Protokoll der Sitzung vom 22.03.2002

(Lars Harms)

dass Sie dann hätten nachlesen können, welchen Auftrag Sie dem Minister erteilt haben. Ich zitiere: „Die Landesregierung wird aufgefordert, dem Landtag in der 21. Tagung“ - heute - „schriftlich“ - das haben wir auch - „über den letzten Unfall im Kernkraftwerk Brunsbüttel zu berichten.“ - Genau das hat der Minister getan, und dafür bin ich ihm auch dankbar.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Diskussion um den Störfall im Atomkraftwerk Brunsbüttel werden wieder einmal zwei Kernfragen deutlich: Erstens. Können wir den Betreibern immer vertrauen? Zweitens. Wie sicher ist die Kernenergie an sich?

(Zuruf von der SPD: Unsicher!)

Nach zwei Monaten erkannte man nach Aussagen des Betreibers, dass es sich bei dem Störfall sogar um einen gravierenden Störfall gehandelt hatte. Zumindest wird der Leiter des Kernkraftwerks Brunsbüttel so zitiert. Innerhalb des Sicherheitsbehälters war eine Kühlleitung an zwei Stellen explodiert. Man geht von einer Wasserstoffexplosion aus, die man sich derzeit noch nicht erklären kann. Zumindest waren die Verantwortlichen sehr überrascht, was sie bei der Inspektion zwei Monate nach dem Unfall vorgefunden haben.

Die eben dargestellten Tatsachen zeigen vor allem eines: Die Atomenergie ist nicht so sicher, wie sie immer dargestellt wird. Wir müssen einfach feststellen, dass wir es mit einer gefährlichen Technologie zu tun haben, die wir nicht kontrollieren können. Zwar soll angeblich keine unmittelbare Gefahr bestanden haben, aber anhand des Vorfalls in Brunsbüttel wird deutlich, dass eine latente Gefahr immer vorhanden ist. Was wäre gewesen, wenn nicht diese Kühlleitung, sondern eine andere explodiert wäre? Diese Frage lässt sich auf das ganze System ausweiten. Schließlich gibt es überall Materialien mit möglichen Ermüdungserscheinungen oder Fehlfunktionen. Dass auch einmal an einer anderen, gefährlicheren Stelle etwas passiert, ist nicht auszuschließen. Erschwerend kommt nun hinzu, dass man den Störfall zwei Monate lang geringer eingeschätzt haben will, als er tatsächlich war. Wenn das stimmt, ist eine solche Fehleinschätzung immer wieder möglich. Dies wäre ein weiterer Hinweis auf die extreme Unsicherheit und Gefährlichkeit dieser Technologie. Schließlich haben wir es hier mit einer Technologie zu tun, die vielen Menschen das Leben kosten kann, wenn sie nicht einwandfrei funktioniert. Erstaunlich ist dabei auch, dass eine 2,70 Meter lange Rohrleitung explodieren kann, ohne dass andere Leitungen erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Dies ist kein Grund zur Freude, sondern eher ein Grund, um erleichtert aufzuatmen. Was

wäre eigentlich gewesen, wenn die Kühlleitung an einer anderen Stelle explodiert wäre? Auf diese Frage hätte ich gerne einmal eine Antwort, damit man den Vorfall unter Gefahrengesichtspunkten auch richtig einschätzen kann.

Das Vertrauen in die Kernenergie ist durch den Vorfall weiter erschüttert worden. Presseberichten war zu entnehmen, dass die Betreiberin am Tag des Störfalls auf dem freien Markt Ersatzstrom für den erwarteten Ausfall des AKW Brunsbüttel gekauft habe, den er dann kurzfristig wieder mit Verlust verkauft haben soll. Darüber hinaus wurde berichtet, dass das Wiederanfahren des Reaktors gegen den Willen der Bedienungsmannschaft angeordnet worden sein soll. Wenn das stimmt, haben wir nicht nur das Problem, dass die Technik an sich unzuverlässig ist, sondern auch das Problem, dass die Betreiberin unzuverlässig sein könnte.

Dies sind natürlich alles nur Spekulationen, wie sie in der Öffentlichkeit geäußert wurden. Trotzdem muss man solche Spekulationen ernst nehmen und sie eingehend überprüfen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW], Holger Astrup [SPD] und Karl- Rudolf Fischer [SPD])

Dies liegt nicht nur im Interesse der Bürger, sondern auch im Interesse der Betreiberin.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir ausdrücklich das schnelle Handeln der Landesregierung, die sich unverzüglich eingeschaltet hat. Nur durch das ständige Drängen der Landesregierung kam es zu der nachträglichen Untersuchung des Vorfalls, bei der die gesamte Tragweite des Störfalls offensichtlich wurde. Ohne dieses kritische Hinterfragen des Störfalls wären diese Ausmaße möglicherweise unentdeckt geblieben.

Inzwischen sind die im Zusammenhang mit dem Störfall auftretenden Fragen durch das Energieministerium in einem Fragekatalog zusammengefasst und von der Betreiberin auch schon beantwortet worden. Die Antworten auf die Fragen müssen nun eingehend überprüft werden, und es müssen möglicherweise Nachfragen gestellt werden, damit sich der Vorfall lückenlos nachvollziehen und auch aufklären lässt. Ich glaube nicht, dass sich die Frage der Kernenergie mit dem Atomkompromiss auf Bundesebene erledigt hat. Wir müssen uns immer wieder mit den Gefahren der Atomenergie beschäftigen. Eine unsichere Technologie, ein Vertrauensverlust auf breiter Basis und die Ereignisse des 11. September 2001 lassen die Atomenergie in einem neuen, aber nicht in einem besseren Licht erscheinen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das ist wahr!)

(Lars Harms)

Herr Minister Möller, Sie haben eben folgenden Satz gesagt: Die größtmögliche Sicherheit ist die, dass man abschaltet. Dem ist nichts hinzuzufügen, sondern dem ist nur zuzustimmen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Minister Möller das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zu dem Vorwurf, der Bericht wurde erst heute vorgelegt. Es gibt zwei Berichtsanträge. Mit dem einen Antragsteller waren wir uns einig, dass wir hier bestenfalls einen mündlichen Zwischenbericht erteilen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Stimmt!)

Wir haben uns bemüht, gerade Ihren Fragenkatalog noch schriftlich zu beantworten. Daher sollten Sie uns wahrlich keinen Vorwurf machen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es ist Ihr gutes Recht, sich zu erkundigen, nicht nur den Bericht abzuwarten, sondern auch mit den Betroffenen zu sprechen, wie Sie es offensichtlich getan haben. Ich hoffe nur, dass wir, wenn sich der Bundesumweltausschuss mit diesem Störfall befasst hat, auch hier im Ausschuss Gelegenheit haben, einmal ausführlich darüber zu sprechen. Unser Umweltausschuss hat, als wir das angeboten haben, ausdrücklich gesagt: Wir wollen die Debatte abwarten. Dann sollten wir aber im Ausschuss einmal ausführlich darüber diskutieren.

Graf Kerssenbrock, eine Reaktorsicherheitsbehörde ist kein Rechtsanwaltsbüro, sondern ist 24 Stunden, rund um die Uhr, bei Störfällen erreichbar.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Das wollte ich nur sagen. Ihnen als Anwalt sage ich allerdings auch: Auch Atomrecht hat etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Das gilt für die Betreiber und für die Reaktorsicherheit.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU])

Es ist eben so: Wenn ein Störfall festgestellt wird, und es kommt zu der Einschätzung des Kraftwerks, dass es ein kaputter Flansch mit einer Leckage ist, wie sie nach dem Betriebshandbuch zulässig ist, dann hat die Reaktorsicherheitsbehörde keine Möglichkeit, willkürlich abzuschalten. Sie kann nur sagen: Wir haben

Zweifel, ob es das ist. Diese Zweifel haben wir sehr deutlich artikuliert. Und, Graf Kerssenbrock, im Rahmen des Verfahrens - in Bezug auf die Zuverlässigkeit ist dies ein schwebendes Verfahren - wird zu klären sein, ob es im Werk selbst schon viel früher Hinweise darauf gegeben hat, dass es kein Flansch war.

(Holger Astrup [SPD]: Und man hat es nicht gemeldet!)

Dieser Frage gehen wir in aller Sorgfalt nach. Darüber sollten wir heute nicht spekulieren.

Eine Koalition Happach-Kasan und Karsten Hinrichsen ist für mich die Überraschung des Tages.

(Heiterkeit)

Herr Hinrichsen ist ja hier. Er ist ein sehr kritischer Zeitgenosse, was die Kernenergie angeht. Im Zusammenhang mit kritischen Äußerungen von Herrn Hinrichsen, zum Beispiel zu Krümmel, waren Ihre Einlassungen gegenüber seiner Kritik eher etwas unkritisch, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.

Ich will noch etwas zu dem Vorwurf unter dem Stichwort Finanzminister und Reaktorsicherheitsminister sagen, zu dem Etliches gesagt worden ist. Das ist wirklich absurd. Meine Damen und Herren, wir haben dokumentiert, dass wir Schadensersatzprozesse gehabt haben und dass für einen Tag Stillstand 800.000 DM gefordert worden sind. Dieses Risiko bin ich eingegangen, bis hin zu einem dreijährigen Stillstand in Brunsbüttel. Das muss man auch. Es gibt hier keine Teilbarkeit. Aber, Frau Happach-Kasan, wer waren denn die Redner der Opposition, die seinerzeit, als die Mitarbeiter natürlich um ihren Arbeitsplatz besorgt waren, mit diesen vor dem Landeshaus geschrien haben: „Willkür! Ausstiegsorientierter Vollzug des Atomgesetzes!“?

(Martin Kayenburg [CDU]: Zu Recht! Das stimmt ja auch!)

Sie waren es doch, die mir den Vorwurf gemacht haben, ich sei willkürlich vorgegangen. Ich kannte das Risiko!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Martin Kayenburg [CDU]: Das ist unglaublich! Sie haben bis heute noch nicht erkannt, was ist!)

Ich kannte das Risiko.

(Beifall bei SPD und SSW - Martin Kayen- burg [CDU]: Unglaublich!)

Ich kannte das Risiko sehr wohl.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie haben das bis heute noch nicht erkannt!)

(Minister Claus Möller)

Man kann solch einen Job sonst nicht ausüben. Wenn man der Auffassung ist, dass nach dem Atomgesetz eine Gefahr für Dritte davon ausgeht, dann muss man handeln - auch wenn das Schadenersatzprozesse nach sich zieht.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie sollten mal handeln!)

Den Mut habe ich immer gehabt: bis zu drei Jahren Stillstand. Dazu stehe ich auch.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dann Folgendes: Ein Journalist sagt in einem Interview: Na, Herr Möller, nun gibt es auch noch eine Oberflächenwasserabgabe. Wie stehen Sie zum Stillstand? - Ich habe in diesem Interview gesagt: Das nach dem Atomgesetz stringente Gebot „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit“ gilt für die Betreiberin und gilt in jeder Form für einen Umweltminister, für einen Finanzminister und insbesondere für den Minister für Reaktorsicherheit. Diese Verantwortung ist unteilbar.

(Beifall bei SPD und SSW)

Weil das nicht im Bericht stand, sondern ich das mündlich berichtet habe, lassen Sie mich noch einmal darauf eingehen, dass wir - so glaube ich - jetzt auf einem guten Weg sind. Die Dimension dieses Störfalls ist - so glaube ich weiterhin - zwischenzeitlich von allen erkannt worden. Ich glaube nicht, dass sie von Anfang an von allen erkannt worden ist.