Protokoll der Sitzung vom 29.04.2002

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Klaus Schlie [CDU]: Skan- dalös! - Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion kann ich sagen: Wir werden Ministerpräsidentin Heide Simonis bei jedem Versuch Dritter, mögliche kriminelle Handlungen von Dr. Pröhl mit ihr in Verbindung zu bringen, den Rükken stärken.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für den Teil der Affäre, der die Landesregierung berührt, hat der Chef der Staatskanzlei, Klaus Gärtner, die Verantwortung übernommen. Das ist auch richtig so.

(Lothar Hay)

In einer gemeinsamen Erklärung haben der SPDLandesvorsitzende Franz Thönnes und ich deutlich gemacht, dass wir an Klaus Gärtner die Erwartung haben, dass alle Informationen im Zusammenhang mit der Person Dr. Pröhl jetzt auf den Tisch gelegt werden, so unwichtig sie im Moment auch erscheinen mögen, und zwar vollständig und unverzüglich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion hat heute ergänzende Fragen zum Komplex der Einbeziehung und Beteiligung des Landesrechnungshofs in das gesamte Verfahren debis/SAP gestellt. Wir sind der Auffassung, dass der Landesrechnungshof im gesamten Verlauf eine wichtige und nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt hat, die ebenfalls Berücksichtigung finden muss.

Wir haben bereits in der Geschäftsordnungsdebatte am 20. März 2002 deutlich gemacht, dass wir selbstverständlich das Recht der Minderheit akzeptieren. Gleichwohl möchte ich einige grundsätzliche verfassungsrechtlich begründete Bedenken hinsichtlich der Formulierung Ihres Antrages äußern.

Dass die parlamentarische Minderheit einen Antrag sogar gegen den Willen der Mehrheit durchsetzen kann, stellt eine absolute Ausnahme vom demokratischen Prinzip der Mehrheitsentscheidung dar. Deshalb ist die Minderheit gefordert, bei der Wahrnehmung dieses Rechts in besonderem Maße darauf zu achten, dass ihr Minderheitsantrag die sonstigen verfassungsrechtlichen Vorgaben einhält.

Zu diesen Vorgaben zählt insbesondere das Bestimmtheitsgebot, dessen Einhaltung nicht nur durch den § 3 des Untersuchungsausschussgesetzes gefordert wird, sondern bereits im Rechtsstaatsprinzip des Artikels 45 der Landesverfassung verankert ist.

Der Auftrag des Untersuchungsausschusses muss nämlich hinreichend genau gefasst sein. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Untersuchungsausschuss nur ein Hilfsorgan des Parlaments ist und ausschließlich das Parlament als Ganzes über den Untersuchungsausschuss zu entscheiden hat.

Dies setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung jedem Mitglied des Landtages im Wesentlichen klar ist, was Gegenstand der Arbeit des Untersuchungsausschusses werden wird. Noch wichtiger ist aber die genaue Fassung deshalb, weil der Untersuchungsausschuss bei seiner Arbeit öffentliche Gewalt ausüben wird. So wird er unter anderem Auskunftspersonen vernehmen.

Wenn ein Untersuchungsausschuss zur Beweisaufnahme Auskunftspersonen befragt, so stellt dies auf

jeden Fall einen hoheitlichen Eingriff in deren Grundrechte dar. Dies hat der Baden-Württembergische Staatsgerichtshof bereits im Jahr 1991 ausdrücklich festgestellt. Jeder Grundrechtseingriff muss gerechtfertigt sein.

Als Rechtfertigung reichen weder die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Artikels 18 der Landesverfassung noch die Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes und der Strafprozessordnung aus. Denn sowohl die Landesverfassung als auch das Untersuchungsausschussgesetz verlangen, dass die Beweiserhebung durch den Untersuchungsauftrag „geboten“ sein muss.

Nur ein exakt gefasster Untersuchungsauftrag wird wegen der Ausübung hoheitlicher Gewalt vom Verteidigungsrecht bis hin - das wissen einige nicht - zu Maßnahmen der Aussageerzwingung den juristischen Anforderungen an die Arbeit des Untersuchungsausschusses genügen können.

Der Antrag der CDU-Fraktion hat in dieser Hinsicht deutliche Schwächen. Da ist von „sonstigen Fehlverhalten“ neben Rechtsverletzungen die Rede. Es soll erforscht werden, wo dieses „sonstige Fehlverhalten“ bei „sonstigen Aktivitäten“ von „Beschäftigen des Landes“ neben Vergabeverfahren, Vermögensverfügungen oder Nebentätigkeiten aufgetreten sein könnte.

Nun lassen Sie mich einmal überspitzt formulieren: Nach dem Wortlaut Ihres Antrages wird zum Beispiel die Vernehmung eines Mitarbeiters aus dem Umweltministerium möglich, wie oft er falsch geparkt hat.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Zurufe von der CDU)

Lassen Sie uns diese Prinzipien nicht einfach so auf die leichte Schulter nehmen. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern: Vor kurzem hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig etwas im Fall Nilius entschieden. Das sollte uns Mahnung genug sein, den Untersuchungsgegenstand sorgfältig zu formulieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Folge dieser mangelnden Präzision könnte sein, dass Personen außerhalb des Parlaments und des Regierungsapparats, auf deren Auskünfte der Untersuchungsausschuss angewiesen sein könnte, bei bestimmten Fragen die Auskunft verweigern und darauf verweisen könnten, dass die jeweilige Frage nicht vom Untersuchungsauftrag gedeckt sei.

Eine möglicherweise folgende Entscheidung von dem Verwaltungsgericht im Sinne der Auskunftsperson wäre durchaus möglich. Damit wäre einer umfangrei

(Lothar Hay)

cheren Sachaufklärung aus meiner Sicht ein deutlicher Schaden zugefügt. Unsere Auffassung sehen wir durch ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages bestätigt.

(Zuruf von der CDU)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, haben es zu verantworten, dass der Untersuchungsausschuss von Anfang an die Möglichkeit zur Behinderung seiner Arbeit in sich trägt. Wir hätten uns gewünscht, dass hier etwas mehr Sorgfalt von Ihrer Seite aus vorgetragen worden wäre.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Dennoch werden wir unsere Zustimmung nicht verweigern. Schließlich können und wollen wir an dieser Stelle nicht auch noch die Arbeit der Opposition mit erledigen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Erstens. Wir stimmen dem Antrag der CDU zu, weil wir an der Aufklärung aller Punkte, die angesprochen werden sollen, nachdrückliches Interesse haben.

Zweitens. Die SPD-Landtagsfraktion ist trotzdem der Überzeugung, dass die aufgeworfenen Fragen auch in den dafür vorgesehenen parlamentarischen Gremien hätten aufgearbeitet werden können. Ich verweise auch darauf, dass ohnehin die Staatsanwaltschaften in beiden Fällen noch ausführliche Ermittlungen leisten.

Drittens. Wir erwarten von allen, die zur Klärung noch offener Fragen beitragen können, dass Sie Ihre Informationen umgehend und vollständig auf den Tisch legen.

(Zuruf von der CDU: Das hoffen wir auch!)

Viertens. Wir wenden uns geschlossen gegen alle Versuche, das Ansinnen der Ministerpräsidentin böswillig zu beschädigen.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens. Heide Simonis hat das volle Vertrauen der SPD-Landtagsfraktion.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Das wissen Sie heute schon?)

Meine Damen und Herren, die Selbstreinigungskraft der Demokratie steht zurzeit an vielen Stellen auf dem Prüfstand. Dies gilt immer für die jeweilige Regierung ebenso wie für die Opposition. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die aufgeführten Fragestellungen nicht nur zu klären, sondern dies auch in einer Weise zu tun, die unserer parlamentarischen Demokratie angemessen ist

und wieder mehr Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes und darüber hinaus in die Arbeit der Politik bringt.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt beim SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schleswig-Holsteinische Landtag ist der Ministerpräsidentin beziehungsweise der Landesregierung außerordentlich „dankbar“, dass wir uns mit dem Innenleben der Regierung und den herzlichen persönlichen Beziehungen untereinander im Regierungsapparat beschäftigen müssen und nicht mit den wirklichen Problemen der Menschen in diesem Lande. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes Schleswig-Holstein haben einen Anspruch darauf und wollen es auch wissen, von wem und vor allem wie sie wirklich regiert werden.

Dank der weitsichtigen Entscheidung der CDUFraktion dieses Hauses, erst heute den Einsetzungsbeschluss für den Zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu fassen, sind wir in den vergangenen Wochen einer regelrechten Flut von Informationen ausgesetzt worden, wie Regierungsarbeit in Schleswig-Holstein unter Führung der Ministerpräsidentin Heide Simonis organisiert wurde und wird und welche tief greifende Bedeutung für die Fortentwicklung unseres Landes die Psychologie von Beziehungen einiger weniger untereinander hat, die immerhin aus Steuermitteln bezahlt werden.

Um es vorweg zu sagen: Weder die Lohmann-Affäre noch die Affäre Pröhl, die nach dessen Auffassung völlig zu Unrecht diesen Namen trägt und wohl eher die Geschichte „Heide allein zu Haus“ heißen sollte, sind Affären der SPD dieses Landes oder der SPDLandtagsfraktion, obwohl ich schon der Auffassung bin, lieber Kollege Hay, dass die Regierungsfraktion ihren parlamentarischen Kontrollauftrag durchaus hätte ernster nehmen können. Dies hätte möglicherweise Heide Simonis und unser Land davor bewahrt, bei der Aufklärung der Vorgänge um Pröhl und Gärtner bundesweit mit Spott und Häme überzogen zu werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Beide Affären, so unterschiedlich sie im Einzelnen sind, haben eine Gemeinsamkeit: Es fehlt am Bewusstsein der Beteiligten, sich zumindest stillos verhalten zu haben, und es fehlt am Bewusstsein der jeweiligen

(Wolfgang Kubicki)

Dienstvorgesetzten oder Leitungsspitzen, in ihren notwendigen Kontrollfunktionen kläglich und vollständig versagt zu haben.

(Beifall bei FDP und CDU)