Protokoll der Sitzung vom 07.06.2000

Tatsächlich ist es doch vielmehr so, dass aufgrund der gewachsenen Strukturen im Kranken-, Alten- und Pflege- oder im Umweltbereich jede Verkürzung des Zivildienstes bereits in der Vergangenheit zu erheblichen personellen Problemen bei den betroffenen Einrichtungen geführt hat. Viele soziale Leistungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten waren in der Intensität überhaupt nur möglich, weil es Zivildienstleistende gab.

(Beifall der Abgeordneten Günther Hilde- brand [F.D.P.] und Lothar Hay [SPD])

Nicht nur die Zivildienstleistenden selbst wurden immer mehr, sondern auch deren Aufgabengebiete wurden permanent erweitert. Mit jeder Reduzierung der Zivildienstdauer wurde stets die Frage nach der Sicherstellung der Versorgung und ihrer Qualität laut. Heute stehen wir wieder vor demselben Problem, nur möglicherweise könnte es heute eine völlig neue Dimension annehmen. Allein durch die jetzt vorgesehene Reduzierung verringert sich die Zahl der Zivildienstleistenden bundesweit von derzeit 138.000 auf 124.000 pro Jahr. Für Schleswig-Holstein umgerechnet bedeutet dies konkret einen Verlust von 350 Zivildienstleistenden im Jahr. Das Diakonische Werk Württemberg geht in einer Studie davon aus, dass sechs bis sieben Vollzeitmitarbeiter zehn Zivildienstleistende ersetzen könnten. Auf schleswigholsteinische Verhältnisse übertragen hieße das, zur Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Versorgungsniveaus müssten zusätzlich 245 Vollzeitkräfte den Ausfall kompensieren. Diese kosten aber nicht nur rund das Doppelte eines Zivildienstleistenden im Monat, sondern die gesamten Personalkosten müssten bei unveränderter Rechtslage vollständig von den jeweiligen Einrichtungen komplett selbst getragen werden.

Gesellschaftspolitisch stehen wir vor dem Problem, wie wir den gegenwärtigen Standard bei der Pflege und Betreuung kranker, pflegebedürftiger, behinderter oder alter Menschen aufrechterhalten; von den auch hier immer wieder diskutierten Verbesserungen will ich in dem Zusammenhang gar nicht sprechen. Wie stellen wir das gegenwärtige Niveau der Kinder- und Jugendarbeit sicher? Wie wollen wir in Zukunft Dienstleistungen für den Tier- und Umweltschutz im bisherigen Umfang gewährleisten? Und natürlich: Wie und wer soll diese Leistungen in Zukunft eigentlich finanzieren?

Die Antwort auf meine Kleine Anfrage „Zivildienst in Schleswig-Holstein“ zeigt zumindest, dass wir von einer umfassenden Bestandsaufnahme noch weit entfernt sind. Ich halte aber gerade die Bestandsaufnahme für dringend erforderlich und - lieber Kollege Baasch - auch den Ausblick. Deshalb finden wir, dass

(Dr. Heiner Garg)

Ihr Antrag schlicht zu kurz greift, weil er sich ausschließlich auf die momentan anstehende Reduzierung um zwei Monate bezieht. Ich möchte Sie daher herzlich bitten, sich zu überlegen, ob wir nicht die Teile des Unionsantrages, dem die F.D.P. ansonsten zustimmen wird, mit Ihrem Antrag zu einer gemeinsamen Initiative zusammenbringen können.

(Beifall des Abgeordneten Joachim Behm [F.D.P.])

Anderenfalls wird die F.D.P.-Fraktion selbstverständlich dem Unionsantrag zustimmen, weil wir das ganze Blickfeld weiter öffnen wollen.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute wieder über einen Berichtsantrag, den wir kommentieren sollen. Das finde ich immer ein bisschen misslich. Meiner Meinung nach reicht es, im Plenum dann zu debattieren, wenn der Bericht vorliegt. Aber wir machen das an dieser Stelle wieder einmal so. Es mag ja auch gut sein, wenn man auch im Schleswig-Holsteinischen Landtag das Augenmerk noch einmal deutlich darauf richtet, was sich in Sachen Zivildienst, der ja mit dem Wehrdienst direkt zusammenhängt, eigentlich tut und was wir da bedenken müssen.

Mir geht allerdings der CDU-Antrag nicht weit genug. Erstens zählt er nur bestimmte Bereiche auf - Sozialarbeit, Jugendarbeit, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen - und lässt außen vor, dass es Zivildienstleistende auch in Kultureinrichtungen, Naturschutzeinrichtungen und vielen anderen Bereichen mehr gibt. Das ist hier schon angesprochen worden. Das ist aus meiner Sicht eine Verkürzung. Deswegen habe ich damit meine Schwierigkeiten und deswegen haben wir auch einen eigenen Antrag eingebracht.

(Günther Hildebrand [F.D.P.]: Da stehen die aber auch nicht drin!)

Zweitens geht aus dem CDU-Antrag hervor, dass gewissermaßen still, heimlich und leise vorausgesetzt wird, dass Zivildienstleistende praktisch normale Arbeit ersetzen, das heißt, die gebotene arbeitsmarktpolitische Neutralität für die CDU offensichtlich kein Punkt ist. Sie gehen automatisch davon aus, dass an dieser Stelle volle Arbeit geschaffen wird, und zwar

erledigt durch Zivildienstleistende. Das widerspricht aber dem Geist und Charakter des Zivildienstes.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich mittel- bis langfristig dafür ein, dass alle Zwangsdienste abgeschafft werden. Sie sind nach Meinung von Friedensforschern angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage nicht nur nicht mehr zulässig, sondern nach Meinung des Chefs des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs, Thomas Straubhaar, beispielsweise auch ineffizient, weil sie die Kräfte, die durch die Freiwilligkeit entstehen, außen vor lassen und einen Zwang ausüben.

Deswegen setzen wir alles daran, unser Angebot an freiwilligen Diensten für junge Männer und Frauen fortwährend zu erweitern und zu verbessern. Außerdem sprechen sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür aus, die Gelder, die jetzt für den Zivildienst ausgegeben werden, umzuschichten, um mit dazu beizutragen, dass die Lasten, die jetzt zu tragen sind, auch getragen werden können. Das wird sicherlich nur in einem kleinen Umfang der Fall sein und ganz sicher wird man auch ein solches Angebot an freiwilligen Diensten weiter brauchen.

Nicht zuletzt weise ich darauf hin, dass uns heute draußen vor der Tür von Schülerinnen und Schülern ein Beispiel präsentiert wird der Initiative „Schüler helfen Leben“, die auf ihren sozialen Tag am 13. Juli aufmerksam machen wollen und uns darum bitten, ihr Material mit nach draußen zu nehmen und zu verteilen, weil sie natürlich wieder einen großen Erfolg erreichen und den Erfolg vom letzten Mal gern noch übertreffen wollen.

Dies ist auch ein Beispiel für Engagement in einem sozialen freiwilligen Dienst, an dem es offensichtlich in der jungen Generation überhaupt keinen Mangel gibt. Ich selbst habe mit genügend Zivildienstleistenden gearbeitet, dass ich sagen kann, der Zivildienst oder auch ein freiwilliger sozialer, ökologischer oder kultureller Dienst kann dazu beitragen, junge Menschen in Aufgaben der Gesellschaft einzuführen, sie mit Fragen von Leben, Sterben, Krankwerden oder anderen existentiellen Belangen zu befassen. Das ist auf jeden Fall auch ein Stück persönlicher Reife.

Ich möchte aber an dieser Stelle nicht nachstehen und sagen, diese Gesellschaft hat ihren Zivildienstleistenden, die von einem Recht Gebrauch machen, das es gab, bevor es einen Wehrdienst in Deutschland gab, nämlich die Möglichkeit in Artikel 4 Grundgesetz, den Wehrdienst aus Gewissensgründen zu verweigern, viel zu verdanken. Von diesem Recht haben sie Gebrauch gemacht und der Gesellschaft damit einen

(Irene Fröhlich)

großen Dienst erwiesen. Dafür können wir auf jeden Fall dankbar sein.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und vereinzelt bei der SPD)

Für den SSW hat jetzt Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Haus bereits vielfach unseren Respekt und unsere Dankbarkeit gegenüber der Arbeit der Zivildienstleistenden ausgesprochen. Das konnte ich auch hier aus einigen Wortbeiträgen heraushören.

Der SSW hat aber auch schon früher darauf hingewiesen, dass die zahlenmäßige Ausdehnung des Zivildienstes in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fehlentwicklungen mit sich gebracht hat. Daher kann ich heute nur wieder darauf hinweisen, dass das Problem eigentlich ein bisschen hausgemacht ist, dass eine Reduzierung des Wehrdienstes entsprechende Auswirkungen auf den Zivildienst hat.

Der Zivildienst ist, obwohl er eigentlich nur als Ergänzung für den sozialen Bereich gedacht war, zu einer tragenden Stütze sozialer Dienstleistungen in der Bundesrepublik geworden. Und genau hier liegt meiner Meinung nach der Fehler. Aus finanziellen Gründen hat man es versäumt, qualifizierte Fachkräfte auszubilden und einzusetzen, und hat stattdessen auf die kostengünstigeren Zivildienstleistenden gesetzt. Auch die Sozialverbände warnen schon seit Jahren davor, welche Folgen der derzeitige Einsatz der Zivis mit sich bringen wird. Diese Warnung wurde aber häufig nicht gehört beziehungsweise bewusst überhört.

Die Quittung erfolgt zurzeit. Die Wehrstrukturkommission hat eine Reduzierung der Bundeswehr vorgeschlagen, die selbstverständlich auch Auswirkungen auf den Zivildienst haben wird. Das Bundesfamilienministerium hat jetzt eine Arbeitsgruppe „Zukunft des Zivildienstes“ eingerichtet. Ich denke, wir sollten den Bericht dieser Arbeitsgruppe abwarten, bevor wir uns ein abschließendes Bild über die Zukunft des Zivildienstes in Schleswig-Holstein machen. Eines sei aber jetzt schon angemerkt: Als Alternative zum Zivildienst wird mancherorts und auch in entsprechenden Arbeitsgruppen die Verstärkung der freiwilligen Dienste diskutiert. Ich muss Ihnen sagen, dass ich schwere Bedenken habe, ob das wirklich gelingen wird. Ein Ersatz der Zivildienstleistenden durch freiwillige Dienste? - Da hinter setze ich ein großes Fragezeichen.

Die einzige Alternative bleibt deshalb nach unserer Ansicht die Schaffung entsprechender regulärer Arbeitsplätze mit der entsprechenden Bezahlung. Nur dadurch kann eigentlich den berechtigten Erwartungen aller Beteiligten entsprochen werden. Das scheint auch nicht zuletzt angesichts der auf der letzten Landtagstagung thematisierten Qualität der Pflege geboten zu sein. Die Arbeit der Zivildienstleistenden kann nur durch die Einstellung von Fachpersonal kompensiert werden. Das bedeutet gegebenenfalls auch eine weitere und höhere Bezuschussung der entsprechenden Einrichtungen und nicht - wie es jetzt als Signal von der Landesregierung gekommen ist -, weitere Mittelkürzungen in diesem Bereich vorzunehmen.

Nachdem der Kollege Dr. Garg bereits die zahlenmäßigen Daten zum Bereich des Zivildienstes in Schleswig-Holstein abgefragt hat, möchte die CDU jetzt wissen, wie sich Änderungen bei der Bundeswehr auf den Zivildienst in Schleswig-Holstein auswirken werden. Daneben steht nunmehr auch der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Nach meiner Ansicht ergänzen sich die beiden Anträge. Aus diesem Grund möchten wir vorschlagen, diese beiden Berichte zusammenzufassen und dann gemeinsam in der 6. Tagung des Landtages dazu den entsprechenden Bericht entgegenzunehmen. Wir sollten die kurzfristigen, aber auch die längerfristigen Auswirkungen sehen. Ich denke, das ist ein Gesamtproblem.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur kurz eine neue Geschäftsgrundlage herstellen. Das ist vielleicht auch für den Redebeitrag der Ministerin hilfreich. Wir haben uns fraktionsübergreifend mit allen Fraktionen des Hauses darauf geeinigt, folgenden Text zur Grundlage zu nehmen und in den Sozialausschuss zu überweisen beziehungsweise hier über ihn als Berichtsantrag abstimmen zu lassen: Wenn man den Text des CDU-Antrages zugrunde legt, der dann zu einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Hauses wird, muss im ersten Absatz die Zahl „5“ in „6“ geändert werden. Der zweite Ab

(Wolfgang Baasch)

satz des Antrages der CDU muss gestrichen werden. Er wird durch den Absatz des Antrages von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ergänzt, der heißt:

„Der Bericht soll aufzeigen, in welchen Bereichen Zivildienstleistende in SchleswigHolstein tätig sind und wie die Träger von Zivildienststellen die zum 1. Juli 2000 in Kraft tretenden Strukturveränderungen umgesetzt haben beziehungsweise umsetzen.“

Dann wieder zurück zum CDU-Antrag. Im dritten Absatz muss der Wortteil „Sozialhilfe“ des Wortes „Sozialhilfeträger“ gestrichen werden. Es bleibt nur das Wort „Träger“ bestehen. Das ist dann der gemeinsame Antrag aller Fraktionen dieses Hauses. Ich glaube, auf dieser Grundlage können wir die Diskussion im Herbst dieses Jahres gut fortsetzen.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort hat jetzt Frau Sozialministerin Moser.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit der Verkürzung des Zivildienstes von 13 auf elf Monate mit Wirkung zum 1. Juli 2000 für mehr Gerechtigkeit des Zivildienstes gegenüber dem Wehrdienst gesorgt. Mit diesem Beschluss ist eine Debatte in Gang gekommen, die wir auch hier heute führen, eine Debatte, die wir sehr grundsätzlich führen müssen. Ich glaube, das ist deutlich geworden. Deshalb bedanke ich mich sehr, dass wir die gute Möglichkeit haben werden, alle gemeinsam auf der Grundlage eines umfassenden Berichts an den Fragen, die sich hier stellen, weiter zu arbeiten.

Die Bundesregierung ist damals davon ausgegangen, dass der Bedarf von zirka 90.000 Zivildienstleistenden im sozialen Bereich auch im Rahmen der jetzt erfolgten Reduzierung aufrechterhalten werden könnte. Wir haben bis jetzt 130.000 Zivildienstleistende im Einsatz, in Schleswig-Holstein sind es 3.500. Und uns allen ist klar, wie wichtig und vielfältig insbesondere die sozialen Dienste sind, die sie leisten. Die große Zahl und die vielen Funktionen sowie das persönliche Engagement der Zivildienstleistenden - das auch für viele von uns erlebbar ist - markieren einen beachtlichen gesellschaftlichen Wert und Erfolg des Zivildienstes. Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass das nicht ohne erhebliche Vorbehalte aus dem politischen Lager derer, die sich heute über die Zukunft des Zivildienstes Sorgen machen, geschehen ist. Denn noch im letzten Jahr, meine Damen und Her

ren von der CDU, hat der verteidigungspolitische Sprecher Ihrer Bundestagsfraktion, Herr Breuer, die hohe Zahl von Zivildienstleistenden wörtlich als „Besorgnis erregende Fehlentwicklung“ gebrandmarkt. Herr Dr. Garg hat darauf hingewiesen. Ich glaube, darüber sollten wir hinweg sein, und hoffe, dass die CDU dieses Landes diese Bemerkung von Herrn Breuer nicht oder nicht mehr unterschreibt.

Die Überlegungen um die zukünftige Funktion der Bundeswehr und die Verkürzung der Wehrpflicht dürfen nicht allein die Zukunft sozialer, ziviler Dienste bestimmen. Da würden wir erheblich zu kurz springen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU so- wie Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

Der Zivildienst - 1961 als Ersatzdienst erstmals angetreten und seit 1973 auf gesetzlicher Grundlage - ist aber bisher leider Anhängsel der Wehrpflicht. Deshalb sage ich sehr deutlich: Aus meiner Sicht darf der Zivildienst ebenso wenig Alibi für die Wehrpflicht sein wie umgekehrt.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Das heißt für mich, wir müssen diese Fragen entkoppeln, sonst kommen wir zu keiner befriedigenden Lösung.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU so- wie Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

Die Verfügbarkeit von Zivildienstleistenden ist eben nur begrenzt planbar. Ihre Zahl ist abhängig nicht nur von der Zahl der Wehrpflichtigen, sondern auch von der Zahl der Verweigerer. Sie dürfen keine Arbeitsplätze ersetzen, obwohl die Realität - da gebe ich Ihnen Recht - anders aussieht. Sie ist aber wider das Gesetz.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])