Protokoll der Sitzung vom 20.03.2002

Wir wollen, dass typische Jugenddelikte in SchleswigHolstein konsequenter bekämpft werden. Gerade die Graffitiproblematik ist in Schleswig-Holstein sehr verbreitet und wir erwarten ein entschlosseneres Vorgehen der Landesregierung. Wir erwarten insbesondere, Frau Justizministerin, dass die Landesregierung die Bundesratsinitiative unterstützt und dafür sorgt, dass Graffiti eindeutig dem Bereich der Sachbeschädigung zugeordnet werden. Graffiti sind nicht Kunst, sondern sind eine Beschädigung fremden Eigentums und das muss geahndet werden.

(Beifall bei der CDU)

(Dr. Johann Wadephul)

Wir sprechen hier in großer Deutlichkeit auch an, dass manches Jugendstrafverfahren mit der Einstellung endet und dass Jugendliche dieses häufig verstehen als einen Freispruch zweiter Klasse. Deswegen setzen wir uns für die Einführung eines Einstiegsarrestes ein. Es muss zwischen Geldbußen und dem Verrichten gemeinnütziger Tätigkeit und dann der nächsten Stufe der Jugendstrafe noch eine Zwischenstufe geben. Viele Jugendliche verstehen es falsch, wenn der Staat an dieser Stelle nachsichtig ist. Es geht bei den Jugendlichen im Übrigen - das möchte ich deutlich sagen nicht darum, sie besonders hart und drakonisch zu bestrafen, sondern es geht darum, dass sie möglichst schnell eine Reaktion des Staates auf ihr Fehlverhalten bekommen. Das ist der beste Weg, dass sie sich ändern.

(Beifall bei der CDU)

Wir greifen das auf, was wir in diesem Hause seit etwa zehn Jahren kritisieren und bei dem es sich deutlich gezeigt hat, dass wir auf dem falschen Weg sind: Wir halten es nach wie vor für einen großen Fehler, dass die geschlossene Heimerziehung in SchleswigHolstein abgeschafft worden ist. Wir haben hier zum Glück eine geringe und überschaubare Anzahl von Jugendlichen, die aber in Verhältnissen leben, die man mit dem Leben an der Grenze der Verwahrlosung sicherlich richtig beschreibt. Wir werden dieser Menschen nicht habhaft. Wer auf diese Kinder und Jugendlichen Einfluss nehmen und sie erziehen will, der muss zunächst einmal eine Unterbringung sicherstellen. Daher an dieser Stelle das eindeutige Plädoyer, für diese jugendlichen Intensivtäter in Schleswig-Holstein endlich wieder eine geschlossene Heimunterbringung vorzusehen. Es hilft nicht, wenn wir vor diesem Problem die Augen verschließen. Wir müssen endlich wieder entschlossen handeln.

(Beifall bei der CDU)

Insgesamt sage ich: Man wird das Problem des Anstiegs der Kinder- und Jugendkriminalität nicht mit einem Patentrezept lösen. Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Verstärkte Präventionsarbeit, Werteerziehung und konsequente Ahndung von Strafen sind die Schwerpunkte unseres Antrags. Wir setzen nicht nur auf ein Patentrezept. Wir setzen darauf, dass wir mit Entschlossenheit ein Bündel von Maßnahmen ergreifen. Es ist Zeit dafür. Die Kriminalitätsstatistiken der vergangenen Jahre mahnen uns alle zu entschlossenem Handeln.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Frau Abgeordneter Birgit Herdejürgen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Wir werden den vorliegenden Antrag nicht ablehnen, wobei ich zugebe, dass ich geneigt war, so zu verfahren. Wir werden nicht ablehnen, weil das Thema dringend diskutiert werden muss. Wir beantragen daher Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss sowie zur Mitberatung an den Sozialund Bildungsausschuss.

Der vorliegende Antrag hebt eingangs hervor, dass präventive Maßnahmen eine besondere Bedeutung bei der Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität haben, und in ihrem Beitrag sind auch einige Punkte genannt, wobei sie jedoch nicht den Anspruch erfüllen, besonders neu zu sein. Die erhobenen Forderungen haben einen deutlich repressiven Schwerpunkt: Ausweisung ausländischer, noch nicht strafmündiger Kinder und deren Eltern, Verhängung weiterer Ordnungsmittel an Schulen, Verschärfung im Umgang mit Heranwachsenden, Einführung eines Einstiegsarrestes oder geschlossene Heimunterbringung - wohlgemerkt außerhalb von Strafverfahren im Rahmen der Jugendhilfe. Die SPD-Fraktion siedelt dieses Thema eindeutig im Bereich der Jugendpolitik an.

(Beifall bei der SPD - Holger Astrup [SPD]: Wohl wahr! - Zuruf des Abgeordneten Thor- sten Geißler [CDU])

Die Schwerpunktsetzung der CDU ist entlarvend und zeigt deutlich, dass die Auseinandersetzung mit den Ursachen nur am Rande gewollt ist und dass der Strafe Vorrang vor der Erziehung eingeräumt wird. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass der jugendpolitische Sprecher, dem ich in derartigen Fragen mehr Kompetenz zugestehen möchte, nicht Mitunterzeichner des Antrags ist.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] - Martin Kayenburg [CDU]: Sie ha- ben den Sinn des Antrags nicht verstanden!)

Wenn wir uns über Wertewandel, Werteverlust und Wertevermittlung unterhalten, so kann ich nur sagen: Die Grundhaltung, die in den Äußerungen und Veröffentlichungen der CDU zum Ausdruck kommt, zählt nicht zu den Werten, die ich den Jugendlichen vermitteln möchte.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Birgit Herdejürgen)

Da ist die Rede von einer Strategie der Nulltoleranz. Man kann Zitate lesen wie: „Wo Unordnung und Unrat geduldet wird, wächst der Nährboden für Kriminalität.“

(Martin Kayenburg [CDU]: Stimmt das nicht?)

Und, nicht wahr, Jörn, natürlich muss man jugendlichen Straftätern erst einmal ordentlich etwas auf die Finger geben. So viel zum Thema Gewalt in der Erziehung. Herr Wadephul, offenbar geht es Ihnen nicht um die Bekämpfung der Jugendkriminalität, sondern um die Bekämpfung der Jugendlichen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erhoffe mir von den Ausschussberatungen, dass Sie sich intensiver mit der Materie auseinander setzen. Vielleicht fragen Sie auch einmal jemanden, der etwas davon versteht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Zuruf von der CDU: Sie!)

- Nein, ich verweise in diesem Zusammenhang auf kompetente Partner. Ich zitiere vom deutschen Jugendgerichtstag 2001:

„Populistische Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Ruf nach härteren Urteilen entsprechen zwar vielfach Alltagstheorien, sie stehen aber im Widerspruch zu sämtlichen wissenschaftlichen Befunden und praktischen Erfahrungen. Sie sind kontraproduktiv und werden die Probleme lediglich verschärfen. Nicht ein Mehr an Repression, sondern ein Mehr an Prävention ist erforderlich.“

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist ein sehr deutliches Wort der Fachleute. Die Schwierigkeiten junger Menschen werden erst deutlich, wenn die Blickrichtung gewechselt wird und die Jugend aus der Sicht der Jugendlichen betrachtet wird.

(Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Das ist vielleicht ein etwas unbequemer Weg, aber es ist ein notwendiger Weg. Im Umgang mit straffälligen Jugendlichen steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Strafen sind auch im bestehenden Recht vorgesehen. Gerade das von Ihnen geforderte schnelle Verfahren wird in Schleswig-Holstein durchgeführt. Wenn Strafen jedoch in erster Linie repressiv eingesetzt werden, ich erinnere an Ihre von mir eingangs zitierten Äußerungen, ist keine nachhaltige Erzie

hungswirkung zu erreichen. Die Strafe hat dann bestenfalls oberflächliche, konformistische Anpassungsbereitschaft zur Folge. Das kann nicht unser jugendpolitisches Ziel sein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Auch die durch den Einsatz von Strafe gewollte Abschreckungswirkung ist längst nicht so hoch, wie viele geneigt sind anzunehmen. Von daher geht der Antrag der CDU in weiten Teilen in eine falsche Richtung. Die erfolgreiche Bekämpfung der Jugendkriminalität muss bei den Ursachen ansetzen. Wenn wir allerdings zu den sozialen Konflikten vorstoßen wollen, die hinter den Kriminalitätsphänomenen stekken, helfen uns oberflächliche Behauptungen selbst ernannter Experten nicht weiter. Der vorliegende Antrag stellt vermeintliche Ursachen der Jugendkriminalität als Tatsachen in den Raum. Dem werden wir als Fraktion sicherlich nicht folgen. Wir sind gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Wir sind gegen eine weit gehende Herausnahme der Heranwachsenden aus dem Geltungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes. Grundlagen für die Forderungen der CDU sind unserer Meinung nach nicht gegeben. Wie gesagt: Wir wollen das Thema sachlich und ausführlich im Ausschuss behandeln. Es eignet sich nicht für parteipolitische Polemik. Ich denke, unsere Jugendlichen sollten uns mehr wert sein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wadephul, im Duden habe ich folgende Definition gefunden:

„Populismus ist die von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik mit dem Ziel, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen.“

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Der von Ihnen eingebrachte Antrag ist populistisch und der Sache nicht angemessen. Sie überhöhen das Problem der Jugendkriminalität, frönen damit dem Zeitgeist, präsentieren eigentlich keine Lösungen,

(Günther Hildebrand)

haben aber panische Angst davor, jemand anderes könnte dieses Thema vor Ihnen besetzen oder aufrufen.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW - Zurufe von der CDU)

Herr Wadephul hat also auch erkannt, dass die polizeiliche Kriminalstatistik für Schleswig-Holstein in den letzten Jahren einen hohen prozentualen Anteil an jugendlichen Straftätern - gerade im Bereich der so genannten Rohheitsdelikte - aufweist.

(Klaus Schlie [CDU]: Sie auch?)

Dies ist ein ernst zu nehmendes und darüber hinaus sehr komplexes Problem.

(Holger Astrup [SPD]: Allerdings!)

Das, was Sie anbieten, kann man nicht einmal andeutungsweise ein Konzept nennen. Im Gegenteil: Sie scheren alle Jugendlichen - Straftäter und Unbescholtene - über einen Kamm und bieten eine Art Einheitserziehungskonzept mit gleichen Werten, auf die alle getrimmt werden sollen, an. Da machen wir nicht mit. Solange jemand den Rechtskreis eines anderen nicht verletzt, hat er auch das Recht, anders zu sein und andere Ansichten zu vertreten als der Großteil der Gesellschaft.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Herr Wadephul will die Stärkung des sozialen Bewusstseins im Wege schulischer und außerschulischer Erziehung, eine Wertevermittlung und die Bekämpfung überkommener Rollenbilder bei Jugendlichen. Welche Grundwerte die Union vertritt, finden wir immerhin vom Juristen Wadephul formuliert - in dem bedeutungsvollen Satz:

„Freiheit bedeutet nicht nur das Recht auf Ansprüche, sondern enthält gleichermaßen auch Ansprüche.“

Was wollen Sie uns damit sagen? Ich habe lange darüber nachgedacht, bin dem Sinn aber noch nicht auf die Spur gekommen.