Protokoll der Sitzung vom 07.06.2000

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen ist es ein wenig misslich, wenn die Verbände davon sprechen, die Zivildienstleistungen seien in der Arbeit der Wohlfahrtsverbände und im sozialen Versorgungssystem eine feste Größe. Sie beschreiben die Realität und sie beschreiben ein Stück weit die Fehlentwicklung, die die Kollegin vom SSW eben angesprochen hat.

Deshalb können wir die Fragen auch nicht lösen - das klingt in mancher Diskussion und manchem Zei

(Ministerin Heide Moser)

tungsbericht ein bisschen an -, indem wir das Land oder die öffentliche Hand fragen, wie es oder sie sich in der Lage sieht, sozusagen diesen Aushilfskräftepool „Zivildienst“ zu ersetzen, falls er im Zuge der Reduzierung der Zahl der Wehrdienstleistenden nicht mehr ausreichend Personal enthält.

Aus meiner Sicht stellen sich andere Fragen, nämlich die nach dem Stellenwert und den Bedingungen für freiwilliges soziales Engagement - die Ausweitung des Freiwilligen Sozialen Jahres ist hier schon angesprochen worden - oder andere vergleichbare Freiwilligendienste, die selbstverständlich mit der entsprechenden Attraktivität ausgestattet sein müssen. Es muss nicht zwangsläufig nur staatlich finanzierte Formen sozialen Engagements geben, auch nicht in diesem Bereich.

Liebe Kollegin vom SSW, es ist eine andere Qualität, ob ein Zivildienstleistender entlastend arbeitet, sozusagen nicht fachlich, nicht professionell, oder ob zusätzliches professionelles Personal eingestellt wird. Es hat eine andere Qualität. Die wüsste ich gern erhalten.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Das Anliegen um die gesellschaftliche Funktion, die Qualität und Menschlichkeit in der sozialen Versorgung, das sollte unserer Leitgedanke bei den Beratungen sein. Wir dürfen nicht allein auf Zwangsverpflichtung setzen. Insofern gebe ich Herrn Geerdts, der ein bisschen in diese Richtung tendierte, nicht Recht. Wir werden uns zu diesen Grundsatzfragen im Bericht äußern und in den anschließenden Diskussionen - so hoffe ich - Lösungen erarbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Bevor wir in die Abstimmung eintreten, sage ich zur Erinnerung: Es handelt sich um einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen, der nicht in schriftlicher Form vorgelegt, sondern in mündlicher Form vorgetragen worden ist. Deswegen wiederhole ich ihn noch einmal. Ausgehend vom Grundantrag, Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/129 (neu), lautet er wie folgt:

In der ersten Zeile werden die Wörter „5. Tagung“ durch die Wörter „6. Tagung“ ersetzt. Absatz 2 des Antrags der Fraktion der CDU wird ersetzt durch Absatz 2 des Antrags von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 15/153. Im dritten Absatz des Antrags Drucksache 15/129 (neu) wird der Begriff „Sozialhilfeträger“ gestrichen und durch den Begriff „Träger“ ersetzt.

Wer diesem gemeinsamen Antrag in der Sache seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein deutliches Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen und der Tagesordnungspunkt 16 erledigt.

Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 6 kommen, will ich noch eine geschäftsleitende Anmerkung machen. Im Foyer hat die Aktion „Schüler helfen Leben“ einen Informationsstand aufgebaut. Sie freut sich über jeden Abgeordneten, der diesen Informationsstand besucht.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 6 auf:

Wahl der Mitglieder des Landtages für den Richterwahlausschuss

Wahlvorschlag der Fraktion der F.D.P.

Drucksache 15/12 (neu)

Wahlvorschlag der Fraktion der CDU

Drucksache 15/44

Wahlvorschlag der Fraktion der SPD

Drucksache 15/77

Wahlvorschlag der Fraktionen von SPD und CDU

Drucksache 15/152

Ich weise darauf hin, nach §§ 12 und 13 des Landesrichtergesetzes für diese Wahlen eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.

Ich lasse über die Wahlvorschläge insgesamt abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um sein deutliches Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Damit haben die Wahlvorschläge die notwendige Zweidrittelmehrheit erreicht, denn es ist Einstimmigkeit gegeben. Die Wahlvorschläge sind somit angenommen.

(Beifall der Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD] und Thorsten Geißler [CDU])

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 11 auf:

Bericht der Landesregierung zum Justizvollzug in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der F.D.P.

Drucksache 15/120

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der F.D.P., dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat:

„Überfüllte und veraltete Gefängnisse, überlastetes Personal und immer mehr schwierigere Häftlinge - die Probleme des Strafvollzugs in Schleswig-Holstein sind gewaltig. Das belegt eine interne Analyse des Kieler Justizministeriums, die den ‘LN’ vorliegt. Eigentlich müsste sofort gehandelt werden..."

So war es Anfang des Monats bereits in der Zeitung zu lesen. Offenbar hat die F.D.P.-Fraktion mit ihrem Berichtsantrag vom Mai zum Justizvollzug in Schleswig-Holstein schlafende Hunde geweckt. Die Lage scheint desolater zu sein als befürchtet - und die Verantwortlichen scheinen das auch schon zu wissen. Jedenfalls hat die neue grüne Justizministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin bereits bei ihrem Antrittsbesuch in der JVA in Kiel im April laut werden lassen, dass „die Zellen dringend menschenwürdiger“ gemacht werden müssen, so nachzulesen in den „Kieler Nachrichten“ vom 8. April 2000.

„Menschenwürdiger“! - Demnach leben Gefangene in Schleswig-Holstein zurzeit in menschenunwürdigen Anstalten, arbeitet das Personal in einer menschenunwürdigen Umgebung. Kaum vorstellbar - jedenfalls nicht für Ministerpräsidentin Heide Simonis, zu der sich diese Situation noch nicht herumgesprochen zu haben scheint. In ihrer Regierungserklärung von Mitte Mai lobte sie noch munter den modernen Justizvollzug in Schleswig-Holstein. Ich zitiere:

„Unsere liberale und bürgernahe Justizpolitik ist seit Jahren ein Erfolg.“

Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass die meisten Gefängnisse in Schleswig-Holstein allein aufgrund ihrer mittlerweile fast 100-jährigen Bausubstanz dringend modernisiert werden müssen. Bereits Gerd Walter hat die Sanierung des Justizvollzugs stets als Schwerpunktthema definiert und die Mängel beklagt.

Warum also dieses Schönreden der Landeschefin, statt den Fakten ins Auge zu sehen und ihnen wirkungsvoll zu begegnen?

Hier wollen wir, hier will die F.D.P.-Fraktion mit ihrem Berichtsantrag einen Anfang machen. Um wirklich einen modernen Justizvollzug in SchleswigHolstein durchführen zu können, können wir nicht länger um den heißen Brei herumreden, sondern müssen den Ursachen und Problemschwerpunkten zügig auf den Grund gehen, um zu wirklichkeitsnahen Lösungen kommen zu können - im Interesse aller Be

troffenen, das heißt der Gefangenen, des Personals, auch der Opfer.

Die angespannte finanzielle Situation des Landes wird uns diese Aufgabe sicherlich nicht erleichtern. Umso wichtiger erscheint es mir für die weitere justizpolitische Debatte, die erforderlichen Informationen möglichst schnell zusammenzubekommen. Auf der Grundlage dieser Informationen - Kollege Geißler wollen wir dann gern konstruktiv dazu beitragen, die ohne Frage notwendigen Änderungen im Justizvollzug auf den Weg zu bringen, um wieder zu einem „menschenwürdigeren“ Justizvollzug in Schleswig-Holstein zurückzukehren.

In unserem Berichtsantrag geht es uns insbesondere um eine Darstellung der Situation der Gefangenen, der baulichen Situation der Justizvollzugsanstalten und der Personalsituation in den Anstalten. Mit Spannung erwarten wir dabei vor allem die Ausführungen der Justizministerin zur Gefangenenentlohnung. Bislang ist noch nicht absehbar, wie die Bundesregierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 umsetzen will, wonach die Stellung der Strafgefangenen dadurch gestärkt und ihre Resozialisierung erleichtert werden soll, dass die von ihnen geleistete Arbeit auch die „angemessene Anerkennung“ - sprich die angemessene Entlohnung - findet.

Ohne Frage werden jedoch die Länder, die für den Strafvollzug zuständig sind, daran ihr Päckchen zu tragen haben, auch Schleswig-Holstein. Ich bin gespannt, welche Position hierzu die grüne Justizministerin einnimmt und wie sie sie gegebenenfalls finanzieren will.

Für die F.D.P.-Fraktion jedenfalls steht außer Frage, dass es zu einem liberalen und humanen Strafvollzug dazugehört, nicht nur die Gesellschaft vor den Straftätern zu schützen, sondern auch den Straftätern bestmöglich ihre gesellschaftliche Wiedereingliederung zu ermöglichen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Einen wesentlichen Beitrag kann der Täter-OpferAusgleich bringen. Er setzt aber geradezu voraus, den abgeurteilten Straftäter auch in die Lage zu versetzen, diesen Ausgleich überhaupt leisten zu können. Ohne eine angemessene Anerkennung der von ihm geleisteten Arbeit - auch in der Gefangenenzeit - ist dies schlicht nicht möglich.

(Beifall der Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

(Wolfgang Kubicki)

Moderner Strafvollzug setzt darüber hinaus aber auch zumutbare bauliche Bedingungen sowie eine angemessene personelle Situation voraus. Das ist deshalb besonders dringend, weil - ich muss einmal den technischen Begriff gebrauchen - die „Gefangenenpopulation“, die Zusammensetzung der Strafgefangenen in Haftanstalten, immer schwieriger wird und deshalb für das Personal extrem erhöhte Belastungen zu verzeichnen sind. Wir sind uns einig, das „Wegschließen“ heute keine Lösung mehr ist. Umso mehr hoffe ich, dass sich in dem Bericht neben Hinweisen zur Verbesserung der baulichen Situation auch Auskünfte zur Personalplanung finden werden. Schon jahrelang sind die Bediensteten im Justizvollzug die „vergessenen Kinder“ - oder jedenfalls fühlen sie sich so. Personalstrukturmaßnahmen wie etwa die Einführung einer zweigeteilten Laufbahn müssen zumindest auch für den Justizbereich angedacht werden, wenn man den Menschen dort eine berufliche Perspektive geben will.