -, die Aufstockung bei den Anwärtern, bei der Polizei, sowie die Verbesserung des Schutzes vor ABCWaffen, die Verbesserung bei der Justiz und beim Justizvollzug dennoch die innere Sicherheit verbessern.
Jetzt zur Rasterfahndung. Denn prominentester Bestandteil dieses Pakets zur inneren Sicherheit ist die Rasterfahndung. Hier erfolgt eine vorsichtige, befristete Umsetzung dieser umstrittenen Maßnahme. Auch
wir vom SSW erkennen, dass die Erwägung der Rasterfahndung auf der Hand liegt. Denn einerseits ist es logisch, wenn man eine bestimmte Person finden will und nicht weiß, wo oder gar wer sie ist, dann definiert man Eigenarten der gesuchten Person und durchsucht anhand dieser Merkmale verschiedene Datensammlungen. Seitdem der legendäre Terroristenjäger Horst Herold bei seiner Jagd auf die RoteArmee-Fraktion in den 70er-Jahren das BKA mit Computern aufrüstete, gilt die Rasterfahndung als das Mittel der Wahl bei der Fahndung nach gewalttätigen Extremisten.
Andererseits ist die Rasterfahndung aber auch umstritten, und das aus gutem Grund. Denn werden zu enge Kriterien für die Suche angelegt, bleibt das Raster am Ende leer. Werden zu breite Kriterien angelegt, dann geraten viele unschuldige Menschen ins Visier der Fahnder. Nüchtern betrachtet sind die Erfolgsaussichten allenfalls mittelprächtig. Es können erhebliche Nebenwirkungen entstehen, wenn Unbeteiligte im Raster hängen bleiben. Das ist der Grund, warum der SSW und viele andere Menschen gegen die Rasterfahndung waren.
Allerdings müssen wir erkennen, dass wir heute in einer anderen Lage sind. Heute sprechen wir über so genannte „Schläfer“, die aus dem Ausland einwandern und kaum mit traditionellen Mitteln wie Beobachtung und verdeckter Ermittlung aufgedeckt werden können. Wenn man Terroristen in der gegenwärtigen Situation vorbeugend aufspüren will, dann ist der Griff zur Rasterfahndung leider logisch. Bei den „Schläfern“ hat sich typischerweise kein Anfangsverdacht ergeben. Möchte man diese Personen finden, dann bleiben lediglich die vagen Profile, die sich aus der Person und der Persönlichkeit bisheriger Attentäter ableiten lassen. Sie bleiben die einzige Hoffnung für die Aufdeckung unauffälliger Personen.
Der SSW hegt also auch die Hoffnung, dass die Rasterfahndung in der aktuellen Situation ein Mittel sein kann, um weitere Terroranschläge zu verhindern. Man könnte sagen, dass der Terror eine Qualität angenommen hat, die in einem gewissen Rahmen die vorbeugende Belästigung Unbeteiligter rechtfertigt, allerdings nur unter strengen Auflagen. Entscheidend bleibt, in welchen Situationen die Rasterfahndung genutzt wird, welche Daten hinzugezogen werden, nach welchen Auswahlkriterien beziehungsweise nach welchem Profil gerastert wird, welche Maßnahmen erfolgen, wenn jemand im Raster hängen bleibt, und wie lange die Ergebnisse solcher Rasterungen gespeichert werden.
Die aktuelle Lage kann grundsätzlich die präventive Rasterfahndung begründen. Das heißt aber lange noch
Wir bleiben skeptisch, was die Umsetzung und die Erfolgsaussichten dieser Maßnahmen betrifft. Deshalb begrüßen wir den Vorschlag der Landesregierung, die Rasterfahndung mit Auflagen einzuführen. Die Befristung, die richterliche Genehmigung, die Kontrolle durch das Parlament und die vom SSW vorgeschlagenen Änderungen sind Bedingungen für unsere Zustimmung zum Gesetz. Gerade weil es uns wichtig ist, dass dieses Instrument mit Bedacht eingeführt wird, haben wir einen eigenen Änderungsvorschlag eingebracht, der die Stellungnahmen des Datenschutzbeauftragten und des Kollegen Nabel mit aufgreift.
Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass die Rasterfahndung nur bei einer gegenwärtigen Gefahr begründet ist, dass die Kontrolle auch über Berichte an die Parlamentarische Kontrollkommission erfolgen soll, dass der Schutz von Berufs- und Amtsgeheimnissen präzisiert wird und die Befristung verkürzt werden muss. Die Befristung bis 2005 ist zu lang. Es muss die Möglichkeit geben, die Rasterfahndung bei Nichterfolg zeitnah abzuschaffen.
Andererseits erscheint uns der vom Kollegen Kubicki vorgeschlagene Zeitraum von weniger als zwei Jahren unrealistisch. Die Umsetzung und Evaluation der Maßnahmen wird in so kurzer Zeit, wenn man das Instrument ernst nimmt, kaum machbar sein.
Deshalb haben wir uns die vom Kollegen Nabel vorgeschlagene Befristung auf drei Jahre zu Eigen gemacht. Anderen Vorschlägen aus dem Änderungsantrag des Kollegen Kubicki - auch das möchte ich hinzufügen - können wir ohne weiteres zustimmen.
Insgesamt können wir mit diesem Gesetzentwurf und unseren Änderungen neue Wege erproben, ohne mit unausgegorenen Lösungen vollendete Tatsachen zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen es uns zu einfach, wenn man sagt: Die Befristung hat nur Symbolfunktion. Denn im Grunde genommen wissen wir nicht, was wir mit diesem Instrument anfangen. Darum muss es evaluiert werden und wir müssen uns es von vornherein zugestehen, dass es dazu kommen muss. Wenn wir feststellen, dass die Rasterfahndung nichts bringt, wird sie in drei Jahren - hoffentlich wieder Geschichte werden. Auch das müssen wir den Menschen im Lande von vornherein klarmachen.