Meine Damen und Herren, es gab in den 60er-Jahren ich wiederhole das - einen Problemtypus der Bildungspolitik: das war das katholische Mädchen in Bayern vom Lande.
Wenn wir heute einen Problemtypus aufgrund der PISA-Studie beschreiben sollten, dann ist es der 15jährige türkische Junge aus der Großstadt. Das ist so.
- Wissen Sie, ich glaube, den Fehler sollten wir jetzt nicht machen, Frau Strauß. Ich komme auf die Frage, wie wir jetzt gemeinsam damit umgehen, noch zurück.
In vielen Fällen ist die Zuweisung zu den einzelnen Schularten problematisch. Manch ein Realschüler könnte durchaus auf dem Gymnasium sein und umgekehrt. Ein Beispiel für diese Überlappung ist der Befund - wiederum beim Lesen -, Hauptschülerinnen lesen im Durchschnitt genauso viel - oder mehr - wie gleichaltrige Jungen im Gymnasium.
Meine Damen und Herren, das waren ausschnitthafte Befunde, aber ich glaube, es waren durchaus die wichtigsten. Die PISA-Studie stellt uns allen - der gesamten Gesellschaft - ein schlechtes Zeugnis aus.
Die Ursachen dafür sind komplex, so komplex wie die 500 Seiten dieses Berichts, die gewiss der eine oder andere, der sich so freimütig äußert, noch gar nicht zur Kenntnis genommen hat.
Zwei Bereiche will ich herausgreifen. Wer das nicht mit sieht, Herr Kayenburg - mit Verlaub! -, oder dieses Ergebnis nur auf bildungspolitische Entscheidungen zurückführt, der springt wirklich zu kurz und hat
Der erste Befund ist: Diese Gesellschaft fällt auseinander. Es gibt genügend empirische Befunde außerhalb von PISA, die dies belegen
von den Armutsberichten bis zur Shell-Jugendstudie. Wenn Sie dies nicht zur Kenntnis nehmen, dann leiten Sie daraus eine falsche Politik ab. Die soziale Integration in Deutschland funktioniert mangelhaft und sie schlägt voll auf die Schulen durch. Wir öffnen die Schule zwar für benachteiligte Kinder, aber wir fördern die Kinder nicht genug. Dies gilt insbesondere für Migrantenkinder. Das finde ich dramatisch.
Das kulturelle Klima hat etwas mit Leistungsunlust, mit Bequemlichkeit, mit Konsumdenken, mit Beliebigkeit zu tun und damit ist es auch nur andeutungsweise beschrieben. Auf der Werteskala junger Menschen sie spiegelt nur das wider, was die Werteskala der Erwachsenen ist - stehen Leistung, Anstrengung und Bildung ziemlich weit unten in dieser Gesellschaft. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und daraus die Konsequenzen ziehen.
(Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])
Wir haben viel zu spät darüber nachgedacht, was die neue Bequemlichkeit, was die Leistungsunlust, was das Konsumdenken für dramatische Folgen hat.
Dazu gehört für mich trotz Harry Potter die Entwertung des Mediums Buch. Ich weiß nicht, ob Lesekompetenz - so hat es der Professor Baumert, der deutsche Koordinator der Studie ja genannt - tatsächlich nur so etwas ist wie das kulturelle Kleingeld. Ich glaube, nur wer lesen kann, kann auch selbstständig denken. Deshalb glaube ich, dass Lesekompetenz vielleicht das Sparbuch, wenn nicht gar der Schlüssel zur Zukunft ist.
So wenig wie es einen Schuldigen gibt, gibt es auch nicht das eine Patentrezept. Wer dies meint, springt wirklich zu kurz und beschäftigt sich nicht genug mit dem Thema.
PISA bescheinigt ja im Gegensatz zu allen Vorgängerstudien nicht nur der Schule, sondern auch den Schülerinnen und Schülern schlechte Noten. Sie berücksichtigt eben neben den intellektuellen Leistungen auch die familiären Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb und sie verknüpft diese miteinander. Erst in dieser Koppelung liegt der Sprengstoff dieser Studie.
So komplex die gesamtgesellschaftlichen Ursachen sind, so präzise sind die Analysen, die auf den schulischen Bereich verweisen: auf eine unzureichende Gestaltung des Unterrichts und damit auf die mangelnde Ausbildung der Lehrkräfte, auf eine zu spät einsetzende und unzureichende Frühförderung, auf unsere Schullaufbahnregelungen und auf den Einschulungszeitpunkt, auf zu wenig Lernzeit am Nachmittag, auf mangelnde Förderung der Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten sozialen Schichten und - ich füge hinzu - von Hochbegabten.
Hier müssen die schulischen Maßnahmen ansetzen, hier muss es zu neuen Regelungen, zu neuen Ausbildungsinhalten und -ansätzen kommen, die zügig und so betone ich - sorgfältig auf den Weg gebracht werden müssen.
Erstens. Die Diagnose von PISA muss zum Handlungsleitfaden für die Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer werden. Die Ausbildung muss praxisnäher, die Weiterbildung muss verpflichtend werden.
Zweitens. Die Lernzeiten sind intensiver zu nutzen durch ergänzende Angebote, durch vermehrte Förderung in der Grundschule und im vorschulischen Bereich. Hier bedarf es einer Initiative „Schule und Kindergarten“, die ich gemeinsam mit der Sozialministerin auf den Weg bringen will.
Drittens. Wir müssen unsere Schullaufbahnregelungen überprüfen. Das betrifft den Einschulungszeitpunkt, das betrifft die Klassenwiederholung und das betrifft die Übergangsentscheidungen. Die Durchlässigkeit unseres Systems steht hier auf dem Prüfstand.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin mir sehr bewusst, dass dies der schwierigste Komplex ist, den wir da zu bearbeiten haben werden.
Ich kann mir hier beliebig viele ideologische Kleinkriege vorstellen, die da geführt werden müssen. Ich wünsche mir allerdings, dass dies nicht der Fall sein wird, sondern dass wir kindgerechte und sachgerechte Lösungen gemeinsam miteinander finden werden.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])
Viertens. Ganztägige Angebote müssen mit dem Ziel von mehr Lernzeit und von mehr Förderung Benachteiligter ausgebaut werden.
Fünftens. Ein solides wissenschaftliches Fundament ist vonnöten. Die Lehr- und Lernforschung und die fachdidaktische Forschung müssen an den Hochschulen verstärkt werden.
Meine Damen und Herren, abschließend und nicht zuletzt sage ich zum Raster der Priorität: Der einmal eingeschlagene Weg der Qualitätsentwicklung mithilfe von interner und externer Evaluation muss weitergegangen werden, und zwar mit dem Ziel, Standards zu sichern - nicht in dem Sinne, wer kann wann das große Einmaleins oder die unregelmäßigen Verben, sondern in dem Sinne von Anwendungswissen und Anschlusswissen. Das sind die entscheidenden Fragen, um die es geht.
In allen Schulstufen muss es und wird es in SchleswigHolstein verbindliche Zielsetzungen und Standards geben, die den Schulen selbst zur Überprüfung ihrer Leistungen dienen sollen, die wir aber auch von außen überprüfen werden. Wir werden den Weg der Eigenverantwortung der Schulen in Schleswig-Holstein nicht umkehren, aber wir werden ihn ergänzen um die Kontrolle der Schulqualität von außen.
Nicht überall müssen wir wahrlich bei null anfangen. Die Reform der Lehrerbildung, das IPTS sind auf den Weg gebracht, eine Fülle von erfolgreichen Modellversuchen zeigen Wege zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts. Dies muss in die Breite gehen. Der Einstieg in mehr Ganztagsangebote beginnt, die Hauptschulen gehen neue Wege und werden dabei intensiv unterstützt.