Herr Geißler, so, wie Sie Ihren Gesetzentwurf formuliert haben, erweckt es den Eindruck, dass er möglicherweise etwas mehr in die Gefahrenabwehr hinein tendiert und als Polizeirecht daherkommt.
Für die freiheitsentziehende Maßnahme gibt es ganz bestimmte grundgesetzliche Regelungen, die man durch Landesrecht nicht durchbrechen darf. Wenn Sie Ihren Gesetzentwurf verabschieden, kommen Sie in eine polizeirechtliche Regelung, für die keine Zuständigkeit, keine Grundlage besteht.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW - Zuruf des Abgeordne- ten Thorsten Geißler [CDU])
Ich habe schon erwähnt, dass neben der grundsätzlichen kompetenzrechtlichen Problematik weitere verfassungsrechtliche Bedenken bestehen: Das Problem der Rückwirkung, das Problem des Grundsatzes „ne bis in idem“, das Problem der Verhältnismäßigkeit, um nur einige zu nennen!
Nichtsdestotrotz - ich wiederhole es -: Wir arbeiten an dem Problem. Ich bin sicher, dass noch vor der Bundestagswahl, aber sachlich und verfassungsrechtlich korrekt ein Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs verabschiedet wird. Im Bundesrat tut SchleswigHolstein alles dafür.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und SSW - Vizepräsident Thomas Stritzl übernimmt den Vorsitz)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geht es um die mögliche Anordnung im Ergebnis lebenslangen Freiheitsentzugs. Ich finde es ausgezeichnet, dass hier so sachlich und ruhig debattiert wird. Das ist nämlich eine ausgesprochen ernste Materie, der wir uns zu stellen haben. Im Übrigen bin ich dadurch ermutigt, meinen Beitrag zu leisten, der es tut mir furchtbar Leid - von der Meinung meiner Fraktion abweicht.
- Das ist kein Grund zum Beifallklatschen. Das ist ein Grund für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem hier anstehenden Thema, Frau Kollegin Fröhlich.
Ich bin in der Tat erstens der Auffassung, dass dem Landesgesetzgeber die Regelungskompetenz für eine solche Regelung fehlt - dies auch unter Bezugnahme auf eine Verfassungsgerichtsentscheidung aus dem Jahr 1993, in der das Bundesverfassungsgericht das
OLG Brandenburg bereits einmal zurückgepfiffen hat, als es eine leicht veränderte Auslegung des § 66 StGB bereits dem Gesetzestext entnehmen wollte, und darauf hinwies, dass das abschließend geregelt sei.
Es gibt inzwischen auch einen Gesetzentwurf des Bundes. Wir müssen uns noch einmal Gedanken über dessen Ausgang machen, darüber, ob das so gemacht werden soll. Er weicht ja leicht von dem hier vorliegenden Vorschlag ab.
Es geht hier um einen möglichen lebenslangen Freiheitsentzug, der dann, wie man beim Maßregelvollzug besonders erkennen kann - ich verweise insoweit auf meine Kleine Anfrage Drucksache 15/1717, vor wenigen Tagen beantwortet -, im Beschlussverfahren immer wieder angeordnet wurde.
Wenn es kein Verstoß gegen „ne bis in idem“ sein soll, also gegen das Verbot der Doppelbestrafung, geht es um Sachverhalte, die unterhalb der Strafbarkeit liegen - ansonsten gäbe es ja ein ganz normales strafrechtliches Erkenntnisverfahren mit Verurteilung oder Nichtverurteilung. Es wäre unterhalb der Strafbarkeit ein Verhalten, das im Ergebnis zu lebenslangem Freiheitsentzug führen kann. Das kann nicht richtig, nicht rechtsstaatlich und nicht verfassungsrechtlich tragbar sein.
Drittens. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem bahnbrechenden Urteil, dem Lebach-Urteil, gesagt: Der Mensch darf niemals zum Objekt staatlichen Handelns werden.
Wenn Sie sich die Beantwortung der Kleinen Anfrage Drucksache 15/1717 hinsichtlich des Maßregelvollzuges ansehen, werden Sie möglicherweise nachvollziehen können, wie sehr sich die Menschen, die in diesem Bereich davon betroffen sind, manchmal schon als Objekt staatlichen Handelns fühlen müssen und eben nicht als Subjekt fühlen dürfen. Ich habe ernste Bedenken, den Kreis der davon Betroffenen sogar noch auszuweiten.
Es gibt einen Anspruch - auch das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgeurteilt - jedes einzelnen Menschen, mag er getan haben, was er will hier hat er nicht einmal eine Straftat begangen -, auf Resozialisierung und auf Achtung und Wahrung seiner
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mich haben die Äußerungen der Frau Justizministerin auf den Plan gerufen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass Sie, Frau Justizministerin, bestreiten, dass wir auf Landesebene eine Zuständigkeit im Polizeirecht haben. Das wird zumindest Ihr Kollege Innenminister bestreiten wollen.
Das, was wir im Gesetzentwurf vorsehen, ist letztlich eine Regelung, die sich darauf stützt, dass wir eine Aufgabe auch im Bereich der Gefahrenabwehr haben. Da gibt es eine klare Länderzuständigkeit und die wollen wir wahrnehmen.
Ich möchte noch ein Zweites sagen. Der Kollege Graf Kerssenbrock hat darauf hingewiesen, dass es im Ergebnis niemals darauf hinauslaufen darf, dass von vornherein jemand lebenslang weggesperrt wird. Das sehen wir auch nicht vor. Wir sehen eine umfangreiche Begutachtung und eine regelmäßige Überprüfung der vorgelegten Gutachten in festgelegten Fristen vor. Das heißt, das wird ständig überprüft.
Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir hier über Güterabwägung und auch über die Freiheitsrechte und die Grundrechte des Straftäters auf der einen Seite reden, müssen wir auf der anderen Seite auch die Gefahren für die Rechtsgüter unschuldiger Menschen mit in die Abwägung einbeziehen, die dann Opfer dieser Täter sein können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir machen es uns bei der Entscheidung ja nicht einfach, sondern wollen uns an dieser Stelle auch gerade auf unabhängige Gutachter stützen. Die werden doch nicht ohne jeden Grund zu dem Ergebnis kommen, dass bei diesem oder jenem Täter eine entsprechende nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung angebracht ist.
Ich glaube, dieser Gesetzentwurf zeichnet sich dadurch aus, dass er sehr wohl abwägt, dass er sehr weit entfernt ist von der von Ihnen völlig zu Recht kritisierten populistischen Äußerung des Bundeskanzlers, der eine
hohe Erwartungshaltung auch in der Bevölkerung gegenüber dem geweckt hat, was der Gesetzgeber jetzt tut. Aber ich möchte auch als Parlamentarier nicht dafür verantwortlich sein, dass irgendwann wieder Unschuldige, und zwar häufig Kinder, Opfer von Tätern werden, die wir frühzeitig hätten in einem klaren rechtsstaatlichen Verfahren wegsperren können. Das sollten wir tun.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Dr. Graf Kerssenbrock, obwohl ich gar nicht wusste, dass wir in dieser Frage einer Meinung sind, für seinen Beitrag außerordentlich dankbar, weil er, so meine ich, die Relationen wieder herstellt. Herr Kollege Geißler, ein Satz wie: „Ich habe keine Angst davor, dass ein Unschuldiger von einer solchen Maßnahme getroffen wird“, von einem Parlamentarier, der dazu noch Anwalt ist und der weiß, wie häufig auch Unschuldige von strafrechtlichen Maßnahmen getroffen werden können, macht mich wirklich betroffen. Ein Satz, der daran anknüpft: „Ich habe aber Angst davor, dass mögliche Unschuldige Opfer weiterer Straftaten werden können“, macht mich in gleicher Weise betroffen, und zwar deshalb, weil er von populistischen Erklärungen nicht weit entfernt ist.
Das, was Sie momentan zu suggerieren versuchen, ist so etwas wie eine Garantenhaftung des Staates dafür, dass aus der Strafhaft Entlassene nie wieder eine Straftat begehen werden. Diese Garantenhaftung kann der Staat weder übernehmen noch sollten Sie das suggerieren. Ich möchte einmal versuchen, dies weiterzuspinnen, Herr Kollege Geißler, weil Sie jetzt im Bereich der Gefahrenabwehr sind. Wieso kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass potenzielle Gefahren beispielsweise von Sexualstraftätern nur von solchen ausgehen, die bereits einmal wegen einer Sexualstraftat verurteilt worden sind?
Die Frauen von den Grünen in Göttingen hatten einmal die glorreiche Idee, um auszuschließen, dass Vergewaltigungen nach 22 Uhr passieren können, allen Männern zu verbieten, die Straße nach 22 Uhr zu betreten. Nun würden wir alle sagen: Das ist ein vergleichsweise schwachsinniger Antrag oder eine schwachsinnige Überlegung. Gleichwohl könnten Sie
sich jetzt mit der gleichen Emphase hier hinstellen und sagen: Wenn auch nur eine einzige Sexualstraftat damit verhindert werden könnte, dass wir eine solche Regelung einführen, müssen wir sie jetzt einführen. Wenn Sie das jetzt nicht mitmachen, Herr Kollege Geißler, sind Sie für das nächste Opfer verantwortlich,