Protokoll der Sitzung vom 07.06.2000

(Widerspruch der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

in den Ausschüssen beraten. Deswegen plädiere ich für die Ausschussüberweisung des F.D.P.-Antrages. Ich freue mich auf die weitere Debatte.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat Frau Abgeordnete Brita Schmitz-Hübsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der Biotechnologie und ihrem Folgekapitel Gentechnologie scheiden sich in unserem Land noch immer die Geister. Die einen haben längst die Zukunftsbedeutung dieser Technologien für das Wohl der Menschen und ihre Arbeitsplätze erkannt, die anderen beschäftigen sich nach wie vor im Wesentlichen mit den Ängsten, die diese Technologien bei der Bevölkerung hervorrufen können.

(Widerspruch der Abgeordneten Irene Fröh- lich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Weber, Sie haben eben so hoffnungsvoll angefangen und gesagt, welche guten Startbedingungen in diesem Land angeblich herrschen, im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie sich jedoch im Wesentlichen mit den Ängsten beschäftigt. Das ist bedauerlich und deswegen kommen wir hier leider nicht voran.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch des Ab- geordneten Konrad Nabel [SPD])

Das Schüren von Ängsten geht hin bis zur Desinformation. Ein Flensburger Professor erzählte mir vor ein paar Jahren, er habe auf dem Holm eine Gruppe von Gentechnologie-Gegnern gesehen, die ein Transparent dabei hatten mit der Aufschrift „Wir fordern Lebensmittel ohne Gene“.

(Heiterkeit)

Er habe diese Leute erst einmal über die von wenig Sachkenntnis getrübte Forderung aufgeklärt.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Herr Hentschel, der im Moment leider nicht im Raum ist

(Unruhe)

- ich sehe Herrn Hentschel nicht -, besitzt natürlich bessere Kenntnisse in der Bio- und Gentechnologie,

doch auch er übt sich im Schüren von Ängsten: „Die Geschichte der modernen Industrie ist eine Geschichte der Unfälle“, warnte er laut „Kieler Nachrichten“ vom 27. Mai dieses Jahres.

Die Geschichte der Fortschritte der modernen Industrie dagegen ist ihm nicht erwähnenswert: Die moderne Industrie hat zu einem Wohlstand für alle geführt, zu einer Fortschrittsmedizin, die - zumindest in Deutschland - der gesamten Bevölkerung zur Verfügung steht, und zu einer Erhöhung der Lebenserwartung, die allmählich an das 80. Lebensjahr heranreicht, vor allem für die Frauen, die das meiner Meinung nach auch verdient haben - und das, obwohl ein Drittel der Bevölkerung das 60. Lebensjahr nicht erreicht.

(Unruhe)

Trotzdem leugnen die Grünen den technischen Fortschritt für unser Land, der zur Verbesserung der Lebenssituation der gesamten Bevölkerung geführt hat. Sie wollen nicht wahrhaben, dass Bio- und Gentechnologie Schlüsseltechnologien für die Entwicklung unseres Landes sind, wie es einst die Chemie gewesen ist. Stattdessen überschreiben sie eine Presseerklärung mit der Überschrift „Gen-Veto für das Land“. Vielleicht kann mir einmal jemand erklären, was das sein soll. Wollen Sie ein entkerntes Schleswig-Holstein, ohne Menschen, ohne Tiere, ohne Bäume, ohne Pflanzen, in dem nichts mehr sein soll, wo Gene drin vorkommen? Was soll so ein Blödsinn? Wie kann man so eine Überschrift über eine Presseerklärung der Fraktion setzen! Das verstehe ich nicht, Herr Nabel.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Sie fordern weiter eine Landesaufsichtsbehörde zur Kontrolle, Risikoabschätzung und Klärung ethischer Fragestellungen. Hier soll eine neue Behörde geschaffen werden, die nur eine Aufgabe hat: Unbequeme Entscheidungen in Bezug auf eine ideologisch negativ befrachtete Technik sollen den von den Parteien aufgestellten und vom Volk gewählten Abgeordneten abgenommen werden. Sie drücken sich damit vor der Verantwortung eines Volksvertreters, repräsentativ für die Bevölkerung Entscheidungen treffen zu müssen. Dafür sind sie gewählt worden. Das gleiche Phänomen hatten wir in der letzten Legislaturperiode schon einmal, nämlich bei der Enquetekommission zur Gentechnologie. Auch da wurde auf Zeit gespielt. Herr Weber, es stimmt nicht, der Abschlussbericht der Enquetekommission ist sehr wohl in den Ausschüssen beraten worden. Im Wirtschaftsausschuss ist

(Brita Schmitz-Hübsch)

der Bericht in der letzten Legislaturperiode behandelt worden.

(Jürgen Weber [SPD]: Das ist der einzige Ausschuss!)

- Ja, der Wirtschaftsausschuss war sich eben seiner Verantwortung bewusst.

Das Land Schleswig-Holstein liegt in der Anwendung der Bio- und Gentechnologie im Vergleich zu anderen Bundesländern weit zurück - weit zurück! Rechtzeitig zu der heutigen Debatte erschien die Ausgabe 30 des Informationsmagazins der Technologiestiftung Schleswig-Holstein, aus der eben schon Frau Happach-Kasan zitiert hat. Dort beschreibt der scheidende Direktor Friebe, wie die Technologiestiftung bereits 1994 - also vor sechs Jahren - eine Studie in Auftrag gegeben hatte, die das Potential für die wirtschaftliche Nutzung der Biotechnologie in Schleswig-Holstein sondieren sollte.

(Anhaltende Unruhe)

In dem Informationsmagazin heißt es wörtlich:

„In ihrer Funktion als tragende Säule der Gentechnik fand die Biotechnologie jedoch kaum gesellschaftliche Akzeptanz. Daher verhielten sich auch Unternehmer und Wissenschaftler einer Projektpräsentation gegenüber zurückhaltend. Die Erhebungen gestalteten sich schwierig. Ein Wandel setzte erst mit dem vom BMBF ausgeschriebenen BioRegio-Wettbewerb ein.“

Der letzte Satz ist richtig, aber er ist nur die halbe Wahrheit. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass sich die schleswig-holsteinische Landesregierung erst nach mehrfachen Ermahnungen durch den damaligen CDUFraktionsvorsitzenden Dr. Hennig auf den Weg zur Teilnahme an diesem innovationsfördernden Wettbewerb gemacht hatte. Durch das lange Zögern drohte Schleswig-Holstein den Anschluss zu verlieren.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir begrüßen den Antrag der F.D.P. und werden ihm zustimmen. Dabei meinen wir, dass er mit seinen sanften Forderungen nach vermehrter Forschung im grünen Gentechnikbereich auch die Zustimmung der Regierungsfraktionen finden müsste. Wir meinen aber, dass wir in Zukunft noch häufiger über dieses Thema diskutieren müssen. Die Frage eines zentralen Gründer- und Innovationszentrums, wie von uns bereits vor zwei Jahren gefordert, von ihnen abgelehnt, ist noch nicht endgültig geklärt. Die Landesregierung will inzwischen drei vorhandene kleine Zentren ausbauen. Die Technologiestiftung befürwortet eher ein großes Zentrum in der

Nähe einer Hochschule. Das entspricht der Forderung der CDU. Wenn wir überhaupt noch den Anschluss an die übrigen Bundesländer wiederfinden wollen, müssen wir heute mutige Entscheidungen treffen und in die Zukunft investieren. „Nicht kleckern, sondern klotzen“, muss die Devise lauten.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält jetzt Frau Abgeordnete Irene Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1996 führt die Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft Hamburg als erste deutsche Forschungsstätte ein Freisetzungsvorhaben von gentechnisch veränderten Gehölzen auf dem Gelände des Forstgenetischen Instituts in Großhansdorf durch. 480 genmanipulierte Zitterpappeln und 180 unveränderte Kontrollpflanzen sollen fünf Jahre lang beobachtet werden. In diesem Versuch soll über mehrere Jahre beobachtet werden, ob ein künstlich eingebautes Merkmal in langlebigen Forstpflanzen überhaupt erhalten bleibt. Zwei Jahre zuvor hatte die Universität Hamburg einen Freisetzungsversuch mit genetisch veränderten Kartoffeln aufgegeben, weil sie unter anderem die Frage der Hamburgischen Bürgerschaft nicht beantworten konnte, wie sie sich denn das risikolose Nebeneinander von Genkartoffeln und biologischem Landbau auf dem benachbarten Staatsgut Wulfsdorf vorstelle.

Im Bereich der Grundlagenforschung mit gentechnisch veränderten Tieren stellte sich heraus, dass zum Beispiel ein Frostresistenzgen, das Lachsen in norwegischen Zuchtfarmen verabreicht wurde, zu unvorhergesehenem Riesenwuchs führte. Über die gewünschte Frostresistenz wurde nichts berichtet. Selbstverständlich sind diese veränderten Gene nicht mehr rückholbar und bedrohen die genetische Vielfalt der Wildlachse. Im Erbgut von 90 % der norwegischen Wildlachse ließen sich Kreuzungen mit frei gekommenen Mastlachsen nachweisen. Guten Appetit an alle Feinschmecker!

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, dann komme ich mit meiner Zeit nicht aus. Tut mir Leid.

Obwohl Auskreuzungen von Hybridpflanzen immer als höchst unwahrscheinlich eingeschätzt wurden, musste man zur Kenntnis nehmen, dass diese nachgewiesen wurden. Uns allen sind die wider Erwarten blühenden Pappeln in Erinnerung. Auch sonst gibt es immer wieder mehr oder weniger unliebsame Überraschungen, zum Beispiel seinerzeit bei dem Petunienexperiment. Und kürzlich musste die Firma „Monsanto“ einräumen, dass unbeabsichtigt und unerwartet in einem schon seit Jahren freigesetzten gentechnisch veränderten Soja zusätzliche Sequenzen entdeckt wurden. Auf die verunreinigte Saatgutlieferung kommen wir ja noch zu sprechen.

So viel also zu den Risiken. Nun sollen wir nach dem Willen der F.D.P.-Fraktion die Landesregierung, die sich bisher mit berechtigter Skepsis im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu warnenden Stellungnahmen veranlasst sah, auffordern, nicht nur Forschungen in Hochschulen zu fördern, sondern auch in Unternehmen. Und Frau Schmitz-Hübsch hat uns noch einmal mit noch mehr Druck die wirtschaftliche Bedeutung und die Expansionsbedürftigkeit dieser ganzen Technologie dargestellt.

(Zuruf der Abgeordneten Brita Schmitz- Hübsch [CDU])

Ich stimme dem natürlich nicht zu, aber ich werde Ihnen jetzt darstellen, warum. Mich wundert, wie eine ernst zu nehmende und wissenschaftliches Arbeiten gewöhnte Politikerin wie Frau Happach-Kasan einen solchen Antrag formulieren kann.

(Zurufe von CDU und F.D.P.: Oh, oh!)

Immerhin sieht die oben angesprochene Freisetzung in Großhansdorf einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren vor und wäre 2001 abgelaufen. Danach könnte man allenfalls die dort gemachten Erfahrungen auswerten und gegebenenfalls zu dem Schluss kommen, dass zu weiteren Befürchtungen kein Anlass bestehe, man also getrost in eine weitere Entwicklung und Förderung einsteigen könne - wohlgemerkt ein Konjunktiv! Allerdings wäre auch diese Annahme ziemlich euphorisch, denn Auswirkungen auf das Ökosystem zeigen sich nach Meinung von Fachleuten erst in längeren Zeiträumen. Ich zitiere dazu aus einer Pressemitteilung des Umweltbundesamtes vom 3. November 1995:

„Spätestens anlässlich der Waldschadensdiskussion ist auch Außenstehenden klar geworden, dass die Komplexität ökosystemarer Zu

sammenhänge der Lebewesen untereinander sowie mit ihrer unbelebten Umwelt in vielen Fällen nicht einmal ansatzweise erforscht ist. Wie viel weniger kann man verlässliche Vorhersagen über das Verhalten künstlicher neu eingebrachter Organismen treffen.“

Mit den Einzelpunkten des Antrages will ich mich nur ganz kurz beschäftigen. Ich will aber sagen, ich finde, wenn die neue Liberalität darin besteht, bedenkenlos neue Risiken einzugehen und das womöglich mit Freiheit zu verwechseln, dann sind gerade die Zukunftsfragen unserer Demokratie in der Spannung von Freiheit und Verantwortung, von Individualität und gesellschaftlicher Verpflichtung, nicht einmal annähernd erfasst.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das sind doch alles Worthülsen!)

Liberalität im Westentaschenformat, so nenne ich das. Und ich kann eine Hildegard Hamm-Brücher verstehen, die sagt, heutzutage würde sie in die Partei der Grünen eintreten und nicht mehr in die der F.D.P.

(Günther Hildebrand [F.D.P.]: Wenn sie Sie kennen würde, würde sie das nicht sagen! - Heiterkeit bei der F.D.P.)