Protokoll der Sitzung vom 23.01.2002

Wir brauchen kein Veranstaltungskalender auf hohem Niveau, sondern konzentriertes Handeln gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir brauchen Maßnahmen, die breite Teile der Bevölkerung mit einschließen. Das mögen manche der am Bündnis teilnehmenden Organisationen und Gruppen innerhalb ihres Bereiches auch realisiert haben, ein großes gesellschaftliches Bündnis ist aber dadurch nur theoretisch entstanden. Das ist umso bedauerlicher, weil eine gewisse überparteiliche Einigkeit in zentralen Fragen auch ein Aspekt der Rechtsextremismusvorbeugung ist. Wir müssen beweisen, dass wir in der Lage sind, gemeinsam zu handeln, wenn es darauf ankommt. Ansonsten füttern wir nur die Rechten mit ihren einfachen Lösungen an. Es reicht nicht aus, dass sich eine Mehrheit des Bundestages zu einem NPDVerbotsantrag durchringt - was sonst noch passiert ist, möchte ich heute nicht vertiefen, dazu ist schon Vieles gesagt worden. Wie der SSW zu diesem Verbotsantrag stand, das wissen Sie.

Wir haben im Herbst 2001 wieder die Gemeinschaft der Demokraten beschworen. Ich würde mir wünschen, dass diese auch im politischen Tagesgeschäft nicht nur für das Wort am Sonntag aufgehoben wird. Zur Vorbeugung von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit gehört zum Beispiel auch, dass man nicht das dringend notwendige Zuwanderungsgesetz mutwillig an die Wand fährt, weil die Bundestagswahl bevorsteht.

(Uwe Greve [CDU]: Das sind doch zwei ver- schiedene Schuhe!)

Was passiert, wenn man die Konfrontation mit rechten und fremdenfeindlichem Gedankengut scheut oder gar der Versuchung erliegt, das rechte Spektrum durch markige Aussagen im Ausländerbereich belegen zu wollen, das wurde uns in Schleswig-Holstein - das dürfen wir nicht vergessen - mit der Landtagswahl 1992 eindrucksvoll vor Augen geführt. Ich möchte davor warnen zu glauben, man könne durch law and order oder Populismus light einen Blumentopf oder gar eine Wahl gewinnen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Die jüngste Folketingwahl in Dänemark hat eindrucksvoll demonstriert, dass eine solche Strategie zum Scheitern verurteilt ist. Das Anbiedern der großen Volksparteien an ausländerfeindliches Gedankengut, das Reden von unumgänglichen Verschärfungen des Ausländerrechts, haben zwar dazu beigetragen, dass die Bevölkerung das Thema ganz oben auf der Prioritätenliste ansiedelte; das Ergebnis war aber, dass sie lieber gleich das rechtspopulistische Original wählte, und das, obwohl Dänemark eine blühende Landschaft ohne Millionen von Arbeitslosen ist.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn ich jetzt sehe, was der Bundesinnenminister unternimmt, um Herrn Schill überflüssig zu machen, dann kann ich nur sagen: Um eigene Fehler zu vermeiden, ist es erlaubt, einen Blick über den berühmten Tellerrand zu wagen. Ich hoffe auch sehr, dass der Kanzlerkandidat der Union es ernst gemeint hat, als er erklärte, das Thema Einwanderung werde kein zentrales Wahlkampfthema werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter diesen Umständen werden in den kommenden Monaten die Konfrontation und die Abgrenzung mehr im Vordergrund stehen als die Gemeinschaft der Demokraten. Das sind keine besonders guten Bedingungen für unser Anliegen eines breiten Bündnisses. Ich hoffe aber, dass die Landesregierung die Zeit nutzt, um Vorbereitungen zu treffen, damit wir zumindest nach der Bundestagswahl wieder gemeinsam die Kraft finden, uns mit dem extremen und fremdenfeindlichen Gedankengut in unserer Gesellschaft offensiv und offen auseinander zu setzen.

Zuletzt noch ein paar Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Zum CDU-Antrag: Wir machen ganz einfach nicht mit, dass alles in einen Topf getan und einmal umgerührt wird, und dann hat man Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamistischen Extremismus

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Anke Spoorendonk)

und greift sich raus, was man will. Wir wollen uns gern mit allen Themen befassen und zu ihnen Maßnahmen diskutieren sowie dazu beitragen, dass Maßnahmen umgesetzt werden - aber nicht mit der Schrotflinte.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden also diesem Antrag nicht zustimmen, zumal der zweite Teil aus dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stammt. Diesem Antrag werden wir zustimmen, nicht kritiklos, wie ich hoffentlich deutlich gemacht habe, aber weil wir der Intention zustimmen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile jetzt für die Landesregierung Herrn Innenminister Buß das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schleswig-Holstein ist seit mehr als 50 Jahren ein Land, in dem Menschen unabhängig von ethnischer und Religionszugehörigkeit oder Herkunft leben und gleiche Rechte für sich beanspruchen können. Unsere Gesellschaft ist inzwischen multikulturell und multiethnisch. Diese Entwicklung stellt eine Bereicherung dar und sollte weiter positiv initiiert und begleitet werden. Wenn ich alle Redebeiträge richtig ausgewertet habe, habe ich diese Absicht bei Ihnen allen wieder finden können. Vielen Dank dafür.

(Beifall der Abgeordneten Günter Neugebau- er [SPD] und Klaus-Peter Puls [SPD])

Bundesweit sind jedoch rechtsextremistische und fremdenfeindliche Verhaltensweisen zu beobachten, die durch eine zunehmende Gewaltbereitschaft und ein gesteigertes Maß an Aggressivität gekennzeichnet sind. Einzelne Gewalttaten zeigen, dass die Hemmschwelle beim Einsatz von Gewalt gegen Menschen immer niedriger wird. Das gibt natürlich Anlass zu großer Sorge. Wie aus der polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, ereigneten sich im Jahr 2000 im Bereich der rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten 852 Delikte. Die Zahlen für das Jahr 2001 liegen noch nicht vor, werden sich aber vermutlich etwa auf dem Vorjahresniveau bewegen. Die Landesregierung hat in allen drei Bereichen, Repression, Prävention und Organisation eines gesellschaftlichen Prozesses zur Ausgrenzung des Extremismus, umfangreiche Maßnahmen ergriffen, die kon

sequent umgesetzt und ständig auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.

Bereits im Dezember 1992, nach den Anschlägen in Rostock, Hoyerswerda, Solingen, Mölln und Lübeck, hat die Landesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, um sich einen Überblick über die Aktivitäten der Ressorts zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus zu verschaffen und die Maßnahmen zu forcieren.

Wie die von den Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Ziffer 4 des Antrages erbeten, wird die Landesregierung dem Innen- und Rechtsausschuss des Landtages gern über die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit in Schleswig-Holstein berichten. Im Vorgriff auf den Bericht erwähne ich heute einige beispielhafte Maßnahmen und knüpfe damit natürlich auch an die Antwort auf die Große Anfrage aus dem Jahr 2000 an.

Bei den Staatsanwaltschaften wurden Sonderdezernate zur Verfolgung ausländerfeindlicher Straftaten eingerichtet und Fortbildungsveranstaltungen zur Erkennung von Ursachen und Formen fremdenfeindlicher und extremistischer Gewalt durchgeführt. Die Bezirkskriminalinspektionen wurden durch Ermittlungsgruppen politisch motivierter Kriminalität verstärkt. Maßnahmen der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule tragen ebenso wie das Aktionsprogramm „Kinderfreundliches Schleswig-Holstein“ zum Abbau extremer Einstellungen und Verhaltensweisen bei.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich darf um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bitten!

Vielen Dank, Herr Präsident.

Dasselbe gilt in ganz besonderem Maße für integrative Sportprojekte, wie Sport für Kinder und Jugendliche in sozialen Problemlagen. An den Schulen liegt ein Schwerpunkt auf interkultureller Bildung und Erziehung. Durch die vom Landesrat für Kriminalitätsverhütung entwickelten Programme Prävention im Team, PIT 1 und 2, soll die Gewaltprävention an den Schulen verstärkt werden.

In 22 Einrichtungen des Jugendaufbauwerkes werden Maßnahmen zur Beseitigung der Perspektivlosigkeit junger Menschen angeboten und so wesentliche Ursachen für fremdenfeindliche und extremistische Einstellungen reduziert. Zur Integration von Migrantinnen und Migranten liegt dem Landtag ein entsprechender

(Minister Klaus Buß)

Entwurf vor. Auf Initiative von Ministerpräsidentin Simonis haben am 16. Oktober 2001 Vertreterinnen und Vertreter zahlreicher gesellschaftlicher Gruppen und Initiativen ein gesellschaftliches Bündnis gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gegründet. Eine entsprechende Aktionswoche ist im Dezember 2001 durchgeführt worden. Unter dem Motto „Verständnis - Menschenwürde achten, gegen Fremdenhass“ wird die bundesweite Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit umgesetzt.

Der mit seiner Geschäftsführung in das Innenministerium eingebundene Landesrat für Kriminalitätsverhütung hat einen Leitfaden für die Kommunen im Umgang mit rechtsorientierten Jugendlichen entwickelt, der im März 2002 vorgestellt werden soll. Am 25. Februar 2002 bereiten wir in Kooperation mit den Ländern Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern eine Fortsetzungsveranstaltung zum Thema „Verantwortung übernehmen im Norden - Projekte und Strategien gegen Rechtsextremismus und Gewalt“ vor. Eine umfassende Zusammenstellung aller Maßnahmen erhalten Sie mit dem angekündigten Bericht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf einige Hinweise eingehen, die in der Debatte gegeben worden sind.

Herr Wadephul ist im Moment leider nicht da.

(Zurufe von der CDU: Doch!)

- Wo ist er denn?

(Zurufe von der CDU: Ganz hinten!)

- Herr Wadephul, man kann Sie ja kaum noch sehen. Ich habe meine Brille nicht auf. Das ist das Problem. Ich bitte um Nachsicht.

Ich darf einmal zusammenfassen: Herr Wadephul und Herr Kubicki, Sie haben beide - in einer solchen Debatte zu Recht, meine ich - das Debakel um das NPDVerbotsverfahren aufgegriffen. Ich kann Ihnen, Herr Kubicki, nur eines antworten: Ich bin nicht ruhig geblieben. Wer mich kennt, kann sich vielleicht vorstellen, wie ich den Leiter des Verfassungsschutzes heute Morgen inquisitorisch befragt habe. Ich kann Ihnen, Herr Wardephul, sagen: Nein, schleswig-holsteinische V-Leute sind in das NPD-Verfahren nicht eingeführt worden.

Herr Kubicki, an dem Vorgang ist nichts zu beschönigen. Dies ist ein Vorgang, der für mich absolut unerklärlich und nicht nachvollziehbar ist. Auf der anderen Seite rechtfertigt er es aus meiner Sicht nicht, ein - wie soll ich sagen? - so großes Getöse zu machen, wie ich es Ihren Worten entnommen habe. Dabei konnte man den Eindruck gewinnen, als wenn der gesamte Rechts

staat zusammenbreche. Wir sind aus meiner Sicht weiterhin dem Erfolg verpflichtet, das heißt wir wollen das NPD-Verbot.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich bin dem Rechtsstaat verpflichtet! Ich weiß nicht, wem Sie verpflichtet sind!)

Dies ist eine für mich nicht entschuldbare Panne, die behoben werden muss. Ich bin sicher, dass das Verfahren sehr schnell wieder auf die normale Schiene gebracht wird. Hier ist nichts zu beschönigen. Solche Pannen dürfen nicht vorkommen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber überall sind Menschen. Sie ist vorgekommen. Wir müssen daran arbeiten, dass die Folgen dieser Panne möglichst schnell überwunden werden, und ich bin sicher, dass dies auch geschehen wird.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Herr Wadephul, Sie haben zu - Recht, wie ich meine -, eine aktive Integrationspolitik angemahnt. Ich darf daran erinnern - ich habe es in meinem Beitrag schon gesagt -: Das Integrationskonzept der Landesregierung liegt dem Landtag zur Beratung vor. Das Integrationskonzept ist mit praktisch allen Verbänden erstellt worden, die sich mit den Fragen befassen. Das ist, wie glaube, ein bisher in der gesamten Bundesrepublik einmaliger positiver Vorgang.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich hoffe, dass das Konzept, wenn es hier debattiert wird - wenn ich das einmal so formulieren darf -, auf Gegenliebe stößt und dass wir uns daran in den nächsten Jahren sehr gut orientieren können.

In dem Zusammenhang muss ich Ihnen auch sagen, dass das Zuwanderungsgesetz, das heute ebenfalls schon erwähnt worden ist, erstmalig für diesen Bereich einen Integrationsteil enthält, der für uns alle in der täglichen Arbeit außerordentlich nützlich wäre. Wenn ich die Presse richtig verfolge, ist es aber gerade Ihre Partei, die dieses Zuwanderungsgesetz möglicherweise nicht akzeptieren will. Das würde uns in der Integrationsarbeit, in den Möglichkeiten erheblich zurückwerfen.

Zuletzt möchte ich auf Ihren Hinweis zum islamischen Religionsunterricht eingehen. Um es hier deutlich zu sagen: Ich teile Ihre Auffassung.

(Beifall bei der CDU)